Kulturschaffende für Kulturschaffende

(dh) Suisseculture Sociale ist zuständig für die Ausrichtung der Corona-Nothilfe. Diese unterstützt Kulturschaffende aller Sparten, die aufgrund der Pandemie ihre Lebenskosten nicht mehr aus eigener Kraft decken können. Wie sieht die Lage nach zwei Jahren aus? Wird noch Nothilfe beansprucht? Das „Ensemble“ hat dazu eine freischaffende Musicaldarstellerin, Etrit Hasler, den Geschäftsführer von Suisseculture Sociale und Salva Leutenegger, Geschäftsleiterin von „SzeneSchweiz“ befragt.

Adrienne* ist freischaffende Sängerin und Musicaldarstellerin. Das „Ensemble“ hat die 35-Jährige in Rapperswil* getroffen, wo sie gerade einen Stadtrundgang für Touristen durchgeführt hat. Seit Anfang der Pandemie bezieht Adrienne von Suisseculture Sociale alle zwei Monate Nothilfe. Es ist kühl, doch wir spazieren dem Zürichseeufer entlang. Wegen Corona und weil ein Chai Latte 5.90.- kostet.

Adrienne, Du hast gerade Touristen durch die

Altstadt geführt. Wie kommts? Das mache ich

schon lange, es hat zwar wenig mit meinem Beruf

zu tun, aber es liegt mir eben, vor Leuten aufzutreten.

Und ich bin froh, dass sich jetzt wieder Gruppen

angemeldet haben und ich arbeiten kann.

 

Wieviel verdienst Du pro Führung? 180 Franken.

 

Hast Du sonst noch ein weiteres Einkommen? Ich gebe Kindern von Freunden private Gesangsstunden und seit diesem Jahr arbeite ich am Empfang einer Bibliothek. Das ist ganz in Ordnung und gibt mir monatlich etwa 2000 Franken. Und wenn alles gut läuft, kann ich im Sommer vielleicht ein Kindermusical anleiten.

Reicht das? Ich habe wenig Ausgaben. Aber um die Nothilfe von SCS bin ich sehr dankbar.

 

Wie bist Du auf SCS gekommen und wie sind

deine Erfahrungen mit den Anträgen? Über den SBKV –  äh Tschuldigung – über „SzeneSchweiz“. Am Anfang habe ich mich gesträubt und dachte, ich schaffe das schon selber irgendwie (sie lacht) – und esse einfach nur noch Rüebli und Darvida. Ausserdem graute es mir vor diesen elektronischen Anträgen, ich bin so schlecht darin. Immer diese automatischen Antworten, man kann nirgendwo anrufen oder mal persönlich nachfragen.

Und? War es so? Nein, eben nicht. Das hat mich so überrascht! Ich konnte zwar nicht anrufen, aber eine Person – sie hat mit *Joli unterschrieben – hat immer persönlich und so nett geantwortet und mir geholfen. Ich erinnere mich an einen Sonntag spät abends während des Lockdowns. Ich war den ganzen Tag allein zuhause und sehr deprimiert. Da hat *Joli mir tatsächlich noch auf meine Mail geantwortet und mir geholfen. Als ich mich bei ihr bedankt habe, hat sie noch zurückgeschrieben, dass sie jetzt gleich mit ihrem Hund einen Abendspaziergang mache. Ich erinnere mich genau daran, weil es mich in dem Moment irgendwie berührt hat.

Wieviel Geld an Nothilfe bekommst Du? Das variiert. Je nachdem, wieviel ich selber verdiene. Bis jetzt waren es alle zwei Monate zwischen 1’100 und 2’200 Franken.

Wirst Du dieses Jahr weiter Geld beantragen? Ja. Ich habe überraschenderweise viele Arztrechnungen zu zahlen. Da ist mir die Nothilfe von SCS eine riesige Erleichterung.

Warum willst Du nicht, dass wir hier Deinen richtigen Namen nennen? Naja, ein bisschen unangenehm ist es mir schon. Ist ja fast sowas wie Sozialhilfe. Mittlerweile ist es richtig kalt geworden und wir erheben uns von der Parkbank, auf die wir uns währenddessen gesetzt haben. Nicht, dass es ihr noch weitere Arztrechnungen beschere, scherzt Adrienne und verabschiedet sich in Richtung Bahnhof.

*Namen und Ort von der Redaktion geändert.

Etrit Hasler ist seit Januar 2020 Geschäftsführer von Suisseculture Sociale und seit Beginn der Covid-Krise Projektleiter für die Nothilfe des Bundesamtes für Kulturschaffende.

