„Workshop: Vorbereitung auf ein Casting“ Interview und Eindrücke

Am 28. November und 5. Dezember organisierte das Büro von ScèneSuisse in der Romandie zwei Workshops mit David Baranes zum Thema „Comment mieux appréhender son casting“, die bei den Teilnehmer*innen ein voller Erfolg waren.

Text von Viviane Bonelli

Viviane Bonelli nutzte die Gelegenheit, um dem Referenten David Baranes einige Fragen zu stellen:

Wie haben Sie den ersten Tag mit den Schweizer Schauspieler*innen verbracht?

Es war das erste Mal, dass ich in die Schweiz gekommen bin, um den Workshop anzubieten, den ich sonst  nur in Frankreich anbiete. Alles in allem war es eine sehr angenehme Erfahrung, die Schauspieler*innen waren sehr aufnahmefähig und hörten zu. Ich bin wirklich begeistert von dieser Begegnung und wurde zudem sehr freundlich empfangen.

Haben Sie vor, die Künstler*innen, die Sie in der Schweiz gesehen haben, ein weiteres Mal einzusetzen?

Ja, ich werde an einem Film arbeiten, der in Deutschland und Frankreich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt. Dafür brauche ich Schauspieler*innen, die einen deutschen Akzent haben und die beide Sprachen sprechen. Es war eine tolle Überraschung, dass die Schweizer Schauspieler*innen grösstenteils zweisprachig sind. Man denkt im ersten Moment, im Vergleich zu deutschen Schauspieler*innen, nicht unbedingt daran.

Was hat Sie an diesem Tag am meisten beeindruckt?

Die Motivation der Schauspielern*innen aus der Schweiz, die ihre Karriere außerhalb des Landes entwickeln.

Ich fand es gut, Personen mit deutscher Muttersprachen auf Französisch spielen zu sehen.

David Baranes, Casting-Direktor

Was ist für Sie der grundlegende Unterschied zwischen französischen Schauspielerinnen und Schauspielern?

Ich frage mich, ob es den oder die typische Schweizer Schauspieler*in gibt? Sie wirken generell zwar etwas ernster, hatten ihre Texte aber sehr gut gelernt und es war sehr angenehm mit ihnen zu arbeiten. Ich fand es gut, Personen mit deutscher Muttersprachen auf Französisch spielen zu sehen.

Würden Sie wieder in die Schweiz kommen?

Ja, natürlich gerne.

Was haben Ihnen die Genfer Schauspieler*innen gebracht?

Energie und Lust zu arbeiten.

Was hat Sie an den zwei Tagen des Workshops in der französischsprachigen Schweiz am meisten positiv überrascht?

Die Motivation der Schauspieler und die Lust, zu experimentieren und ihre Grenzen zu öffnen.

Es ist ein Hype, der gerade erst entsteht und nach Ausdruck verlangt – ein Markt, der nur darauf wartet, zu explodieren.

Sie sprechen von der Begeisterung des französischen Marktes für belgische Schauspieler, wie denken sie über die Zukunft von Schweizer Schauspieler*innen auf dem Französischen Markt nach?

Es ist ein Hype, der gerade erst entsteht und nach Ausdruck verlangt – ein Markt, der nur darauf wartet, zu explodieren. Dieser Reflex ist quasi vorgezeichnet, den es in Frankreich so noch nicht gibt. Man denkt in erster Linie ausserhalb Frankreichs an belgische Schauspieler*innen, aber nicht direkt an die Schweiz. Einen französischen Casting-Direktor einzuladen, ermöglicht es uns zu zeigen, dass es hier Schauspieler*innen gibt, die es zu entdecken gilt. Die Schweiz ist in der Distanz von Frankreich nicht weiter entfernt als Belgien. Wenn wir diese Workshops also weiter ausbauen, werden wir voraussichtlich den Schweizer Markt in Paris entwickeln. Warum sollten die Belgier eine Chance haben und nicht auch die Westschweizer? Beide sprechen Französisch.

Hatten Sie eine positive Überraschung oder eine Entdeckung unter all diesen Schauspieler*innen?

Ja, ich habe mehrere entdeckt und insbesondere eine Schauspielerin hat sich deutlich von der Masse abgehoben.

Wenn Sie nach Paris zurückkehren, wie würden Sie dieses für Sie neue Casting-Gebiet Schweiz beschreiben?

Was die Infrastruktur und die Organisation betrifft, ist es sehr geordnet. Zudem würde ich verbreiten, dass die Schweiz ein echtes Potenzial an Schauspieler*innen zu bieten hat, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Schweizer Schauespieler*innen, das klingt exotisch! Wenn wir buntgemischte Castings machen, suchen wir überall in Frankreich und Belgien, aber eben bisher nicht in der Schweiz. Ich werde die Dringlichkeit betonen.

Sie sprechen zu Beginn des Workshops gerne über Ihre Anekdoten, warum?

Das sind Anekdoten, um zu erklären, wie ein Casting-Direktor auf diese/n und jene/n Schauspieler*in zugeht, um den/die Richtige zu finden. Sie erklären auch, wie man besser an das Casting herangeht, um eine Rolle zu bekommen!

Was Viviane Bonelli am meisten beeindruckt hat, ist, dass David Baranes ein wohlwollender Casting-Direktor ist, dem die Schauspieler*innen am Herzen liegen. Und was hielten die Schauspieler*innen von ihm?

„Davids Persönlichkeit war genau richtig für das Casting, er hat die Schauspieler*innen spielen lassen und ist ihnen mit viel Respekt und Ermutigung entgegengetreten (was meiner Erfahrung nach bei weitem nicht immer der Fall ist…). Außerdem war es toll, Kolleg*innen zu treffen und Zeit mit ihnen zu verbringen, die ich nicht kannte.“ Mathieu Z.

„Zunächst möchte ich dir dafür danken, dass du diesen Workshop möglich gemacht hast. Ich habe diese Zeit der Arbeit und der Begegnungen sehr genossen. Es wäre schön, wenn wir wieder
Workshops wie diesen mit Casting-Direktoren aus Frankreich oder der Westschweiz veranstalten können.“ Délia A.

 

Malcantone in Ticino: Agorà Teatro, Magliaso

A cura di Blue Sky

Il Malcantone è un territorio del Canton Ticino, comprensivo di diciannove comuni, che si estende dal Lago di Lugano fino al Monte Lema, costellato da piccoli villaggi, strade di montagna, grandi castagni e vigneti. Un tempo era attiva l’estrazione di minerali metallici di cui oggi restano solo alcuni reperti storici visitabili in diversi luoghi della regione e, nelle valli, è possibile visitare preziosi tesori artistici, culturali e musei caratteristici.

Ed è proprio in questa regione che si possono trovare perle rare dell’arte performativa in Ticino. Artisti e spazi di inusuale bellezza e alta professionalità, legati da un desiderio di condivisione della propria e altrui umanità. Dove l’arte si fa casa, diventa materia, nei corpi e prende valore tanto nella ricerca silenziosa quanto nei luoghi aperti al pubblico.

Blue Sky ha incontrato, per Ensemble, gli artisti del Malcantone associati a Scena Svizzera: Opera retablO di Ledwina Costantini, Salone Piazza Grande di Sandro Schneebeli, Teatro Agorà di Marzio Paioni e Olimpia De Girolamo, Teatro Lo Sgambetto per la direzione di Melanie Häner. Ognuno di loro è un microcosmo!

Intervista a Marzio Paioni e Olimpia de Girolamo, co-direttori artistici

A  Magliaso, a pochi passi dalle rive del lago c’è una casa che contiene un teatro, l’Agorà Teatro, casa delle arti, fondata nel 2005 da Marzio Paioni.

Ensemble Magazin: Perché costruire un teatro dentro una casa?

Marzio: Dopo gli anni di studio intensi tra Milano e Roma si è manifestato in me il forte desiderio di trasmettere ad altre persone ciò che di positivo stavo vivendo. Grotowski, in uno dei suo testi, parla di “avere una capanna” e da lì è arrivata l’ ispirazione: aprire uno spazio in casa per accogliere e comunicare. Agorà Teatro è nato, quindi, come un’esigenza umana, aldilà della scuola di teatro, di poter dire “Io sono qua” e condividere con altri umani la vita, un certo modo di pensare e di fare. Ho proprio voluto che la casa e il teatro fossero, nella stessa “capanna”, con una porta, come unica soglia per attraversare il confine. Ho voluto creare un luogo in cui le persone potessero entrare in relazione con se stessi e gli altri, per scoprire le proprie capacità interiori, la propria emotività, la propria capacità di comunicare.

Il teatro era luogo catartico dove vedendo qualcuno a cui accadono delle cose io ne esco rinnovato e purificato.

Marzio Paioni, Direttore artistico di Agorà Teatro

Quale è il significato del nome Agorà Teatro?

Agorà è un luogo di incontro, una piazza e indica, fin dall’antichità, un luogo comunitario. La parola Teatro nel suo senso originario significa fare comunità che è il motivo per cui i greci, più di duemila anni fa, lo hanno creato. Il teatro era luogo catartico dove vedendo qualcuno a cui accadono delle cose io ne esco rinnovato e purificato. 

Agorà Teatro vuole essere proprio questo: una piazza simbolica in cui le persone, sconosciute tra loro, possano incontrarsi per crescere e che il pubblico possa sentirsi vivo e partecipe. Il teatro è questo: abitare questo spazio tra me e te.

Sostare nella zona liminale della soglia tra casa e teatro, muove anche delle scelte etiche. Cerchiamo di vivere, nell’attitudine della vita quotidiana, una coerenza interna, che portiamo in scena e ai nostri allievi. Non potrebbe che essere così: avere un habitus, da portare, vivere e trasmettere. I nostri allievi vivono e abitano questa agorà: la porta d’ingresso del teatro è sempre aperta e loro possono venire per provare e allenarsi.

Avere un teatro come questo significa creare una comunità, tessere in un gruppo di persone che condividono valori: i nostri sono pacifici, la persona è al centro e niente è interessante se non la persona.

Quale è il fulcro del vostro lavoro?

Il fulcro del nostro lavoro è la parola persona e il suo potere personale. In questa agorà arrivano persone (“anime belle”) di professioni e età diverse che stanno cercando tutte la stessa cosa: un luogo dove poter finalmente riconnettersi con tutto ciò che il mondo fuori ci fa dimenticare. Avere un teatro come questo significa creare una comunità, tessere in un gruppo di persone che condividono valori: i nostri sono pacifici, la persona è al centro e niente è interessante se non la persona. Ne segue che uno dei valori fondanti è il lavoro fisico. Grotowsky ci insegnava questo: il training, con la sua disciplina, è l’opportunità di riscoprire il proprio corpo come canale per contattare l’essenza dell’essere persona, la propria anima.  La ricerca profonda con e nel corpo diventa lo strumento d’indagine sul mondo, crescita personale, spazio di relazione e creazione poetica.

