Malcantone im Tessin: Salone Piazza Grande, Curio

Text von Blue Sky

Der Malcantone ist ein Gebiet im Kanton Tessin, das neunzehn Gemeinden umfasst und sich vom Luganersee bis zum Monte Lema erstreckt, mit kleinen Dörfern, Bergstraßen, großen Kastanienbäumen und Weinbergen. Und genau in dieser Region befinden sich seltene Perlen der Tessiner Performancekunst.

Einst wurden Metallerze abgebaut, von denen heute nur noch wenige historische Artefakte erhalten sind, und in den Tälern können wertvolle Kunst- und Kulturschätze und charakteristische Museen besichtigt werden. Künstler*innen und Räume von ungewöhnlicher Schönheit und hoher Professionalität, die durch den Wunsch verbunden sind, ihr eigenes Menschsein mit den anderen zu teilen. Dort, wo sich die Kunst zu Hause fühlt, wird sie zu Materie, zu Körpern, und gewinnt an Wert sowohl in der stillen Suche wie auch an öffentlich zugänglichen Orten.

Blue Sky traf für Ensemble-Magazin die Künstler*innen des Malcantone, die  Mitglieder von ScenaSvizzera sind: Opera retablO von Ledwina Costantini, Salone Piazza Grande von Sandro Schneebeli, Teatro Agorà von Marzio Paioni und Olimpia De Girolamo und Teatro Lo Sgambetto unter der Leitung von Melanie Häner – jede und jeder von ihnen ist ein Mikrokosmos der Performancekunst!

Interview mit Sandro Schneebeli, Musiker und Gründer von Salone Piazza Grande

Der Verein Salone Piazza Grande in Curio wurde von Sandro Schneebeli, Gitarrist, Komponist und Produzent, als Veranstaltungsort für musikalische und kulturelle Events in Kombination mit hochwertiger Gastronomie und privaten Events gegründet.

Ensemble Magazin: Wie wurde der Salone Piazza Grande geboren?

Sandro Schneebeli: Dieser Raum ist vor langer Zeit aus einer Idee geboren. Ursprünglich war ich auf der Suche nach einem Studio, damit ich in Ruhe außerhalb des Hauses arbeiten konnte, nachdem ich zum zweiten Mal Vater geworden war. Ich fand einen Raum in Madonna del Piano, in einer Mikromechanik-Fabrik eines Freundes. Er war sehr groß, während ich auf der Suche nach einem kleinen Studio und einem Büro war. Dies gab jedoch grünes Licht für die Idee, dort kleine Konzerte zu organisieren. Also richtete ich den Raum ein, wir nannten ihn Allocale (später Circolo Allocale), und sieben Jahre lang organisierten wir private Veranstaltungen, die mit einem einfachen Abendessen verbunden waren.

Die Mitglieder wurden immer mehr und so beschloss ich, nach Curio, meinem Herkunftsort, umzuziehen, um das Gesicht des Vereins zu verändern und 2017 den Verein Salone Piazza Grande zu gründen, der heute etwa einhundertsechzig Mitglieder hat. Hier biete ich weiterhin Veranstaltungen an, bei denen das Essen auf die Herkunft des Gastmusikers oder auf das Musikgenre abgestimmt ist: Dieser Modus hat sich bewährt, und es kommt ein sehr vielfältiges Publikum.

Es entspringt meinem Bedürfnis, einen Treffpunkt zu schaffen, und es ist meine Art, Kontakte zu knüpfen.

Sandro Schneebeli, Gründer des Salone Piazza Grande in Curio

Dieses multikulturelle Treiben erinnerte mich an afrikanische Straßen und Plätze, voller Menschen, Geräuschen, Leben, Begegnungen – warum dieser Name?

Die Leute kommen in das Dorf und suchen nach der Piazza Grande und finden sie nicht. Weisst du warum? Vor einhundert Jahren wollte die Familie Morandi eine Struktur für das Dorf als Treffpunkt schaffen, und die Gemeinde stellte ihnen den Dorfplatz zur Verfügung. Sie bauten die Struktur oberhalb des Platzes und daher der Name Salone Piazza Grande, dessen Leiter ich heute bin.

Ich mache das nicht aus persönlichen  geschäftlichen Gründen, und es gibt keinen Wettbewerb zwischen den Künstlern. Für mich gibt es Synergien, gemeinsam können wir mehr kulturelle Bewegung schaffen.

Was ist der Schwerpunkt der Aktivitäten des Salone?

Es entspringt meinem Bedürfnis, einen Treffpunkt zu schaffen, und es ist meine Art, Kontakte zu knüpfen. Ich muss nicht in Bars, Theater oder Konzerte gehen: Die Leute kommen zu mir. Ich habe den Luxus, Musik zu organisieren und Künstler zu engagieren, die mir wichtig sind, ganz nach meinem Geschmack. Ich mag es, Situationen zu schaffen, in denen die Leute ein kulturelles Erlebnis des Staunens und der Ehrfurcht haben: man ist in Curio, einem kleinen Schweizer Dorf, und sobald man die Tür des Salones öffnet, landet man plötzlich in New York, Berlin oder Paris.

