Ü50 auf der Bühne – Erfahrung und Verständnis
Unsere neue Kolumnistin Rebekka Burckhardt blickt zum Einstand ihrem jüngeren Bühnen-Ich ins Auge und würde heute vorallem eine Sache anders machen …
Seit einem Jahr bin ich arbeitsbedingt immer mal wieder in Berlin – ein schönes Privileg. Grosse Stadt, große Bühne, grosse Sache! Es gibt mir, nebst der erfüllenden Arbeit, die Möglichkeit, meine alten Freunde zu sehen. So auch einen sehr alten Freund – er wurde kürzlich stolze 90 Jahre alt. Er war Intendant und hatte mich vor fast 31 Jahren an sein Theater engagiert. Er war mein erster Chef.
Von der staatlichen Schauspielschule direkt an ein deutsches Stadttheater, mit allem Drum und Dran – Träumchen. Ich durfte schöne Rollen spielen, Hauptrollen und Nebenrollen, durch alle Genres hindurch, von den Klassikern über Uraufführungen – ein wirklich schönes Debüt.
An diesem Theater gab es viele ältere bis alte Bühnenmenschen. Sie waren damals alle mindestens so alt wie ich heute bin: Mitte 50.
Alles, was ein Leben generell und ein langes Theaterleben sowieso aus einem Menschen machen kann, war dort vertreten: Die kluge, aber einsame und von den Enttäuschungen zynisch gewordene hagere Lady. Die nervöse, von den Demütigungen des Berufes fahrig und hektisch gewordene Dame. Der mit bemüht herzlichem Lachen und viel Leibesfülle seinen tiefen Jähzorn überspielende Gemütsmensch.
Der schnauzbärtige Seemannstyp, eigentlich ein Laie, der jede Nebenrolle freudig spielte. Der kleine, schweigsame und niemals lächelnde bittere Mann, vor dem wir alle etwas Angst hatten. Der leutselig anzügliche und etwas undurchsichtige Papamoll, der, längstens probenmüde geworden, fast wöchentlich eine schlimme Kieferentzündung mit Zahnnotfall inszenierte um den Proben fernbleiben zu können – man liess ihn gewähren, den Publikumsliebling.
Der bei allen hochgeschätzte und immer mit viel Klasse aufspielende Grandseigneur. Er ging nach den Vorstellungen mit uns Jungen in die Kneipe und riet uns nachdrücklich zu einem guten, soliden Privatleben, was wir brav zu befolgen gedachten – einfach später mal.
Der brillante und zerrissene Charakterdarsteller mit DDR-Traumata, von dem wir nie wussten, wann er sich ins nächste und irgendwann letzte Koma saufen würde.
Der stoische Methusalem, seit einem halben Jahrhundert am Haus, der mit fast 80 bei Christoph Marthaler eine späte Alterskarriere machte.
Sie alle waren Teil des Ensembles, zu dem ich als junge Schauspielerin gehören durfte. Ich beobachtete meine Kolleg:innen mit der für junge Anfänger:innen so typischen Mischung aus Bewunderung, Befremden und dem der Unerfahrenheit einer Anfängerin geschuldeten
Unverständnis.
Wie kann man nur so lasch spielen?
Wie kann man nur so pedantisch auf pünktliches Probenende bestehen?
Wie kann man nur so verklemmt auf körperliche Berührung im Probenprozess reagieren?
Wie kann man nur die Impulse der Regie abblocken und sabotieren?
Wie kann man nur immer und immer wieder dieselben alten Kamellen und Anekdoten erzählen?
Heute bin ich selber eine alternde Schauspielerin, mit einem gelebten Leben voller Höhen und Tiefen, vielen beruflichen Niederlagen, Rückschlägen, Aufrappelungen und einigen Erfolgen, die von jüngeren Theatermenschen angesehen und beurteilt wird.
Ich halte auch immer mal wieder aus mancherlei Erfahrung mein Visier geschlossen und bemühe mich – und es fühlt sich meistens mies an – bewaffnet zu sein bis unter die knirschenden Zähne, wenn es die Situation erfordert. Eben, was halt das Leben und das Theaterleben aus uns Menschen so machen kann. Wenn ich die Gelegenheit habe mit viel jüngeren Menschen auf der Bühne zu stehen oder ihren Regieideen zu folgen, denke ich an meine Kolleg:innen von damals zurück. Viele dieser Menschen sind nicht mehr am Leben.
Sie hatten alle ein Privatleben, vielleicht Kinder, Sorgen, Wünsche, Pläne. Ich hatte dermassen viele Fragen an mich selbst und an meinen frisch erlernten und mir noch so unverständlichen Traumberuf, dass ich diesen erfahrenen Menschen, meinen Mitspieler:innen, wiederum keine Fragen – und wenn, dann sowieso nicht die richtigen – stellte. Ich hatte meine jugendliche Meinung, oh ja. Ich hatte meinen besserwisserischen Hochschulabgängerinnenblick. Aber Fragen stellte ich – und das ist so schade – zu selten. Das bedaure ich gelegentlich, und daran musste ich denken, als ich meinem alten Freund und ehemaligen Intendanten zu seinem grossen Geburtstag gratulierte.
Ich blicke zurück in diese Zeit und sehe mich auf Theaterproben. Sehe mich – jung und verspielt, unter Druck und voller Versagensängste, idealistisch und bedenkenlos – mein ganzes Sein in dieses Theaterleben werfen. Ich erinnere mich an meine Einsamkeit und Überforderung. Sie waren da, die Alten, direkt neben mir, mit ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und ihrer (davon gehe ich jetzt einfach mal aus) Hilfsbereitschaft, die ich nicht sehen konnte, weil ich mir bereits ein Bild gemacht hatte von ihnen.
Wahrscheinlich hätte ich sie nur fragen brauchen:
Was ist Dir widerfahren? Bringst Du mir bitte etwas bei von dem, was Du kannst?
Wie lebst Du mit den harten Bedingungen des Berufs? Gehen wir spazieren?
Rebekka Burckhardt arbeitet als Schauspielerin für Film & Fernsehen, in freien Theaterproduktionen und an Stadttheatern unter anderem in Berlin und Hamburg, als Regisseurin für Laiengruppen, Sprecherin für Hörbücher, Lesungen, Moderatorin und als Coach für Auftrittskompetenz. Seit der Spielzeit 2023/2024 steht sie an der Komischen Oper Berlin in „La Cage aux Folles“ als Marie Dindon auf der Bühne. Mit ihrem Solo «Tumulte Blonde – ein fast klassischer Diseusenabend» tritt sie seit ein paar Jahren in Zürich auf.
Meine liebe Rebekka! Sehr interessiert las ich deine Ausführungen und durfte den Einblick in dein Leben geniessen! Ich erinnere mich gerne und mit Dankbarkeit an die Zeit mit dir zurück!
Herzlichst Andreas (SSZ)