Per questo siamo in contatto con il lavoro di Grotowski: presto tutto me stesso al personaggio, che ha un’anima, a cui mi metto a disposizione.

Come si traduce tutto questo nella vostra poetica?

Il teatro è il mezzo di studio dell’essere umano in tutte le sue forme e espressioni. La nostra poetica ha sempre a che fare con le questioni umane e nelle nostre creazioni si aprono sempre delle domande esistenziali sia negli spettacoli di produzione che in quelli dei corsi di formazione. Per questo siamo in contatto con il lavoro di Grotowski: presto tutto me stesso al personaggio, che ha un’anima, a cui mi metto a disposizione.  Il training, il lavoro vocale e l’ascolto sono fondamentali per schiudere le porte alla poesia. Al centro c’è sempre la persona e ascoltare l’altro è la vita. Cosa e dove mi sta toccando, cosa e come sento, come mi sta muovendo.

Ogni testo, ogni autore ci dà delle circostanze date e noi cerchiamo di contattarle. A volte ne creiamo di nostri, come in La Mar. E’ una ricerca nell’umano: cosa abbiamo a che fare  noi con questa storia? Quali sono gli agganci con la vita? Cosa succede lì? Non a caso l’origine greca della parola Teatro deriva da theaomi, guardare e si usava la parola oida, conosco che combacia con ho visto. Attraverso  il fatto di vedere il tuo comportamento che è più importante delle parole, così come l’ascolto, io vedo e conosco. Ed è sempre divertere: spostare lo sguardo.

In Agorà Teatro non c’è divisione tra formazione e produzione, c’è una cura assoluta in tutti i passaggi. È la nostra attitudine professionale, è una coerenza interna del nostro modo di fare teatro. Può cambiare la profondità del lavoro e lo spingersi oltre, ma non c’è mai una questione egocentrica.

Da quello che dite sembra che non ci sia una divisione netta tra il vostro lavoro di produzione e gli spettacoli dei corsi di formazione.

In Agorà Teatro non c’è divisione tra formazione e produzione, c’è una cura assoluta in tutti i passaggi. È la nostra attitudine professionale, è una coerenza interna del nostro modo di fare teatro. Può cambiare la profondità del lavoro e lo spingersi oltre, ma non c’è mai una questione egocentrica. I nostri allievi imparano ad andare in scena presentando al pubblico un lavoro basato sullo studio dei testi di diversi drammaturghi. Provano, con la propria esperienza, la fatica di che cosa significa costruire una scena, la disciplina del materiale, la cura dello spazio. Cerchiamo di trasmettere l’onestà di andare fino in fondo alle idee, anche le più folli e di scegliere quello che ti ha scelto, nel bene  e nel male.

Il percorso, con l’acquisizione delle tecniche teatrali, ha un grande valore che permette di andare a scoprire perché si sta facendo quella cosa.

La comprensione del training, così come la voce che è un grande rivelatore, arriva con il tempo, non è immediata e il livello del capire cognitivo arriva dopo l’aver percepito, sentito, vissuto. Il teatro è un veicolo per arrivare a tutto ciò. Il percorso, con l’acquisizione delle tecniche teatrali, ha un grande valore che permette di andare a scoprire perché si sta facendo quella cosa. E’ possibile far vedere le nostre ricchezze, le magnificenze che siamo.

Biografia

Agorà Teatro è un luogo fondato a Magliaso nel 2005 da Marzio Paioni per accogliere ed educare all’arte un’intera comunità. Attualmente la co-direzione artistica è di Marzio Paioni e  Olimpia De Girolamo con la consulenza artista e registica di Claudio Orlandini (co-fondatore) e  il sostegno del regista Philippe Blanc. Organizza corsi di formazione per bambini, ragazzi e adulti che sfociano in spettacoli finali. Realizza una rassegna Segni d’arte in cui sono previsti sia spettacoli sia incontri di formazione dedicati a tutta la società. Gli ultimi spettacoli prodotti per la regia di Claudio Orladini sono: La Mar, I Fisici, Barbuta e Il Grande Drago.

Malcantone im Tessin: Agorà Teatro, Magliaso

Text von Blue Sky

Der Malcantone ist ein Gebiet im Kanton Tessin, das neunzehn Gemeinden umfasst und sich vom Luganersee bis zum Monte Lema erstreckt, mit kleinen Dörfern, Bergstraßen, großen Kastanienbäumen und Weinbergen. Und genau in dieser Region befinden sich seltene Perlen der Tessiner Performancekunst.

Einst wurden Metallerze abgebaut, von denen heute nur noch wenige historische Artefakte erhalten sind, und in den Tälern können wertvolle Kunst- und Kulturschätze und charakteristische Museen besichtigt werden. Künstler*innen und Räume von ungewöhnlicher Schönheit und hoher Professionalität, die durch den Wunsch verbunden sind, ihr eigenes Menschsein mit den anderen zu teilen. Dort, wo sich die Kunst zu Hause fühlt, wird sie zu Materie, zu Körpern, und gewinnt an Wert sowohl in der stillen Suche wie auch an öffentlich zugänglichen Orten.

Blue Sky traf für Ensemble-Magazin die Künstler*innen des Malcantone, die  Mitglieder von ScenaSvizzera sind: Opera retablO von Ledwina Costantini, Salone Piazza Grande von Sandro Schneebeli, Teatro Agorà von Marzio Paioni und Olimpia De Girolamo und Teatro Lo Sgambetto unter der Leitung von Melanie Häner – jede und jeder von ihnen ist ein Mikrokosmos der Performancekunst!

Interview mit Marzio Paioni und Olimpia de Girolamo, den künstlerischen Leitern vom Agorà Teatro.

In Magliaso, nur einen Steinwurf vom Seeufer entfernt, befindet sich ein Haus, in dem sich ein Theater befindet, das Agorà Teatro, ein Haus der Künste, das 2005 von Marzio Paioni gegründet wurde.

Ensemble Magazin: Warum ein Theater in ein Haus bauen?

Marzio Paioni: Nach den Jahren des intensiven Studiums in Mailand und Rom entstand in mir der starke Wunsch, das, was ich positiv erlebte, an andere Menschen weiterzugeben. Grotowski spricht in einem seiner Texte davon, „eine Hütte zu haben“, und das ist der Ursprung der Inspiration: zu Hause einen Raum zu öffnen, um zu empfangen und zu kommunizieren. Agorà Teatro entstand also aus dem menschlichen Bedürfnis heraus, über die Theaterschule hinaus zu sagen: „Ich bin hier“ und das Leben, und eine bestimmte Art zu denken und zu handeln, mit anderen Menschen zu teilen. Ich wollte wirklich, dass das Haus und das Theater in der gleichen „Hütte“ sind, mit einer Tür als einziger Schwelle zum Überschreiten der Grenze. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen mit sich selbst und anderen in Beziehung treten können, um ihre inneren Fähigkeiten, ihre Emotionalität und ihre Kommunikationsfähigkeit zu entdecken.

Das Theater war ein kathartischer Ort, an dem ich erneuert und geläutert auftauche, wenn ich jemanden sah, dem Dinge widerfuhren.

Marzio Paioni, Künstlerische Leitung des Agorà Teatro

Welche Bedeutung hat der Name Agorà Teatro?

Die Agora ist ein Versammlungsort, ein Platz, der seit der Antike ein Ort der Gemeinschaft war. Das Wort Theater bedeutet in seiner ursprünglichen Bedeutung „Gemeinschaft bilden“, weshalb die Griechen es vor mehr als zweitausend Jahren schufen. Das Theater war ein kathartischer Ort, an dem ich erneuert und geläutert auftauche, wenn ich jemanden sah, dem Dinge widerfuhren. 

Das Agorà Teatro will genau das sein: ein symbolischer Platz, an dem Menschen, die sich nicht kennen, zusammenkommen und wachsen können, und an dem das Publikum sich lebendig fühlen und mitmachen kann. Das ist es, was Theater ausmacht: diesen Raum zwischen dir und mir zu bewohnen.

An der Schwelle zwischen Haus und Theater treffen wir auch ethische Entscheidungen. Wir versuchen, in der Haltung des täglichen Lebens eine innere Kohärenz zu leben, die wir auf die Bühne und zu unseren Schülern bringen. Es kann nur so sein: mit einem Habitus, der getragen, gelebt und weitergegeben wird. Unsere Studenten leben und bewohnen diese Agora: Die Haustür des Theaters steht immer offen und sie können zu den Proben und zum Training kommen.

Ein solches Theater zu haben, bedeutet, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gruppe von Menschen einzubinden, die gemeinsame Werte haben: Unsere sind friedlich, der Mensch steht im Mittelpunkt und nichts ist interessant außer dem Menschen.

Was ist der Schwerpunkt eurer Arbeit?

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht das Wort „Person“ und seine persönliche Kraft. In diese Agora kommen Menschen („schöne Seelen“) unterschiedlicher Berufe und Altersgruppen, die alle dasselbe suchen: einen Ort, an dem sie endlich wieder mit all dem in Verbindung treten können, was die Welt draußen uns vergessen lässt. Ein solches Theater zu haben, bedeutet, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gruppe von Menschen einzubinden, die gemeinsame Werte haben: Unsere sind friedlich, der Mensch steht im Mittelpunkt und nichts ist interessant außer dem Menschen. Daraus folgt, dass einer der Grundwerte die körperliche Arbeit ist. Grotowsky lehrte uns: Das Training mit seiner Disziplin ist die Gelegenheit, den eigenen Körper als Kanal für den Kontakt mit der Essenz des Menschseins, der eigenen Seele, wiederzuentdecken. Die tiefe Forschung mit und im Körper wird zum Instrument der Erforschung der Welt, des persönlichen Wachstums, des Raums für Beziehungen und des poetischen Schaffens.

Das ist der Grund, warum wir mit Grotowskis Werk in Berührung kommen: Ich leihe mein ganzes Ich der Figur, die eine Seele hat, der ich mich zur Verfügung stelle.

Wie überträgt sich das auf  eure Poetik?

Das Theater ist das Medium zur Erforschung des menschlichen Wesens in all seinen Formen und Ausdrucksweisen. Unsere Poesie befasst sich immer mit menschlichen Fragen, und existenzielle Fragen tauchen immer in unseren Kreationen auf, sowohl in der Produktion als auch in den Ausbildungskursen.  Das ist der Grund, warum wir mit Grotowskis Werk in Berührung kommen: Ich leihe mein ganzes Ich der Figur, die eine Seele hat, der ich mich zur Verfügung stelle.  Training, Stimmarbeit und Zuhören sind grundlegend, um die Tür zur Poesie zu öffnen. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch, und dem anderen zuzuhören, ist Leben. Was und wo es mich berührt, was und wie ich fühle, wie es mich bewegt.

