3D-Aufnahmen aus dem 17. Jahrhundert

Die Faszination für die exakte Darstellung menschlicher (und tierischer) Bewegung in 3D existiert nicht erst seit die digitale Erfassung möglich ist. Corinne Soland taucht in die Geschichte der dreidimensionalen Bilderfassung.

Von Corinne Soland

Ach, was sind wir Menschen doch mit uns selbst beschäftigt! Wir können virtuell alles entwerfen, was möglich und denkbar wäre – aber wir bauen uns selbst nach. Zugegeben, wir sind schon interessante Wesen. Werden wir uns jemals ganz verstehen? Vielleicht. Vielleicht nicht. Mit der Konstruktion von 3D-Avataren nähern wir uns vielleicht von einer neuen Seite dem (Selbst-)Verständnis an.

Das alle begann schon vor sehr langer Zeit: 1624 zeichnete Giovanni Battista Bracelli seine «Bizzarie di Varie Figure». Aus heutiger Perspektive sieht es aus wie eine Aneinanderreihung von Figuren, die auch einer 3D-Datenbank entstammen könnten.

 

Mixamo ist so eine Datenbank. Wenn ihr auf www.mixamo.com geht, könnt ihr diverse Figuren ansehen und auch herunterladen als Datei. Was es in dieser Datenbank auch hat, sind Bewegungen. Auch diese können angeschaut werden – mit einem der ausgewählten 3D-Körper – und dann heruntergeladen werden. Wenn ihr euch auskennt in einem Programm, das animieren kann (z.B. Unity oder Unreal), könnt ihr diese Bewegungen als kleine Pakete in die Software importieren und damit eure selber kreierte Figur animieren.

Manchmal jedoch braucht es Animationen, die schwer zu bekommen sind oder die es noch nicht gibt. Heute schauen wir uns Beispiele an, die die menschliche Bewegungserfassung verlassen, doch die Parallelen werden bald offensichtlich.

Neue Bewegungen erfassen

Das Interesse an der Erfassung von Bewegung ist wohl so alt wie wir selbst sind, weshalb auch in der Malerei Tiere zum Beispiel mit laufenden Beinen gemalt wurden, nicht nur mit stehenden. Die Betrachtung veränderte sich mit der Veränderung der Technologien, mit denen diese Erfassung möglich war.

Im Sommer 1878 meldete Eadweard J. Muybridge ein Patent an. „Der Hauptzweck“, so erklärte der Fotograf und Erfinder in seiner Anmeldung, „besteht darin, fotografische Aufnahmen von Pferden zu machen, die sich schnell bewegen, um die Haltung, die Position und das Verhältnis ihrer Gliedmaßen in den verschiedenen Abschnitten ihres Schritts zu bestimmen.

“Woman Jumping, Running Straight High Jump: Plate 156 from Animal. Locomotion (1887)

Muybridges Interesse am „Schritt“ und „Gehen“ von Pferden geht auf das Jahr 1872 zurück, als der Eisenbahnmagnat Leland Stanford ihn bat, eine Debatte unter Pferdefreunden zu klären: Wenn ein Pferd trabte (oder galoppierte), verließen dann alle vier Hufe gleichzeitig den Boden? Wie Muybridge in einem Fotoprojekt, das sich von 1872 bis 1879 erstreckte, bewies, lautete die Antwort: Ja.

Mit einer Reihe von Kameras, die mit elektrischen Verschlüssen ausgestattet waren, löste Muybridge einen Streit, den das menschliche Auge nicht lösen konnte. Seine Pferdefotografien demonstrierten das künstlerische, wissenschaftliche und industrielle Potenzial des Mediums Fotografie. Nebst der Erfassung von Tieren beschäftigten ihn auch Bewegungsabläufe von Menschen. So entstanden diverse Fotoreihen mit Abfolgen von Bewegungen, unter anderem die oben gezeigte Serie einer Dame.

In heutiger Zeit …

Die Firma Animatrik führte die Erfassung von Bewegung 2018 auf ein ganz neues Level: Nach der Arbeit am Filmset von “Warcraft” waren sie so inspiriert von Pferden und deren Bewegungen, dass sie es sich zur Aufgabe machten, ein Pferd zu digital zu erfassen. Wenn Menschen lustig aussehen in MotionCapture-Anzügen, dann definitiv auch Pferde!

Sara Cameron, die Produzentin bei Animatrik, begründete das folgendermassen: „Aus dem Stillstand direkt in den Galopp zu gehen, wäre für einige der Pferde am Set weder geeignet noch gesund. Ich teilte die Bewegungen auf und gruppierte die Aufnahmen in Fähigkeiten für jedes Pferd. Von dort aus habe ich sie virtuell in eine Abfolge von Bewegungen gegliedert, die es dem (digitalen) Pferd ermöglichten, vom Schritt in den Trab überzugehen, ohne sich überzubeanspruchen.“

Sie nutzte also die Möglichkeit einer künstlich hergestellten Bewegung, um das Subjekt am Set – in diesem Falle das Pferd – nicht über seine Grenzen hinaus strapazieren zu müssen.

Digitale Stunt-Figuren bei emotionaler Belastung?

Denken wir diese Herangehensweise weiter, würde mein skeptischer Anteil wohl im Szenario enden, dass in zukünftigen Produktionen, die sehr gefährlich für Schauspielende sind, nur noch animierte Modelle eingesetzt werden. Was ja bei Action-Filmen durchaus schon heute passiert. Doch was genau heisst “gefährlich” für Schauspielende? Ist das vor allem Stunt-Arbeit oder könnte da auch an emotional sehr einnehmende Szenen gedacht werden?

Könnte ich in Zukunft verlangen, dass mein digitales Double die emotional anspruchsvollste Szene übernimmt für mich, weil ich mich nicht an einen solchen “dunklen” innerlichen Ort begeben möchte? Wäre das sogar ein Teil self-care für mich als Spieler*in? Oder liegt genau im Fühlen und Durch-sie-Hindurchgehen dieser Emotionen und Zustände der Reiz – einerseits für mich als spielende Person und/oder für die Zuschauenden?

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