«Darsteller*innen brauchen hohe Stressresistenz»
Rahel Hubacher, ausgebildete Psychologin und Schauspielerin, begleitet neu das Ensemble des Schauspielhauses Zürich sowohl als Ensemble-Psychologin wie auch als Mitglied. Wir sprachen über die Herausforderungen dieser neu geschaffenen Position.
Interview: Reda El Arbi / Bild: Ona Pinkus
Frau Hubacher, Sie besetzen als Schauspielerin und ausgebildete Psychologin die neue Stelle „Psychologische Begleitung“ am Schauspielhaus. Was muss man sich unter dieser neu geschaffenen Position vorstellen?
Diese neue Position, wir nennen sie «Ensemble-Psychologie», wird am Schauspielhaus mit der Intendanz Karabulut/Sanchez ab der Spielzeit 2025/26 eingeführt. Sie ist aus dem Anliegen entstanden, der Gesundheit und dem kreativen Potenzial des Ensembles Sorge zu tragen. Es handelt sich dabei um eine Position, die im künstlerischen Praxisalltag verankert ist und sich von innen heraus, aus dem Ensemble heraus, für eine gesundheitsfördernde Arbeitsatmosphäre engagiert.
Welche Themen erwarten Sie in ihrem zukünftigen Alltag?
Ich erwarte erstmal alle Themen. Es ist ein Neubeginn, das ist komplex. Einige aus dem Ensemble ziehen für das Engagement neu nach Zürich, andere sind schon länger da und mit der Stadt und den bisherigen betrieblichen Strukturen vertraut. Eine Offenheit für Neues brauchen also alle. Es ist ein grosses, generationendurchmischtes Ensemble mit über 30 Positionen.
Wenn es uns von Beginn an gelingt, gemeinsam einen starken Ensemblezusammenhalt zu entwickeln, werden wir eine sehr kraftvolle Ressource haben. Einen guten Boden für das kreative Schaffen. Es liegt mir am Herzen, mitten in der dichten Proben- und Aufführungspraxis, die ein Repertoirebetrieb von der Grösse des Schauspielhauses mit sich bringt; Zeit, Raum und Gefässe zu schaffen, die einen vertrauensvollen Ensemblezusammenhalt fördern.
(Fortsetzung nach der Info-Box.)
Zur Person
Rahel Hubacher ist als Schauspielerin und Psychologin Msc. mit den strukturellen Besonderheiten von Theaterinstitutionen vertraut und kennt die damit verbundenen Herausforderungen für darstellende Künstler:innen von innen heraus. Ab Spielzeit 2025/26 ist Rahel Hubacher Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich und übernimmt die am Haus neu geschaffene Position der Ensemblepsychologin.
Stehen Darsteller*innen unter einem höheren psychischen Druck als Menschen in anderen Berufsfeldern?
Der Theaterbetrieb ist schwer vergleichbar mit anderen Berufsfeldern. Statistisch gesehen liegt die höchste psychische Belastung bei den Berufen im Gesundheitswesen. Bei uns im Theater sind es, wie in anderen Branchen auch, spezifische Aspekte, die Druck auslösen. Einige davon sind strukturell bedingt, wie die unregelmässigen Arbeitszeiten, die Vereinbarung von Beruf und Familie, oder die Angst vor der existentiellen Unsicherheit, die das Berufsleben von darstellenden Künstler*innen begleitet.
Andere Herausforderungen können im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit entstehen. Schauspieler*innen arbeiten mit ihrem eigenen Körper, ihren Emotionen und Gedanken. Sie brauchen dafür eine grosse Durchlässigkeit, ein hohes Einfühlungsvermögen, Hingabe, Kreativität, eine hohe intrinsische Motivation und eine ausgelassene Spielfreude. Gleichzeitig brauchen sie aber auch eine hohe Stressresistenz und Belastbarkeit. Da können z.B. negative Kritik und wertende Zuschreibungen von aussen Druck auslösen. Bei Darsteller*innen ist das «künstlerische Produkt» eng verwoben mit der Person.