Jeder Text, jeder Autor gibt uns bestimmte Umstände vor, und wir versuchen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Manchmal schaffen wir unsere eigenen, wie in La Mar. Es ist eine Suche im Menschlichen: Was haben wir mit dieser Geschichte zu tun? Welche Verbindungen gibt es zum Leben? Was geschieht dort? Es ist kein Zufall, dass der griechische Ursprung des Wortes Theater sich von theaomi, schauen, ableitet und das Wort oida, ich weiß, verwendet wird, das mit ich habe gesehen kombiniert wird. Indem ich dein Verhalten sehe, das wichtiger ist als Worte, und indem ich zuhöre, sehe und weiß ich. Und es macht immer wieder Spaß: den Blick zu wechseln.

Bei Agorà Teatro gibt es keine Trennung zwischen Ausbildung und Produktion, sondern absolute Sorgfalt in allen Schritten. Es ist unsere professionelle Einstellung, es ist eine innere Konsistenz unserer Art, Theater zu machen. Die Tiefe der Arbeit kann sich verändern, und wie weit wir gehen, aber es gibt nie ein egozentrisches Thema.

Nach dem, was ihr sagt, scheint es keine klare Trennung zwischen eurer Produktionsarbeit und euren Ausbildungskursen zu geben.

Bei Agorà Teatro gibt es keine Trennung zwischen Ausbildung und Produktion, sondern absolute Sorgfalt in allen Schritten. Es ist unsere professionelle Einstellung, es ist eine innere Konsistenz unserer Art, Theater zu machen. Die Tiefe der Arbeit kann sich verändern, und wie weit wir gehen, aber es gibt nie ein egozentrisches Thema. Unsere Schüler lernen, auf die Bühne zu gehen, indem sie dem Publikum ein Werk präsentieren, das auf dem Studium von Texten verschiedener Dramatiker beruht. Sie erleben die harte Arbeit, die es bedeutet, eine Szene zu bauen, die Disziplin des Materials, die Pflege des Raums. Wir versuchen, die Ehrlichkeit zu vermitteln, den Ideen auf den Grund zu gehen, selbst den verrücktesten, und das zu wählen, wofür man sich entschieden hat, zum Guten oder zum Schlechten.

Der Weg, auf dem man sich theatralische Techniken aneignet, hat einen großen Wert, der es einem ermöglicht, zu entdecken, warum man etwas tut.

Das Verstehen der Ausbildung, wie die Stimme, die ein großartiger Detektor ist, kommt mit der Zeit, es ist nicht sofort da, und die Ebene des kognitiven Verständnisses kommt, nachdem man wahrgenommen, gehört und erlebt hat. Das Theater ist ein Mittel, um dorthin zu gelangen. Der Weg, auf dem man sich theatralische Techniken aneignet, hat einen großen Wert, der es einem ermöglicht, zu entdecken, warum man etwas tut. Es ist möglich, unseren Reichtum zu zeigen, die Großartigkeit, die wir sind.

Biografie

Das Agorà Teatro wurde 2005 von Marzio Paioni in Magliaso gegründet, um eine ganze Gemeinschaft in die Kunst einzuführen und zu erziehen. Die künstlerische Leitung liegt derzeit bei Marzio Paioni und Olimpia De Girolamo, die von Claudio Orlandini (Mitbegründer) künstlerisch und regietechnisch beraten und von Regisseur Philippe Blanc unterstützt werden. Das Theater organisiert Ausbildungskurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die zu Abschlussaufführungen führen. Es veranstaltet ein Festival Segni d’arte (Zeichen der Kunst), bei dem sowohl Aufführungen als auch Fortbildungsveranstaltungen für die gesamte Bevölkerung stattfinden. Die neuesten Aufführungen unter der Leitung von Claudio Orladini sind: La Mar, I Fisici, Barbuta und Il Grande Drago.

Neue Meldungen schweizweit: Kulturprekariat und Stellenmeldepflicht

Im Bericht „Reiche Chefs, arme Tänzerinnen“ im Bund (19. November 2022) werden die Löhne in der Kulturbranche angesprochen. In der Berner Kulturbranche sind erstmals die Jahressaläre von Direktorinnen und Intendanten öffentlich. Die grosse Frage: Sind diese gerechtfertigt?

Zum ganzen Artikel geht es hier.

Warum die Löhne der Kulturspitze schweizweit nicht öffentlich sind, obwohl die Institutionen Subventionen in Millionenhöhe beziehen, hat laut Salva Leutenegger vom Berufsverband der darstellenden Künste SzeneSchweiz unter anderem politische Gründe. Da die Beiträge an die Kultur von bürgerlicher Seite regelmässig kritisiert werden, seien die Subventionsgeber unter Druck. «Die Löhne werden wohl auch deshalb unter Verschluss gehalten.»

«Branchenüblich» – wer die grossen Kulturinstitutionen in Bern zu den Löhnen ihrer Chefs und Chefinnen befragt, erhält ohne Ausnahme dieses Wort als Antwort. Zusammen mit: «Der Lohn ist angemessen.»

Salva Leutenegger, Verband der darstellenden Künste SzeneSchweiz

Kritik kommt aber häufig nicht bezüglich der höchsten Löhne. Sondern vor allem bezüglich der niedrigsten – und der grösser werdenden Lohnschere. Aktuell betragen die Mindestgagen für Festangestellte bei Bühnen Bern etwa für eine 100-Prozent-Stelle 54’600 Franken.

Vielfach müssen Kulturschaffende aber mit deutlich weniger auskommen: So haben sechs von zehn ein Gesamteinkommen von weniger als 40’000 Franken im Jahr – bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 45 Stunden, so eine Studie. Vielen drohe die Altersarmut. Dafür befragte das Forschungsbüro Ecoplan im Auftrag des Vereins Suisseculture Sociale und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia rund 10 Prozent aller Kulturschaffenden in der Schweiz. Auffallend wenig, sagt Salva Leutenegger vom Berufsverband der darstellenden Künste, verdienen Tänzerinnen und Tänzer.

Was in der darstellenden Kunst besonders wichtig sei: «Schafft es ein Haus, eine bekannte Person anzustellen, kriegt es nachweislich mehr Publikum, mehr Aufmerksamkeit, mehr Erfolg.»

Salva Leutenegger, Berfusverband der darstellenden Künste SzeneSchweiz

Als Hauptgrund, dass die grossen Häuser verhältnismässig tiefe Mindestlöhne zahlen, werde oft die Höhe der Subventionsbeiträge genannt, so Leutenegger – man müsse mit den Geldern arbeiten, die man erhalte.

Lange waren die Löhne bei den Kulturhäusern unter Verschluss, seit diesem Jahr gelten aber im Kanton Bern neue Richtlinien für öffentlich finanzierte Betriebe: Die Vergütungen in den Chefetagen müssen transparent gemachtwerden. Zu den grossen Institutionen, die diese nun ausweisen, gehören Bühnen Bern (220’000 Franken für Intendant Florian Scholz), das Kunstmuseum Bern mit dem Zentrum Paul Klee (248’000 Franken für Direktorin Nina Zimmer) und das Historische Museum (206’700 Franken für Direktor Thomas Pauli-Gabi).

Fairerweise müsste man alle Löhne und Honorare prüfen, die mit öffentlichen Geldern finanziertwerden. «Es kann nicht sein, dass man die Lohnhöhen in der Kultur beschränkt, aber in den anderen Bereichen keine Limiten setzt.»

Sandra Künzi, Co-Präsidentin von t. Theaterschaffen Schweiz

 

Seit April 2020, meldet SRF (16. November 2022), verteile Suisseculture Sociale Corona-Nothilfen an Künstlerinnen und Künstler – leider endet nun diese Unterstützung.

Zum ganzen Artikel und Audio-Beitrag geht es hier.

Die Trägerin des Sozialfonds des Dachverbands der Schweizer Kulturverbände hat bislang insgesamt 32 Millionen Franken ausbezahlt. Per Ende Jahr ist Schluss damit. Viele Kulturschaffende sehen sich deshalb in einer schwierigen Lage.

Nicht nur die wirtschaftliche Lage ist prekär, sondern auch die psychische.

Nicole Pfister Fetz, Präsidentin von Suisseculture Sociale

Die atypischen Arbeitsverhältnisse der Kulturschaffenden müsse man sich genauer anschauen und prüfen, wie man die Menschen in Zukunft optimal unterstützen könne. Diese Unterstützung muss den komplexen Arbeitsverhältnissen in der Kulturbranche gerecht werden.

 

Ein Drittel der offenen Stellen werde von Firmen gar nicht angezeigt, schreibt die NZZ (16.11.2022). Der Beruf mit der höchsten Arbeitslosenquote in der Schweiz ist derzeit jener des Schauspielers.

Zum ganzen Artikel geht es hier.

Auf der Liste stehen alle Berufe, die eine Arbeitslosenquote von über 5 Prozent aufweisen. Wenn Firmen Mitarbeitende in einer der aufgelisteten Berufsarten suchen, müssen sie die offenen Stellen einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden. Mit der Liste soll das Potenzial derinländischen Arbeitskräfte besser genutzt werden, ohne das Freizügigkeitsabkommen mit der EU zu gefährden. Die Stellenmeldepflicht besteht seit Juli 2018 und ist eine Antwort auf die Annahme der Initiative «Gegen Masseneinwanderung».

Zur Relevanz der Stellenmeldepflicht für Schauspieler sagt Silvan Gisler, Creative Director des Schauspielhauses Zürich:

Schauspiel ist ein Bereich, wo zum einen über Jahre gewachsene Arbeits- und Vertrauensbeziehungen zwischen Regie und Schauspielerinnen und Schauspielern sehr wichtig sind und zum anderen auch stets sehr spezifische Vorstellungen und damit auch Anforderungsprofile vorhanden sind.

Silvan Gisler, Creative Director des Schauspielhauses Zürich

Schauspieler seien schlecht untereinander ersetzbar, da jede Person ein eigenständiges künstlerisches Profil habe. Insofern sei aus künstlerischer Sicht die Stellenmeldepflicht zwar von geringer Relevanz – aber Teil der Gesetzgebung und des Vorgangs, den es zu respektieren gelte.

 

D | F | I Intimitätskoordination – ein Berufszweig auf der Überholspur

F et I ci-dessous | F e I di seguito

Gemäss der ersten zertifizierten Intimacy Coordinator Julia Effertz, unterstützt diese Berufsfeld den Entstehungs-Prozess intimer Szenen von der Vorbereitung, über den Dreh bis hin zur Post-Produktion.

Die Regie wird bei der Umsetzung ihrer kreativen Vision massgeblich durch den Intimacy Coordinator unterstützt und diese*r stellt sicher, dass Inhalte einvernehmlich entstehen und die Grenzen der Schauspieler*innen respektiert werden. Produktionen die mit Intimacy Coordination arbeiten verstehen die spezielle Schwierigkeit intimer Szenen und tragen Fürsorge für Cast und Crew.

Die Redaktion von Ensemble Magazin hat einen Medienspiegel für Sie zusammengestellt, der das Berufsfeld eingehender behandelt.

