Das etwas andere Männerballett: Der Raiffeisen-Prozess im Zürcher Volkshaus

(dh) Wer sich auf der Suche nach Inspiration, nach Stoff für ein Theaterstück, Ballett oder ein Musical befindet, begebe sich in die Wirtschaftsbranche. Chefetage. Hier gibt es für jedes Genre eine Farce oder ein grosses Drama – Sex and Crime inklusive. Sicher aber bühnenfertiges Material in Hülle und Fülle.

Im Theatersaal des Zürcher Volkshaus spielte sich in den letzten Wochen ein Drama der etwas anderen Art ab. Das Bezirksgericht war zu klein für diesen Mehrakter. Für diese Gruppenszenen. Für die aufwendige Statisterie. Deshalb verlegte man den spektakulären Wirtschaftsprozess hierher auf die grosse Bühne. Die Vorhänge straff nach hinten gezurrt, die Scheinwerfer flackern oft unabsichtlich schrill: der Lichttechniker scheint unterfordert mit der farblosen Banalität der Wirtschaftselite. In mehreren Etappen wurden hier ein ehemaliger Chefbanker, sein Berater und etliche Beteiligte aus der Schweizer Wirtschaft zu ihren Anklagen wegen Betrugs und unlauterer Geschäftsführung befragt und verteidigt. Für Theaterschaffende ein gratis Buffet an Feldforschung und Sozialstudie. Und dennoch stechen zu viele Klischees ins Auge, um sie direkt zu übernehmen. Ein Beispiel.

KING LAWYER’S LIAR – EIN TRAUERSPIEL

 

Bühnenbild

Zwei Rednerpulte stehen mittig unterhalb der Bühne im Zuschauerraum. Links das für Staatsanwaltschaft und Privatklägerin, rechts jenes für Beschuldigte und Verteidigung. Hier sind zwischen den Befragungen und Plädoyers schöne Choreografien und Pas de deux denkbar. Erhöht dahinter hockt, direkt an der Bühnenrampe, das vierköpfige Richtergremium. Ganz rechts aussen tippt unscheinbar, hinter einem Stapel Bundesordnern, die Gerichtsdienerin mit. Dies gerne im Offbeat.

 

Dramatis Personae

DER OBERSCHURKE

Ehemaliger Chef der drittgrössten Schweizer Bank. Netter, hemdsärmeliger Typ. Bündner Dialekt. Weiss von nichts. Hat nichts getan. Geht gerne und oft in Striplokals oder fliegt mit Freund:innen und Kund:innen nach Übersee. Das darf er doch? Aha, nicht auf Spesen? Das wusste er nicht. Aha, er darf nicht Käufer und Anbieter derselben Firma sein? Das wusste er nicht. Aha, das hätte er melden müssen? Usw. usf. Trinkt flaschenweise Cola Zero, ignoriert die Maskenpflicht konsequent, wobei das Sicherheitspersonal ohnehin nur zuschauendes Volk zurechtweist.

SEIN GEHÜLFE

Millionenschwerer Berater des Oberschurken und eigentlicher Drahtzieher. In denselben Punkten angeklagt. Grau meliertes, zurückgegeltes Haar. Mit einer Krücke. Weiche, schmeichelhafte Stimme. Beteuert, dass er nie und nimmer jemals jemandem etwas Böses gewollt habe. Wenn er könnte, täte er sich wohl auf Knien dazu bekreuzigen. Und auch er wusste wirklich, wirklich von überhaupt gar nichts Falschem.

DAS GEFOLGE

Sechs weitere schwerreiche, alternde Geschäftsmänner in grauen Anzügen, mit blossen, für die Jahreszeit etwas zu braungebrannten Fussgelenken. Hemden und Zähne dafür blendend weiss. Güldener Schmuck und Manschetten, gülden auch das Schreibgerät. Allesamt der Komplizenschaft angeklagt. Nach abgehaltenem, gut einstudiertem Tänzchen am Rednerpult besteht ihre Hauptbeschäftigung einzig noch im Begutachten und Swipen von leichtgekleideten Damen oder Luxuswagen am Tablet.

