«Tuesch immer no theäterle?“

Alltag im Bühnenleben? Schön wärs! Unsere Kolumnistin erklärt, wie ihr To-do-Listen, Selbstdisziplin und strenge Planung überhaupt nicht helfen, ihr Leben zu organisieren.
Von Rebekka Burckhardt

Nicht sehr oft werde ich gefragt, wie sich eigentlich der Alltag einer Schauspielerin gestaltet. Meistens heisst es: Wo trittst Du denn gerade so auf? Dann erzähle ich, dass es für Theatermenschen unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten gibt, nicht nur auf der Bühne ….

Ich eiere dann lange und umständlich herum, obwohl ich seit vielen Jahren durchaus in den verschiedensten Bereichen aktiv bin, und mein fragendes Gegenüber hört mir aufmerksam zu, sieht mich freundlich an und denkt sich dann wohl seinen Teil ob meiner umständlichen Erläuterungen. So einfach ist das Leben einer Theatermenschin nicht. Wie soll ich einer 9 to 5-Person unsere komplexe Realität in der Kürze eines Elevator Pitches – einer Fahrstuhlfahrt – verständlich machen? Ich weiss ja auch nicht, was theoretische Physiker*innen tagein-tagaus so machen. Quantenplancken stappeln?

Noch schlimmer, wenn die Person branchenfremd ist. Dann kann die Frage auf Schweizerdeutsch durchaus mal lauten: „Tuesch immer no theäterle?“
Ich muss dann erstmal ruhig ausatmen und meine tiefe Bauchatmung aktivieren. „Und Du – tuesch immer no dökterle? Tuesch immer no Hüüsli plänerle? Tuesch immer no chöcherle?“

Gopferdeckeli, geht’s eigentlich noch???

Früher wurde gefragt: Was machen Sie eigentlich tagsüber? (Das ist kein Klischee, im Fall. Viele denken noch immer, Schauspieler*inne schlafen durch den Tag und feiern durch die Nacht, wenn sie nicht gerade über rote Teppiche spazieren oder sich auf Bühnen verneigen.) Ich musste vor vielen Jahren einen Verwandten darüber aufklären, dass ich mich zwar durchaus mal tagsüber für ein halbes Stündli (!) hinlege – nämlich nachmittags nach der Theaterprobe, nachdem ich zu Hause erstmal die Wäsche und vorher den Einkauf erledigt habe – um dann wieder auf die Probe oder zur Vorstellung zu rennen …Ja, ich arbeite in der Früh erst ab 10h – dafür aber auch abends ab 18h bis 22h – chuunsch druus?

Zurück zur ursprünglichen Frage: Wie sieht nun eigentlich mein Alltag als freischaffende / selbständige Schauspielerin, Regisseurin, Sprecherin, Veranstalterin, Kolumnenschreiberin, Comedienne, Sängerin aus? (Geistige Notiz an mich: Ich bin ziemlich vielfältig. Nicht vergessen, liebes Selbstwertgefühl!)

Variante 1:

8:00
Uff – Teenager in der Schule. Frühstück weggeräumt, gelüftet, gebettet.

9:00
Ich habe einen Termin im Tonstudio oder eine Theaterprobe und gehe aus dem Haus. Die Termine in meiner Agenda ergeben einen Sinn und ich weiss, was ich wann und wo zu tun habe. Ich hab die Kontrolle. Die ideale Arbeitssituation, klar wir Klossbrühe.

Variante 2:
8:00 Uff, Teenager ist in der Schule. Frühstück weggeräumt, gelüftet, gebettet.

9:00 Heute keine Termine im Tonstudio und keine Theaterprobe, weil grade kein Engagement. Was mache ich also heute? Sport? Ja – wichtig, nötig und  man muss ja in Form bleiben für den Job und es gibt ein gutes Gefühl. Haushalt? Ja – wichtig, nötig und gibt mir das Gefühl, mein Leben im Griff zu haben.
Lesen? Ja – wichtig, nötig, und gut für Hirn & Seele. Und die Zeit vergeht. Weiter. Karriere/Netzwerk bearbeiten? Ja – wichtig, nötig, und oh Gott, die Castingplattformen pöbeln mich an, weil sie mich nicht kennen und auch das verfluchte A1 Formularproblem ist nach wie vor gross und ungelöst.

10:00 Ich brauche nochmal einen Kaffee. Oh, schau so süss der Vogel im Baum vor dem Fenster …!

10:32  Das Telefon klingelt. Gespräch mit einem vertrauten Menschen, der im Büro sitzt und das Privileg (oder die Qual) eines durchstrukturierten Arbeitsalltags hat. O-Ton: „Am besten machst Du Dir eine Liste mit dem, was Du schaffen willst und terminierst das genau mit Uhrzeit. Dann gehst Du das einfach durch, ohne gross nachzudenken – du wirst sehen, das klappt bestens – man muss es nur durchziehen und darf sich nicht ablenken lassen“

Ach so? Hm. Na dann mal los. Reset mit der empfohlenen To-do-Listen aus der strukturierten Arbeitswelt:

11.03 Jetzt also Sport. Ich stehe auf dem Crosstrainer und strample voller Stolz vor mich hin. 30 Minuten geplant. Nach 17 1/2 Minuten fällt mir ein, wie ich eine anstehende Kolumne beginnen will. Ich steige schnaufend vom Gerät, weil ich befürchte, den Gedanken zu verlieren, wenn ich ihn nicht sofort
notiere.

