Sexuelle Übergriffe bei Konzert Theater Bern

Der Probenleiter des Tanzensembles von Konzert Theater Bern soll gemäss Recherchen der «Zeit» Tänzerinnen sexuell belästigt haben. Diese Geschichte zeigt, dass manche Häuser noch immer oft erst ihren Ruf, dann den Täter und erst ganz am Schluss ihre Tänzer*innen schützen. Es herrscht ein Klima der Angst.

Kurz die Geschichte zusammengefasst: Der Probenleiter des Ensembles Bühnen Bern fiel immer wieder durch verbale Entgleisungen auf, auch körperliche Übergriffe wurden genannt.  In den Lokalredaktionen von „Bund“ und „Berner Zeitung“ wusste man schon länger von den Vorkommnissen. (Hier die ganze Geschichte bei Tamedia (Abo+) und bei der Zeit Schweiz (Paywall) )

Zitat Tagesanzeiger/Bund heute, 29. 09.22: „Die Redaktion von «Bund» und «Berner Zeitung» hatte schon seit längerem Kenntnis von diesen Vorwürfen. Recherchen im Umfeld des Ballettensembles haben verschiedene Überschreitungen des Probenleiters zutage gebracht. Der Redaktion liegen mehrere Dokumente vor, die das nahelegen. Es geht um unangebrachte Avancen, verbale sexuelle Belästigungen und körperliche Übergriffe.“

Hier der Beitrag von Radio Bern1:

Wenn eine solche Geschichte bereits in den Redaktionen bekannt ist, dann bedeutet das, dass man innerhalb der betroffenen Branche meist schon viel länger davon wusste. Und da liegt das Problem.

Untersuchung ohne Konsequenzen

Wieso wurde nicht früher veröffentlicht? Der Probenleiter ist eine wichtige Persönlichkeit in diesem Setting. Tänzerinnen, die sich gegen Übergriffe wehren, müssen mit Konsequenzen für ihre Karriere rechnen. So fürchten sie sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und damit haben sie auch Recht, solange sich nichts ändert.

Im vorliegenden Fall hat sich eine Betroffene an die Leitung gewandt. Der Probenleiter wurde während der Untersuchung für zwei Monate freigestellt. Der Untersuchungsbericht einer externen Beraterfirma kam gemäss der «Zeit» zum Schluss, dass es zu verbalen Belästigungen gekommen sei. Der Verdacht, dass es auch körperliche Übergriffe gegeben habe, lasse sich allerdings nicht erhärten, heisst es weiter. Im Tanzberuf seien, anders als in einem Bürojob, «körperliche Berührungen und Umarmungen normal». Der Bericht hatte keine einschneidenden Konsequenzen zur Folge. Der Täter blieb an der Macht.

Schweigevereinbarung unterzeichnen

ÄHNLICHE ERFAHRUNGEN GEMACHT? Hier anonym bei SzeneSchweiz melden!

Dass die ganze Geschichte trotzdem den Weg an die Öffentlichkeit fand, ist ehemaligen Ensemble-Mitgliedern zu verdanken, die die Aussagen der Betroffenen gegenüber der Zeit bestätigten. Dies braucht, selbst anonym, Mut. Die Szene ist nicht so gross, so dass sich immer Rückschlüsse auf die Personen ziehen lassen. Und das kann auch bei anderen Häusern zu einem Zögern führen, da diese Tänzer*innen dann als „schwierig“ gelten. Weil sie sich in einem traditionell streng hierarchischen Arbeitsumfeld für ihre Rechte wehren. Eine Geisteshaltung aus dem letzten Jahrhundert.

Spitze des Eisbergs

Die Stillschweigevereinbarung zeigt deutlich, dass es sich um ein strukturelles Problem und nicht um einen Einzelfall handelt. In den Köpfen vieler Direktionen gilt noch immer, dass die Reputation des Hauses über dem Wohlergehen der Tänzer*innen steht, dass Stars mehr Rechte haben als das Ensemble. Salva Leutenegger, Geschäftsführerin von SzeneSchweiz dazu: An allen festen Häusern sind die Tänzer:innen, diejenigen, die am meisten arbeiten, am wenigsten verdienen und am schlechtesten vor Machtmissbrauch geschützt sind. Und die Leitungen schauen so lange zu, bis diese Fälle an die Öffentlichkeit kommen. Das muss sich ändern. Es braucht flache Hierarchien, ein wertschätzender Umgang und griffige Massnahmen gegen Machtmissbrauch.“

Selbstverwirklichung durch mutige Entscheidungen

Danielle Brunner ist Balletttänzerin und wurde ausgebildet an der Ballettberufsschule in Zürich und später an der Howard School in New York. Sie ist nicht nur diplomiert in Tanz , sondern auch in Eiskunstlauf, als Lehrerin und als Choreografin. Bei ihrer Berufswahl hat sie sich für Ballett, Jazz, Contemporary, Gesang und Musical entschieden. Schon immer übte die Kombination von Tanz, Gesang und Schauspiel als mehrdimensionale theatrale Realität eine ganz eigene Faszination auf Brunner aus.

