Aufbruch in eine neue Ära
Die Delegierten von SzeneSchweiz haben einen neuen Präsidenten gewählt
(rs) Es war die erste Delegiertenversammlung von „Szene-Schweiz“. Sie stand ganz im Zeichen der Präsidentschaftswahl. Mit Matthias Albold und Martin Krämer empfahlen sich zwei sehr profilierte und durchaus unterschiedliche Kandidaten zur Nachfolge von Langzeitpräsidentin Elisabeth Graf.
Elf Jahre amtete Elisabeth Graf als Präsidentin des SBKV. In ihrem letzten Amtsjahr stemmte sich der Verband mit aller Kraft gegen die verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kulturbranche, gleichzeitig feierte er sein hundertjähriges Bestehen, fusionierte mit dem Tessiner Partnerverband TASI und gab sich den neuen Namen SzeneSchweiz. Elisabeth Graf hatte als SBKV-Präsidentin wahrlich aufregende Monate und Jahre hinter sich, nun sah sie den Moment für ihren Rücktritt gekommen. Zum letzten Mal richtete sie ihre „Worte der Präsidentin“ an die Delegierten, welche am 5. Juni im Volkshaus in Zürich tagten.
„Es braucht einen frischen Wind.“
Es sei richtig und wichtig, sagte Graf, dass der neue Verband „SzeneSchweiz“ nicht als erstes eine „Ex-SBKV-Präsidentin“ zur Wahl ins Präsidium vorgeschlagen bekomme. Es brauche nun frischen Wind und eine neue Energie im Verband. Aber auch ohne Fusion wäre sie zurückgetreten, betonte Graf, die den Fokus ihrer kurzen Rede vor allem auf ihre Arbeit bei der International Federation of Actors (FIA) richtete, wo sie einen Vorstandssitz innehatte. „Die FIA ist uns immer einen Schritt voraus“, sagte sie und meinte damit vor allem die Bemühungen um Diversität und Inklusion. Aufwand und Ertrag für einen Vorstandssitz bei der FIA rechne sich aber nicht, weshalb „SzeneSchweiz“ fortan nur noch ein einfaches Mitglied beim internationalen Schauspielerverband sein werde.
Laudatio für Elisabeth Graf
Im späteren Verlauf der DV würdigte Ernst Brem sen., der langjährige Syndikus des SBKV, die Arbeit von Elisabeth Graf. In seiner Rede strich er einige Eckpunkte ihrer Präsidentschaft heraus wie beispielsweise die Gründung der Umschulungsstiftung SSUDK oder die Revision des Urheberrechts. Er bezeichnete den Verband als Schiff, das in den vergangenen Jahren in gefährlichen Gewässern unterwegs war, und Elisabeth Graf als Kapitänin, welche die drohenden Gefahren rechtzeitig erkannte und sich nie scheute, unangenehme Fragen zu stellen. „Dank dir hatte der Verband ein menschliches und vertrauenswürdiges Gesicht“, sagt Brem an Elisabeth Graf gewandt.
Rückblick auf das vergangene Jahr
Nach den Worten der Präsidentin folgte der Jahresbericht der Geschäftsleiterin Salva Leutenegger. Sie griff drei wichtige Punkte heraus. Erstens und kaum überraschend die Auswirkungen der Corona-Pandemie: Aufgrund der weltweiten Gesundheits- und Wirtschaftskrise sah sich der SBKV mit einer enormen Beratungswelle konfrontiert, war aber in der Lage, schnell zu reagieren. Man stellte 50’000 Franken für Darlehen an die Mitglieder zur Verfügung (maximal 1000 Franken pro Mitglied). Insgesamt zwölf Mitglieder hätten dieses Angebot genutzt. Nachdem unter dem Dach von „Suisseculture“ die „Taskforce Culture“ gegründet worden war, kämpfte der Verband im engen Austausch mit Kantons- und Bundesämtern für bessere Unterstützungsmassnahmen und lieferte seinen Mitgliedern laufend aktuelle Informationen.
