London Teil 2: Bei den Grossen mitspielen

Corinne ist von Zürich nach London umgesiedelt, um an der renommierten Royal Academy of Dramatic Arts zu studieren. Wir begleiten die physische und mentale Reise in neue Welten.
Von Corinne Soland

Und schon sind drei Wochen vorbei. Drei Wochen voll intensivem Austausch, Kennenlernen und miteinander in unseren neuen Trainingsräumen ankommen. Ein Aufeinandertreffen und ein Ankommen. Ein „Jetzt endlich geht es los!“ und ein „Was zum Geier mache ich eigentlich hier?“.

RADA – The Royal Academy of Dramatic Arts. Hier haben Grössen studiert wie Fiona Shaw, Alan Rickman, Vivien Leigh, Sir Anthony Hopkins, Gugu Mbatha-Raw, Janet McTeer, Indira Varma und Juliet Stevenson. Hier hat Gemma Arterton’s Karriere begonnen, Ben Whishaw’s und Cynthia Erivos (sie ist die aktuelle Vize-Präsidentin der Schule, omg, ich hoffe auf ein ganz beiläufiges „Hello“ auf dem Gang).

“ … dass das Schulgeld in die Ausbildung fliesst, nicht in die Infrastruktur.“

RADA ist eine der ältesten Schauspielschulen in England, gegründet 1904. 1996 wurde das Gebäude renoviert, doch kalt ist es immer noch in den meisten Räumen, die Infrastruktur ist bescheiden. Eine Dozentin meinte scherzhaft: „Bei der RADA weisst du, dass das Schulgeld in die Ausbildung fliesst, nicht in die Infrastruktur.“

Die RADA ist eine „kleine Familie“, wie oft betont wird. Es gibt zurzeit Studierende in den Bachelors Schauspiel und Theatertechnik sowie uns Master Theatre Lab Menschen. In Planung sind neue Master-Studiengänge u.a. in Lichtdesign und Theatertechnik. Insgesamt sind es aktuell nicht einmal 200 Studierende, die an der RADA in Central London ein und aus gehen. Da die Schule aufgeteilt ist mit einem Gebäude an der Gower Street und einem an der Chenies Street, gehen wir Studierenden ganz in Hogwarts-Manier von einem Ort zum anderen, um zu unseren Lektionen zu kommen.

Die Fächer im ersten Quartal sind: Stimmarbeit, Physical Performance,kontextuelle Studien (Geschichte des Theaters, prägende Stücke und Bewegungen), Singen, Entwickeln einer Performance und Labor für Performance. Die letzteren beiden sind nicht zu verwechseln – im einen wird mittels Grundtechniken eine Performance selbständig entwickelt, im anderen Fach lernen wir, wie eine Performance in der Gruppe entstehen kann. Das Zauberwort dafür lautet: Devising. In jeder Unterrichtslektion wird es uns ein paar Mal eingetrichtert als DAS Mittel, um spannende, lebendige, zeitgenössische Kunst für das freie Theater zu machen.

Deep Dive

Auch andere wichtige Konzepte finden ihren Weg in unser neu täglich benutztes Vokabular: Active Analysis oder Grotowskis (sehr auf die Physis und das Geräusch ausgelegte) Fokus und Bewusstsein – für den Raum, die anderen Körper im Raum etc. Wir lesen die Stücke „Medea“ (Euripides), „Blasted“ (Sarah Kane) und „The Lady from the Sea“ (Ibsen) und entwickeln daraus abgeleitet erste eigene Performances. Drei Wochen – und wir haben uns alle bereits in 15-minütigen Kurzstücken performen sehen!

Unsere Dozent:innen sind alles Menschen, die selber praktizieren – ob als Stimme, Körper im Bewegungstheater oder Spieler:in in der freien Szene: sie sind entweder Gründer:innen von Theater-Kollektiven, langjährige Actor-Trainer:innen oder Sänger:innen. Wir lernen durch sie und sie scheinbar durch uns: noch nie habe ich eine solche Transparenz im Lehren erlebt. Diese Impuls-Gebenden sind Menschen, die ihrerseits wiederum von uns inspiriert werden und ihre Praxis mit unserer (frischen) Energie bereichern lassen. Ich lerne, dass unser Studierenden-Feedback wertvolle Einsicht bringen kann, wie das Curriculum sonst noch angereichert werden könnte.

Ja, es regnet oft in London aber Corinne ist in einem gemütlichen Zuhause gelandet.

Ja, es regnet oft in London aber Corinne ist in einem gemütlichen Zuhause gelandet.

Ausserdem bin ich überrascht von dem Angebot eines Learning Agreements. Wenn eine Person eine Einschränkung hat – dazu zählen hier körperliche Behinderungen wie auch neurodiverse Ausprägungen – hat sie die Möglichkeit, eine Lernvereinbarung mit der Institution abzuschliessen. Menschen mit ADHS oder PTSD sind eingeschlossen und ich finde das bemerkenswert: ja, natürlich ist es anders, mit einer Vergangenheit von z.B. physischer Gewalt ein Stück wie „Blasted“ zu lesen und zu bearbeiten. Natürlich sollte diesem Umstand Rechnung getragen werden. Mich berührt die Sorgfalt, die dahinter steckt, sehr.