„Intimität fängt schon bei Kussszenen an. Jeder Kuss erzählt eine andere Geschichte, ist eine intime Berührung. Was auch sehr intim sein kann, ist eine Szene, in der eine Schauspielerin eine gebärende Frau spielt. Das ist mitunter sehr exponierend für die Schauspielerin.“

Julia Effertz, deutsche Intimitätskoordinatorin im Interview mit Edition F

Julia Effertz ist Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin – im Interview mit Edition F spricht sie über diesen neuen Berufszweig, warum er so wichtig für die Filmbranche ist und wozu beispielsweise Genitaltaschen genutzt werden. Effertz sorgt bei den Probesituationen dafür, dass die Grenzen von Schauspieler*innen beim Drehen intimer Szenen eingehalten werden und erklärt im Interview, wo die Schwierigkeiten hierfür liegen. Ein kleiner Auszug:

Wie bei jeder intimen Szene arbeite ich mit der Schauspielerin körperlich, stimmlich und emotional. Das Ziel ist auch hier, daß ihr privater Körper geschützt ist und sie mit ihrem Körper die Rolle und ihre Geschichte erzählen kann. Ich sorge dafür, wie auch bei anderen intimen Szenen, dass es der Schauspielerin am Set gut geht, dass sie etwa zwischen den Takes nicht entblößt daliegt, sondern dass ihr sofort nach dem ‘Danke’ der Bademantel gereicht wird. Im Idealfall sollte auch hier  ein ,Closed Set’-Protokoll mit minimaler Crew eingehalten werden.

und

„Ein choreografisches Hilfsmittel ist das ,Anchoring’, also die Bewegung über ,Anker’ anderer Körperstellen. Das kann man sich zum Beispiel so vorstellen: klassische Missionarsstellung, der Mann liegt über der Frau. Die Genitalbereiche berühren sich hierbei nicht, sondern der Schauspieler ankert seinen Oberschenkel an dem seiner Szenenpartnerin. Stoßbewegungen können dann über diese Ankerstelle ausgeführt werden. Je nachdem wie viel Nacktheit vereinbart ist, wird mit verschiedenen Kostümen gearbeitet. Das wären hautfarbene Slips oder sogenannte Genitaltaschen für Männer, in denen sie alles gut verpacken können.“

Es erschien ein weiterer Artikel über die Arbeit von Julia Effertz mit dem Titel „Ich bin nicht die Sexpolizei“ im Onlinemagazin ze.tt.

Einen kurzen Einblick in die Thematik gewährt das Format „100 Sekunden“ von SRF als Podcast. Er greift das Prinzip der fünf C’s auf, das auf den Punkt bringt, wie eine Intime Szene aufgebaut sein muss.

Mein privater Körper war durch die Intimitätskoordination völlig geschützt, mein Schauspielkörper füllte die Rolle ganz aus. Da habe ich verstanden: die Intimitätskoordination funktioniert. Sie sichert mich nicht nur ab, sie eröffnet mir auch absolute künstlerische Freiheiten.“

Julia Effertz

Eine weitere wichtige Intimitätskoordinatorin ist die junge Kalifornierin Amanda Blumenthal, die in den USA und Grossbritannien «Euphoria», «The L-Word» und «The Affair» begleitet. Sie sei als Sex- und Beziehungscoach tätig gewesen, als sie von der Stellenanzeige bei HBO hörte, erklärt sie im Interview mit der Annabelle.

Im Interview antwortet sie auf die Frage, ob sie viele Geschichten von Missbrauch am Set höre, folgendermassen:

„Allerdings, und es sind manchmal sehr extreme Geschichten: Von Regisseuren, die alle nachhause schicken, um ungestört die Hauptdarstellerin vergewaltigen zu können. Von Schauspielern, die während des Drehs backstage Sex haben. Von verbalen Entgleisungen nach dem Motto «Zeig mir deine Titten». Der Böse ist nicht immer der Regisseur, Übergriffe finden auch zwischen Setmitarbeitern oder Schauspielerkollegen statt.

Blumenthal spricht ausserdem darüber, dass auch das Erleben des Aggressors bei einer gewaltsamen Sexszene verstärkt thematisiert und mentoriert werden müsse, wie auch alle anderen Beteiligten, die dem Dreh beiwohnen und von den psychischen Herausforderungen einer solchen Szene betroffen sind.

Seit #MeToo herrscht unter den Männern grosse Nervosität. Viele haben Angst, sich falsch zu benehmen. Sie erkennen meist, dass wir dazu da sind, ihnen unangenehme Diskussionen abzunehmen, zu klären, wer sich wo anfassen darf und wie genau man sich küsst. Es verleiht Sicherheit, so eine vermittelnde, neutrale Person mit an Bord zu haben.

Amanda Blumenthal im Interview mit  Annabelle

Auf ihrer eigens für die Thematik kreierten Website „Intimacy professionals association“ teilt sie als führende internationale Organisation ihr Wissen mit Interessierten. Darunter ist eine Auflistung zu den wichtigsten Dienstleistungen eines Intimacy Coordinators zu finden:

  • Erleichterung des Dialogs zwischen den Schauspielern und dem Regisseur über ihr Wohlbefinden in Bezug auf den intimen Inhalt einer Szene
  • Emotionale Vorbereitung der Schauspieler auf intensive Intimitätsszenen, wie z. B. simulierte sexuelle Übergriffe, und Unterstützung während des gesamten Prozesses sowie emotionale Nachbetreuung, falls erforderlich
  • Sicherstellen, dass während des Drehs einer Szene die Grenzen der Schauspieler nicht überschritten werden und dass sie während des gesamten Drehs sowohl körperlich als auch emotional sicher bleiben
  • Bereitstellung einer sicheren Umgebung, in der die Schauspieler ihre Arbeit verrichten können
  • Sicherstellen, dass die Richtlinien für geschlossene Sets und SAG-Nacktheit eingehalten werden
  • Als Fürsprecher und Verbündeter für LGBTQIA+-Darsteller am Set fungieren
  • Choreografieren von simulierten Sexszenen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen
  • Koordination mit Abteilungen wie Kostümen und Make-up, um sicherzustellen, dass die Schauspieler mit angemessener Nacktheitskleidung, Barrieren und Prothesen ausgestattet sind

Weitere statistische Informationen, als auch weiterführende Informationen zur Ausbildungsmöglichkeit in Deutschland, erteilt das „kmbk“ – Beratung und Netzwerk für Künstler*innen, Kreative, Kultur- und Medienschaffende aus München.

In Wirklichkeit ist gar nichts spontan oder sexy. Sexszenen sind harte Arbeit, physisch und psychisch.

Amanda Blumenthal


La coordination de l’intimité – une profession en plein essor

Selon la première coordinatrice de l’intimité certifiée, Julia Effertz, la coordination de l’intimité est une profession en pleine évolution : ce domaine professionnel gère le processus de création de scènes de sexe intimes et dénudées, de la préparation à la post-production en passant par le tournage.

La direction est assurée par le coordinateur de l’intimité qui réalise sa vision créative et veille à ce que le contenu soit développé de manière consensuelle et que les limites des acteurs soient respectées. Les productions qui travaillent avec le coordinateur de l’intimité comprennent la difficulté spécifique des scènes intimes et prennent soin de la distribution et de l’équipe.

La rédaction du magazine Ensemble a réalisé pour vous une revue de presse qui explique plus en détail les ficelles du métier.

„L’intimité commence avec les scènes de baisers. Chaque baiser raconte une histoire différente, c’est un toucher intime. Même une scène dans laquelle une actrice joue une femme qui accouche peut être très intime. Cela expose parfois beaucoup l’actrice“.

Julia Effertz, coordinatrice allemande de l’intimité dans un entretien avec Edition F

Dans une interview accordée à Edition F., l’actrice allemande et coordinatrice d’Intimité, Julia Effertz, parle des spécificités de ce nouveau métier, expliquant l’importance de cette nouvelle figure pour l’industrie cinématographique et “ l’introduction de vêtements spécifiques comme les jockstraps, par exemple „. En situation de répétition, Julia Effertz veille à ce que les limites des acteurs* soient respectées lors du tournage de scènes intimes et explique quelles difficultés, le cas échéant, les acteurs rencontrent et comment elle parvient à les mettre à l’aise:

Pour chaque scène intime, je travaille avec l’actrice d’un point de vue physique, vocal et émotionnel. L’objectif est également de protéger l’intimité du corps et de pouvoir raconter le rôle et l’histoire à travers le corps. Je m’assure que l’actrice soit à l’aise sur le plateau, qu’elle ne soit pas exposée entre les prises, qu’on lui présente son peignoir au plus vite, immédiatement après le „coupé“. Idéalement, j’essaie également de faire respecter un protocole en „plateau fermé“ c’est-à-dire avec une équipe réduite.

Il existe également un dispositif chorégraphique appelé „ancrage“, qui permet d’éviter au maximum le contact entre les acteurs pendant une scène de sexe. Prenons l’exemple classique de la position du missionnaire: l’homme est allongé sur la femme. Les zones génitales ne se touchent pas car l’acteur ancre sa cuisse à celle de sa partenaire. Les mouvements de va et vient peuvent donc être effectués sur ce point d’ancrage sans aucun autre contact, et les mouvements paraîtront tout à fait naturels. En fonction de la quantité de nudité convenue dans les scènes du film, des vêtements spécifiques sont utilisés. Des slips de couleur chair aux „jock straps“ pour hommes, également utilisés par les danseurs, protégeront les acteurs de tout contact.

Dans un autre article intitulé „Je ne suis pas la police du sexe“, publié dans le magazine en ligne ze.tt. et disponible dans „100 secondes“ en podcast de la SRF, Julia Effertz explique selon le principe des cinq C, qui vient du cœur, comment une scène intime doit être structurée. Elle dit de sa propre expérience:

„Mon corps privé était complètement protégé par la coordination de l’intimité, mon corps d’actrice était par conséquent totalement libre de jouer le rôle : c’est là que j’ai réalisé que la coordination de l’intimité fonctionnait. Cela m’a non seulement sécurisée, mais cela m’a aussi permis une liberté artistique absolue“.

Julia Effertz

Une autre coordinatrice importante d’Intimacy comme la jeune Californienne Amanda Blumenthal, qui a accompagné les films „Euphoria“, „The L-Word“ et „The Affair“ aux États-Unis et au Royaume-Uni nous explique dans une interview accordée à Annabelle qu’elle travaillait comme coach sexuel et relationnel lorsqu’elle a entendu parler de l’offre d’emploi de HBO.

Lorsqu’on lui demande si elle entend beaucoup d’histoires d’abus sur les plateaux, elle répond:

„Absolument, et parfois ce sont des histoires très extrêmes: des réalisateurs qui renvoient tout le monde chez eux pour pouvoir violer l’actrice principale sans être dérangés. D’autres histoires d’acteurs faisant l’amour dans les coulisses pendant le tournage. Des dérapages verbaux comme „montre-moi tes seins“. Le méchant n’est pas toujours le réalisateur, les agressions se produisent également entre le personnel de plateau ou les collègues acteurs„.

