Die letzte gedruckte Ausgabe des „Ensembles“

Anfangs des Jahres 2016 durfte ich die Verantwortung für unser Mitgliedermagazin „Ensemble“ übernehmen. Zusammen mit dem Layouter Christian Knecht hatte ich mir das Ziel gesetzt, diesem Heft einen neuen Stempel aufzudrücken, es inhaltlich wie gestalterisch bunter zu machen und die Arbeit unseres Verbandes ins Zentrum der Berichterstattung zu rücken. Sechs Jahre später gebe ich diese Verantwortung weiter an Linda Bill – und erneut wird sich das „Ensemble“ stark verändern.

Angetreten war ich, um die breite Palette der darstellenden Kunst im „Ensemble“ besser abzubilden. Nachdem ich dem Heft als einfaches SBKV-Mitglied fast zehn Jahre lang zugestellt bekam und ihm – ich muss es leider zugeben – kaum Beachtung geschenkt hatte, fing ich irgendwann an, es genauer zu studieren. Ich wunderte mich, dass mir die Leute, die im Heft interviewt und vorgestellt wurden, kaum jemals bekannt waren. Mein berufliches Umfeld, die freie Theater- und Musicalszene in Zürich, war im „Ensemble“ praktisch nicht vorhanden. Das wollte ich ändern.

Bezug zu den festen Häusern

Als neuer „Ensemble“-Redaktor musste ich schnell merken, dass ich umgekehrt leider keine Ahnung hatte von den Arbeits- und Anstellungsbedingungen an den festen Häusern. Ich stellte fest, dass es kaum Berührungspunkte gab zwischen meiner Lebenswelt als freischaffender Darsteller und der eines Opernsängers oder einer Balletttänzerin. Und offenbar ging das nicht nur mir so.

Berlin oder Zürich

Für meine allererste „Ensemble“-Ausgabe organisierte ich ein Gespräch mit vier Theaterdirektorinnen. Das Schauspielhaus Zürich, das Casinotheater Winterthur, das Bernhardtheater und das „Millers“ im Zürcher Seefeld standen damals alle unter der Leitung von Frauen, die sich untereinander kaum kannten. Ich war überrascht, dass Barbara Frey, die damalige Intendantin des Schauspielhauses offen zugab, dass sie kaum jemals als Zuschauerin ein anderes Zürcher Theater besuchte. Die grossen Bühnen in Berlin, München und Wien waren ihr viel näher als das Theater am Hechtplatz oder das Theater Rigiblick, und ich fing an zu begreifen, dass es den angestellten Schauspielerinnen und Schauspielern am Schauspielhaus wohl nicht anders ging.

Die Schweizer Theaterlandschaft entdecken

Meine Arbeit an den Texten fürs „Ensemble“ waren für mich eine Entdeckungsreise in die Welt der unterschiedlichsten Theater der Schweiz. Ich besuchte sämtliche Häuser mit festangestelltem künstlerischem Personal, ass in Kantinen, stolperte durch Garderoben, durfte bei Chor- und Ballettproben zuschauen und mit den unterschiedlichsten Menschen Gespräche führen. Ich erfuhr erstaunliche Dinge über Probe- und Ruhezeiten, über Gagen und Gesamtarbeitsverträge, über Besetzungslisten, Nachwuchsförderungen und Ausfallregelungen.

Den eigenen Verband kennengelerntTüröffner waren jeweils die SBKV-Mitglieder an den jeweiligen Häusern. Obleute oder auch Vorstandsmitglieder unseres Berufsverbands, die für ihre Ensembles als Sprachrohr fungierten, Interessen bündelten, den Kontakt zur künstlerischen Leitung suchten und stets im Austausch mit dem SBKV standen. Auf diese Weise lernte ich nicht nur die Schweizer Theaterlandschaft besser kennen, sondern vor allem auch unseren Verband – meinen SBKV, die heutige „SzeneSchweiz“.

Die Arbeit der Geschäftstelle

Im Austausch mit der Geschäftsleiterin Salva Leutenegger erfuhr ich allmählich, welch immense und wichtige Arbeit unser Verband alltäglich für seine Mitglieder leistet, um welche Anliegen er sich kümmert, wie er sich darum bemüht, das individuelle Problem einer einzelnen Person zu lösen und gleichzeitig für gerechte Arbeits- und Anstellungsbedingungen einsteht, die der gesamten Branche zugutekommen. Ich erfuhr über das Spannungsfeld zwischen Politik, Öffentlichkeitsarbeit und Behördenbürokratie, in welchem sich der Vorstand von „SzeneSchweiz“ bewegt. Von all dem hatte ich zuvor als einfaches Mitglied nicht die geringste Ahnung.

Es gibt keine Bühnen-Community

Als neuer Redaktor des „Ensembles“ wollte ich über all dies berichten. Ich wollte die Mitglieder untereinander vernetzen, auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von festangestellten und freischaffenden Darsteller:innen hinweisen, ein Gemeinschaftsgefühl kreieren, das über unseren Verband hinausgehen sollte (die seltsame Konkurrenz zu den anderen Berufsverbänden wie „t.“ oder dem SSFV war und ist mir bis heute ein Rätsel). Allerdings musste ich bald feststellen, dass ein kleiner Bericht im „Ensemble“ weder unseren Verband noch die Schweizer Theaterlandschaft verändert. Die Bühnen-Community, von der ich träumte, gibt es nicht, und ich bin sechs Jahre nach meinem Antritt als Heftli-Macher immer noch weit davon entfernt, zu ihrer Entstehung beigetragen zu haben.

