„The Case You“ gibt Schauspieler*innen eine Stimme
Ensemble hat sich mit Aileen Lakatos (26) aus Basel getroffen, die im Film „The Case You“ (2020), einem Deutschen Dokumentarfilm über Machtmissbrauch in der Casting-Szene, die eine der Protagonistinnen spielte.
Die Regie führte Alison Kuhn. Im Film geht es vorwiegend darum, dass sich fünf Teilnehmerinnen bei einem Regisseur für ein Casting angemeldet und dort systematische, teils sogar sexuelle Gewalt erfahren haben. Auch Lakatos wurde ungewollt angefasst von einem Spielpartner, der diese Anweisung erhalten hatte und der Regie demnach Folge leistete. Dies wurde auch aufgezeichnet und das Material anschliessend für einen Film verwendet. Dessen Inhalt handelt davon, wie weit junge Frauen tatsächlich gehen, um eine Rolle zu bekommen – quasi als reale Dokumentation.
Nach diesem grenzüberschreitenden Erlebnis hat sich Lakatos einen Anwalt gesucht – der Film „The Case You“ dokumentiert dies bis zum Gerichtsprozess. Es handelt sich um einen fiktionale Dokumentation, da der Film im Nachhinein gedreht wurde und geht um die, sehr verbreiteten, Grenzüberschreitungen seitens Regie. „The Case You“ solle vor allem eine Diskussion anstossen, betont Lakatos. „Anfangs als ich mit meinem Fall an die Öffentlichkeit ging, war die Reaktion immer dieselbe: Was, das passiert tatsächlich in der Schweiz? Der Film soll aufzeigen, dass wir sehr ähnliche Problematiken haben wie in anderen Ländern, darunter zum Beispiel hierarchische Strukturen.Täter und Täterinnen haben es einfach gegenüber Schauspieler*innen und Crew-MitgliederInnen bezüglich Machtmissbrauch. Es geht in erster Linie darum, zu sensibilisieren und aufzuzeigen, dass es das eben auch in unserem Land gibt. Wir wollen auch sagen: Jetzt muss etwas getan werden, wir schauen hin!“
„Es ist 2022 und wir als SchauspielerInnen und andere haben eine Stimme!“
Aileen Lakatos, Schauspielerin
Dieser Gerichtsfall sei der erste, bei dem es ein solches Urteil in der Schweiz gegeben hat, meint Lakatos. Dies ist als deutliches Zeichen zu begreifen, insbesondere für all diejenigen, die mit ihrer Macht- und Grenzüberschreitung noch immer spielen. „Es ist 2022 und wir als SchauspielerInnen und andere haben eine Stimme!“, beteuert Lakatos und will damit ermutigen, zur Tat zu schreiten. Lakatos sah sich anfänglich mit Skepsis konfrontiert, auch aus dem eigenen Umfeld. Sie hatte mit der Angst zu kämpfen, dass sie keine Anstellung mehr finden würde, wenn sie den Fall publik macht. Aber sie war sich schnell sicher, dass sie sich nur noch Arbeitgeber aussuchen würde, die damit kein Problem haben und die Grenzen der Schauspieler*innen respektieren.