LDR / Familie / Care

Noch etwas anderes hat sich mit meinem Umzug ergeben: Ich bin neu in einer sogenannten LDR: “Long distance relationship”. Yay. Wir sind beide nicht sonderlich begeistert davon, aber schaffen es bis jetzt ganz gut, die eigenen Wege zu gehen und doch immer wieder gemeinsamen Alltag zu verbringen – auch wenn es über einen Videocall ist. Wir finden die Momente, die uns ermuntern und informiert halten und fliessen dann wieder in den Alltagsstrom, der uns, unaufhaltsam wie die Zeit, mitreisst.

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Klaus (den wir beim letzten Mal kennenlernten) hat sich auch eingefunden. Aber es fällt ihm schwer, immer anwesend zu sein, weil seine Familie sehr viel Aufmerksamkeit verlangt. Während ich langsam in den neuen Rhythmus finden konnte, muss Klaus oft einen Kompromiss zwischen Unterrichtszeit – er arbeitet als Theaterpädagoge und Lehrer – und Familienzeit finden. Manchmal geht er in einer 15-Minuten Pause nach draussen, um seine Kinder auf den Bus zu bringen! Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, in London als Theaterpädagoge zu arbeiten, gleichzeitig zu studieren und die Verantwortung für drei Teenage-Kinder zu haben – die alle ihre eigenen Baustellen mitbringen und (oft spontane) Aufmerksamkeit brauchen. Ich beobachte staunend und wir als Klasse unterstützen ihn mit Verständnis.

Warum, warum, warum?

Warum tun wir das denn, wenn wir doch eigentlich mitten im Berufsleben stehen als Performende? Natürlich geht es darum, als Schauspieler:in besser zu werden, mehr zur Verfügung stehen zu können als Instrument und den eigenen körperlichen wie geistigen Bewegungshorizont zu erweitern. Doch es hat auch noch weitere, praktische Gründe, die bei mir persönlich auch mit einer meiner Einkommensquellen zusammenhängen.

Ich darf an der Zürcher Hochschule der Künste seit 2019 Studierende aus diversen Disziplinen im Bereich Darstellendes Spiel betreuen, dieses Jahr unter anderem im Minor “Immersive Arts” und im Minor “Filmisches Erzählen im Virtuellen Raum”. Zudem bin ich Gastdozent:in in der Ausbildung von jungen Schauspieler:innen im Bereich Motion Capture Performance.

Blick von der Chenies Street aus der RADA auf die Strassen Londons

Es ist mir ein grosses Anliegen, Studierenden, die ich begleite, sowohl aktuelle als auch ältere bzw. fundierte Methoden und Inhalte weiterzugeben. Ich befinde mich an einer interessanten Schnittstelle, an der ich auf dem Markt für topaktuelle intermediale Produkte arbeiten darf (z.B. als Schauspieler:in der neuen VR Erfahrung im FIFA Museum) und gleichzeitig merke, dass ich mein Handeln und Spielen in Techniken verankern möchte, die über Generationen von Darstellenden Künstler:innen erarbeitet, gefestigt und weiterentwickelt wurden.

Meinen Körper an der RADA mit Wissen aus den Bereichen Commedia dell’Arte, Clowning, Griechisches Theater oder Theater aus dem Mittelalter anzureichern, erscheint mir das Mindeste zu sein, was ich tun kann, um selbst zu einer Art Verknüpfer:in zu werden zwischen „alt“ und „neu“. Ein menschliches Bindeglied durch Erfahrung und Interesse.

Happy 2025!

Unsere Klasse besteht aus Performer:innen aus diversen Disziplinen und Teilen der Welt: eine Tänzerin aus Malaysia, Schauspieler:innen ausgebildet in klassischem Theater aus England und den USA, eine Theaterpädagogin aus China, eine Regisseurin aus Südafrika, Darstellende aus Polen, der Ukraine und Italien sowie von Hawaïï.

Chinesisches Festessen zu Neujahr.

Gerade recherchiere ich, welches Mitbringsel sich für den Übergang in das Chinesische Neue Jahr eignet. Ich bin zur Feier der Mitstudentin eingeladen und finde heraus, dass ich auf jeden Fall etwas rotes, weisses oder gelbes tragen sollte – oder ein Shirt mit einer Schlange drauf! Zum Glück sind die Shops hier fast 24/7 offen, so dass ich gut noch Früchte einkaufen kann, um ihr “abundance, prosperity” und viel Liebe für das neue Jahr zu wünschen.

Das Jahr der Schlange also: Weisheit, Eleganz und die Kunst der ruhigen Bewegung. Transformation, Erneuerung, Wachstum. Mit Bedacht vorwärtsgehen, die Kraft der Geduld nutzen und bei der Verfolgung von Zielen auf die kleinen Details achten. Klingt machbar, oder? Happy New Year auch euch allen Lesenden und ein tolles Haut-Abstreifen und sanft-Bewegen!

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