Blumenthal parle également de la nécessité d’aborder et de guider l’expérience de l’agresseur dans une scène de sexe violent, ainsi que de toutes les personnes impliquées dans le tournage qui sont affectées par les défis psychologiques de ce genre de scène.

Après #MeToo, il y a une grande nervosité chez les hommes. Beaucoup ont peur de mal se comporter. Ils réalisent généralement que nous sommes là pour les soulager leur éviter des discussions gênantes, pour clarifier qui est autorisé à toucher où et comment embrasser exactement. Le fait d’avoir une personne neutre et médiatrice de référence donne un sentiment de sécurité.

Dans l’interview, Amanda Blumenthal expose les lignes directrices et en tant qu’organisatrice internationale de premier plan, elle partage ses connaissances avec les parties intéressées sur le site web de l’Intimacy Professionals Association, qui a été créé spécifiquement pour informer sur le sujet. Elle fournit également une liste des services les plus importants qu’un coordinateur de l’intimité peut offrir:

  • Faciliter le dialogue entre les acteurs et le réalisateur sur leur bien-être par rapport au contenu intime d’une scène.
  • Préparer émotionnellement les acteurs à des scènes d’intimité intense, comme la simulation d’une agression sexuelle, et les soutenir tout au long du processus, ainsi que leur fournir une assistance émotionnelle comme suivi si nécessaire.
  • Veiller à ce que, pendant le tournage d’une scène, les limites des acteurs ne soient pas dépassées et qu’ils restent en sécurité physique et émotionnelle tout au long du tournage.
  • Fournir un environnement sûr dans lequel les acteurs peuvent effectuer leur travail.
  • Veiller au respect des directives relatives aux plateaux fermés, aux équipes restreintes et à la nudité.
  • Agir en tant que défenseur et allié des acteurs LGBTQIA+ sur le plateau.
  • Chorégraphier des scènes de sexe simulées pour renforcer la crédibilité.
  • Collaborer avec les équipes aux costumes et au maquillage pour s’assurer que les acteurs sont équipés de vêtements nus, de barrières et de prothèses appropriés.

Des informations statistiques supplémentaires et des informations plus détaillées sur les possibilités de formation en Allemagne sont disponibles sur „kmbk“ – conseil et réseau pour les artistes, les créateurs, les professionnels de la culture et des médias à Munich.

En réalité, rien n’est spontané, rien n’est sexy. Les scènes de sexe sont un travail difficile, physiquement et mentalement“,

prévient Amanda Blumenthal, et le respect est effectivement primordial.


Il coordinamento dell’intimità: una professione in rapida evoluzione

Secondo la prima figura certificata di Intimacy Coordinator, Julia Effertz, il coordinamento dell’intimità è una professione in rapida evoluzione: questo settore professionale gestisce il processo di creazione di scene intime, di nudo, di sesso dalla preparazione alle riprese alla post-produzione.

La regia è presa a carico dal Intimacy Coordinator che realizza la propria visione creativa e si assicura che il contenuto sia sviluppato in modo consensuale e che i limiti degli attori siano rispettati. Le produzioni che lavorano con il coordinamento dell’intimità capiscono la difficoltà specifica delle scene intime e hanno cura del cast e della troupe.

La redazione della rivista Ensemble ha fatto per voi una rassegna stampa che illustra la professione in modo più dettagliato.

„L’intimità inizia con le scene di bacio. Ogni bacio racconta una storia diversa, è un tocco intimo. Può essere molto intima anche una scena in cui un’attrice interpreta una donna che partorisce. Questo, a volte, espone molto l’attrice“.

In un’intervista con Edition F. l’attrice e Intimacy Coordinator tedesca, Julia Effertz

Julia Effertz racconta le specificità di questa nuova professione, spiegando l’importanza di questa nuova figura per l’industria cinematografica e l’introduzione di indumenti specifici come i sospensori, ad esempio. Nelle situazioni di prove, Julia Effertz assicura che i limiti degli attori* sono rispettati quando si girano scene intime e spiega quali sono le eventuali difficoltà che incontrano gli attori e come riesce a mettere gli attori a proprio aggio:

„Per ogni scena intima, lavoro con l’attrice da un punto di vista fisico, vocale ed emotivo. L’obiettivo è anche quello di proteggere la sfera privata del corpo e di poter raccontare il ruolo e la storia attraverso il corpo. Mi assicuro che l’attrice sia a suo agio sul set, che non rimanga esposta tra una ripresa e l’altra, ma che le venga consegnato l’accappatoio subito dopo il „grazie“. L’ideale sarebbe seguire anche in questo caso un protocollo di ’set chiuso‘ con equipaggio minimo“.

Esiste anche uno strumento coreografico che viene chiamato “ancoraggio“, che consente di evitare al massimo i contatti fra gli attori durante una scena di sesso. Prendiamo l’esempio classico della posizione del missionario, l’uomo si sdraia sopra la donna. Le zone genitali non si toccano perché l’attore ancorerà la sua coscia a quella della sua partner di scena. I movimenti di spinta possono quindi essere eseguiti su questo punto di ancoraggio senza altro contatto mentre i movimenti sembreranno del tutto naturali. A seconda della quantità di nudità concordata nelle scene del film, vengono utilizzati indumenti specifici. Dallo slip color pelle ai cosiddetti sospensori per gli uomini, usati anche dai ballerini proteggeranno gli attori dal contato.

Julia Effertz, in un altro articolo intitolato „Non sono la polizia del sesso“, apparso sulla rivista online ze.tt. da più ampie informazioni sull’argomento. Lo potete consultare su „100 secondi“ nel podcast della SRF. Julia Effertz spiega secondo il principio delle cinque C, che parte dal cuore, come deve essere strutturata una scena intima. Dice della propria esperienza:

“Il mio corpo privato era completamente protetto dal coordinamento dell’intimità, il mio corpo di attrice era totalmente libero di interpretare il ruolo: in quel momento ho capito che il coordinamento dell’intimità funzionava. Non solo mi metteva al sicuro, ma apriva anche una libertà artistica assoluta“.

Julia Effertz

Un’altra importante Intimacy Coordinator è la giovane californiana Amanda Blumenthal, che ha accompagnato i film „Euphoria“, „The L-Word“ e „The Affair“ negli Stati Uniti e nel Regno Unito. Spiega in un’intervista ad Annabelle che stava lavorando come sex- and relationship coach quando ha saputo dell’annuncio di lavoro alla HBO.

Quando le viene chiesto nell’intervista, se sente molte storie di abusi sul set, risponde così:

„Assolutamente sì, e a volte si tratta di storie molto estreme: di registi che mandano tutti a casa per poter stuprare indisturbati l’attrice protagonista. Di attori che fanno sesso dietro le quinte durante le riprese. Di scivolate verbali del tipo „Fammi vedere le tette“. Il cattivo non è sempre il regista, le aggressioni avvengono anche tra il personale del set o i colleghi attori“.

Blumenthal parla anche della necessità di affrontare e guidare l’esperienza dell’aggressore in una scena di sesso violento, così come di tutti coloro che sono coinvolti nelle riprese e che sono interessati dalle sfide psicologiche di una scena del genere.

Dopo il #MeToo, c’è un grande nervosismo tra gli uomini. Molti hanno paura di comportarsi male. Di solito si rendono conto che siamo lì per sollevarli da discussioni scomode, per chiarire chi è autorizzato a toccare dove e come baciare esattamente. Avere a bordo una persona neutrale e mediatrice dà un senso di sicurezza.

Amanda Blumenthal

Nell’ intervista Amanda Blumenthal espone le linee di condotta e In qualità di organizzazione leader a livello internazionale, condivide le proprie conoscenze sul sito web „Intimacy professionals association“, creato appositamente per informare sull’argomento. Riporta anche un elenco dei servizi più importanti  che un coordinatore dell’intimità può offrire:

  • Facilitare il dialogo tra gli attori e il regista sul loro benessere in relazione al contenuto intimo di una scena.
  • Preparare emotivamente gli attori a scene di intensa intimità, come la simulazione di un’aggressione sessuale, e sostenerli durante l’intero processo, oltre a fornire assistenza emotiva in seguito, se necessario.
  • Garantire che durante le riprese di una scena non vengano superati i limiti degli attori e che questi rimangano fisicamente ed emotivamente al sicuro per tutta la durata delle riprese.
  • Fornire un ambiente sicuro in cui gli attori possano svolgere il loro lavoro.
  • Garantire il rispetto delle linee guida per i set chiusi e la nudità.
  • Agire come sostenitore e alleato per gli attori LGBTQIA+ sul set.
  • Coreografare le scene di sesso simulato per aumentare la credibilità.
  • Coordinarsi con reparti come quello dei costumi e del trucco per garantire che gli attori siano equipaggiati con abiti nudi, barriere e protesi appropriate.

Ulteriori informazioni statistiche e informazioni più dettagliate sulle opportunità di formazione in Germania possono essere ottenute da „kmbk“ – consulenza in rete per artisti, creativi, professionisti della cultura e dei media di Monaco.

“In realtà, nulla è spontaneo, non c’è niente di sexy. Le scene di sesso sono un lavoro duro, fisicamente e mentalmente.”

avverte Amanda Blumenthal e il rispetto è davvero fondamentale.

Intimitätskoordination – ein Berufszweig auf der Überholspur

Gemäss der ersten zertifizierten Intimacy Coordinator Julia Effertz, unterstützt diese Berufsfeld den Entstehungs-Prozess intimer Szenen von der Vorbereitung, über den Dreh bis hin zur Post-Produktion.

Die Regie wird bei der Umsetzung ihrer kreativen Vision massgeblich durch den Intimacy Coordinator unterstützt und diese*r stellt sicher, dass Inhalte einvernehmlich entstehen und die Grenzen der Schauspieler*innen respektiert werden. Produktionen die mit Intimacy Coordination arbeiten verstehen die spezielle Schwierigkeit intimer Szenen und tragen Fürsorge für Cast und Crew.

Die Redaktion von Ensemble Magazin hat einen Medienspiegel für Sie zusammengestellt, der das Berufsfeld eingehender behandelt.