„Ein Nein, soll man nie hinterfragen. Nicht alle sind genügend privilegiert, um in jeder Situation nein sagen zu können, wenn viel an diesem Entscheid dranhängt. Ein Nein sollte kein Privileg mehr sein, man sollte geschützt werden.“
Kasia Szustow, Intimitätskoordinatorin
Lakatos ist sich bewusst, dass sie die aus einer privilegierten Position sagen kann, da sie auf die Schauspielerei nicht finanziell angewiesen ist. Kasia Szustow, eine Intimitätskoordinatorin, Iiess an einem Panel verlauten: „Ein Nein, soll man nie hinterfragen. Nicht alle sind genügend privilegiert, um in jeder Situation nein sagen zu können, wenn viel an diesem Entscheid dranhängt. Ein Nein sollte kein Privileg mehr sein, man sollte geschützt werden.“ Bezüglich der Solidarität unter Schauspieler*innen meint Lakatos: „Ich finde wichtig, dass man für sich und andere einsteht! Der Film ist aber kein Appell an Schauspieler*innen, die sich wehren sollen – sondern an die TäterInnen, dass es mit solchen Übergriffen vorbei ist! Bei einer Person, die Opfer wurde, fragt man nicht, warum der Übergriff geschehen ist.“
„Ich finde wichtig, dass man für sich und andere einsteht! Der Film ist aber kein Appell an Schauspieler*innen, die sich wehren sollen – sondern an die TäterInnen, dass es mit solchen Übergriffen vorbei ist! Bei einer Person, die Opfer wurde, fragt man nicht, warum der Übergriff geschehen ist.“
Aileen Lakatos
Der Film wurde global an verschiedenen Festivals gezeigt, ua. Am IDFA: International Documentary Filmfestival Amsterdam, Filmfestival Max Ophüls in Saarbrücken, HER-Docs Festival in Warschau , in Indien, Südkorea, Afrika, Brasilien und das Goethe-Institut hat ihn zusätzlich in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt. In der Schweiz wurde der Film zweimal im Kosmos in Zürich gezeigt, wo viele Leute aus der Branche eingeladen wurden. Im Streaming ist der Film leider noch nicht verfügbar.
Es geht Lakatos primär um die Bewusstheit um die Problematik, die verbreitet werden soll. Darunter fallen auch die ZhdK als wichtige Institution und Ausbildungsstätte, aber auch andere, teilweise technische Bereiche wie das SA-Institut, Multimedia Production etc., überall da, wo Filmschaffende wirken. Aber auch an Theatern, solle ab sofort aktiv über Machtmissbrauch und hierarchischen Strukturen sensibilisiert werden. Beim Film sei die Situation bereits fortschrittlicher als im Theater. Immerhin existiere aber der Diskurs und immer mehr Vernetzungen werden geschaffen, unter anderem durch den Verband SzeneSchweiz. Die Geschäftsleiterin Salva Leutenegger sei eine der ersten Personen gewesen, die Lakatos zu diesem Thema ernstgenommen habe und für einen Teil der Gerichtskosten aufgekommen ist. Lakatos war nebst den anderen Betroffenen das einzige Mitglied von SzeneSchweiz und konnte deshalb profitieren.
Was sind die einzelnen Schritte für Betroffene? Die einzelnen Schritte bis zum erfolgreichen Abschluss eines Falls brauchen einiges an Zeit und Geduld. Man müsse die Problematik erst realisieren und dann mit einem geeigneten Verband der darstellenden Künste in Verbindung treten. Dafür kommen nebst SzeneSchweiz für die Beratung, Unterstützung und den Rechtsschutz für Mitglieder auch andere Plattformen infrage. Lakatos betont, dass es wichtig ist, sich zu vernetzen, da man alleine nicht viel erreichen kann. Das Schweizerische Rechtssystem sei eher nicht auf Betroffene ausgerichtet, empfindet sie. „Es entstehen noch mehr Hürden und die Hemmung vor dem Handeln wächst zusätzlich.“
Lakatos hat extra ein Crowdfunding gestartet, da sie sich einen Prozess nicht hätte leisten können. FemaleAct war dafür sehr wichtig, als Mitglied könne man von der Organisation profitieren. SzeneSchweiz sei hingegen auch sehr aktiv bezüglich Prävention, vor kurzem wurde vor einem Casting in Thailand gewarnt, was sehr hilfreich war. „Genau so sollte Prävention laufen!“, meint Lakatos erfreut dazu. Der Film „Achtung, Casting“ des verklagten Regisseurs (Name der Redaktion bekannt) wurde letztendendes zwar produziert, jedoch konnten Lakatos einfordern, dass sie und die anderen Betroffenen darauf vollständig gelöscht werden. Aber kritisch ist dennoch, dass der Film erscheinen wird, meint sie dazu. Die Übergriffe konnte Lakatos nach drei Monaten nicht mehr zur Anzeige bringen, das Urteil ist aber belegt und die Persönlichkeitsklage wurde gewonnen. Sie hätte ihren Spielpartner anzeigen sollen, aber sie kannte ihn persönlich und zudem hatte er schlicht die Regie befolgt und wurde dabei unwissentlich selbst manipuliert. Das ganze sei ein penibel angelegtes Experiment gewesen.
Weiterführende Informationen hier.
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