Anm. d. Redaktion: Um das literarische Niveau des Stücks einigermassen zu halten und dem Anspruch des Publikums gerecht zu bleiben, empfiehlt es sich, Verhalten und Reden der Protagonisten nicht eins zu eins zu übernehmen, sondern diese hie und da etwas zu verfeinern. Die gegebenen Attituden und Klischees erschienen auf der Bühne doch allzu plump und unglaubwürdig.

DIE WEIBLICHE ENTOURAGE

Zum Gefolge kommen die wenigen weiblichen Darstellerinnen dazu: Gattinnen, Dolmetscherinnen und sonstige Entourage der Beschuldigten. Zierlich, blond, Füsschen massierend, Blümchen auf Zettelchen malend, ab und zu ein Kleckschen Handcrème auftragend. Nicht für Sprechrollen geeignet. Eher empfiehlt es sich, daraus einen lasziv-betörenden Damenchor zu gestalten. Bitte auch hier augenfällige Klischees vermeiden.

DIE ANWÄLTE

Hier böten sich zur Kostümierung abwechslungshalber Tiermasken an. Diese reichten von Füchsen über Marder und Echsen, hin zu Geiern und durchaus auch Karpfen. Als Meta-Ebene stünde den Staatsanwälten und Verteidigern – nach hitzigen Monologen und emotionalen Ausbrüchen – ein zärtliches Pas-de-deux oder ein inniger Tango gut an.

DER CHOR

Die Medienschaffenden: Auch sie in – weniger modischem – Grauschwarz, der Teint allerdings blass. Unbeeindruckt bleibt ihr Blick auf zwölf Zoll beschränkt. Zuverlässig fallen sie in regelmässigen Abständen – auf Zeichen des Richters, oder sonstig absehbarer Pointen – in hysterisches Zehnfingerhacken ein. Ihr Fokus liegt ganz beim Aufregerpotenzial.

DAS VOLK

Das zuschauende Volk unterscheidet sich in Auftritt und Gebaren deutlich vom Rest derSzenerie. Mit viel Distanz darf es von weit oben dem Geschehen zuschauen, dies allerdings nur an einzeln ausgewählten Prozesstagen. Hier oben wird sich deutlich mehr amüsiert, wobei das juristische Verständnis mitunter gen Null strebt. Ab und zu isst einer heimlich eine Banane. Taktgenau wird das Volk vom Sicherheitspersonal auf korrektes Tragen der Masken und Verbot von elektrischem Gerät hingewiesen.

DAS SICHERHEITSPERSONAL

Hier dürfen Klischees bedient werden. Es gibt wenig Alternativen.

DER RICHTER

Seine Rolle ist auch für Schauspiellaien leicht zu bewerkstelligen: stellt er den Beschuldigten zwar eine Handvoll Fragen, die auf seinem Zettel stehen, verkündet er doch hauptsächlich die Dauer der Bio- und Mittagspausen sowie den weiteren Verlauf des Prozesses. Hin und wieder flüstert er einem Richterkollegen etwas ins Ohr. Dieser flüstert ihm eine Antwort zurück. Am Fuss seines Tisches steht täglich sein Znünisäckli vom Beck Stocker. Auch er ein in die Jahre gekommener Herr, werden seine Augenlider öfters schwer.

Wie im letzten Aufzug des Stücks am Zürcher Volkshaus schliesslich über Betrug, Arglist und Mittäterschaft befunden, wie erfolgreich die beteiligten Akteure sich gebärdet und inszeniert haben werden und wer am Ende wen an die Wand gespielt haben wird, ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Magazins noch nicht bekannt. Finales Urteil und Vorhang fallen voraussichtlich im April. Die Hoffnung auf weiteres Inspirationsfeld aus der Finanzbranche soll sich dadurch aber nicht zerschlagen: man verfolge getrost die Tagesthemen dieses Landes.

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