Für echte Bühnenleistung: «Check your ego at the door»
Unsere Kolumnistin Rebekka Burckhardt denkt über eine legendäre Studio-Nacht nach, die zeigt, wie sich unter besten Bedingungen arbeiten lässt – selbst noch vierzig Jahre später …
Über diesen so kleinen wie griffigen Satz, diesen freundlichen Imperativ, denke ich seit einer Weile nach und drehe und wende ihn in meinem Kopf, lasse ihn mir auf der Zunge zergehen wie einen Eiswürfel: «Check your ego at the door», – dieser Satz kommt in der Netflix Doku «The greatest night in pop», über die Entstehung des legendären Benefiz-Songs «We are the World» vor.
Die Doku zeigt the story behind the song: die Aufnahmesession dieses, von Lionel Richie und Michael Jackson, komponierten Songs. Und ist ein aufschlussreiches Porträt einer legendären Nacht, das unter die Haut geht.
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Ich habe es mir zweimal angesehen – und beide Male hat mich der Film bewegt, wehmütig gestimmt, euphorisiert und beeindruckt zugleich. Das Ding ist wie ein Klassentreffen für Menschen, die ihre Jugendjahre in den 80ern verlebt hatten – es triggert das Erinnerungsarchiv.
Warum aber berichte ich hier darüber? Weil es ein gutes Beispiel ist für einen herausragenden künstlerischen Prozess, der in dieser Qualität entstehen kann, weil sich die Beteiligten öffnen, sich vorbehaltlos und wahrhaftig zeigen – ohne Angst und Arg. Damit ein solches Arbeitsklima entstehen kann, braucht es kluge, inspirierende und menschliche Drahtzieher.
Im Falle von «We are the world“ waren das die Legenden Harry Belafonte und Quincy Jones. Die beiden haben es geschafft – und auf ihre hartnäckige Einladung hin verbringen eine grosse Zahl der damals weltberühmtesten Rock- und Pop-Sängerinnen und Sänger eine ganze Nacht gemeinsam im Studio, auf engem Raum miteinander, ohne vorher zu wissen, was genau auf sie zukommen wird.
They got skin in the game – egal wie berühmt und erfolgreich sie sind. Wir Zuschauenden dieser Doku sehen sie, singend im Kreise voreinander stehend, einander zuhören, zuschauen und unterstützen. Es ist wunderschön, diesen Flow zu betrachten, denn danach sehnen sich alle Bühnenmenschen: Ungeschützt, aber nicht schutzlos, im Dialog gemeinsam eine Sache entwickelnd.
Wie alle guten Dompteure wusste der Produzent Quincy Jones, dass er Ruhe bewahren und zugleich entspannte Kontrolle behalten muss, damit dieses einmalige Setting gutgehen – und die Aufnahmen gelingen können. Wenn die Voraussetzungen stimmen, lassen sich Bühnenkünstler:innen ohne Netz auf den kreativen Prozess ein. Check your ego at the door – dieser Zettel hing an der Studiotür – Quincy Jones schrieb ihn kurz vorm Eintreffen der Pop- und Rockgrössen.
Check your ego at the door.
Was ist das für ein ultimativer Leitspruch. Wir sehen, wie diese Superstars ihre Schwierigkeiten haben, ihre Nervosität, die Unsicherheiten, ihr Ringen. Nicht allen fällt alles auf Anhieb leicht, in dieser nächtlichen Session- und es ist einfach umwerfend, das zu sehen – weil es pur ist.
Die Kamera nehmen sie kaum wahr – der Mensch im Jahre 1985 und die Gemeinschaft noch ein, von eingehenden Textnachrichten, ungestörter Zustand. Aus heutiger Sicht vielleicht eine Art lost paradise…
Was ist eigentlich das «Ego»?
Die Suchmaschine wirft zuerst dies aus: «Ego» ist lateinisch und bedeutet «Ich». In der Psychologie wird Ego definiert als die Vorstellung, die der Mensch von sich hat. Es ist als eine Art Identifikation mit dem gewünschten Selbstbild zu verstehen, das Selbstkonzept als Antwort auf die Frage «Wer bin ich?»
Aha, voilà – «….die Vorstellung, die ich von mir habe und die Identifikation mit meinem gewünschten Selbstbild…» Zum Glück habe ich jetzt dieses Mantra:
Check your ego at the door.
check your ego at the door
check your ego at the door
So-und jetzt alle miteinander, zwo, drei, vier:
Check your ego at the door!
– und jetzt, habt einen schönen Sommer!
Rebekka Burckhardt arbeitet als Schauspielerin für Film & Fernsehen, in freien Theaterproduktionen und an Stadttheatern unter anderem in Berlin und Hamburg, als Regisseurin für Laiengruppen, Sprecherin für Hörbücher, Lesungen, Moderatorin und als Coach für Auftrittskompetenz. Seit der Spielzeit 2023/2024 steht sie an der Komischen Oper Berlin in „La Cage aux Folles“ als Marie Dindon auf der Bühne. Mit ihrem Solo «Tumulte Blonde – ein fast klassischer Diseusenabend» tritt sie seit ein paar Jahren in Zürich auf.
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