«Stimme und Psyche sind eng verbunden»

Was haben Salbei und Rauchen gemeinsam? Und wie bereitet man seine Stimme für den grossen Auftritt vor? Logopädin Camilla Weber Berg gibt Antworten.

Mit der Logopädin Camilla Weber Berg sprach Marisa Jüni. Der Fokus des Gesprächs richtet sich auf intensive Stimmnutzung in beruflichem Kontext der Darstellenden Künste.

Was sind die häufigsten Stimmprobleme bei Schauspieler*innen und Sänger*innen?

Camilla Weber Berg: Schauspieler*innen und Sänger*innen lassen sich in Bezug auf stimmliche Herausforderungen nicht einfach über einen Kamm scheren. Während Schauspieler*innen vor allem mit ihrer Sprechstimme arbeiten, sind Sänger*innen auf ihre Singstimme angewiesen – das stellt unterschiedliche Anforderungen an die Funktion des Kehlkopfs.

Stimmprobleme bei Schauspieler*innen entstehen beispielsweise dann, wenn eine Rolle stimmlich nicht zu den individuellen Möglichkeiten passt. Was beide Berufsgruppen jedoch verbindet: Überbeanspruchung, falscher Gebrauch der Stimme oder das «Performen» trotz Krankheit können zu Heiserkeit, Stimmmüdigkeit, einem Druck- oder Klossgefühl im Hals und im schlimmsten Fall sogar zu Stimmverlust führen.

Wie wichtig ist Vocal Rest für Bühnenkünstler*innen? Gibt es bestimmte Regeln?

Es gibt keine allgemeingültigen Regeln. Vielmehr ist es entscheidend, dass jede*r ein feines Gespür für die eigenen körperlichen und stimmlichen Grenzen entwickelt und lernt, diese auch zu respektieren. Nur wer die eigene Belastbarkeit kennt, kann stimmlich nachhaltig arbeiten. Grundsätzlich sind Frauenstimmen anfälliger, da die Stimmlippen mit höherer Frequenz schwingen.

Spielt der Dialekt eine Rolle in der Stimmarbeit?

Ja, Dialekte beeinflussen die Klangfarbe der Stimme deutlich. Je nach Region klingt die Stimme eher eng, hochfrequent oder offen. Der Dialekt verändert den Mundraum als Resonanzraum, und gleichzeitig wird der Stimmklang auch durch individuelle Sprechgewohnheiten geprägt. Es handelt sich also stets um ein Zusammenspiel zwischen regionaler Färbung und persönlichem Ausdruck.

Im Vergleich zum Berndeutsch werden im Ostschweizer Dialekt die Vokale weiter hinten im Mundraum und mit einem verlängerten Vokaltrakt gebildet. Das führt zu einer ganz eigenen Klangfarbe.


Zur Person: Camilla Weber Berg studierte Logopädie an der Uni Fribourg und absolvierte eine Weiterbildung  „Singstimme – Fehlfunktionen erkennen, abbauen, vermeiden“ an der Hochschule der Künste Bern. Sie bezeichnet sich selbst als Hobbysängerin und fokussiert in ihren Arbeiten auf einen ganzheitlichen Ansatz von Stimme und Körper.


Wie wirken sich Emotionen auf die Stimme aus und wie kann man das bewusst steuern?

Emotionen wirken über Körperspannung und Atmung direkt und meist unbewusst auf die Stimme ein. Von Menschen auf der Bühne wird erwartet, dass sie ihre Gefühle zwar wahrnehmen und zulassen, zugleich aber in der Lage sind, diese mit Hilfe ihres geschulten Körperbewusstseins, ihrer Atemtechnik und ihres stimmlichen Könnens gezielt zu steuern.

Wie eng sind Stimme und Psyche miteinander verknüpft? Kann Stress die Stimme verändern?

