«Yeah, du besuchst einen Kurs zu gewaltfreier Kommunikation!»
Fokus Machtmissbrauch: Wir sprachen mit Martina Büchi, der Verantwortlichen für Kulturwandel am Zürcher Opernhaus, über Machtstrukturen, Missstände und Management im Bereich Darstellende Künste.
Interview: Reda El Arbi
Infobox Martina Büchi am Textende.
ENSEMBLE: Frau Büchi, Sie sind Beauftragte für Kulturwandel am Opernhaus Zürich. Was müssen sich Leser*innen darunter vorstellen? Wie sehen Ihre täglichen Tasks aus?
Der Begriff Kulturwandel kann ja vieles sein. Im Frühling 2021 hat die Direktion den Prozess für einen nachhaltigen Wandel in die Wege geleitet mit dem Fokus die bewusste Auseinandersetzung von gemeinsamen Werten, Normen und Verhaltensweisen anzustossen und allgemeingültig für alle Führungskräfte und Mitarbeitenden umzusetzen.
Der Ansatz ist partizipativ und es gibt ein Gremium, dem neben Direktionsmitgliedern und Mitarbeitenden auch zwei Personalrät:innen angehören, weitere Mitarbeitende werden in unterschiedlicher Form und Weise in den Prozess miteinbezogen. Meine Position im ganzen Gebilde: Die Leitung des Gesamtprojekts gemeinsam mit einer Kollegin, wir erarbeiten Inhalte, bringen Menschen zusammen, leiten Sitzungen und Arbeitsgruppen und sind Ansprechpersonen.
Wie sehen die aktuellen Projekte aus?
Wir arbeiten gerade an unserer zweiten Mitarbeitendenbefragung und an der Organisation des «Safer Space-Workshops» für alle Auszubildenden, das heisst die Musiker:innen aus der Orchester-Akademie, Tänzer:innen aus dem Junior Ballett, Sänger:innen aus dem Opernstudio sowie die Lernenden in der Berufsausbildung. 60 Personen, 1 Termin. Mal schauen, ob es gelingt!
Parallel entwerfen wir Leitlinien für die Darstellung von gewaltvollen/intimen Szenen auf der Bühne, dann setze ich mich mit dem HR mit der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben auseinander. Wir sind Teil eines nationalen Projektes, das der Schweizerische Bühnenverband SBV gemeinsam mit der Fachstelle «UND» für alle Mitglieder durchführt.
«Die Kompetenz, Feedback zu geben und anzunehmen, ist gewachsen.»
Und natürlich mein Herzensprojekt: wir starten demnächst mit dem Thema Vielfalt in den Bereichen Personal, Programm, Publikum und Partnerschaften. Zudem bin ich eine von zwei internen Vertrauenspersonen am Haus und führe Gespräche, wenn sich ein:e Kolleg:in an mich wendet.
Wie kamen Sie persönlich dazu, sich dem Thema Kulturwandel zu widmen?
Ich wurde vor vier Jahren von der Direktion für diese neu geschaffene Position angefragt. Mein Kernthema ist die Gleichstellung. Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter erlebte ich viele Situationen, in denen meine Mutter genervt und wütend nachhause kam und immer handelte es sich um Themen der Geschlechter-Ungleichbehandlung.
Dazu habe ich mich weitergebildet und ein CAS in Diversity und Gleichstellungskompetenzen absolviert und mich intensiv mit diesen Themen auseinandergesetzt. Auf der persönlichen wie auch auf der institutionellen Ebene.
Der Begriff „Kulturwandel“ ist etwas weit gefasst und indifferent. Welche „Kultur“ haben Sie zu Beginn angetroffen und in welche Richtung soll sie sich wandeln?
Wir haben einige Schlaufen gedreht in Bezug auf den Namen. Mittlerweile ist er bei uns etabliert und steht zusammengefasst für das «Miteinander»: wie arbeiten wir zusammen, wie kommunizieren wir, wie begegnen wir uns – und auch: was wollen wir nicht.
Ich arbeite seit 12 Jahren in verschiedenen Positionen im Opernhaus und geändert hat sich beispielweise die Sensibilität gegenüber der Reproduktion von Stereotypen und dass wir heute Leitlinien in Bezug auf die Darstellung von intimen und gewaltvollen Szenen erarbeiten. Die Kompetenz, Feedback zu geben und anzunehmen, ist gewachsen, die Strukturen sind durchlässiger geworden, Feedback von Mitarbeitenden gelangt schneller bis in die Direktion, und wird dort angehört und behandelt.