Rechtsgutachten bezeichnet Pandemie-Klauseln als nichtig
Den zweiten Punkt, den Salva Leutenegger aus dem Geschäftsbericht aufgriff, war ein Gutachten, welches der SBKV bei Rechtsprofessor Thomas Geiser in Auftrag gegeben hatte. Dabei ging es um die Klärung der Frage, ob es zulässig war, dass die Anstellungsverträge von Darsteller:innen plötzlich Zusatzklauseln enthielten, welche die Arbeitgeber:innen im Falle einer Pandemie von der Lohnfortzahlungspflicht entbinden sollten. Das Gutachten habe klar bestätigt, dass solche Klauseln nichtig seien. Die Lohnfortzahlungspflicht sei ein zwingendes Recht und könne selbst dann nicht abgeändert werden, wenn die Arbeitnehmer:innen entsprechende Verträge unterschrieben hätten. Der SBKV stellte das Gutachten allen Schweizer Berufsverbänden gratis zur Verfügung.
Kehrtwende bei den Mitgliederzahlen
Der dritte Punkt war ein Rückblick auf die Arbeit der Geschäftsstelle in Zürich. Leutenegger lobte das enorme Engagement der beiden Angestellten Zineb Benkhelifa und Joëlle Turrian, welche menschlich wie fachlich ein grossartiges Team bildeten und im vergangenen Krisenjahr Unmögliches geleistet hätten. Erfreulich sei auch der Aufschwung bei den Mitgliederzahlen. Insbesondere viele jüngere Freischaffende seien dem Verband im vergangenen Jahr beigetreten.
Margit Huber ist Sektionsleiterin fürs Tessin
Nach Salva Leutenegger blickte auch die neue „Sektionsleiterin Tessin“ auf das vergangene Jahr zurück. Es handelt sich dabei um die ehemalige Geschäftsleiterin von TASI Margit Huber. Sie berichtete davon, dass im Tessin im vergangenen Jahr eine kantonale Berufsschule für zeitgenössischen Tanz mit integrierter Berufsmatura gegründet wurde. Ausserdem habe das Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz (RSI) den darstellenden Künstler:innen im Tessin eine digitale Plattform zur Verfügung gestellt, um die Sichtbarkeit von Kunst und Kultur auch während der Pandemie zu gewährleisten. Das Echo auf diese Initiative des abtretenden RSI-Direktors Maurizio Canetta sei sehr gross gewesen. Insgesamt habe die Gründung von „SzeneSchweiz“ der Verbandsarbeit im Tessin neuen Schwung gegeben. „In diesem Sinne wollen wir weiterarbeiten“, sagte Margit Huber.
Zwei versierte Präsidentschaftkandidaten
Nach dem ausführlichen Rückblick auf das vergangene Jahr, galt es, nach vorne zu schauen und einen neuen Präsidenten für „SzeneSchweiz“ zu wählen. 23 anwesende Delegierte der verschiedenen Orts- und Regionalgruppen hatten die Wahl zwischen Matthias Albold (Schauspieler am Theater St. Gallen) und Martin Krämer (Chorsänger am Theater Basel). Die beiden langjährigen Vorstandsmitglieder des SBKV präsentierten sich den Anwesenden in einer kurzen Ansprache. Martin Krämer lobte seinen Konkurrenten in den höchsten Tönen, sagte aber, dass er gegen aussen aggressiver auftreten würde als Albold. Gleichzeitig bezeichnete sich Krämer als „professionellen Gruppenmensch“. Albold sagte, dass sich der SBKV in den vergangenen Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftigt hätte. „Die Arbeit an und für unsere Kunden wurde vernachlässigt.“ Insbesondere wolle er sich um die Bedürfnisse der Freischaffenden kümmern. Beide bezeichneten ausserdem die Annäherung an die Romandie als zentrales Anliegen.
Matthias Albold ist der erste gewählte Präsident von „SzeneSchweiz“
Matthias Albold schien die Delegierten mit seinem Auftritt mehr zu überzeugen. Mit einem deutlichen Vorsprung von 16 zu 7 Stimmen wurde er zum neuen Präsidenten von SzeneSchweiz gewählt. Sichtlich gerührt bedankte er sich bei den Anwesenden für das ausgesprochene Vertrauen. „Messt mich an den Dingen, die ich angekündigt habe“, sagte er fast demütig, und zu seinem Konkurrenten Martin Krämer gewandt: „Ich brauche dich!“ Krämer war der erste, der Albold herzlich zu seinem neuen Amt gratulierte.
