Das Zürich Film Festival und Putins Propaganda

Das ZFF zeigt mit „Russian at War“ einen russischen Dokumentarfilm, der die Frontsoldaten als naive, eigentlich ganz normale Zeitgenossen darstellt. Warum ist das so falsch? Ein Editorial.

Woran erkennt man, dass ein*e russische Journalist*in die Wahrheit sagt? An ihren Gefängnisstrafen. Dieses leider allzu wahre Bonmot in der Medienszene sollte dem Zürich Film Festival zu denken geben.

Tut es nicht. Das ZFF entschied sich, die Kriegs-Doku „Russian at War“ der ehemaligen RT-Journalistin Anastasia Trofimova trotz lauter Kritik im Programm zu belassen. Die Filmerin begleitete ein russisches Bataillon sechs Monate im Ukraine-Krieg. Der Fokus liegt dabei auf den Soldaten, die natürlich völlig normale Menschen sind. Meist wenig gebildet, einfache Leute aus ländlichen Gebieten, vielleicht sogar freundlich im täglichen Umgang. So weit, so bekannt aus Kriegs-Dokus. Man kann richtig mitfühlen, da spielt die Sozialromantik.

Das Problematische daran: Der Kontext des Krieges wird völlig ausgeblendet. Wieso ich das weiss, ohne den Film gesehen zu haben? Hier kommen wir wieder zum Bonmot vom Anfang: Hätte Anastasia Trofimova im Film die Wahrheit über den brutalen Angriffskrieg, die zivilen Opfer, die Vergewaltigungen, die schiere Unmenschlichkeit – auch den eigenen Soldaten gegenüber, die als Hackfleisch in die Schlacht geworfen wurden und werden – thematisiert, sässe sie im Gefängnis. Oder hätte einen unglücklichen Fenstersturz erlitten.

Pseudo-kritisches Statement

Einige Soldaten im Film äussern sich auch kritisch zur Kriegsführung. Es gibt Leute, die das als Hinweis darauf deuten, dass der Film aus neutraler Sicht gedreht wurde. Das stimmt so nicht. Auch die glühendsten russischen Kriegsblogger kritisieren die Armeeführung oder einzelne Entscheidungen. Aber niemand stellt den Kriegszweck infrage oder kritisiert Putins Grössenwahn und Grausamkeit, wenn er nicht im Gefängnis landen will.

Die Filmerin, die lange für den russischen Propagandasender Russia Today arbeitete, distanziert sich vom Krieg. Sie halte ihn für illegal und ungerecht. Das hört sich in Zürich gut an, entbehrt aber nicht einer gewissen Heuchelei. Der Film wurde mit Erlaubnis und Unterstützung der russischen Militärführung gedreht. Als Kriegskritikerin bekommt man in Russland keinen Zugang zu den Truppen, schon gar nicht mit einem Filmteam und schon gar nicht für sechs Monate. Da müssten die ersten Alarmglocken schrillen.

False Balance

Christian Jungen, Direktor des ZFF, will den Film als Diskussionsgrundlage zeigen. Er plant eine Podiumsdiskussion, bei der auch die ukrainische Seite mitreden darf. Er will „die Entstehungsgeschichte“ des Films beleuchten. Auf den ersten Blick ergibt sich daraus die Illusion eines ausgewogenen Dialoges. Auch hier liegt Jungen falsch.

Wenn man einen abendfüllenden Film lang russische Soldaten zu Wort kommen lässt, und dann darüber diskutiert, ergibt das keine Balance, auch nicht, wenn die andere Seite sich äussern darf. Eine Balance ergäbe sich, wenn man jeder Filmminute der Soldatenstatements eine Minute der Opfer gegenschneiden würde. Für jede Aussage über schlechtes Essen und Heimweh eine Aussage über ermordete Kinder, gefolterte Gefangene, vergewaltigte Frauen, bombardierte Schulen und Spitäler. Dann ergäbe sich ein umfassendes Bild des Krieges. Nicht, indem man die Täterseite als freundliche Simpel ohne Verantwortung darstellt und dann darüber plaudert.

Wir können Putins Umgang mit der Presse und die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung nicht stoppen. Aber wir können vorsichtig sein, wem wir eine Bühne geben. Wie viel Verantwortung trägt man als Festival-Veranstalter für die Botschaften, die man ins Programm nimmt? Hätte das ZFF damals auch Leni Riefenstahl eingeladen?

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