«Wir spielen auch neben der Bühne»

Wo beginnt die Bühne? Wann spielen wir uns und anderen etwas vor? Und warum geben wir uns Mühe, besser zu wirken als wir uns fühlen? Ist das auch Schauspielerei? Steffi denkt darüber nach.

Ich erinnere mich an meine erste Schauspielstunde 2003 in Wien. Die Lehrerin fragte uns, was wir unter Schauspiel verstehen?
Meine Antwort weiss ich noch ziemlich genau, weil mich die Dame daraufhin verdutzt anschaute: „Ich finde, dass wir im Leben die ganze Zeit irgendwie schauspielern.“

Damals nicht ahnend, was diese Aussage eigentlich bedeutet, würde ich heute ganz anders antworten: „Schauspiel ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, Charakterzüge auszuleben, die ich im Alltag zu zähmen versuche.“

Aber mir begegnen tatsächlich immer wieder Menschen, auch aus dem Showbiz, die sagen, dass wir doch im Alltag sowieso immer eine Rolle spielen. In jeder Umgebung eine andere Figur. Seit Jahren beobachte ich die Menschen und mich selbst in Interaktionen. Warum habe ich bei dieser Person das Gefühl, sie spielt eine Rolle und bei einer anderen, dass sie ganz authentisch bei sich selbst ist?

Warum machen wir uns in der Arbeitsumgebung die Mühe, gut gelaunt zu erscheinen und bei der Mama sind wir genervt und schamlos? Warum verstellen wir uns am einen Ort, während wir am anderen auch unsere anstrengendsten Seiten zeigen?

Ich habe dieses Verhalten auch bei mir selbst beobachtet und trainiere es immer wieder, mit allen Menschen möglichst gleich umzugehen. Es verändert dich und dein Leben, wenn du mit deiner Mama genauso respektvoll umgehst, wie mit dem Regisseur. Aber was noch viel wichtiger ist, dass man auch in jeder Umgebung für sich selbst einsteht und seine Meinung äussert.

Dies fällt mir je nach Arbeitsatmosphäre manchmal immer noch schwer. Es gelingt mir auch nicht bei jedem Kollegen oder jedem Verwandten gleich, jedoch ist es mein Anspruch. Gerade in der Schweiz finde ich dieses Höflichkeits-Getue manchmal sehr fragwürdig.

Gerade mit jemandem, der zum Beispiel seine Aufgaben nicht erfüllt, seine Schulden nicht bezahlt oder seit Ewigkeiten nicht antwortet. Mein Gott, muss man denn immer höflich bleiben? Mittlerweile habe ich schon oft erlebt, dass ich mit einem schroffen Tonfall mehr erreiche, als mit Nettigkeiten. Gerade bei Männern ist es oft so, dass sie dich dann mehr respektieren.

Hast du auch das Gefühl manchmal eine Rolle zu spielen? Weshalb glaubst du, dass du in diesen Momenten nicht einfach du selbst sein kannst? Wäre es zu langweilig? Schämst du dich, genervt zu sein?

Ich selbst empfinde mich z.B. in einer Art Rolle, wenn ich unterrichte. Aber eigentlich fühle ich mich nur viel energetischer und blühe auf, weil ich für die Gruppe die volle Verantwortung habe. In diesem Sinne schlüpfe ich in die Rolle der leitenden Position, ich spreche lauter und agiere präsenter. Wenn ich aber nicht ganz fit bin, merke ich, dass dafür keine Energie vorhanden ist und dann funktioniert es auch in meinem entspannten ICH. Somit bräuchte ich die „Rolle“ gar nicht, trotzdem macht es mir in dem anderen Modus viel mehr Spass.

In einer Audition Situation ist es ähnlich. Ich könnte den Raum in einer Art „Steffi-Rolle“ betreten, die präsenter, freundlicher und fröhlicher ist. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich selbst viel wohler fühle, wenn ich ganz entspannt der Jury gegenüber trete und im Moment, wo das Lied beginnt, in die Rolle und Stimmung der besagten Figur schlüpfe. Dank der vielen Konzert-Erfahrungen in den letzten Jahren, konnte ich diese Situation oft üben. Früher fühlte ich mich so unwohl bei Vorsingen und Konzerten.

Ich wollte nicht als Steffi- Rolle (ohne Rolle und Kostüm etc.) da vorne stehen und mich präsentieren. Mittlerweile habe ich aber gemerkt, dass ich gar keine Rolle einnehmen muss. Selbst wenn ich anfange zu singen, darf ich mich selbst sein und mit dem Lied verschmelzen. Ich muss nichts Künstliches darstellen, ich darf den Song einfach so präsentieren, wie ich es in diesem Moment empfinde und es kann mir nichts passieren, wenn ich mich so zeige, wie ich mich gerade fühle.

Im Gegenteil, es macht die Performance authentisch und ich will bei anderen Künstlern ja auch sehen, wie SIE das Lied empfinden oder die Rolle sehen. Eine Kopie kann jeder abliefern, das ist keine Kunst. So ist es auch im Alltag eine „Kunst“ eben nichts darstellen zu müssen, sondern einfach nur zu SEIN, wie man sich fühlt. Und plötzlich merken wir, wie ähnlich wir uns alle sind.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert