«Der Erfolg ist als Ziel nicht interessant»

Seit 31 Jahren steht Kaspar Weiss auf Bühnen und vor Kameras. Im Interview spricht er über einen Spagat zwischen Film und Freiem Theater, der eigentlich nicht zu schaffen ist, und die Frage, wie lange sich das Warten auf die «richtig grosse Rolle» lohnt.

Von Seraina Kobler

Du bist in einem Haushalt mit acht Halbgeschwistern aufgewachsen. Dein Grossvater war der in den 1950er Jahren bekannte Grafiker und Autor der «Pitschi»-Kinderbücher Hans Fischer. Hat man dir die Kunst in die Wiege gelegt?

Natürlich war mein ganzes Umfeld sehr kreativ. Und schon in der Steinerschule habe ich zu meinem ältesten Bruder, dem Schauspieler und Theaterregisseur Samuel Weiss, aufgeschaut, der heute in Hamburg lebt. Mein Onkel, der Schauspieler Kaspar Fischer, war mit Franz Hohler, Emil und Dimitri befreundet und hat Masken gesammelt. Es wurde gebastelt, gemalt. Wir bauten eine Arche Noah im Garten. Und immer war da der Einfluss von Malen, Zeichnen und einem leichtfüssigen, spielerischen Umgang mit Kunst und Theater. Ja, ein bisschen wächst man da tatsächlich auch mit rein.

Und was kommt nach so einer Kindheit?

Sehr klassisch: Schauspielschule in Zürich, dann Filme, aber auch Theater. Ich habe immer gerne beides gemacht. Das waren damals die Neunziger Jahre, Fernsehen war noch das Massenmedium, keine Smartphones. Filme hatten einen ganz anderen Stellenwert. Ich drehte einige Male auf 35 Millimeter… «Tschäss» z. B. mit Pasquale Alearadi entstand in dieser Zeit, ein grosser Film. Mit grossem Budget. Wir wurden an Filmfestivals eingeladen, ein paar Mal haben wir vor dem Kino Alba auf der Trompete gespielt. Danach folgte eine kleine Rolle in einer Hollywood Produktion, ich spielte eine Nazi-Offizier in Lemmberg, und dachte: Jetzt geht es los!

Und ging’s los?

Nun ja, sagen wir so: Ich habe viele Nebenrollen gespielt. Daneben aber halt auch immer Theater, irgendwann kam dann die erste Hauptrolle am Schauspielhaus Zürich, aber ich wollte auch immer in der freien Szene bleiben.

Ist der Spagat zwischen solchen kommerziellen Filmproduktionen und der freien Theaterszene nicht enorm schwierig?

Damals sogar noch schwieriger. Entweder du warst in einem Ensemble ODER du hast gedreht. Beides ging kaum zusammen, auf ein Filmset zu gehen war verpönt, wenn du ernsthaft Theater machen wolltest. Das hatte auch mit den produktionellen Abläufen zu tun. Beide verlangen oberste Priorität.

Kaspar Weiss ist in der Schweiz, Schweden und in New Zealand aufgewachsen. Er absolvierte die Schauspielakadamie in Zürich und spielt seither auf Theaterbühnen im In u. Ausland. Er pendelt zwischen Theater und Film und zwischen  Zürich und Berlin, und ist Sprecher für Hörbücher, SWR, Podcasts, Dok-Filme und Werbung. Seit 2023 als Pädagöge an Zürcher Schulen / Schulkultur Stadt Zürich tätig.

Du wurdest oft gefragt, was du lieber machst: Bühne oder Film. Hast du mittlerweile eine zufriedenstellende Antwort gefunden?

Es sind einfach zwei komplett verschiedene Handwerke (lacht). Auch wenn der Ursprung derselbe ist. Spannend finde ich beides. Die Selbstausbeutung ist übrigens auch ähnlich. Der Film ist halt intimer, alles kommt näher. Die Kamera erfasst auch die kleinste mimische Veränderung, das musst du lernen. Und du hast dort natürlich ein viel grösseres Publikum, einen Tatort schauen Millionen jeden Sonntag.

Und im Theater ist die maximale Grösse, was der Saal hergibt…

Exakt. In einem experimentellen Tanztheaterstück in der roten Fabrik spielst du für ein paar Dutzend Leute, wenn es hoch kommt. Das ist eine Entscheidung. Dafür ist da diese andere Intimität, die du direkt und unmittelbar über den Raum teilst. Die Bewegungen werden grösser, die Stimme lauter, die Mimik stärker. Es ist einfach nicht zu vergleichen…

Ich habe die Karriere nie aktiv und ehrgeizig forciert.