Darsteller*innen begeben sich oft in eine intime und intensive Nähe zueinander. Entsteht da mehr Konfliktpotential oder eher mehr gegenseitiges Verständnis?
Die Fähigkeit Nähe herzustellen und zuzulassen und eine tiefere Beziehung zueinander aufzubauen, schafft grundsätzlich gegenseitiges Verständnis. Manchmal erleben wir im Theater diese verbindende Nähe während einer begrenzten Zeitdauer. Für eine Produktion. Oder über mehrere Jahre in einem Ensemble vielleicht. Irgendwann finden sich alle in neuen Städten und neuen künstlerischen Zusammenhängen wieder. Somit bringt diese Nähe im Arbeitsalltag auch immer wieder eine Art des Loslassenmüssens mit sich.
Manchmal lässt sie sich jahrelang über Distanz aufrechterhalten, manchmal verliert man sich aus den Augen. Menschen in einem Ensemble verfügen über ein verinnerlichtes Wissen darum. Ein guter Ensemblezusammenhalt zeichnet sich in konflikthaften Momenten dadurch aus, dass es immer Bemühungen geben wird, dieses Wissen zu Nähe und Distanz zu nutzen, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen.
Darsteller*innen schlüpfen in andere Rollen, spielen andere Charaktere, müssen sich in der Rolle gar von der eigenen psychischen Befindlichkeit entfernen. Sie spielen z.B. fröhliche Rollen, auch wenn sie sich selbst an einem psychischen Tiefpunkt befinden. Ist das aus psychologischer Sicht noch gesund?
Wenn wir als Darsteller*innen hinter der Stückaussage stehen können, wenn wir wissen und verstehen, warum wir die Rolle so spielen wollen und was wir damit erzählen wollen, dann haben wir eine gute Ausgangslage. Also, wenn wir einen selbstbestimmten Zugang haben, zu dem, was wir auf der Bühne tun, dann können wir im Spiel sehr weit gehen und befinden wir uns aus psychologischer Sicht in einem gesunden Bereich.
Es gibt viele bekannte Schicksale, in denen gerade Comedians unter schweren Depressionen litten und einen endgültigen Ausweg suchten, Robin Williams ist nur ein Beispiel. Sind Depressionen unter Darstellenden häufiger? Gibt es dazu Zahlen?
Ich kenne keine fundierten Zahlen dazu. Studien, die auf Gesundheitsdaten der Bevölkerung basieren, zeigen, dass depressive Erkrankungen in allen Berufen auftreten können.
Bei Comedians ist es jedoch besonders komplex, weil sich Comedy darauf versteht, die tiefsten menschlichen Abgründe in eine satirische oder humorvolle Überhöhung zu transformieren. Comedians schreiben ihre Texte oft selbst und schöpfen aus dem eigenen Erkenntnisfundus.
Wenn psychische Erkrankungen wie Depressionen unbehandelt bleiben, verstärkt sich der Leidensdruck. Es ist wichtig, fachliche Hilfe anzunehmen und nicht damit in die Arbeit auszuweichen. Ein Frühwarnzeichen für Darsteller*innen kann sein, wenn die Bühne zum Erholungsort von sich selbst wird. Wenn es nur noch da möglich ist, die Facetten der ganzen Gefühlspalette zu aktivieren.
Muss man nicht bis zu einem gewissen Punkt narzisstische Persönlichkeitsanteile haben, um sich auf eine Bühne, in den Fokus der Aufmerksamkeit zu begeben, oder ist das ein Vorurteil?
Ich denke, das ist ein Vorurteil. Was es sicher braucht, ist eine hohe Empathiefähigkeit und ein grosses Vorstellungsvermögen. Es gibt von den Persönlichkeitsanteilen her gesehen keine typische Zauberformel für Schauspieler*innen. Alle verfügen über einzigartige, komplexe Zusammensetzungen und Mischungen von Persönlichkeitsanteilen.