„Intimität fängt schon bei Kussszenen an. Jeder Kuss erzählt eine andere Geschichte, ist eine intime Berührung. Was auch sehr intim sein kann, ist eine Szene, in der eine Schauspielerin eine gebärende Frau spielt. Das ist mitunter sehr exponierend für die Schauspielerin.“

Julia Effertz, deutsche Intimitätskoordinatorin im Interview mit Edition F

Julia Effertz ist Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin – im Interview mit Edition F spricht sie über diesen neuen Berufszweig, warum er so wichtig für die Filmbranche ist und wozu beispielsweise Genitaltaschen genutzt werden. Effertz sorgt bei den Probesituationen dafür, dass die Grenzen von Schauspieler*innen beim Drehen intimer Szenen eingehalten werden und erklärt im Interview, wo die Schwierigkeiten hierfür liegen. Ein kleiner Auszug:

Wie bei jeder intimen Szene arbeite ich mit der Schauspielerin körperlich, stimmlich und emotional. Das Ziel ist auch hier, daß ihr privater Körper geschützt ist und sie mit ihrem Körper die Rolle und ihre Geschichte erzählen kann. Ich sorge dafür, wie auch bei anderen intimen Szenen, dass es der Schauspielerin am Set gut geht, dass sie etwa zwischen den Takes nicht entblößt daliegt, sondern dass ihr sofort nach dem ‘Danke’ der Bademantel gereicht wird. Im Idealfall sollte auch hier  ein ,Closed Set’-Protokoll mit minimaler Crew eingehalten werden.

und

„Ein choreografisches Hilfsmittel ist das ,Anchoring’, also die Bewegung über ,Anker’ anderer Körperstellen. Das kann man sich zum Beispiel so vorstellen: klassische Missionarsstellung, der Mann liegt über der Frau. Die Genitalbereiche berühren sich hierbei nicht, sondern der Schauspieler ankert seinen Oberschenkel an dem seiner Szenenpartnerin. Stoßbewegungen können dann über diese Ankerstelle ausgeführt werden. Je nachdem wie viel Nacktheit vereinbart ist, wird mit verschiedenen Kostümen gearbeitet. Das wären hautfarbene Slips oder sogenannte Genitaltaschen für Männer, in denen sie alles gut verpacken können.“

Es erschien ein weiterer Artikel über die Arbeit von Julia Effertz mit dem Titel „Ich bin nicht die Sexpolizei“ im Onlinemagazin ze.tt.

Einen kurzen Einblick in die Thematik gewährt das Format „100 Sekunden“ von SRF als Podcast. Er greift das Prinzip der fünf C’s auf, das auf den Punkt bringt, wie eine Intime Szene aufgebaut sein muss.

Mein privater Körper war durch die Intimitätskoordination völlig geschützt, mein Schauspielkörper füllte die Rolle ganz aus. Da habe ich verstanden: die Intimitätskoordination funktioniert. Sie sichert mich nicht nur ab, sie eröffnet mir auch absolute künstlerische Freiheiten.“

Julia Effertz

Eine weitere wichtige Intimitätskoordinatorin ist die junge Kalifornierin Amanda Blumenthal, die in den USA und Grossbritannien «Euphoria», «The L-Word» und «The Affair» begleitet. Sie sei als Sex- und Beziehungscoach tätig gewesen, als sie von der Stellenanzeige bei HBO hörte, erklärt sie im Interview mit der Annabelle.

Im Interview antwortet sie auf die Frage, ob sie viele Geschichten von Missbrauch am Set höre, folgendermassen:

„Allerdings, und es sind manchmal sehr extreme Geschichten: Von Regisseuren, die alle nachhause schicken, um ungestört die Hauptdarstellerin vergewaltigen zu können. Von Schauspielern, die während des Drehs backstage Sex haben. Von verbalen Entgleisungen nach dem Motto «Zeig mir deine Titten». Der Böse ist nicht immer der Regisseur, Übergriffe finden auch zwischen Setmitarbeitern oder Schauspielerkollegen statt.

Blumenthal spricht ausserdem darüber, dass auch das Erleben des Aggressors bei einer gewaltsamen Sexszene verstärkt thematisiert und mentoriert werden müsse, wie auch alle anderen Beteiligten, die dem Dreh beiwohnen und von den psychischen Herausforderungen einer solchen Szene betroffen sind.

Seit #MeToo herrscht unter den Männern grosse Nervosität. Viele haben Angst, sich falsch zu benehmen. Sie erkennen meist, dass wir dazu da sind, ihnen unangenehme Diskussionen abzunehmen, zu klären, wer sich wo anfassen darf und wie genau man sich küsst. Es verleiht Sicherheit, so eine vermittelnde, neutrale Person mit an Bord zu haben.

Amanda Blumenthal im Interview mit  Annabelle

Auf ihrer eigens für die Thematik kreierten Website „Intimacy professionals association“ teilt sie als führende internationale Organisation ihr Wissen mit Interessierten. Darunter ist eine Auflistung zu den wichtigsten Dienstleistungen eines Intimacy Coordinators zu finden:

  • Erleichterung des Dialogs zwischen den Schauspielern und dem Regisseur über ihr Wohlbefinden in Bezug auf den intimen Inhalt einer Szene
  • Emotionale Vorbereitung der Schauspieler auf intensive Intimitätsszenen, wie z. B. simulierte sexuelle Übergriffe, und Unterstützung während des gesamten Prozesses sowie emotionale Nachbetreuung, falls erforderlich
  • Sicherstellen, dass während des Drehs einer Szene die Grenzen der Schauspieler nicht überschritten werden und dass sie während des gesamten Drehs sowohl körperlich als auch emotional sicher bleiben
  • Bereitstellung einer sicheren Umgebung, in der die Schauspieler ihre Arbeit verrichten können
  • Sicherstellen, dass die Richtlinien für geschlossene Sets und SAG-Nacktheit eingehalten werden
  • Als Fürsprecher und Verbündeter für LGBTQIA+-Darsteller am Set fungieren
  • Choreografieren von simulierten Sexszenen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen
  • Koordination mit Abteilungen wie Kostümen und Make-up, um sicherzustellen, dass die Schauspieler mit angemessener Nacktheitskleidung, Barrieren und Prothesen ausgestattet sind

Weitere statistische Informationen, als auch weiterführende Informationen zur Ausbildungsmöglichkeit in Deutschland, erteilt das „kmbk“ – Beratung und Netzwerk für Künstler*innen, Kreative, Kultur- und Medienschaffende aus München.

In Wirklichkeit ist gar nichts spontan oder sexy. Sexszenen sind harte Arbeit, physisch und psychisch.

Amanda Blumenthal

 

Performancepreis Schweiz – Swiss Performance Art Award

Der Performancepreis Schweiz erhöht die Sichtbarkeit der Schweizer Performancekunst, zeigt ihre Vielfalt und Qualität, und stärkt ihre Anerkennung. Der seit 2011 jährlich national ausgeschriebene Wettbewerb ist offen für Bewerbungen von Kunstschaffenden mit einer performativen Praxis aus allen Sparten.

Der Performancepreis Schweiz ist eine partnerschaftliche Förderinitiative der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, St. Gallen, Zürich und der Stadt Genf. Der Kanton Luzern ist zum zweiten Mal Gastgeber des Performancepreis Schweiz, dieser wird am 12. November 2022 im Kunstmuseum Luzern ausgetragen. Vom 11. bis 13. November 2022 findet ein vielseitiges Rahmenprogramm unter Beteiligung von Luzerner Performanceschaffenden statt. Es finden Performances, Interventionen, Diskussionen und Lectures statt.

Ensemble-Magazin trifft Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons Luzern. In dieser Funktion ist er auch Leiter der Kulturförderung Kanton Luzern, hierzu gehören neben Theater, Tanz, Musik oder der Bildenden Kunst natürlich auch die Performance-Kunst dazu. In Luzern und der Zentralschweiz existiert gemäss Sägesser bereits eine relativ starke Szene. Diese kulturelle Szene ist traditionell in der bildenden Kunst angesiedelt, was sich aber mehr und mehr verändern wird. Die Bereiche Tanz, Theater und Schauspiel fliessen mehr ein, was auch durch die Hochschule für Design und Kunst geprägt wird. Die HSLU gibt als Partner bietet für die Performance-Kunst extra eine Ausbildung an und bietet dem Medium damit auch Raum für Forschung. Deshalb war der Entscheid klar, bei der Plattform Performance Preis Schweiz dabei sein zu wollen.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können. Früher geschah das mehr im Umfeld von Kunstmuseen. Das liegt daran, dass Performance eine anspruchsvolle Kunstform ist aus Sicht der Rezipienten. Man kann nicht genau abschätzen, was einen jeweils erwartet. Es braucht Leute mit einem gewissen kulturellen Hintergrund, als auch einer spezifischer Vorbildung, um die codierte Symbolik der Performance deuten zu können.

Der Performance Preis findet einmal jährlich statt, Sägesser sieht dieses Jahr das theatrale Element im Vordergrund, im Vergleich zu anderen Ausgaben. „Es gibt zunehmend Gruppierungen, Kollektive, das hat sich in den letzen Jahren immer deutlicher herausgestellt. Die klassische Performance, die in der freien Kunst angesiedelt ist, geht eher zurück. In der WestSchweiz ist das sogar noch stärker ein Thema als in der Deutschschweiz.“

Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Sägesser ist mit dem Austragungsort Luzern für die Organisation zuständig, alle Partner-Kantone stellen jeweils geeignete Jury-Mitglieder zur Verfügung. Dabei zählen Diversiät bei Gender- und Sprachvertretung, als auch beim Alter der Finalist*innen eine tragende Rolle. Es wird nach der Einnahme von Positionen, nach Stilmitteln gewertet, wie auch nach dem Innovationsgrad der Ideen. Sägesser betont auch, dass die Tagesform der Auftretenden ein wesentliches Kriterium sei, besonders beim Zusammenspiel in Kollektiven, da es kein spezifisches Skript gibt wie im klassischen Theater. Die Jury entscheidet am Ende unabhängig von der kantonalen Zugehörigkeit der Finalist*inne, wer gewinnt. „Aus Erfahrung herrscht auch im Publikum ein grosses Kribbeln und Anspannung während den Performances“, meint Sägesser.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum.

Mit der Ausschreibung und Vergabe des Performance Awards ist eine nationale Plattform gegeben. Es handelt sich mittlerweile um eine Auszeichnung, die sich etabliert hat und sich besonders positiv auf Lebenslauf und Reputation der Gewinner*innen auswirkt. Der Preis und auch das relativ hoch angesetzten Preisgeld sind eine gute Basis für das weitere Schaffen der Künstler*innen. Besonders für Stiftungen, darunter beispielsweise Pro Helvetia, sind solche Preise massgeblich. Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum – er meint aber auch, dass sich das seit Corona-Pandemie in eine gute Richtung entwickelt und die Performancekunst öffentlich wahrnehmbarer geworden ist. Auch gab es im Publikum in den letzten 7 Jahren grossen Zuspruch, wie auch in der Veranstalterszene. Noch immer gibt es aber eine spürbare Zurückhaltung gegenüber Ungewöhnlichem.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten. Dies wünscht sich Sägesser für die Zukunft – die Performance-Szene sei an sich schon relativ klein und bringe unabhängig immer wieder aus eigenem Antrieb mit grossem Aufwand Kreationen auf die Bühne. Die Finanzierung wie auch die Werbung sind dabei ein herausfordernder Balanceakt. Sägesser erhofft sich mit der alljährlichen Ausschreibung mehr Perspektive für die Performanceszene.

