Üben, bis es Spass macht

An der Premiere setzt der Adrenalin-Rausch ein und Darsteller*innen vergessen, wie hart der Weg dahin war. Unsere Kolumnistin denkt über Proben nach.

Von Rebekka Burckhardt

Wenn ich ins Theater gehe und mir eine Inszenierung ansehe, dann fühle ich mich gelegentlich noch wie damals, als ich Studentin war. Es passiert nach all den Jahren immer noch gelegentlich, dass ich – wie damals –  Kolleg:innen auf der Bühne sprachlos bewundere. Selbst wenn mir eine Inszenierung nicht gefällt und ich Kritik und Einwände dazu habe.

Während meines Studiums wurde mir geraten, ich solle nüchterner zusehen, nicht so in die Anbetung gehen, sondern versuchen, mit pragmatischem Blick zuzuschauen und mir dabei überlegen, wie und was die auf der Bühne genau machen. Nun, wie machen sie es denn genau?

Ich sitze also im Theater, sehe den Schauspieler:innen zu und denke darüber nach, wie sie ihre Rollen, ihren Auftritt wohl erarbeitet haben. Manchmal frage ich mich, warum die Menschen auf der Bühne spielen, wie sie spielen und ob das in dem vorliegenden Fall voll und ganz das Resultat genauer Arbeit ist. Wenn es mir weniger gefällt, denke ich darüber nach, wie ich was wohl besser machen würde. Und wenn es mir sehr gefällt, denke ich manchmal: das könnte ich nicht, was die da oben machen. Ist das jetzt dieses viel besprochene Hochstapler-Syndrom oder einfach nüchterne Selbsteinschätzung?

Aber zurück: Wie geht das denn nun: ein Stück proben? „Es gibt Menschen und es gibt Sätze. Und es gibt Menschen, die diese Sätze sprechen. Und genau das ist dein Job“ – so die lapidare Definition eines älteren Studienkollegen, damals in den frühen 90ern. Wenn es doch nur so einfach wäre! Ich habe Produktionen erlebt, in denen praktisch nur improvisiert wurde, teilweise ohne den Text, der erst gegen Ende dazu kam. Am Ende kam etwas Tolles dabei raus, aber ich stand während der gesamten Probenzeit gefühlt verloren im Dschungel, ohne Orientierung.

Auf der anderen Seite gab es auch Projekte, in denen wir von Beginn an jedem Buchstaben des Textes folgten und uns nach 3 Wochen eingestehen mussten, dass dies wohl nix werden wird, obwohl stundenlang gebimst, geschraubt und gefeilt wurde.

Dann gibt es – selten genug – die glückliche Arbeit, die von Beginn an schmerzlos flutscht und dann noch richtig gut wird.

Schauspieler*in ist nicht gleich Schauspieler*in

Eine Herausforderung sind auch all die unterschiedlichen Arbeitsformen der Darsteller*innen und diese unterschiedlichen Typen prallen während der Proben aufeinander. Es gibt Kolleg:innen, die hervorragend über ihre Art des Probens, über das Erarbeiten ihrer Figur sprechen können, unglaublich kompetent und reflektiert. Probenbeginn, dann Szene für Szene durchs Stück, es gibt ein Konzept, man wendet das dann in der Probe an, entwickelt es weiter oder verwirft es und voilà – fertig ist die glänzende Charakterstudie.

Dann gibt es die Kolleg:innen mit perfekt gelerntem Text, die schon ab der ersten Probe pfannenfertig spielen. Da verändert sich manchmal kaum mehr etwas und bleibt oft mehr oder weniger da, wo es von Beginn an war. Das kann brillant oder durchschnittlich sein.

Es gibt die Kolleg:innen mit erst in den Proben den Text wirklich lernen – nicht aus Faulheit, sondern weil sie so flexibel und offen bleiben können im Probenprozess – wach in jedem Moment. Das kann viel Spass machen, wenn man sich darauf einlässt. Textgenauigkeit muss da erstmal hintenan stehen. Für klassische Texte in Versform ist das also nix – und es braucht im Idealfall eine Souffleuse.

Dann gibt es da noch die Kolleg:innen, die bis zur Premiere nur mit halber Kraft spielen, den Text bis zum Schluss nicht ganz intus haben, alle in den Wahnsinn treiben damit, um dann an der Premiere – Bääämmm!! – alles auffahren und glänzend die Kolleg:innen an die Wand spielen.

Jeder von uns hat ein Label und dieses abzulegen ist schwierig bis unmöglich. Wir sind sie alle: Die Schweiger, die Quassler, die Witzemacher, die Spaltpilze, die Chefnaturen, die Drama Kings and Queens.

Die Freiheit, unperfekt zu sein

Kennen wir das nicht von Kolleg:innen und uns selbst: Zu Beginn der Proben finden wir einfach keinen Zugang zu unserer Rolle – aus welchem Grund auch immer? Und war nicht jeder von uns mal in genauso einer verzagten, verstockten, verunsicherten Verfassung, dass er den morgendlichen Probenbeginn mit Ablenkungsdiskussionen rausgeschoben hat? Da werden wertvolle Spielenergien verschwendet, während am Tisch geredet, problematisiert und heissgeluftet wird.
Kennen wir nicht alle die Kolleg:innen (oder waren selbst schon so), die eine Szene unterbrechen und ein Fass aufmachen: „Ich verstehe die Szene nicht! Ich komme mit meiner Figur nicht weiter! Diese Striche machen keinen Sinn!“. Und dabei gehts nur um die eigene Unsicherheit?

Wir sind alle Profis im Sabotieren von uns selbst und anderen, wenn es darum geht, Angst und Unsicherheit zu überspielen. Speak it out kann da eine hilfreiche Methode sein: „Ich habe ziemliches Lampenfieber und Angst es nicht zu bringen” – das Aussprechen hilft manchmal und braucht, je nach Konstellation, mehr Mut als erwartet.

Die Regie? Ja, die Regie ……… Das ist ein Thema für sich.
Ich denke, jeder Regiemensch müsste mindestens einmal in seiner Laufbahn eine anspruchsvolle Rolle erproben und spielen und umgekehrt müssten alle Schauspieler:innen auch mal Regie führen – das könnte gut sein fürs gegenseitige Verständnis.

Am Ende erinnern wir uns immer wieder, wieso es „Proben“ heisst: Weil Ausprobieren. Weil Noch-Nicht-Können. Weil Üben, um besser zu werden. Proben sind dazu da, nicht vollkommen zu sein, nicht schon alles zu beherrschen. Proben sind der Raum, in denen wir Fehler machen können, um besser zu werden.

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