DV taugt nicht als Gemeinschaft stiftendes Element

Ernüchternd war auch mein erster Besuch an einer SBKV-Delegiertenversammlung. Ich hatte mir vorgestellt, dass die Zusammenkunft von so vielen hochtalentierten Künstlerinnen und Künstlern ein aufregendes und spannendes Ereignis sein würde. Aber natürlich geht es an einer solchen DV weder um den Austausch unter den Mitgliedern noch um die Ausrichtung der Verbandsarbeit, sondern um Jahresrechnungen, Budgets, Statuten und Wahlen. Die vom Verband organisierten Netzwerk-Apéros an den Solothurner Filmtagen und an den Filmfestivals von Locarno und Zürich sind in jeder Hinsicht interessanter und generieren ein viel besseres Gemeinschaftsgefühl.

Solidarität ist das Fundament

Dennoch glaube ich weiterhin unbeirrt an die Kraft des gemeinschaftlichen Gedankens und an die Solidarität als Fundament unseres Berufsverbands. Ich bin überzeugt, dass wir beispielsweise den schleichenden Zerfall der Gagen in der Werbefilmindustrie nur aufhalten können, wenn wir uns geschlossen als Branche dagegenstellen. Das individuelle Feilschen um hundert Franken mehr Gage ist ein Witz im Vergleich zu dem, was wir erreichen könnten, wenn wir uns zusammentun und alle gemeinsam anständige Mindestlöhne fordern würden.

Überführung ins digitale Zeitalter

Das digitale Zeitalter, so herausfordernd und bedrohlich es in mancher Hinsicht sein mag, kann uns beim Herausbilden einer gut vernetzten und schnell handelnden Community helfen. Deshalb unterstütze ich es von ganzem Herzen, dass sich das „Ensemble“ von seiner gedruckten Form verabschiedet und zukünftig als Online-Version daherkommt. Es wird nun keine Redaktionsschlüsse mehr geben, keine fixen Erscheinungsdaten, dafür Kommentarfunktionen, Links zu weiterführenden Informationen und einen viel direkteren Zusammenhang mit der Homepage von „SzeneSchweiz“, die auf diese Weise zusätzlich aufgewertet wird.

Dank für die Unterstützung

Ich übergebe die Verantwortung für das „Ensemble“ nun an Linda Bill und wünsche ihr für diese Aufgabe ganz viel Erfolg und Vergnügen. Gleichzeitig möchte ich mich beim Verband, bei der Geschäftsstelle und vor allem bei Christian Knecht, unserem grossartigen Grafiker, von ganzem Herzen für die Unterstützung in den letzten sechs Jahren bedanken. Es war mir eine Ehre für meinen Berufsverband tätig zu sein und ich bleibe dem „Ensemble“ und seiner Leserschaft weiterhin herzlich verbunden.

Herzlich,

Ihr Rolf Sommer

2 Kommentare
  1. Thomas Blubacher
    Thomas Blubacher sagte:

    Lieber Rolf,
    “ Ich wunderte mich, dass mir die Leute, die im Heft interviewt und vorgestellt wurden, kaum jemals bekannt waren“, schreibst Du. Ehrlich gesagt, das wundert mich auch, und eigentlich ist es doch schade, dass Du Stefan Huber nicht kanntest, das enttäuscht ihn sicher persönlich, und auch nicht Daniel Rohr und Romeo Meyer und Edward Piccin oder oder oder. Aber vielleicht gibt es Gründe, warum Du diese Kollegen aus Deinem Gedächtnis verdrängt hast? Den einen oder anderen wirst Du ja bald in Thun (wieder) kennenlernen. Irina Schönens Stimme – nie gehört? Suly Röthlisberger – nie im TV gesehen? Aber klar, wenn man nie ins Theater Basel geht, wird man Carina Braunschmidt kaum in einer Marthaler-Inszenierung gesehen haben, wenn man, obschon in Zürich domiziliert, das Junge Schauspielhaus selten besucht, ist einem der Name Suzanne Thommen vermutlich fremd, wenn man sich nicht für Tanz interessiert, hat man von Cathy Sharp oder Félix Duméril vermutlich nie gehört, wer nie die Oper besucht, wird auch nicht Tanja Ariane Baumgartner oder das SBKV-Vorstandsmitglied Richard Rost kennen. Dem damals SBKV genannten Verband gehör(t)en nun mal auch Opernsänger:innen, Chorsänger:innen, Tänzer:innen an… Was bzw. wer Dir unbekannt war, hat, unter Berücksichtigung etlicher Aspekte wie Sparte, Geografie, Alter usw., die Vielfalt der – wie las ich neulich in Deinem Heft – „Mitglieder*innen“ repräsentiert. Merkste was, würde Mario Barth sagen, kennste, kennste? Aber es ist doch eigentlich schön, wenn die WC-Lektüre Deinen Horizont ein wenig erweitern konnte, und dass Du die Welt dann zwar nicht weiter, aber bunter gemacht hast, fand auch ich erfreulich. Liebe Grüße!
    PS: „Recherche und der journalistische Ansatz habe man sträflich vernachlässigt“, gibt Salvatrice Leutenegger Deine Kritik wieder – eine beinahe sträfliche, weil haltlose Behauptung. Und auch befremdlich, angesichts der Tatsache, dass Du kürzlich nicht willens (oder in der Lage) warst, für einen Nachruf auf Frau Dr. Raunicher selbst zu recherchieren Aber immerhin haben wir den Akkusativ nicht vernachlässigt.

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    • Rolf Sommer
      Rolf Sommer sagte:

      Lieber Thomas!
      Wäre das „Ensemble“ unter Deiner Redaktion genauso leidenschaftlich und wunderbar angriffig gewesen wie Dein Kommentar hier, dann hätte ich das Heft damals gewiss nicht so heftig kritisiert.
      Sei herzlich gegrüsst!
      Rolf

      Antworten

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