Folgende Künstler*innen und Kollektive sind diese Jahr für den Preis nominiert:


Collectif Les Heureuses aus Bern sind Jeanne Jacob und Cornelia Nater. Die beiden Künstlerinnen arbeiten seit zwei Jahren zusammen und beschäftigen sich in ihren Malereien, Performances, Audio- und Videoarbeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Verhältnis zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Sammeln, Ordnen, gemeinsame Produzieren und Diskutieren betreiben sie mit humorvollen, poetischen und spielerischen Mitteln.

In der Performance Lauter beste Schlusssätze (2022) trinken Jeanne Jacob und Cornelia Nater an einem Gartentisch mit aufgemaltem Mühlespiel Tee. In ihrer Performance richten sie Fragen an das Publikum, an sich selbst und ihr Gegenüber: Was wird hier gespielt? Wer gewinnt und wer verliert? Wobei der Titel andeutet, dass dies mit einem Augenzwinkern geschieht. Der gesprochene Text handelt vom Spielen um des Spielens Willen, der Symbiose zwischen Pilzen und Bäumen, der Begegnung am Küchentisch und der Kunst auf Rädern zu gehen. Untermalt wird das Gespräch von elektronischem Sound, eingespielten Tonaufnahmen und Videos, die die unterschiedlichen Erzählstränge zu einer dichten multimedialen Collage verbinden.

 

Claudia Grimm beschäftigt sich in ihren Performances mit alltäglichen performativen Sprechsituationen. Sie untersucht diese auf ihren Inhalt, die Art des Sprechens und der Wissensvermittlung und reinszeniert sie mit feinen Irritationen. Die daraus entstehenden Vorlesungen, Workshops, Rundgänge oder Ansprachen sind eine Mischform aus Choreografie und Improvisation. Wiederkehrende Themen sind Techniken zum Einüben unterschiedlicher Fähigkeiten, der Umgang mit Archiven und das kollektive künstlerische Schaffen in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv DARTS (disappearing artists).
 
Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen (2022)
Treffen können uns die unterschiedlichsten Dinge: eine Aussage, eine Geste, ein Schicksalsschlag, ein herunterfallender Ast. Die Performance «Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen» knüpft an vorangehende Übungsreihen an, worin Claudia Grimm in Zusammenarbeit mit DARTS Strategien für den Umgang mit dem Getroffen-werden präsentiert. Dafür orientiert sich die Künstlerin an How To- oder Survival-Tutorials – Gebrauchsanweisungen, wie wir sie aus dem Internet kennen – und reflektiert deren Vokabular und Demonstrationsmodus. Ausstaffiert mit einer improvisierten Schaumstoffmontur, einem Schutzwall-Kit und wortgewandten Verteidigungsstrategien trotzt Claudia Grimm angreifenden Pfeilen, Steinen oder Sinneseindrücken. Die kommentierten Übungen sollen dazu befähigen, dem Getroffen-werden tapfer und beherrscht zu begegnen.

 

Johanna Kotlaris aus Zürich interessiert sich in ihrer künstlerischen Praxis für zwischenmenschliche Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken von Nähe, Distanz oder Grenzziehungen. In ihren theatralen und oft satirisch überzeichneten Inszenierungen verkörpert sie unterschiedliche Rollen und Charaktere, anhand derer sie Themen wie Identität, Leistung, Fehlerhaftigkeit oder Machtverhältnisse behandelt. Inspiration für ihre Rollen findet sie im Theater, im Film, in der Musikbranche oder der Stand-Up-Comedy. In ihren Performances nutzt sie die spezifische Architektur der Aufführungsorte als wandelbare Bühne und untersucht sie auf ihre Beschaffenheit hin. Ihre zentralen Ausdrucksmittel sind Körpersprache, Sprache und Stimme.

Bibbidi-Bobbidi-Anima (2022)
Die für den Performancepreis Schweiz entwickelte Arbeit «Bibbidi-Bobbidi-Anima» entstand in Kollaboration mit den Performerinnen Hanna Mehler und Marie Popall. Als Personifikation des Todes führt Johanna Kotlaris durch die Räume des Kunstmuseums Luzern und versucht sich in ein menschliches Dasein einzufühlen und sich dieses anzueignen. Die Figur verstrickt das Publikum in ihre Auseinandersetzung mit Verlust, Aufbruch, Veränderung und der Unvermeidbarkeit des Endens: Wie strukturieren sich die Zyklen von Werden und Vergehen? Inwiefern lassen sich die Geschehnisse in unserem Leben beeinflussen und gestalten? Und was hat es mit dem Mythos der Unsterblichkeit auf sich? Die Reflexion der eigenen Rolle sowie Textfragmente aus kulturgeschichtlichen Erzählungen über das Sterben und die damit einhergehenden Neuanfänge mischen sich mit Gesang, Sound und Bewegungssequenzen zu einem zeitgenössischen Totentanz.

 


Milda Lembertaitė & Amelia Prazak arbeiten seit 2014 als Duo und beschäftigen sich in ihren Performances, Videoarbeiten und Kostümen mit den Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen sowie dem Spannungsverhältnis von Körper, Nahrung, Umwelt und Technologie. In essayistischen, teilweise surreal anmutenden Erzählungen verbinden sie individuelle Beobachtungen und Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Geologie, Medientheorie und Menschheitsgeschichte.

Only See You When I Look at Myself (2022)
Das geophysikalische Phänomen des «erratischen Blocks» bezeichnet ortsfremdes Gestein, das durch Gletscher oder die Gezeiten verschoben wurde. Die auch als Findlinge bekannten Steinbrocken dienen Milda Lembertaitė & Amelia Prazak als Sinnbild, um vielschichtige Fragen zu Identität, Zugehörigkeit, Verortung und Transit zu thematisieren. Die daraus entstandene Performance «Only See You When I Look at Myself» ist als Videoessay konzipiert, worin die Künstlerinnen Screens gleichzeitig als Requisiten, Prothesen sowie Bildträger einsetzen und so auf die Verwobenheit des menschlichen Körpers mit medialen Geräten verweisen. Die Suche nach Heilung und Reinigung zieht sich durch die Erzählung und findet ihren Ausdruck im fliessenden Wasser, das Körper, Gestein und Geräte durchströmt.

 

Natalie Portman nennt sich das Kollektiv bestehend aus Paula Henrike Herrmann, Philémon Otth und Arnaud Wohlhauser. Unter Einbezug von wechselnden Kollaborationspartner:innen organisieren die drei Kunstschaffenden seit 2017 Veranstaltungen und Performances. Durch ihre künstlerischen Eingriffe kreieren sie in alltäglichen Situationen subtile Verschiebungen der Wahrnehmung – Momente der Reibung und Überlagerung zwischen unterschiedlichen Realitäten und Menschen.

La Société du Pestacle (2022)
In der für den Performancepreis Schweiz entwickelten Performance «La Société du Pestacle» versammelt Natalie Portman eine Gruppe von Figuren aus Theaterstücken. Die Schauspieler:innen, die diese Rollen aktuell an verschiedenen Schweizer Theaterhäusern verkörpern, tauchen beiläufig im Kunstmuseum Luzern auf und mischen sich unter das Publikum. Die Figuren werden aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst, so dass neue spekulative Beziehungen und assoziative Geschichten entstehen. In ihren Kostümen unterschiedlich klar als fiktive Charaktere erkennbar, verschwimmen die Grenzen zwischen Publikum und Performer:innen. Natalie Portmann reflektiert damit unterschiedliche Darstellungskonventionen des Theatralen ebenso wie die Rollen, die das Publikum im Kunstkontext einnimmt.

 

Francesca Sproccati aus dem Tessin schafft in ihren Performances szenische Erfahrungsräume: Mittels minimaler Setzungen aus Klang, Licht und Bewegung rückt sie die Wahrnehmung des Publikums in den Fokus und lädt dieses zu Interaktion und Kontemplation ein. Aspekte wie Melancholie, Leere oder Erinnerung werden sinnlich erfahrbar.

Out of Me, Inside You (2022)

«Out of Me, Inside You» besteht aus Videoaufnahmen, Field Recordings und Textfragmenten, die Francesca Sproccati während zweier Reisen sammelte. Mit dem Jungfraugletscher und Neapel hat sie zwei ganz unterschiedliche Klanglandschaften durchquert. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elena Boillat, dem Musiker und Komponisten Adriano Iiriti, der Dramaturgin Rosa Coppola und mit der Unterstützung von Alan Alpenfelt und Camilla Parini entwickelte sie ein Live-Set in einem installativen Setting: Loops und Variationen des Ausgangsmaterials bestimmen die multimediale Choreografie und erzeugen einen intimen Raum, worin das Zuhören, die eigene körperliche Anwesenheit und individuelle Assoziationskraft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

 

Im künstlerischen Kosmos von Latefa Wiersch aus Zürich tummeln sich Mischwesen zwischen Mensch und Tier, Pflanze, Objekt und Maschine, denen sie in Videos, als Performance oder fotografisch inszeniert ein eigendynamisches Leben verleiht. Ausgehend von alltäglichen Beobachtungen und mit abgründigem Humor erzählen die selbstgebauten Puppen von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen echtem und künstlichem Körper. Wiederkehrende Themen sind Identität, Mutterschaft, Liebe und Gewalt.

Neon Bush Girl Society (2022)
Die Performance «Neon Bush Girl Society» ist eine Zusammenarbeit von Latefa Wiersch, Rhoda Davids Abel und Dandara Modesto. Die drei Künstlerinnen entwickeln aus Text, Gesang und performativen Objekten eine spekulative Erzählung, die sich aus ihrer jeweiligen lückenhaften Biografie sowie den Kultur- und Kolonialgeschichten unterschiedlicher indigener afrikanischer und afrodiasporischer Bevölkerungsgruppen speist. Ein verbindendes Motiv sind Gesten des Umkehrens und Zurückschauens, die für ein Sehnen und Trauern um die verlorene Heimat stehen. Diese finden sich zum Beispiel in der Legende des vom Krieg betroffenen Volkes der Nama im südlichen Afrika: Im Mythos verwandeln sich die Geflüchteten in Mischwesen zwischen Baum und Mensch. Daher stammt der Afrikaans-Name «Halfmens» (dt. «Halbmensch») für eine Pflanze, deren Silhouette an menschliche Figuren erinnert. Daran angelehnt entstanden die hybriden Spielfiguren zur Performance, die mit den Körpern der Akteurinnen in wechselnden Konstellationen zu verschmelzen scheinen. Diese Figuren verweisen zudem auf die identitätspolitische Dimension von weiblichen Körpern of Color und werfen Fragen zu Sichtbarkeit, Repräsentation und Formen der Ermächtigung auf.

Workshop-Angebot von SzeneSchweiz

Exklusiv für SzeneSchweiz-MitgliederWorkshop „Tonstudio für Anfänger*innen“

Zum neunten Mal präsentieren SzeneSchweiz und VPS-ASP den Workshop Tonstudio für Anfänger*innen.

Das Bedürfnis nach mehreren beruflichen Standbeinen ist gross – sei es bei den Freischaffenden oder auch den festangestellten darstellenden Künstlerinnen und Künstlern.