Danielle Brunner war ursprünglich Tänzerin am Ballett Theater Basel unter der Leitung des renommierten Schweizer Choreographen und Produzenten Heinz Spoerli. Sie nahm an seinen regelmässig stattfindenden Auditionen in den USA teil und wurde aus 600 Kandidat*innen von ihm ausgewählt. Manuela Rigo selber hat Brunner, als sie Teil des Ensembles war zwischen 1983 und 1985 , mehrmals auf der Bühne des Theater Basels erlebt. Ein Unfall während der Proben war der Grund für ihren Abschied von der Bühne als Tänzerin. Nach diesem negativen Ereignis nahm sie eine Gesangs- und Schauspielausbildung auf, um sich kopfüber in die Welt der Musicals zu stürzen. Sie wurde in berühmten Musicals wie „Cats“, „Das Phantom der Oper“, „The Chorus Line“ und vielen anderen eingesetzt, in denen sie wichtige Rollen gespielt hat. In Wien lernte sie bei einer Musicalaufführung Nikolaus Bohlen kennen, der ihr späterer Ehemann wurde.

1995 gründete sie ihre Schule „The Moving Factory“, die bis 2017 in Locarno und derzeit in der Fabbrica in Losone ansässig ist. Eine Allround-Tanzschule, denn sie bietet ihren Schülern sehr interessante Ausbildungskurse an: klassischer Tanz, Jazztanz, zeitgenössischer Tanz, Hip Hop, Akrobatik, Gesang und Schauspiel, wesentliche Elemente für die Musical-Ausbildung. Sie bietet ihren Schülern auch die Möglichkeit, sich auf die Prüfungen für klassischen Tanz der Royal Academy of Dance of London und die Prüfungen für Musiktheater der LAMDA (The London Academy of Music & Dramatic Art) vorzubereiten, beides renommierte britische Akademien. Viele ihrer Schüler haben dann tatsächlich den Tanz und Gesang zu ihrem Beruf gemacht.

Interview von Manuela Rigo

Wie bist du als Tanzlehrerin ins Tessin gekommen und warum ins dahin, wo du bereits Karriere als Tänzerin im Ausland gemacht hast?

Vorerst wegen des warmen Klimas und der schönen Regionen im Kanton, es war ein idealer Ort für meine Familie. Meine Mutter, Beatrice Brunner, hatte bereits in den 1970er Jahren ihre Ballettschule in Locarno eröffnet. Als sie sich zur Ruhe setzte, eröffnete ich meine Schule mit weiteren Vorschlägen und entwickelte meine Vision einer Vorschulung für junge Tanzaspirant*innen.

Wie bist du bei der Einführung der RAD-Methode an den Unterricht herangegangen? (RAD: Königliche Akademie für Tanz in London)

Als ich mit meiner Tochter Kimberly schwanger wurde, ging mein Wunsch in Erfüllung, ins Tessin zu ziehen. Es war 1995, und kurz darauf beschloss ich, eine Lehrerausbildung nach der Methode der Royal Academy of Dance in London zu machen. Ich habe mich für die englische Methode entschieden, weil sie die psychophysische Entwicklung des Kindes sehr respektiert.  Darüber hinaus ist die R.A.D. Methode sehr gut strukturiert, sie identifiziert und betont das Talent jeder einzelnen Tänzerin und bringt seine schönsten persönlichen Eigenschaften zur Geltung. Ich finde diesen Aspekt sehr wichtig, gerade weil er die Möglichkeit bietet, sich der Disziplin des Tanzes auf eine freudige, ausgeglichene und kreative Weise zu nähern. Es ist hervorzuheben, dass die Methode auch eine vollständige professionelle Ausbildung für diejenigen bietet, die den beruflichen Weg für Tänzer verfolgen wollen, indem sie die „Berufsprüfungen“ bis zum Solo Seal Level ablegen.

Wie würdest du die Realität des Ballettunterrichts im Tessin definieren, wenn man bedenkt, dass nicht alle Tanzschulen in der Region über qualifizierte Lehrer verfügen?

Ich denke, man findet in der ganzen Schweiz unqualifizierte Lehrer. Meiner Meinung nach gibt es ein grundsätzliches Problem: viele Eltern wissen nicht, dass es schweizweit Danse Suisse und im Tessin die AFPDanza (Associazione Formazione Professione Danza) gibt. Beide Verbände erkennen nur qualifizierte Lehrkräfte an. Es ist die Aufgabe des Kantons, Schulen mit qualifizierten Lehrkräften anzuerkennen. Anhand dieser Information können die Eltern eine Tanzschule auf sicherere Weise auswählen.