11:47 Was ist geschehn?! Wo zum Teufel sind meine Minuten hin? Ich habe vergessen, zurück aufs Sportgerät zu steigen, weil per Mail eine berufliche Anfrage
reingekommen ist, der ich gleich nachgehen wollte. Und dann, war da diese andere Mail, und dann noch …

Zurück zur To-do-Liste … also, diesmal wirklich Sport. Crosstrainer! Nach weiteren 20 Minuten Schwitzen habe ich ein Hoch und fühle mich motiviert, eine lange aufgeschobene Büroarbeit endlich zu erledigen. Ich dusche rasch und setze mich an den Schreibtisch. Zack – nach 45 Minuten ist die üble Sache erledigt.

Inzwischen meldet sich der Hunger. Nachmittags wollte ich eigentlich meinen Text für die anstehenden Shows auffrischen und danach meine Gesangsübungen machen – aber draussen scheint gerade die Sonne und der Vogel scheint Spass zu haben.

Zugegeben, ich übertreibe hier ein wenig. Ich folge keinem eigentlichen Zeitplan, sondern habe ein paar Anhaltspunkte und gehe dann mit dem Flow des Tages. Natürlich klappt das nicht immer gleich gut. Ich bewundere Menschen, die einen Plan, eine To-do-Liste haben und diese abarbeiten. Ich selbst gehöre nicht zu diesen Menschen, und lange habe ich damit gehadert und mich geschämt.

To do or not to do

Nicht jeder Morgen ist gleich produktiv.

Irgendwann wurde mir klar, dass ich ziemlich festgefahrene Vorstellungen von einem sogenannt „effizienten Tag“ abseits von Tonstudioterminen, Vorstellungen und Proben hatte. Hier ein paar meiner Glaubenssätze:

– Sport muss morgens sein, und zwar lange und am Stück. Dazu trägt man seine frische gewaschenen Sportsachen.
– Morgens nach dem Aufstehen muss man sich sofort duschen und anständig anziehen. Dann setzt man sich an den Schreibtisch und erledigt anstehende, wichtige Dinge.
– Vergnügliches, wie Verabredungen zum Kaffee oder Spaziergänge im Wald, gibt es erst nach getaner Arbeit.
– Aufm Sofa flätzen und lesen oder Filme schauen, gibt es erst Abends, nachdem ich fein gekocht, heiter gegessen und effizient die Küche gemacht habe.

Und so weiter und so weiter …

Vor vielen Jahren hat mir ein Freund erzählt, er habe seine gesamte Uni-Abschlussarbeit im Bett verfasst. Er ist, mitten am Tag, in seinen Strassenklamotten zurück ins Bett, unter die Decke, um zu arbeiten. Unzivilisiert?  Egal – so fühlte er sich aufgehoben und beschützt und konnte mutig an seiner Diplomarbeit schreiben.

Das habe ich natürlich übernommen. Manchmal erledige ich Unangenehmes gleich nach dem Aufwachen am Laptop im Bett, Sport treibe ich, wenn’s mich grad überkommt und manchmal in den Kleidern, die ich halt grade trage oder greifbar sind – frisch gewaschene Sportklamotten für den Hometrainer sind total überschätzt im Fall. (Too much Information?) Manchmal erledige ich auf dem Sportgerät ein Telefonat, das mir auf dem Magen liegt – beim Strampeln bin ich wach und entspannt zugleich. Ich gehe spazieren, weil die Sonne jetzt scheint oder schaue nachmittags die Serie, für die ich Abends zu müde bin. Den Text für die Wiederaufnahme einer Produktion gehe ich dann beim Spaziergang im Wald laut durch und die geplanten Gesangsübungen mache ich am frühen Abend in der Küche, während
das Ofengemüse gart.

Wie sieht mein Alltag als freischaffende Schauspielerin also genau aus? Da ist kein Alltag, da sind einfach Tage. Mal Privileg, mal Qual.

Und bei euch so?


Rebekka Burckhardt arbeitet als Schauspielerin für Film & Fernsehen, in freien Theaterproduktionen und an Stadttheatern unter anderem in Berlin und Hamburg, als Regisseurin für Laiengruppen, Sprecherin für Hörbücher, Lesungen, Moderatorin und als Coach für Auftrittskompetenz. Seit der Spielzeit 2023/2024 steht sie an der Komischen Oper Berlin in „La Cage aux Folles“ als Marie Dindon auf der Bühne. Mit ihrem Solo «Tumulte Blonde – ein fast klassischer Diseusenabend» tritt sie seit ein paar Jahren in Zürich auf.

2 Kommentare
  1. Jeannine Hirzel
    Jeannine Hirzel sagte:

    Liebe Rebekka, GENAU SO IST ES. Danke für den grossartigen Text. Ich schreibe jeweils so viele Sachen in meine Agenda für einen Tag, dass mein Mann nur die Augen verdreht. Meine Antwort: „Ich schau mal, was alles Platz hat.“ In diesem Sinne „weiter so!“. Herzlichst Jeannine Hirzel

    Antworten

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