Neue Vorstandsmitglieder
Nebst einem neuen Präsidenten wählten die Delegierten auch drei neue Mitglieder in den Verbandsvorstand. Es sind dies die ehemaligen TASI-Mitglieder Manuela Rigo und Igor Mamlenkov aus der Sektion Tessin und aus der Regionalgruppe der Freischaffenden Zürich, Aargau, Mittelland, Ost- und Zentralschweiz der Schauspieler Martin Ostermeier.
Die Liste der Verstorbenen
Nach dem ganzen Wahlprozedere ging es zurück zur Tagesordnung. Die Delegierten hatten über einen Antrag der Regionalgruppe der Freischaffenden Zürich, Aargau, Mittelland, Ost- und Zentralschweiz zu beraten, der vom Verbandsmagazin „Ensemble“ verlangte, die Namen der verstorbenen Bühnenkolleg:innen abzudrucken. Da der Antrag zu wenig präzise formuliert war, musste das genaue Anliegen zuerst erörtert werden, denn längst ist es Usus, dass verstorbene Verbandsmitglieder im Ensemble einen Nachruf bekommen. Man einigte sich schliesslich darauf, dass im Ensemble einmal jährlich eine Liste aller verstorbenen Bühnenkolleg:innen (Mitglieder und Nichtmitglieder) abgedruckt wird. Verantwortlich für diese Liste ist die antragstellende Regionalgruppe.
Lebhafter Erfahrungsaustausch
Im Anschluss gab es für die Delegierten noch Zeit, um ihre schriftlich eingereichten Orts- und Regionalgruppenberichte mündlich zu ergänzen, was zu einem lebhaften Erfahrungs- und Meinungsaustausch führte. Mit einem grossen Dank an alle Anwesenden und insbesondere an Zineb Benkhelifa und Joëlle Turrian, welche für eine reibungslose Organisation der DV verantwortlich waren, beendete die scheidende Präsidentin Elisabeth Graf die Sitzung.
Nicht nur den Namen abstreifen
Kommentar zur Delegiertenversammlung von Rolf Sommer
Es war eine denkwürdige DV, welche am 5. Juni im Volkshaus Zürich stattfand. Nicht nur war es die erste offizielle DV unter dem neuen Namen „SzeneSchweiz“, sondern es war auch die letzte DV unter dem Vorsitz von Elisabeth Graf. Auf den neu gewählten Präsidenten Matthias Albold sowie auf den neu zusammengesetzten Vorstand warten grosse Herausforderungen. Nach dem Zusammenschluss mit TASI muss sich SzeneSchweiz dringend auf die Romandie ausrichten, um gegenüber dem Bundesamt für Kultur (BAK) eine gesamtschweizerische Tätigkeit vorweisen zu können und damit wieder in den Genuss von Fördergeldern zu kommen. Ausserdem muss der Verband endlich beweisen, dass er im Stande ist, etwas gegen den schleichenden Zerfall der Werbe- und Filmgagen zu unternehmen. Das würde den Mitgliedern weit mehr dienen als die 50’000 Franken teure Festschrift, welche mitten im Corona-Jahr als Jubiläumsgeschenk verteilt wurde. Matthias Albold hat recht, wenn er sagt, dass sich der SBKV in den vergangenen Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftigt hat. Damit muss nun Schluss sein. SzeneSchweiz muss sich mit frischen Ideen „in Szene setzen“, seine Regionalgruppen neu beleben, seine Präsenz in den sozialen Medien ausbauen, die Lobbyarbeit professionalisieren und insbesondere die Interessen der Freischaffenden vermehrt ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen, welche inzwischen Dreiviertel aller Mitglieder stellen, aber im Vorstand immer noch untervertreten sind. Es würde dem Verband guttun, nicht nur seinen alten Namen abzustreifen sondern auch sein angestaubtes Image.
MEMENTO MORI
Die Namen der verstorbenen Berufskolleg:innen, derer an der DV gedacht wurde:
Barbara Magdalena Ahren (71), Ennetbaden, Schauspielerin, freischaffend
Nicolas Baerlocher (82), Zürich, Kultur-Impresario
René Blum, Bern (86), Schauspieler, freischaffend
Nicolai Mylanek (81), Zürich, Schauspieler, freischaffend
Liselotte Zinder (70), Laufenburg, Schauspielerin, freischaffend
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