Kommentar: Theater ohne Spektakel

Das Zürcher Theater Spektakel verliert einen grossen Teil des Charmes: der Basar, der Markt der kleinen, schrägen, bunten Stände und Künstler*innen, findet nicht mehr statt.

Ich sass vor dreissig Jahren nachmittags mit meinem bedruckten weissblauen Tuch am Rande des Theater Spektakels, vor mir die Tarot-Karten, neben mir irgendwelche Akrobat*innen und Jongleure, jemand, der Kindern Tiermasken schminkte oder Ballone knüpfte, ein oder zwei Leute, die Silberschmuck aus Indien oder der Türkei verkauften. Alle wild durcheinander, alle lachend miteinander.

Und: Überall Familien mit Kindern, grossäugigen Kindern, die einem Magier zuschauten, wie er Papierblumen aus dem Mund zog. Oder einem muskulösen Mann mit freiem Oberkörper, der abwechslungsweise Schwerter schluckte und Feuer spuckte. Teenager, die sich die Haare flechten liessen. Die sich ihr erstes Schmuckbändchen oder Anhängerchen für den Schatz kauften, oder einen Ring mit diesem grünen Stein. Handgeknüpfte Freundschaftsbändchen in der Reggae-Trikolore. Das war das Spektakel. Das hat viele Familien näher zur Kultur gebracht. Ich selbst kam über das Theater Spektakel überhaupt erst mit den Darstellenden Künsten in Berührung, wie viele folgende Generationen auch.

Natürlich hat sich das Theater Spektakel seither verändert, ist professioneller geworden, was auch gut ist. Für die Szene und für die Darstellenden Künste. Bisher konnte es sich aber wenigstens einen Rest des Spektakel-Flairs erhalten. Das ist jetzt vorbei.

Das Team Theater Spektakel hat den Basar abgeschafft. Kein wilder Jahrmarkt mehr, keine Wahrsager, keine aus Indien importierten Bauchtaschen und Patschuli-Gestank. Was wurde aus den Luftballonkünstlern, die früher am Uferweg standen? «Die fanden wir weder künstlerisch besonders interessant noch ökologisch besonders sinnvoll», sagt Matthias von Hartz vom Spektakel-Team im Tagesanzeiger. Er könne verstehen, dass Kinder sie vermissten, doch für die Kleinen biete man dieses Jahr im Gegenzug noch mehr Programm.

Spektakel ist fertig. Jetzt gibt es „Programme und Angebote“ für Kinder. Als ob man Kinder programmieren müsste. Das Spektakel im Theater Spektakel war und ist nicht den professionell inszenierten Aufführungen geschuldet, sondern dem chaotischen, anarchischen Markt und dem echten Leben rund ums Areal.

Die freien Strassenkünstler*innen werden inzwischen klar reglementiert, mit eng abgesteckten Bereichen, wo sie „wild“ sein dürfen. Natürlich ist auch die Zeit begrenzt.

Warum hat man den lebendigen und bunten Markt aus dem Anlass entfernt? Es gehe bei Entscheidungen, die das Leitungsteam treffe, darum, den grossen Kontext im Auge zu behalten, verteidigt sich von Hartz. Und es gehe um die Frage: «Wie entwickeln wir das Theater Spektakel zukünftig weiter?» Am Spektakel etwas grundsätzlich zu verändern, «sei aber nicht die Intention».

Das ist misslungen. Das Spektakel ist weg. Was bleibt ist ein bis ins letzte Detail sauber und geleckt kuratierter und organisierter Theaterevent, mit teurer Gastronomie und für ein gesetztes Publikum aus älteren Gymnasial-Lehrer*innen und pensionierten Grafikern. Der Geist des Spektakels, geboren aus dem anarchischen Chaos der 80er-Jahre, hat sich mit dem Verschwinden des Basars aus dem Event verabschiedet.

Es gibt noch eine Tarot-Kartenlegerin. Sie hat bei einer der Gastro-Hütten Unterschlupf gefunden und darf sich abends da installieren. Und es gibt auch noch Kinderschminken. Aus dem Basar herausgelöst. Als Angebot im „Programm“.

Wieso erinnert mich das an den Tag, an dem ich das erste Mal Che-Guevarra-Tshirts im H&M gesehen hab?

 

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