«Hey, du darfst dir in einem Workshop Kompetenzen aneignen, wie du dich nicht sexistisch verhältst!»
Der Kulturwandel beinhaltet einen grossen Teil an Partizipation – hier haben wir in den letzten Jahren viel gelernt. Welche Projekte werden partizipativ erarbeitet, von wem, wann, wo. Fragen, die in einem Kulturbetrieb nicht einfach zu beantworten oder zu organisieren sind. Grossartig ist, dass wir Mitarbeitenden diesen Wandel in Arbeitsgruppen mitgestalten können.
Verfügen Sie über Sanktionskompetenzen oder wirkt Ihre Position eher beratend? Und wenn nicht, welche Sanktionsmöglichkeiten würden Sie sich wünschen?
Nein, Sanktionen spreche ich keine aus und ja, ich stehe beratend zur Seite und stosse auch Inhalte an. Aber bei meinen vielen Kontakten und Beratungsgesprächen lasse ich kaum eine Gelegenheit zur Ermutigung und Anerkennung aus . Sanktionen positiv formuliert fände ich toll! zum Beispiel: „Yeah, du besuchst nächsten Monat einen Kurs zu gewaltfreier Kommunikation!“ Oder: „Hey, du darfst dir in einem Workshop Kompetenzen aneignen, wie du dich nicht sexistisch verhältst!“
Als die #MeToo-Welle über den Planeten rollte, wurde überall, in allen Berufsgattungen genauer hingeschaut. Nur in der Schweizer Kulturszene schien es keine sichtbaren Auswirkungen zu haben. Wie erklären Sie sich das? Kommen solche Übergriffe in der Schweiz einfach nicht vor?
Das ist eine globale Problematik. Dass Übergriffe vorkommen, zeigte ja auch die Umfrage von SzeneSchweiz deutlich. Als Vertrauensperson merke ich, dass seit der #MeToo-Bewegung Kolleg:innen den Mut fassen, sich zu melden, was, trotz des niederschwelligen Angebots, viele Frauen Überwindung kostet.
« … sie haben den Wunsch, andere Frauen vor übergriffigem Verhalten zu schützen.»
Vor allem bei Frauen erlebe ich, dass es ihnen oft gar nicht um ihre eigene erlebte Situation geht, sondern sie haben den Wunsch, andere Frauen vor übergriffigem Verhalten zu schützen. Diese Solidarität bewegt mich immer wieder, zeigt jedoch auch, dass es keine leichte Aufgabe ist, die eigene erlebte Grenzüberschreitung zu erzählen und damit an die Vorgesetzten zu gelangen. Diesen Weg wählen nach wie vor nicht viele Personen.
Neben Sexismus und Übergriffen ist die Hierarchie in den Darstellenden Künsten eine ewige Quelle für Machtmissbrauch und Machtlosigkeit. Gibt es Ansätze, da etwas zu ändern?
Zentral finde ich, dass nicht nur bei den Betroffenen angesetzt wird. Empowerment-Kurse sind wichtig, die Schulung von Führungskräften jedoch ebenso. Als Resultat unserer letzten Mitarbeiter*innenbefragung entwickelt unser HR Schulungen für Führungskräfte. Viele Führungskräfte wünschen sich auch Unterstützung in Konfliktmanagement und Kommunikation, sowie bei rechtlichen Aspekten. Ich bin überzeugt, dass die Stärkung der Konfliktkompetenz eine grosse und positive Auswirkung auf die Art der Krisenbewältigung haben wird.
In unserer Umfrage und in den Gesprächen, die unsere Redaktion mit Betroffenen geführt hat, zeigte sich: In den Darstellenden Künste herrscht eine Angstkultur, nicht nur bei Betroffenen, auch in deren Umfeld. Niemand will offen Kritik üben, sich wehren oder sonst irgendwie auffallen. In einem hochkompetetiven Umfeld kann es die Karriere kosten, wenn man als „schwierig“ gilt oder sich wehrt. Es warten bereits zehn andere Künstler*innen auf den Job.
Meine Einschätzung ist: Man muss als Arbeitgeberin Vertrauen aufbauen, stetig. Dazu haben wir verschiedene Massnahmen umgesetzt: 70 Mitarbeitende haben unseren Code of Conduct gemeinsam mit einer externen Moderatorin erarbeitet und beschlossen. Der CoC muss von allen unterschrieben werden, auch von den Gästen. Heute ist der CoC Bestandteil jedes Arbeitsvertrags. Der Prozess ist etabliert und dies schafft Sicherheit.
