Von Kritiker*innen & Journalist*innen

„Der Kulturjournalismus schafft sich selbst ab“, beklagt der Journalist Michael Lünstroth auf thurgaukultur.ch in einem langen Editorial. Unser Redaktor findet das nicht nur schlecht.

„Vor allem die Zahl der Rezensionen sinkt“, beklagt Lünstroth in seinem Beitrag. Während Studien belegen, dass der Umfang der Kulturberichterstattung in den letzten fünf Jahren gleichbleibend war, sind Rezensionen, beziehungsweise Kritiker*innen-Texte um die Hälfte zurückgegangen.

Zuerst einmal: Wie kam es dazu? Lünstroth:  „Die Entwicklung ist komplizierter als man auf den ersten Blick denkt. Es ist wohl am ehesten eine Gemengelage aus Kulturjournalist:innen, die sich selbst wichtiger nahmen als ihr Berichterstattungsobjekt, aus Verlagsmanagern, die geringe Lesequoten für Kulturtexte als Blankoscheck verstanden, Kulturressorts zusammenzustreichen, statt sie besser zu machen und einem Publikum, das in seinen Bedürfnissen so divers geworden ist, dass es herausfordernder (man könnte auch sagen: spannender) geworden ist, einen akzeptierten und geschätzten Kulturjournalismus zu produzieren.“

Medientechnisch ist diese Erklärung etwas kurz gegriffen. Es stimmt, dass die Kulturszene diverser wurde. Die homogene, eingeschränkte Bühnen- und Kulturkritik des 20. Jahrhunderts, die immer wieder auch neue Strömungen vereinnahmt und mit einem eingeschränkten Qualitätskatalog vereinheitlicht hat, verliert an Bedeutung. Der Dialog verschwindet aber nicht, sondern sucht sich neue Plattformen. Diskussionen werden nicht mehr mit einzelnen, oft übermächtigen Kulturjournalist*innen geführt, sondern in der Breite. Niederschwellige Communitys und Social Media übernehmen mehr und mehr die Funktion von Feuilleton und werden Multiplikatoren.

Austausch statt Kritik

Diversität bedeutet auch, dass es Werke und Inszenierungen gibt, die nicht in die Definitionshoheit von Fachjournalist*innen fallen. Und darüber bin ich glücklich. Die Macht des Feuilletons ist gebrochen, kein banges Warten nach der Premiere, ob Kritiker*in YX oder der Kulturteil der NZZ die Aufführung verreisst oder hochjubelt.

Die gesamte Kulturkommunikation hat sich genau wie die gesamte Medienwelt verändert. Fort von selbstgerechten Kritiker*innen in wenig gelesenen Sparten der Tages- und Wochenzeitungen, die ihr Damoklesschwert über jede Premiere, jede Inszenierung, jedes Solo hielten, hin zum direkten Publikumsfeedback. Viele junge Künstler*innen finden es zwar nett, wenn das Feuilleton sie lobend erwähnt, orientieren sich aber inzwischen lieber am Publikum, das heute eigene Kanäle für Feedback und Anerkennung hat.

Kulturpolitik wichtiger als Rezension

Braucht es dann überhaupt noch Kulturjournalist*innen? Ganz bestimmt! Kultur ist auch Politik, gerade wenns um die Finanzierung oder die Arbeitsverhältnisse geht. Viele Kulturjournalist*innen scheuen sich noch immer, kulturpolitische Positionen zu beziehen, Schwächen aufzuzeigen, Kritik an Institutionen anstatt an Inszenierungen auszudrücken. Man könnte ja keine Akkreditierung mehr erhalten. Oder man könnte sich exponieren und beim nächsten Szene-Apéro von irgendeiner wichtigen Figur der Branche ignoriert werden. Die Schweizer Kulturszene, egal ob in Bildender Kunst, Literatur oder den Darstellenden Künsten, ist so klein, dass in der jeweiligen Szene Machtgefälle, kleine Königreiche und Abhängigkeiten entstehen. Und es wäre die Aufgabe von Journalist*innen, den Finger auf diese Missstände zu legen, nicht Teil davon zu sein. Doch zum Glück ändert sich das gerade, durch die Möglichkeiten, die Künstler*innen und Publikum für den direkten Austausch haben.

Verantwortung für den Kulturdialog

Gesellschaftspolitisch ist das wertvoll. Kunst und Kultur bewegen sich so aus einer meist kleinen, elitären Bubble hin zu den Menschen, die bisher vielleicht noch keinen Bezug zu kulturellen Darstellungen fanden. Kulturjournalismus bringt nichts, wenn er nur einige Brancheninsider und ein paar pensionierte Gymi-Lehrer*innen erreicht.

Wenn Kunstschaffende ihre Werke über die Bubble der selbstreferenziellen Szene hinaus entwickeln wollen, müssen sie die Medienarbeit, die Interaktion und die Diskussion um ihre Arbeit selbst führen. Mit ihrem Publikum. Wenn Qualität in der Kunst nur für ein paar wenige Fachpersonen mit expliziter (und oft narzisstisch verstärkter) Expertise erkennbar ist, haben Kunst und Kultur ihren Wert als Zündfunke und Fiebermesser gesellschaftlicher Entwicklungen verloren.

Und mit direkter Ansprache des Publikums füllen sich vielleicht auch die Säle wieder.

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