Löhne auf der Bühne: Zu wenig zum Leben

Die Löhne am Theater sind tief. Zwischen 4000 und 4500 Franken brutto verdienen Schauspieler:innen bei 100 Prozent im Erstengagement nach einem intensiven Studium mit Hochschulabschluss. Selbst Menschen, die ohne Ausbildung in der Gastronomie arbeiten, verdienen mehr.

Von Yan Balistoy*

Aber es geht doch nicht nur ums Geld, oder? Das macht euch doch bestimmt auch Spass! Es gibt zahlreiche Einwendungen, um die Unverhältnismässigkeit am Theater zu rechtfertigen. Spass, Freiheit und das exklusive Künstler:innenleben ersetzen vermeintlich Fairness, Stabilität und Nachhaltigkeit.

Lange hat sich am Mindestlohn und an der intransparenten Lohnpolitik der einzelnen Häuser nicht viel verändert. Die Theaterhäuser entscheiden selbst, wie sie ihre Lohnentwicklungen gestalten möchten. Es gibt Fälle, in denen die Berufserfahrung keine Auswirkungen auf den Lohn hat. Die steigenden Lebenskosten überrollen die stehengebliebenen Löhne von festangestellten Künstler:innen und erschweren damit ihre Lebensbedingungen.

Natürlich: It’s not all about money, aber eine faire Bezahlung ist ein nun mal eine wichtige Existenzgrundlage. Künstler:innen arbeiten in Theatern, um ihr Leben zu finanzieren und leisten nicht ehrenamtliche Arbeit, weil es halt „Spass macht“. „So ist das halt am Theater“ oder „in Deutschland sind die Löhne schlechter“ sind nur zwei Scheinargumente, wenn es darum geht, unzureichende Entlöhnung an Schweizer Häusern zu rechtfertigen.

Die Angst vor der „Nicht-Verlängerung“ 

Weshalb ändert sich in der ganzen Branche nichts? Missstände anzusprechen, gefährdet die eigene Position. Künstler:innen haben Angst, ersetzt zu werden. Wir haben Angst, weil genug andere den Arbeitsplatz widerspruchslos und gerne hinnehmen würden. Spricht man Missstände an, könnte es dazu führen, dass sich das Verhältnis mit der Leitung verschlechtert, wodurch Möglichkeit näher rückt, „nicht verlängert“ zu werden. Die Nicht-Verlängerung erlaubt der Arbeitgeber:innenseite jedes Jahr Arbeitsverhältnisse nach purer Willkür aufzulösen. Es ist eines der stärksten Machtinstrumente, über das eine Theaterleitung verfügt. Diese Angst ist der Grund, warum ungerechte Arbeitsbedingungen bestehen können.

Es scheint ein geschlossener Kreis zu sein, doch alles hat einen Ursprung. Und dieser liegt in der Ausbildung. Nehmen wir beispielsweise das Schauspielstudium. Um in einem Schauspielstudium aufgenommen zu werden, muss ein Mensch vorsprechen gehen. Dabei wird schnell klar, dass willkürlich und intransparent über die Bewerber:innen entschieden wird. Weshalb jemand angenommen oder abgelehnt wird, bleibt für immer ein Rätsel.

Bewerber:innen reisen während der Vorsprechphase ein oder zwei Jahren durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, um einen begehrten Platz an einer der zweiundzwanzig staatlichen Schauspielschulen zu ergattern. Dabei werden an einer Schauspielschule von mehreren hundert Bewerber:innen im Schnitt zehn bis zwanzig neue Student:innen in einen Jahrgang angenommen.

Ist man erfolgreich im Studium aufgenommen worden, folgt ein drei- oder vierjähriges Vollzeitstudium mit Präsenzpflicht. Absenzen werden rigoros geahndet. Ein Nebenjob ist nur unter Aufgabe der eigenen Freizeit möglich. „Alles oder nichts“ wird zur angelernten Haltung. Denn jetzt, wo man es geschafft hat, wird man nicht riskieren wollen, den wertvollen Platz zu verlieren. Die Schwierigkeit „hineinzukommen“ erhöht den Wert des Studiums und damit der versprochenen Zukunft.