War es im Rückblick nachteilig, dass du dich nicht auf eines festgelegt hast?

Ich habe die Karriere nie aktiv und ehrgeizig forciert. Der Erfolg ist als Ziel nicht interessant. Nehmen wir etwa das Pflegen des Netzwerkes, das ist ein wahnsinnig wichtiger Teil des Berufes. Im Business läuft alles übers «gesehen werden», in eine freie Gruppe oder Theaterfamilie hineinzuwachsen, über einen Namen, das Renommee. Bis zu einem gewissen Punkt habe ich mich dem entzogen.

Inwiefern?

Ich habe etwa keine Social Media Profile ! Zuerst hat es sich einfach nicht ergeben, dann war ich im Verzug. Doch je länger ich darüber nachdenke, war das wohl doch eine sehr bewusste Entscheidung. Beziehungen habe ich immer persönlich gepflegt, zu meinen Stücken lade ich via Mail ein. Oder rufe an. Selbstmarketing ist nicht meine Stärke.

Wie kommst du dennoch zu deinen Engagements und Aufträgen?

Natürlich lese ich jeden Tag Zeitung, die Feuilletons, den Spiegel. Es ist ja nicht so, dass man ohne Social Media Profile nichts von der Welt mitbekommt. Im Gegenteil, ich informiere mich auch über das Schaffen anderer, indem ich oft ins Kino gehe. Nehme an E-Castings teil, habe dutzende und verschiedene Auftraggeber, für die ich in unregelmässigen Abständen zum Beispiel Sprecherjobs machen kann. Diese Tätigkeit hatte ich früh entdeckt. Ich liebe die Arbeit mit der Stimme vor dem Mikrophon.

Und auch Werbung…

Ja, Werbung mache ich auch gern. Tatsächlich machte mich ein Werbespot für Sport-XX vor einigen Jahren auf einen Schlag viel bekannter. Das war auch eine Erfahrung, die so nicht geplant war. Die Reichweite des Spots und die Verbreitungskanäle waren mir bei der Vertragsunterschrift nicht wirklich klar.

Würdest du das so nochmals machen?

Was soll ich sagen…ich denke ja. Werbung zu machen schadet einem Schauspieler heute nicht mehr. Mir war es immer wichtig, mir die Zeit für unabhängige, sehr freie Produktionen zu nehmen, auf Festival-Touren gehen zu können. Auch für Projekte, die nicht dem gängigen Förder-Trend entsprechen. Raum für Experimente zulassen. Apropos Film: In der Schweiz ist der Markt zu klein, um nur vom Film leben zu können. Daher hat mir die kommerzielle Arbeit die Tür zur Kunst geöffnet, auch wenn das zuerst paradox erscheint.

Tatsächlich werde ich immer wieder gefragt, gerade nach Theaterauftritten, «was ich den tagsüber so mache»

Ist es überhaupt möglich, nur von der Schauspielerei zu leben in der Schweiz?

Tatsächlich werde ich immer wieder gefragt, gerade nach Theaterauftritten, «was ich den tagsüber so mache». Die Anerkennung für den Beruf lässt doch immer wieder zu wünschen übrig. Es ist aber auch so, dass es schwierig ist, davon zu leben. Und ich meine ein einfaches Leben: Keine Kinder, eine Person, günstige Miete. Und dann gibt es ein grosses Gefälle innerhalb der Branche: Die einen werden überbezahlt, die anderen unterbezahlt.

Ist das nicht auch zermürbend? Der ewige Wettbewerb?

Doch.

Warum bist du trotzdem noch dabei?

Manchmal frage ich mich auch, wie man all die Tiefschläge aushält. Weil die Identität so stark mit dem Beruf verbunden ist? Auch, sicher. Aber viel entscheidender ist, dass immer wieder etwas Neues kommt. Eine neue Idee! Ein neues Engagement! Jedesmal geht eine andere Reise los. Und mit ihr kommt die Begeisterung, wenn du dich auf ein künstlerisches wie soziales Abenteuer gleichermassen einlässt. Und mit ungewissem Ausgang! Auch nach dreissig Jahren noch.

Und zwischen den Produktionen? Wenn gerade keine neue Heldenreise winkt?