Stimme und Psyche sind eng verbunden. Unsere seelische Verfassung zeigt sich in der Körperspannung, der Atmung und somit auch in der Stimme. Umgekehrt kann eine veränderte Stimme auch das psychische Empfinden beeinflussen. Bei chronischem Stress besteht die Tendenz, mit erhöhtem Luftdruck zu sprechen. Das kann zu Hustenreiz, Heiserkeit oder einem unangenehmen Gefühl im Kehlkopf führen.

Gibt es Techniken aus der Logopädie, um die Stimme trotz Nervosität zu stabilisieren?

Die Stimme ist wie ein Instrument: Je bewusster und geübter man die einzelnen Anteile kennt, also Körper, Atmung und Stimme, desto sicherer kann man sie auch unter Nervosität einsetzen. In der Logopädie lernt man, diese Bausteine gezielt wahrzunehmen, zu trainieren und wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Es gibt nicht nur eine einzige Übung, sondern viele verschiedene, die individuell angepasst werden. Die Stimme bleibt dabei immer ein Stück weit unberechenbar, aber auch authentisch.

Was passiert bei einer Vocal Massage und für wen ist sie geeignet?

Der Begriff ist nicht einheitlich definiert. Grundsätzlich geht es darum, durch gezielte Berührung oder Massage bestimmte Anteile des „Instrumentes Mensch“ zu lockern. So kann z. B. die Muskulatur des Kehlkopfes gelöst werden, was eine freiere, resonanzreichere Stimmgebung ermöglicht.

Kann man solche Techniken auch selbst anwenden?

Ja, man kann lernen, etwa die Kehlkopfmuskulatur oder das Zwerchfell gezielt zu entspannen. Das sollte aber immer von einer Fachperson angeleitet werden.

Welche Rolle spielt die Atmung bei der Entspannung der Stimme?

Eine Zentrale. Die Atmung ist der Motor der Stimmlippenschwingung, vergleichbar mit dem Bogen, der bei einem Streichinstrument die Saiten in Bewegung bringt. Stimmlippen reagieren unmittelbar auf den Atemfluss. Deshalb ist es wichtig, den Atemfluss zu spüren, viele verwechseln diesen mit Atemdruck. Während der Einatmung sollten die Stimmlippen entspannt sein und sich vollständig öffnen. Wenn das nicht geschieht, fehlt dem Kehlkopf die kurze Entspannungspause. Das kann zu funktionellen Stimmproblemen führen.
Stimme im Alltag

Welche Alltagsgewohnheiten schaden der Stimme, ohne dass wir es merken?
Stress, häufiges Räuspern, Rauchen, zu wenig Flüssigkeit, trockene Luft, lautes oder dauerhaftes Flüstern und Schlafmangel. Auch das häufige Lutschen oder Trinken von Produkten mit Salbei, Menthol oder Kamille, sei es als Tee, Bonbons oder Kaugummi, kann kontraproduktiv sein.

Gibt es Routinen, um die Stimme langfristig gesund zu halten?

Eine sehr verbreitete Übung ist LAX VOX: Man blubbert mit der Stimme durch einen Silikonschlauch in eine Wasserflasche. Der rückströmende Luftdruck aus dem Schlauch wirkt wie eine sanfte Massage und unterstützt die Schwingungsbewegung der Stimmlippen. Das führt bei vielen Menschen zu einer entspannteren Stimmgebung.

Wichtig ist, dass man die Übung regelmässig macht und dabei auch Haltung und Atmung beachtet. Zusätzlich helfen Atemübungen, dehnende Körperbewegungen und Ausdauersport. Ganz wesentlich ist: Jede*r sollte für sich herausfinden, welche Massnahmen dem eigenen Instrument guttun.

Wie kann man sich auf eine stimmlich herausfordernde Produktion vorbereiten?

Neben gezieltem Stimmtraining gehören ausreichend Schlaf und ein guter emotionaler Ausgleich unbedingt dazu, denn die Stimme reagiert sehr sensibel auf unser inneres Befinden. Wer seine Stimme wirklich schützen und stärken möchte, sollte daher Körper, Geist und Seele als Einheit betrachten und liebevoll pflegen.

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