Interessanterweise beschreiben viele Schauspieler*innen in meinem Umfeld, dass es ihnen schwerer fällt, privat im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen, als in einer Rolle ins Scheinwerferlicht zu treten.
Aus den üblichen People-Magazinen erfährt man, dass erfolgreiche Stars in Hollywood oft ein Problem mit Sucht und Substanzmissbrauch haben. Ist diese Wahrnehmung verfälscht? Oder ist es mehr der Erfolg als der Beruf, der diese Schattenseite der Schauspielerei immer wieder öffentlich werden lässt?
Grundsätzlich habe ich grossen Respekt vor allen Personen, die mit ihren eigenen persönlichen Erfahrungsberichten dazu beitragen, der Stigmatisierung von Suchterkrankungen entgegenzuwirken. Ob im Surprise Magazin oder in der Vogue. Wenn erfolgreiche Stars ihre Reichweite nutzen, um damit zur Sensibilisierung und Prävention beizutragen, kann das eine Wirkkraft haben.
Es kann Verständnis schaffen, wie wichtig es ist, Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Auch für Angehörige. Wie in People-Magazinen darüber berichtet wird, ist eine andere Geschichte. Dort wird oftmals eher einfach ein Klischee gefestigt. Mit der Hollywoodindustrie wird zudem ein ganz anderes Umfeld angesprochen, das lässt sich nicht mit der Arbeit am Stadttheater gleichsetzten.
Die unregelmässigen Arbeitszeiten, die Schwierigkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, schaffen zusätzlichen Stress. Dazu kommt das Gefälle zwischen den aktiven Zeiten der Aufführungen und den Löchern zwischen den Engagements. Kann da eine Psychologin helfen?
Ja genau, da kann der Blickwinkel aus der Psychologie hilfreich sein. Im Arbeitsalltag einen geschützten Raum für vertrauensvolle Gespräche zur Verfügung zu stellen und konkrete Herausforderungen zeitnah besprechen zu können, bevor sie grösser werden und zu Belastungssituationen heranwachen, gehört in den Aufgabenbereich der «Ensemble-Psychologie». Auch die Weiterführung davon gehört dazu: aus den Praxiserkenntnissen vom Ensemble, Anregungen abzuleiten, die ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen.
Am Schauspielhaus stehe ich in der Funktion als «Ensemble-Psychologin» in engem Austausch mit der Agentin für Diversität, Dr. phil. Yuvviki Dioh. Sie hat in den vergangenen Jahren eine Diversität-orientierte Organisationsentwicklung mitgestaltet und vorangebracht. Gemeinsam werden wir uns in den beiden Funktionen für eine wertschätzende, künstlerische Zusammenarbeit im ganzen Haus engagieren.
Was müsste sich ändern oder verbessern, um die mentale Gesundheit im Bereich Bühnenarbeit für alle Beteiligten zu verbessern?
Es braucht eine Wachheit, eine Zuwendung und ein Dranbleiben auf verschiedenen Flughöhen. Gleichzeitig. Kontinuierlich. Die wertvollen kleinen Schritte im Alltag, die zu einer guten Zusammenarbeit mit allen Abteilungen beitragen, sind dabei nicht zu unterschätzen. Tag für Tag in der konkreten Zusammenarbeit. Ein gesundes und wertschätzendes Arbeitsklima festigt sich im täglichen Miteinander und wird von allen mitgetragen.
Gleichzeitig zu wissen, dass strukturelle Veränderungen im Theaterbetrieb nicht anhand einer To-do-Liste abgehakt und erledigt werden können. Im Hinblick auf die zukünftige Arbeit im Schauspielhaus freue ich mich, dass die Co-Intendanz Karabulut/Sanchez mit einer offenen Haltung und einem Wissen, dass sinnhafte Anpassungen und strukturelle Wandlungen fortwährend dazugehören, dafür einen ermöglichenden Rahmen bieten.
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