Für den Probenprozess ist wichtig, dass unser Intendant oder unsere Operndirektorin am Konzeptionsgespräch auf den Code hinweisen, auch auf die diversen Anlaufstellen (int./ext. Vertrauensstellen, externe Vertrauensanwält:in, HR).
Was bedeutet das im Alltag?
Wir haben das Reglement gegen Diskriminierung, sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch und Mobbing in Kraft gesetzt. Unter anderem wird das formelle und informelle Verfahren beschrieben, wenn rote Linien überschritten werden. Die roten Linien sind definiert, eine nächste Etappe wäre, diese noch vertiefter zu besprechen, zu informieren, sich auszutauschen.
Was ist sexuelle Belästigung, was gehört alles dazu, wie umgehen mit verschiedenen Wahrnehmungen? Welche Arten von Diskriminierung gibt es? Was genau ist Machtmissbrauch und was eine berechtigte Anweisung einer Führungskraft? Da müssen wir noch aktiver werden. Diese Begriffe klarer zu definieren, spürbarer zu machen, hilft Betroffenen, Führungskräften und auch Kolleg:innen, die Übergriffe miterleben. Eine Auseinandersetzung mit Allyship oder dem Bystander-Ansatz gehören dazu.
«Was genau ist Machtmissbrauch und was eine berechtigte Anweisung einer Führungskraft? Da müssen wir noch aktiver werden.»
Positiv stimmt mich, dass Initiativen von Kolleg:innen, Bottom up, an uns gelangen, das empfinde ich als Fortschritt und Zeichen von Vertrauen. Aktuell beispielsweise den Safer Space-Workshop für Auszubildende.
Gerade auf Bühnen und an den grösseren Häusern gibt es noch eine andere Form von Machtgefälle: Internationale Stars aus Regie, Choreografie, Dirigenten, Solisten stehen einem Ensemble gegenüber, das in Personen leicht austauschbar ist. Der Star hat immer mehr Gewicht, füllt die Säle, verknüpft seine Reputation mit der des Hauses/der Institution.
Ja, das ist ein Umstand, für den es keine einfache und vor allem nicht die eine Lösung gibt. Es müssen Hebel im ganzen Gefüge in Bewegung gesetzt werden. In den Institutionen, aber auch in den Hochschulen, der Politik, der Gesellschaft. Die Thematik ist dermassen vielschichtig…
Wir probieren aus, learning by doing: bei den jungen Künstler:innen am Haus stellen wir Vertrauenspersonen uns persönlich vor und erklären, wie die Kontaktaufnahme funktioniert, das Gespräch abläuft, auch wo unsere Rolle Grenzen hat. Wir informieren auch in Bezug auf die weiteren vertraulichen Anlaufstellen und ich stelle den Kulturwandel-Prozess vor.
«Die jungen Künstler:innen haben die Möglichkeit, eine Rückmeldung zu geben, beispielweise zur Zusammenarbeit mit einer berühmten Sängerin.»
Schritt zwei ist der «Safer Space-Workshop». Inhaltlich geht es um die Auseinandersetzung mit dem Thema «Nähe-Distanz», mit Grenzverletzungen. Ziel dieses Formats ist, dass die jungen Künstler:innen sich erstens der Überschreitung von roten Linien bewusster werden, sich bekräftigt fühlen, diese zu melden, und Vertrauen haben, dass sie dies ohne negative Auswirkungen tun können. Der dritte Workshop, noch in der in der Pipeline, richtet sich an alle, die mit der Ausbildung betraut sind, z.B. die Berufsbildner:innen.
Feedback kann ein weiterer Hebel sein, interne Mechanismen anzutasten. Bedächtige, aber stetige Fortschritte machen wir mit den «Nachbesprechungen». Wir holen bei jeder Neuproduktion Feedback zum Probenprozess bei den Kolleg:innen im Haus und auch bei den Leading-Teams und Gast-Künstler:innen ab. Dies geschieht via Umfrage und gestellt werden z.B. Fragen zur Sicherheit, Planung, Zusammenarbeit, Kommunikation.
Wie soll sich ein*e 22-jährige Sänger*in/Tänzer*in in einem Konflikt da wehren?