Der eintägige Kurs versteht sich als Sprungbrett für alle weiteren Schritte in den Beruf als Sprecherin oder Sprecher. Mit der Arbeit an Kommentar- und Werbetexten können neue oder auch ergänzende Erfahrungen am Mikrofon gesammelt werden. Ganz ohne Druck, ein pfannenfertiges Ergebnis abliefern zu müssen.

Irina Schönen und Stephan Lendi (Sprecher und Coaches) unterstützen die Teilnehmenden bei den Aufnahmen, zusammen mit Leoš Gerteis von den NJP Tonstudios. Sie geben Feedback, beantworten Fragen und berichten über die Arbeit als professionelle Sprecher*innen und im Studio.

Wann: Montag 14. November 2022 von 9 – 17 Uhr (eine Stunde Mittagspause)

Wo: NJP Studios, Vorderzelgstrasse 7a, 8700 KüsnachtKosten: 180.- (subventioniert durch SzeneSchweiz)

Anmeldunginfo@szeneschweiz.ch

Anmeldefrist: 31. Oktober 2022

Der Kurs ist auf 8 Teilnehmende beschränkt. Anmeldungen werden nach Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt und gelten ab dem 1. November als verbindlich. Danach werden Annullierungsgebühren erhoben.

 

Exklusiv für SzeneSchweiz-MitgliederSocial Media-Workshop am Montag, 14. November 2022

Unser beliebter Workshop zu Social Media mit Reda El Arbi (Journalist & Blogger) findet wieder statt. Die Eckdaten:

  • Montag, 14. November 2022
  • im SIG-Mehrzweckraum an der Kasernenstrasse 15, 8004 Zürich (Eingang via Innenhof)
  • Von 11:15 bis 18:00 Uhr
  • SzeneSchweiz übernimmt sämtliche Kosten wie auch den Lunch

Der Inhalt:Die beiden Pandemie-Jahre haben auch in den darstellenden Künsten das Bewusstsein für digitale Möglichkeiten geschärft. So haben verschiedenste Künstler*innen neue, virtuelle Kanäle entdeckt und sich die unterschiedlichsten (digitalen) Bühnen auf Social Media geschaffen. Von ganzen Filmen, die in Instagram-Stories gezeigt werden, über Podcasts, in denen Sprecher*innen ihre Fähigkeiten einbringen konnten, bis zu Twitch-Livestreams – alles steht da draussen zur Verfügung.Wir machen eine kleine Einführung zu allen relevanten Social Media-Plattformen und suchen gemeinsam nach Ideen.Anmeldungen nehmen wir gerne per Email an info@szeneschweiz.chentgegen.Anmeldeschluss ist der Freitag, 28. Oktober 2022.

 

Erinnerung – freie Plätze!

Liebe Obleute und Ensemblesprecher*innen

Als gewählte Ortsgruppenvertreter*innen habt ihr nach Art. 34 GAV die schwierige Aufgabe, eure Kolleg*innen zu vertreten und mit der Direktion eures Hauses über Ausnahme-Regelungen zu verhandeln. Um euch in dieser Aufgabe zu unterstützen, führen wir einen Workshop mit einem international erfahrenen Verhandlungstrainer durch:

Wie kann ich als Obmann/Obfrau/Sprecher*in die Interessen meiner Kolleg*innen bestmöglich vertreten?

Gerne machen wir euch nochmals auf den Workshop aufmerksam:

Datum: Montag, 21. November 2022

Zeit: 10:15 bis max. 17:00 Uhr

Ort: SIG Mehrzweckraum, Kasernenstrasse 23 (im Hof, im Untergeschoss), 8004 Zürich

Kosten: Alle Kosten inkl. Lunch trägt SzeneSchweiz

Maximale Teilnehmerzahl: 15

Anmeldung: bis spätestens 31. Oktober 2022 per Mail an info@szeneschweiz.ch 

Verhandlungstrainer: Jochen Luksch ist geschäftsführender Partner der Beratungsfirma Egger, Philips & Partner AG. Der Jurist und ehemalige Journalist begleitet seit vielen Jahren Verhandlungen in den verschiedensten Branchen. Er bietet Verhandlungstrainings, Coaching und Mediation nach dem Harvard-Konzept an.

 

Prix suisses des arts de la scène 2022

Deutsche Übersetzung weiter unten

 

Texte de Viviane Bonelli, ScèneSuisse Romandie

Dans un théâtre de Carouge refait à neuf, on nous accueille dans une ambiance feutrée mais décontractée. Les convives chuchotent en jetant des coups d’œil de part et d’autre afin de deviner qui se cache derrière cette coupe de cheveux extravagante ou ce maquillage parfait.

Une Mercedes se gare, notre conseiller fédéral Alain Berset sort de la voiture avec deux ou trois personnes tout de noir vêtues, d’autres personnalités se succèdent. Les photographes et les cameramans se pressent afin de capter chaque émotion, chaque instant.

Un artiste allemand au look original me parle avec un fort accent et un beau sourire. Il est là, gêné mais heureux d’accompagner ses amis qui viennent recevoir un prix.

La sonnette retentit. Il est l’heure de rejoindre la salle. J’assieds tout en haut pour mieux ressentir l’ambiance. Les lumières s’éteignent, le duo de modérateur fait rire l’assemblée. Puis, les artistes se succèdent les uns après les autres pour recevoir leur prix. Des rires, des larmes, beaucoup de passion et d’émotion, et puis Barbara Frey reçoit l’Anneau Hans Reinhart 2022, magnifique, brillant, une reconnaissance pour l’ensemble de sa carrière. On lui rend hommage, le public applaudit, les lumières s’allument puis la fête continue et les langues se délient, les cravates se dénouent, les maquillages se défont et la vie reprend son souffle. Les artistes déambulent un verre à la main, soulagés, heureux.

Merci pour cette belle soirée.

 

Deutsche Übersetzung

Schweizer Preise Darstellende Künste 2022

Text von Viviane Bonelli, SzeneSchweiz Romandie

Im neu renovierten Theater in Carouge werden wir in einer gedämpften, aber entspannten Atmosphäre empfangen. Die Gäste tuscheln und werfen Blicke von einer Seite zur anderen, um zu erraten, wer sich hinter dem extravaganten Haarschnitt oder dem perfekten Make-up verbirgt.

Ein Mercedes parkt, Bundesrat Alain Berset steigt mit zwei oder drei schwarz gekleideten Personen aus dem Auto, weitere Persönlichkeiten folgen. Fotografen und Kameraleute drängen sich, um jede Emotion, jeden Moment festzuhalten.

Ein deutscher Künstler mit einem originellen Look spricht mich mit einem starken Akzent und einem schönen Lächeln an. Er steht da, verlegen, aber glücklich, seine Freunde zu begleiten, die einen Preis entgegennehmen wollen.

Die Türklingel ertönt. Es ist Zeit, in den Saal zu gehen. Ich sitze ganz oben, um die Atmosphäre besser zu spüren. Die Lichter gehen aus, das Moderatorenduo bringt die Anwesenden zum Lachen. Dann folgt ein Künstler nach dem anderen, um seinen Preis in Empfang zu nehmen. Lachen, Tränen, viel Leidenschaft und Emotionen, und dann erhält Barbara Frey den Hans-Reinhart-Ring 2022, wunderschön, glänzend, eine Anerkennung für ihre gesamte Karriere. Sie wird geehrt, das Publikum applaudiert, die Lichter gehen an, dann geht die Party weiter und die Zungen lösen sich, die Krawatten werden gelockert, die Schminke wird gelöst und das Leben nimmt seinen Lauf. Die Künstler schlendern mit einem Glas in der Hand umher, erleichtert und glücklich.

Danke für diesen schönen Abend.

Hier finden sie die Aufzeichnung der Preisverleihung in voller Länge.

 

 

Grosses Theater ganz klein – Kleines Theater ganz gross

Puppentheater, Papierkulissen, Opernhaus in Zimmergrösse, doch Dekors und Ausstattung wie bei grossen Bühnen: Die Ausstellung «Alles nur Theater?» im Haus Appenzell dokumentiert von Oktober bis April grosses Herzblut für kleine Theater.

Miniaturtheater ganz unterschiedlicher Art stehen im Mittelpunkt der Ausstellung – gemeinsam ist ihnen eine grosse Spielfreude und viel Liebe zum Detail. Zu spüren ist die Begeisterung der Personen dahinter für das Theater, die Oper, für Geschichten, für den Wunsch, das Publikum in andere Zeiten, Länder und Themen reisen zu lassen.

Theater zum Ausschneiden

Im 19. Jahrhundert erfreuten sich Papiertheater in bürgerlichen Familien einer grossen Beliebtheit als Spielzeug und Bildungsinstrument. Vergleichbar mit den heutigen Bastelbogen zum Ausschneiden, Zusammenbauen und Spielen, waren sie oft den Inszenierungen der grossen Bühnen nachempfunden und reichten von der Oper über das Schauspiel bis zum Märchen. Die Ausstellung gibt einen Einblick in diese Welt und zeigt eine Privatsammlung historischer Papiertheater erstmals öffentlich. Nebst Klassikern aus deutschen Verlagen sowie aus Frankreich werden auch Raritäten aus Dänemark und England präsentiert, die der Sammler Peter Mäder teils mit Zinnfiguren und Marionetten neu belebt.

Raffinierte Bühnentechnik

Der zweite Teil widmet sich Toblers Marionettentheater – eine für ihre Zeit technisch raffiniert ausgestattete Heimpuppenbühne aus dem späten 19. Jahrhundert. Die Gebrüder Georg und Justus Tobler bauten Rittersäle und Räuberstuben originalgetreu im Miniaturformat nach und erweckten sie mittels Marionettenfiguren und Bühnentechnik zum Leben. Im Haus Appenzell wird die Originalbühne gezeigt: Sie verfügt über Konstruktionen wie Versenkungen oder elektrisches Licht, die damals selbst an grossen Häusern noch nicht zum Standard gehörten. Daneben sind Kulissen, Regiebücher, Theaterplakate und Figuren mit allerlei Zubehör aus dem reichhaltigen Fundus zu sehen.

Opernhaus im Zimmerformat

Schliesslich entführen die puppenstubengrossen Opernszenerien des Dekorateurs und Zürcher Originals Bernhard Vogelsanger in die grosse weite Welt des Musiktheaters. Während fast 50 Jahren betrieb er in seiner Genossenschaftswohnung in Zürich Schwamendingen das wohl kleinste Opernhaus der Welt. Liebevoll und mit grösster Sorgfalt gestaltete er Kulissen und Pappfiguren, ja, selbst Schallplattenhüllen und inszenierte Akt für Akt die mitreissenden Geschichten von Liebe, Leidenschaft und Tod. Dem ausgewählten Publikum bot Vogelsanger Samstag für Samstag Opern, Operetten und Musicals. Während sein umfangreiches Vermächtnis noch immer inventarisiert wird, ist eine Auswahl in der Ausstellung zu sehen.

Alle Fotos: © Haus Appenzell, Zürich