Wahrscheinlich konnte ich mir alles in allem doch ein sonniges Wesen bewahren. Auch in einer hochkompetitiven Branche. Neid bringt dich nicht weiter. Als ich dreissig wurde, dachte ich: «Jetzt mache ich Karriere.» Doch es ist ein schmaler Grat zwischen Supererfolg und Verbissenheit, das wurde mir rasch klar. Ich wollte mir meine Freiheit behalten, das habe ich getan. Mit allen Konsequenzen.

Das ist spannend, mit welchen Konsequenzen?

Nun, der Erfolg hätte grösser sein können. Aber auch das Glück spielt eine Rolle. Vieles funktioniert getreu dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Hast du eine Hauptrolle, dann ist die nächste oft nicht weit. Und wenn du eine Nebenrolle hast, dann kommt halt die nächste Nebenrolle.

Was die vielen Nebenrollen in grossen Schweizer Filmproduktionen der letzten Jahre bestätigen, in denen du mitgespielt hast: Frieden, Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse, Papa Moll, Der Teufel von Mailand, um nur einige zu nennen.
Aber zurück zu den Freiheiten, wie pflegst du diese?

Als erstes ziehe ich mich immer wieder zurück, in die Berge, in die Natur. Bin für ein paar Tage, manchmal auch Wochen, nur schwer erreichbar. Ich meditiere, wandere, manchmal auch Eisbaden. Dann merke ich, wie der Atem zurückkommt. Ich habe gelernt, sehr bewusst mit dem Atem zu arbeiten. Es ist absolut faszinierend, wie oft wir pro Tag atmen und wie wenig wir uns in der Regel damit beschäftigen. Dabei ist er es, der uns lebendig hält!

Ein Allheilmittel?

Für mich, ja. Seit ich damit begonnen habe, fühle ich mich rundum resilienter und gesünder. Man behält sprichwörtlich «den längeren Atem». Ein anderer Punkt, das sind die sozialen Beziehungen. Seit jeher habe ich meinen Freundeskreis erhalten. Und nehme mir auch wirklich Zeit dafür: Gespräche, zusammen Tanzen gehen, Kochen. Jetzt haben auch viele wieder mehr Zeit, weil ihre Kinder grösser sind.

Der Harvard Professor Raymond Cattell unterscheidet zwischen zwei Arten von Intelligenz: Die Fluide und die Kristalline. Ersteres bezieht sich auf die Fähigkeit, Probleme zu lösen, zweiteres umfasst das Wissen und die Fähigkeiten, die man im Laufe eines Lebens erlernt hat. Zufrieden alt wurden nur jene, die nach der Lebensmitte eine Mentorenrolle gefunden haben. Wie ist das bei dir?

Tatsächlich arbeite ich seit einem Jahr für die Stadt Zürich mit Schüler:innen an Theaterprojekten. Das ist extrem bereichernd, aber auch herausfordernd. Ich versuche, junge Menschen dafür zu begeistern, was Theater sein könnte. Arbeite mit ihnen an Projekten zusammen mit einer Theaterpädagogin. In einer anderen Altersgruppe sind die Anwärter:innen für die Schauspielschulen, die ich in Coachings für die Aufnahmeprüfung fit mache…

Die Frage ist schon, ob du als Schauspieler überhaupt in Rente gehen kannst

Und damit auch für die Zukunft des Berufes sorgst. Wie sieht deine eigene aus?

Die Frage ist schon, ob du als Schauspieler überhaupt in Rente gehen kannst – oder willst. Letzteres ist fast der stärkere Treiber. Das Alterswerk ist doch etwas vom grossartigsten überhaupt. Denken wir an die Karriere von Stephanie Glaser mit den «Herbstzeitlosen» oder Christoph Waltz. Ja, wer weiss. Vielleicht fängt es ja auch gerade erst an…

Wen würdest du am liebsten spielen?

Albert Einstein. Oder Mozart.

Und zum Schluss: Was sind eine Wünsche für die Branche? Ganz praktisch?

Richtlöhne vom SSFV sollten endlich gesichert sein, noch mehr Diversität bei der Auswahl von Schauspielenden, aber auch in den Drehbüchern. Gute, spannende Altersrollen. Eine offene Bandbreite bei den Casting-Prozessen, frische und andere Stimmen bei den Auswahlverfahren für Sprecherjobs. Mehr Wagemut in der Besetzung von Rollen.

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