In meinem Werdegang als Musiker, der in Bern studiert hat, viel gereist ist und mit Künstlern aus der ganzen Welt zusammengearbeitet hat, konnte ich eine Reihe wichtiger Kontakte knüpfen. Wenn also Musiker in Europa auf Tournee sind, kommen sie auch hier vorbei, und ich kann meinem Publikum hochwertige Musik bieten. Das Organisieren von Veranstaltungen ist meine Leidenschaft und hat mich nicht mehr losgelassen, seit ich als junger Mann als Kellner gearbeitet habe, um mein Studium in Bern zu finanzieren: Das Vorbereiten des Mise en place, der Empfang der Gäste und das Einrichten des Raums für Veranstaltungen machen mir viel Freude.

Es war bereits ein Veranstaltungsraum und trägt die Geschichte meines früheren Ateliers und die Erinnerung an diesen Ort in sich.

Ich mache das nicht aus persönlichen  geschäftlichen Gründen, und es gibt keinen Wettbewerb zwischen den Künstlern. Für mich gibt es Synergien, gemeinsam können wir mehr kulturelle Bewegung schaffen. Mir geht es darum, gute Musik anzubieten, und ich bin erstaunt, dass mein Publikum bis heute von weit her kommt und fünfundvierzig Minuten bis zu einer Stunde unterwegs ist, um Auftritte zu besuchen. Die künstlerische Ebene ist von grundlegender Bedeutung, und ich versuche immer, die Bands zu finden, bei denen man die Authentizität erkennen kann, unabhängig von Genre und persönlichem Geschmack.

Auch das Essen ist ein wichtiger Bestandteil der Abende, und unser Küchenchef Anthony Aiello (Mitglied des Komitees) versucht immer, besondere Rezepte aus verschiedenen kulinarischen Genres zu finden. Der Salone wird nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert, er setzt seine Aktivitäten dank der Mitglieder fort, die sich jedes Jahr freiwillig für eine Mitgliedschaft entscheiden. In diesem Sinne ist der Salone weiterhin lebendig und bietet sein Jahresprogramm an.

Wenn du eine Definition geben müsstest: Salone Piazza Grande ist …?

Es war bereits ein Veranstaltungsraum und trägt die Geschichte meines früheren Ateliers und die Erinnerung an diesen Ort in sich. Damals war es bereits die Dorfschänke: eine Restaurant-Schänke, in der die Menschen ihre Abende und Tage verbrachten. Ich bin in Curio geboren und aufgewachsen. Die alten Leute kamen hierher, um Karten zu spielen, der Kamin war immer angezündet, es wurde Polenta gemacht, Karneval und Weihnachten wurden gefeiert, und der Nikolaus kam auf einem Esel (der, wie ich später herausfand, mein Vater war!). Dann kamen und gingen mehrere Verwalter, und fast fünfzehn Jahre lang blieb das Gebäude eine Ruine. Dann kaufte es die Familie Affolter aus Zürich und renovierte es vollständig, wobei die Originalität des Ortes erhalten blieb, mit der Absicht, es in einen Veranstaltungsraum zu verwandeln. Sie haben es zehn Jahre lang betrieben, und dann habe ich beschlossen, es zu übernehmen.  Auch heute noch ist der Salone Piazza Grande nicht nur ein Ort für Musikveranstaltungen, sondern auch ein Treffpunkt für das Dorf, und zweimal im Monat bietet der Verein CineCurio Filmvorführungen an. Im Sommer ist das Lokal außerdem Samstags und Sonntags für die Touristen und das Dorf geöffnet. Schließlich ist es möglich, den Raum für private Veranstaltungen zu mieten. Ich nenne es „das kleine LAC des Malcantone“ und mein Motto lautet: „Lasst die Kultur fließen!

Biografie

Die Associazione Salone Piazza Grande wurde 2017 gegründet und ihr Hauptziel ist die Verbreitung von Kultur unter den Leuten durch Konzerte und andere künstlerische Formen. Eine Begegnung zwischen den Musikern und dem lokalen Publikum, die spontan und natürlich sein soll. Ein Raum im Malcantone, in dem man sich entspannen und einen Dialog mit den verschiedenen Kulturen der Welt aufnehmen kann. Jedes Jahr stehen 12-16 Veranstaltungen auf dem Programm.

Sandro Schneebeli ist Gitarrist, Komponist, Produzent (NEVEmusic), Coach für Teambuilding, Musik für Theater und Film. Er lebt in Curio, seine familiären Wurzeln reichen jedoch von Sibirien bis Sizilien. Als leidenschaftlicher Musiker und Reisender hat er alle Kontinente mit seiner Musik bereist und überall mit lokalen Musikern und auf internationalen Festivals gespielt.

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