Die jungen Künstler:innen haben die Möglichkeit, eine Rückmeldung zu geben, beispielweise zur Zusammenarbeit mit einer berühmten Sängerin. Die Resultate der Nachbesprechungen werden zudem regelmässig mit der Direktion besprochen und daraus ergeben sich diverse Massnahmen.
Beispielsweise wurde an einer Sitzung mit den Inspizient:innen, Abendspielleiter:innen, der Operndirektorin und dem Intendanten festgelegt, wer auf der Probe interveniert, wenn z.B. jemand im Leading Team sich im Ton vergreift. Diese Absprachen sind wichtig und die Kolleg:innen wurden bestärkt, zu handeln. Dies hilft indirekt auch den jungen Künstler:innen.
Braucht es eine externe Anlaufstelle, die sich um den Schutz der Schwächsten der Szene kümmert und nicht den Bühnen verpflichtet ist?
Anlaufstellen schaffen auf jeden Fall Vertrauen und sind ein wichtiger Bestandteil der ethischen Grundsätze einer Institution. Eine externe Stelle, wie die Themis in Deutschland, wäre auf jeden Fall ein Plus, für alle Mitarbeitenden in der darstellenden Kunst, nicht nur die Vulnerabelsten. Themis bietet juristische und psychologische Beratungen an, ein Angebot, dass für Mitarbeitende in kleineren Häusern wertvoll wäre.
«… mehr Durchsetzungskraft, um in der Politik ihre Anliegen durchzubringen.»
Interessant wäre natürlich zu sehen, welche Wirkung diese übergreifende Stelle hätte. Wir machen zweimal in der Saison ein Reporting und tragen die Zahlen all unserer Anlaufstellen zusammen: interne, externe und Vertrauensanwälte. Ebenfalls listen wir auf, in welche Art die Übergriffe zugeteilt werden können. Diese Zahlen besprechen wir gemeinsam mit der kaufmännischen Direktion und der HR Leitung. Natürlich vollkommen anonymisiert.
Aufgrund dieser Reportings haben wir z.B. als eine Massnahme Empowerment-Workshops angeboten, da auffiel, dass viele Gesprächssuchende äusserten, im Moment eines Übergriffes nicht reagieren zu können. Wenn Kulturinstitutionen von dieser externen Stelle erfahren könnten, wo im eigenen Haus Konfliktherde bestehen und welcher Art sie sind, wäre das ein Fortschritt. Unter der Voraussetzung, dass der Wille besteht, hinzuschauen und –zuzuhören und gegebenenfalls Massnahmen zu ergreifen. Interessant vielleicht auch für die Politik, um nötige Änderungen in den Strukturen anzustossen?
Wenn Sie freie Hand und ein unerschöpfliches Budget hätten, wie sähen ihre Massnahmen für den Kulturwandel in den Darstellenden Künsten in der Schweiz aus?
Einen Tag im Monat spielfrei. Am Vormittag: Zeit für Weiterbildungen, am Nachmittag Zeit für die Mitarbeit in Arbeitsgruppen, Community Work, Engagements im Haus oder für andere Institutionen, Care-Arbeit. Am Abend: Apero, Austausch, tanzen, feiern.
Weiter würde ich grosszügig finanzielle Mittel an die bestehenden Netzwerke, Initiativen und Kollektive ausschütten, die sich für eine faire Praxis in den Darstellenden Künsten einsetzen. Diese Arbeit ist enorm wichtig und kostet viel Energie. Dann würde ich eine Koordinationsstelle etablieren, M2act ist da dran, habe ich vernommen, die all diese Initiativen bündelt und damit die Vernetzung erleichtert. Und dadurch mehr Durchsetzungskraft erzeugt, um in der Politik ihre Anliegen durchzubringen.
Biografie
Martina Büchi, 49, arbeitet am Liebsten mit Menschen. Zu Beginn ihres Berufslebens in der Gastronomie/Hotellerie, später in einem Architektur-Büro und seit 12 Jahren am Opernhaus Zürich. Stationen am Haus: Künstlerisches Betriebsbüro, Leitung Geschäftsstelle der Opern- und Ballettfreunde und Projektleitung Kulturwandel. Studiert hat sie an der Hotelfachschule Luzern, später folgten Weiterbildung in Fundraising Management an der ZHAW und Diversity- und Gleichstellungskompetenz an der FHNW. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich und besucht sehr gerne Lesungen, zuletzt Agota Lavoyer und Franziska Schutzbach.
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