Herr Hasler, im Bericht über Arienne lesen wir, wie die Nothilfe von Suisseculture Sociale von einer betroffenen Künstlerin dankbar genutzt wird. Sie betonte ausserdem, wie überrascht und erleichtert sie war zu merken, dass sie es beim Erstellen ihrer Gesuche nicht mit einem Computer, sondern mit – sympathischen – Menschen zu tun hatte. Wir wären froh, wenn wir persönlicher sein könnten, aber ausser mir und meinen zwei Stellvertreterinnen tritt niemand mit Namen auf. Der Grund dafür ist, dass die meisten Mitarbeiter:innen meines Teams selber Kulturschaffende sind. Das war ja vom Bund so gewollt – wir sind nicht eine  klassische  Verwaltungsinstanz, sondern Kulturschaffende, die (hoffentlich) mehr Ahnung, Einsicht und Verständnis für den Alltag von Kulturschaffenden haben.

Trotzdem gab es nicht nur Lob und Blumen bei SCS. Nein und nicht zuletzt deshalb, weil wir auch keine telefonische Beratung bieten können. Dafür fehlt uns schlicht die Kapazität und die entsprechende Ausbildung. Personen in Notlagen betreuen zu können, ist nicht trivial. Da gab es durchaus auch unzufriedene Reaktionen.

Welcher Art? Wenn Gesuche abgelehnt wurden, beispielsweise. Da gab es schon böse Mails, Briefe an den Bundesrat und ans BAK – und ganz selten auch eine Beschwerde. In den meisten Fällen konnten diese aber bereinigt und die Gründe für die Ablehnung erklärt werden. Wir versuchen wirklich unser Bestes, die Hintergründe darzulegen, auch wenn es nur per Mail ist. Denn es geht bei der Nothilfe ja wirklich nur darum, Kulturschaffende zu unterstützen, die ihre Existenz nicht mehr alleine sichern können.

Es gab auch Stimmen, die behaupteten, mit der Nothilfe von Suisseculture Sociale bekämen Künstler:innen mehr Geld, als sie davor verdient hätten. Sie bräuchten sich also nicht mehr aktiv um Jobs zu bemühen. Dass es Menschen gibt, die plötzlich ein bisschen mehr Geld zur Verfügung haben als vor der Pandemie, mag in einzelnen Fällen sein, ja. Dazu muss man sich allerdings vor Augen führen, dass kein geringer Prozentsatz aller Kulturschaffenden schon vor Covid unter dem Existenzminimum lebte und längst Anspruch auf Sozialhilfe hätte.

Sie selber sind Slam Poet und treten seit rund zwanzig Jahren regelmässig auf. Sie kennen die Szene also auch. Die Freuden und Leiden. Das ist richtig, ja. Deswegen weiss ich: kein einziger Sänger, keine Schauspielerin, kein Slam Poet möchte lieber Geld vom Staat kassieren, als zu arbeiten.

Die Lage scheint sich gerade zu entspannen. Wie wird es Ihrer Meinung nach in der Schweizer Kulturbranche weitergehen? Ich befürchte, es wird sowas wie eine  Flurbereinigung  eintreten.

Eine Flurbereinigung? Ja. Es wird diejenigen geben, die vom ewigen Kampf ums knappe Einkommen genug haben. Die müde sind von der latenten Unsicherheit und sich umorientieren werden. Das ist ein Verlust für die Branche, aber ich kann das durchaus nachvollziehen.

Was raten Sie also? Auch wenn es hässlich klingt: Professionalisiert euch! Kümmert euch um eure Altersvorsorge und Versicherungen. Tretet den Berufsverbänden bei, die unterstützen euch. Solidarisiert euch mit euren Kolleg:innen und teilt euch die Arbeit auf, wo es geht. Nicht alle müssen alles können. Aber vor allem: hört auf, vom Big Break zu träumen.

Aufhören vom Big Break zu träumen? Ja. Den Traum vom „Oscar“, vom „ganz grossen Durchbruch“ loszulassen. Professionelles Kulturschaffen bedeutet harte Arbeit und das während sehr langer Zeit. Das ist professionell. Die Vorstellung, irgendwann werde man mit seinem Talent Millionen verdienen, verstellt den Blick vor der Realität.

Die Nothilfe für Kulturschaffende wird bis zum 31. Dezember 2022 weitergeführt. Die Gesuche können bis zum 30. November 2022 bei Suisseculture Sociale eingereicht werden.

