«Fremde Bühne, fremde Wohnung, fremde Stadt»

Eine Produktion weit weg von Zuhause – da kann die Einsamkeit zuschlagen und Selbstfürsorge ist wichtiger denn je. Unsere Kolumnistin Rebekka hat gelernt, auf sich zu schauen.

Früher konnte ich das Leben als Gast an einem Theater nicht besonders geniessen.  Meistens hatte es nichts mit dem Stück, der Truppe oder der Stadt zu tun. Es lag an mir.

Ich war der Einsamkeit nicht gewachsen, die das Gastieren mit sich bringen kann. Solange die Probe oder die Vorstellung lief, war alles einigermassen klar und gut. Aber nachmittags, zwischen den Proben oder an freien Tagen und am Wochenende, wenn nach Hause fahren sich nicht lohnte ich, da war’s oft trist. 

Ganz egal wie interessant oder pittoresk die Stadt, egal wie spannend die Produktion, wie nett die Kollegen waren – ich hatte Heimweh. Ich wusste nicht, wohin mit mir und ich fiel – früher oder später – in mir zusammen wie ein Soufflé. Fremde Wohnung, fremde Stadt – und die Kollegen des Ensembles gehen alle, spätestens nach ein paar Aftershow-Drinks, heim in die WG oder zu der Familie.

Ich fand kaum einen Rhythmus, einen Modus, der mir Ruhe und Heimat gab. Der grosse Vorteil meines Älterwerden ist, dass ich mich inzwischen gut genug kenne, um zu wissen, was ich brauche, damit ich die Zeit in der Fremde nicht einfach nur überstehe, sondern Freude an der Arbeit haben und meine Zeit geniessen kann. Ich verstehe mich gut mit mir und kann gut für mich sorgen.

Vieles, was es auch in der Fremde an Alltagsstruktur zu organisieren gilt, damit es einem gutgeht, ist einfacher geworden:

Pilates, Yoga, Fitness – alles kann heute unkompliziert in kleinen Portionen gebucht werden, und Telefonieren kostet schon lange nicht mehr die halbe Gage. Mit den Jahren habe ich gelernt, gut zu mir selbst zu schauen, ohne mit Shopping, Serien bingen oder in Kneipen zu verhängen, mein Heimweh zu kompensieren.

Ein weiterer Vorteil meines Älterwerden ist, dass ich mir Rat holen kann, ohne Angst, ich könnte als schwach und unselbstständig wahrgenommen werden.

Heute warte ich nicht mehr ab. Ich stehe besser für mich ein und hole Unterstützung. Vor einer Woche gingen meine Proben im Ausland los und kurz vor meiner Abreise habe ich mir noch rasch eine Entzündung im Schultergelenk zugezogen. Keine Ahnung woher das kam, es war über Nacht da, wie ein hämischer Spielverderber. Ich reiste mit höllischen Schmerzen ab. Sogleich  kamen die ganzen tiefsitzenden Ängste aller Bühnenmenschen, nicht reibungslos funktionieren zu können, in mir hoch.

Ich erinnere mich, wie ich vor bald 3 Jahrzehnten trotz Schleudertrauma direkt zur Vorstellung wollte und eine Krankschreibung ablehnte, bis der Arzt mir deutlich sagte, was er davon hält. Auf Proben habe ich mich – bevor man mich ängstlich oder feige schimpfte – lieber volle Kanne in eine körperliche Aktion gestürzt, anstatt kurz zu überlegen. 

Sänger:innen, die angeschlagen sind, sagen die Vorstellung ab bzw. markieren während der Proben und Endproben, um sich zu schonen. Sie wissen, dass sie sich und ihrem Instrument – ihrer Stimme – dauerhaft schaden könnten.

Wir Schauspieler:innen gehen oft selbstverständlich über unsere Grenzen und Kräfte hinaus und hören nicht auf unseren Körper. Inzwischen habe ich gelernt, meine Grenzen zu respektieren. Körperliche und seelische Schmerzen alleine aushalten macht einsam – und Einsamkeit ist eine schlechte Voraussetzung für gutes Arbeiten.

Das erkannte ich früher nicht – ich dachte tatsächlich, es sei ein Zeichen von Stärke und Selbständigkeit, „alles“ alleine zu bewältigen, was nur dazu führte, dass mich dieses „alles“ überwältigte. Ich warte nicht mehr, alleine und mit Schmerzen in einer fremden Wohnung oder einem Café auf die nächste Probe. Ich rufe einen vertrauten Menschen an und erzähle, davon, was mich plagt oder ängstigt.

Wenn’s hart ist, sollten wir nicht auch noch hart zu uns selbst sein – im Gegenteil. Selbsthilfe beginnt mit der Bitte um Hilfe.

Frühling in Berlin –  die Proben laufen, die Kastanie vor dem Fenster entrollt langsam ihre Blätter, die Schmerzen haben nachgelassen. Inzwischen bin ich schon lange im Gastieren zu Hause angekommen und erfreue mich daran.

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