Die Überbewertungsspirale

Der Wert wird nicht nach den zukünftigen Arbeitsbedingungen gemessen, sondern anhand der Exklusivität der Studienplätze. Einfacher gesagt: Je schwieriger die Aufnahmebedingungen, desto höher die Qualität des Studiums. Je weniger Studienplätze, desto wertvoller das Studium. Je wertvoller das Studium, desto höher die Bereitschaft, über seine Grenzen hinauszugehen. Je höher die Bereitschaft, desto höher die Investition. Je höher die Investition, desto wertvoller Studium.

Es findet eine Überbewertungsspirale statt. Dieser Wert orientiert sich an der Exklusivität und nicht der Sache selbst. Das Studium wird attraktiv gedeutet, weil es exklusiv ist und nicht, weil die Zukunft, für die es ausbildet, attraktiv ist. Damit wird ein Grundbaustein für das Verständnis für die Arbeit als Schauspieler:in gelegt. Der Wert der Ausbildung wird auf die zukünftige Arbeit am Theater übertragen. Auch hier gilt: Erfolg bleibt ein Geheimnis. Hauptsache durchbeissen und Glück haben, dass irgendwann jemand anbeisst.

Auch in der Berufswelt spielt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage eine massgebende Rolle. Je weniger Plätze, desto wertvoller der Arbeitsplatz. Und weil man sich glücklich schätzen kann, einen wertvollen Arbeitsplatz zu haben, ist die Bereitschaft auch höher, mal wegzuschauen, wenn geschrien wird, wenn die Ruhezeiten nicht eingehalten werden, wenn man nicht gehört wird, wenn man nicht weiss, wie man morgen, übermorgen oder nächsten Monat arbeitet und wie man sein Leben finanzieren soll. Was für ein Glück, einen so wertvollen Platz zu haben, da seh ich vor lauter Sonnenstrahlen die fehlende Anerkennung, die Unterbezahlung, die Perspektivenlosigkeit und den Machtmissbrauch gar nicht mehr. Und ausserdem, wem es nicht passt, kann gehen, es gibt genug andere. Wir haben gelernt, dass wir uns davor fürchten sollen ersetzt zu werden, weil es nicht genug Plätze gibt. Aber diese Beschränkung rechtfertigt die Beschränktheit der Arbeitsbedingungen nicht.

Mit dieser Grundeinstellung brauchen wir uns nicht zu wundern, weshalb unsere Rechte systematisch untergraben werden und sich die Arbeitsbedingungen nicht weiterentwickeln. Unsere Arbeitsbedingungen sind ein Resultat des Systems, welches auch wir sind. Und wir werden behandelt, wie wir uns behandeln lassen. Wir müssen lernen, zusammen Grenzen zu setzen. Nein zu sagen, und zusammen faire Arbeitsbedingungen einzufordern. Anstelle von Angst, von Kolleg:innen ersetzt zu werden, muss neues Vertrauen aufgebaut werden, dass wir für einander einstehen.

Nur so können wir den Damm durchbrechen, um eine faire Arbeits- und Lebensgrundlage für Künstler:innen am Theater zu schaffen.

*Yan Balistoy ist ein multidisziplinärer Künstler. Er immigrierte in seiner Kindheit in die Schweiz. Seit seinem Schauspielstudium an der Zürcher Hochschule der Künste arbeitet er im Film und auf der Bühne. Aktuell ist er am Theater Neumarkt in Zürich engagiert, wo er seine erste Arbeit als Regisseur verwirklichen wird.

1 Kommentar
  1. Toni Kleimann
    Toni Kleimann sagte:

    Wahrscheinlich zum abertausendsten Mal dieselbe Klage. Die „Häuser“ (Arbeitgeber*innen) spielen mit der Unsolidarität der Bühnenkünstler*innen. Dieses „Game“ haben schon andere Branchen überwunden. Gemeinsam geht es.

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