Etrit Hasler ist seit Januar 2020 Geschäftsführer von Suisseculture Sociale und seit Beginn der Covid-Krise Projektleiter für die Nothilfe des Bundesamtes für Kulturschaffende. Er gehört zu den Pionieren der Schweizer Poetry Slam Szene und tritt seit 2000 als Poet wie als Moderator regelmässig auf Bühnen in der ganzen Schweiz auf. Zwischen 2005 und 2021 war er Mitglied des Stadtparlaments in St.Gallen sowie acht Jahre parallel Mitglied des St.Galler Kantonsrates als Vertreter der SP. Seit 2021 lebt und arbeitet er in Zürich.

Fragen an Salva Leutenegger

Als Geschäftsleiterin von „SzeneSchweiz“ ist auch Salva Leutenegger regelmässig damit beschäftigt Mitglieder des Verbands mit Beratungsgesprächen zu unterstützen.

Salva, mit welchen Fragen der „SzeneSchweiz“- Mitglieder bist Du neuerdings häufig konfrontiert? Es gibt viele Mitglieder, die sich aufgrund von abgelehnten Unterstützungsgesuchen an uns wenden. Wir beraten, unterstützen sie bei den Einsprachen und notfalls lösen wir Rechtsschutzfälle aus. Auch in Bezug auf RAV-Verfügungen nimmt die Zahl der Mitglieder zu, die Unterstützung brauchen.

Steht der Verband im Austausch mit Suisseculture Sociale? Wir bekommen regelmässig Informationsbulletins von Suisseculture Sociale und der Taskforce Culture. Und es gibt immer mal wieder Umfragen, an denen wir teilnehmen oder die wir an unsere Mitglieder weiterleiten. Die Arbeit der SCS mit der Nothilfe und unsere Beratung der Mitglieder nimmt uns so in Anspruch, dass wir keine Zeit hätten für zusätzlichen Austausch.

Hat sich die Situation der Branche in der letzten Zeit denn wieder verbessert? Ob sich die letzte Aufhebung der Massnahmen vom 17. Februar 2022 positiv auf die Kulturbranche auswirkt, muss sich erst noch zeigen. Ginge es nach dem Bundesrat, wäre die Kulturbranche schon länger in der Lage, wieder mit vollen Sälen und ausgebuchten Veranstaltungen zu arbeiten. Doch die Kulturbranche lässt sich nicht so schnell wieder hochfahren. Und das Publikum ist immer noch vorsichtig oder es hat sich an die „kulturlose“ Zeit gewöhnt. Was Mitglieder uns berichten, sieht auch nicht nach voller Auslastung aus. Vor allem die Einkommensverhältnisse der freischaffenden darstellenden Künstler:innen haben bei weitem noch nicht das Niveau der vorpandemischen Zeit erreicht. Auch wenn wir froh sind, dass der Bund die coronabedingte Unterstützung für Kulturschaffende bis Ende 2022 verlängert hat, zeichnen sich tiefergehende Veränderungen ab. Eine Studie von Ecoplan stellt fest, dass 60% aller Kulturschaffenden im Corona-Jahr 2021 weniger als 40’000 Franken verdient haben. Wir stellen auch fest, dass sich mehr freischaffende Mitglieder bei uns melden, die Probleme mit dem RAV haben. Demnach muss auch die Zahl der arbeitslos gemeldeten Künstler:innen zugenommen haben. Laut der Kulturstatistik hat aber auch die Anzahl Kulturschaffenden in den Jahren 20/21 um 5% abgenommen. Das heisst, dass sich einige Künstler:innen in andere Berufe umorientiert haben. Wir können nur hoffen, dass nicht nur der Bund, sondern auch private und öffentliche Kulturförderer die Kulturschaffenden in ihrer künstlerischen Tätigkeit fördern.

Gibt es Unterschiede zwischen Theaterhäusern mit festem Ensemble und der freien Szene? Die Pandemie geht an niemandem spurlos vorbei. Doch die festangestellten Mitglieder haben trotz Einbussen und Schliessungen die grössere soziale und finanzielle Sicherheit als Freischaffende.

Wie sieht es in den verschiedenen Sparten aus? Alle Sparten haben gelitten und leiden weiter. Doch scheint mir aufgrund der Rückmeldungen, dass vor allem die Tänzer:innen mit den Schutzmassnahmen am meisten zu kämpfen haben. Ballett/Tanz ist Hochleistungssport – mit Masken zu trainieren und zu proben, hat einige an ihre psychische und physische Leistungsgrenze gebracht.

Hat sich sonst etwas Wesentliches ver ndert im Vergleich zu vor der Pandemie? Ja, bei uns allen ist das Nervenkostüm wohl etwas anfälliger geworden.

Wie ist die moralische Grundstimmung in der Szene? Ich glaube, nicht besser oder schlechter als in anderen Branchen (mit Ausnahme der ITBranche, die zur Gewinnerin der Pandemie gehört).

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