Es macht wenig Sinn, eine Berufsschule zu gründen, wenn die Realität des Berufes nicht existiert.

Glaubst du, dass das Tessin und seine Institutionen wie das DECS bereit sind, eine Ausbildung für Tänzer anzubieten?

Es macht wenig Sinn, eine Berufsschule zu gründen, wenn die Realität des Berufes nicht existiert. Für die Zukunft eines jeden angehenden Tänzers ist es wichtig, eine professionelle Ausbildung zu absolvieren, bei der man direkt mit der Kunst in Berührung kommt. Das ist an professionellen Schulen der Fall, beispielsweise die Mailänder Scala. Studenten des letzten Jahres haben die Möglichkeit, an den Produktionen der Theaterkompanie mitzuwirken – das gleiche gilt in noch stärkerem Maße für die Produktionen der Musicals. Diese Realität gibt es im Tessin nicht, dennoch glaube ich, dass sich der Tanz im Tessin stark ausbreitet und dass es mehrere Schulen gibt, die den vorberuflichen Weg anbieten, wir bewegen uns also in die richtige Richtung. Denn die Talente, die professionell ausgebildet werden sollen, kommen alle aus den Amateurtanzschulen. Dort muss der Unterricht durch qualifizierte Lehrkräfte gewährleistet werden, nur so ist die Zukunft der Ausbildung gesichert.

Deine Schule „The Moving Factory“ bietet im Rahmen der Musical-Ausbildung einen begehrten Weg im Ballett, und ich weiß, dass mehrere deiner Schüler ins Ausland gegangen sind, um ihre Ausbildung fortzusetzen.

Ich bin glücklich, weil 25 meiner Schüler im Ausland arbeiten und sich beruflich weiterbilden. Ich denke, dieses Ergebnis bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Im September 2021 hat das Ausbildungsprogramm „Musical Factory“ in Luzern begonnen. Arbeitet deine Schule mit diesem Programm zusammen?

Ich bin mir dessen bewusst, es ist eine berufliche Richtung, die ich denjenigen vorschlage, die sich nicht zu weit von zu Hause entfernen wollen. Als „Musical Factory“ stehe ich in Kontakt mit der Schule, und wenn dies als eine Form der Zusammenarbeit verstanden werden kann, dann kann ich das bejahen. Bisher haben sich meine Schüler für das Ausland entschieden, für Städte wie London, wo Tanz und Musicals die Realität sind.

Ich habe gesehen, dass deine Schule „The Moving Factory“ durch die Teilnahme einiger Schüler an Tanzwettbewerben in der Schweiz, in Deutschland und in Italien grosse künstlerische Anerkennung erhält.

Ja, wir haben uns bei mehreren Wettbewerben in der Schweiz, in Deutschland und in Italien qualifiziert und die ersten drei Plätze erreicht. Ich freue mich, dass diese Erfolge in den Bereichen Ballett, Zeitgenössischer Tanz und Hip Hop erzielt wurden.

Es ist immer die Leidenschaft der Schüler, die die Dinge am Laufen hält, auch bei den Eltern.

Du hast an deiner Schule einen speziellen Kurs für deine begabten Schüler eingerichtet. War es einfach, den Eltern diese Botschaft zu vermitteln und wie sehen sie die Zukunft ihrer Kinder in der Kunst?

Im allgemeinen beginne ich damit, zu beurteilen, wie motiviert ich die Schüler*innen sehe. Gerade weil sie mehrere Stunden pro Tag und Woche in Anspruch nimmt sind die Motivation und die Einstellung zur Disziplin Tanz sehr wichtig. Die Eltern folgen, begleiten und unterstützen ihre Kinder bei ihren Entscheidungen. Es ist immer die Leidenschaft der Schüler, die die Dinge am Laufen hält, auch bei den Eltern.

Im Tessin müssen wir auf Finanzhilfen und die Anerkennung als berufsvorbereitende Schulen bestehen und sicherstellen, dass wir Schulen unterstützen, die ihren Schülern den Zugang zu den besten Berufsschulen bescheinigen können.

Was muss deiner Meinung nach im Tessin getan werden, um die Realität des Tanzes im Allgemeinen zu verbessern?

Im Tessin müssen wir auf Finanzhilfen und die Anerkennung als berufsvorbereitende Schulen bestehen und sicherstellen, dass wir Schulen unterstützen, die ihren Schülern den Zugang zu den besten Berufsschulen bescheinigen können. Erst dann kann der Kanton entscheiden, welche Schulen er finanziell unterstützt. Eine Schule, die einen berufsvorbereitenden Bildungsgang anbietet, benötigt finanzielle Unterstützung, um ihre qualifizierten Lehrkräfte, die oft aus dem Ausland kommen, bezahlen zu können.

Ensemble bedankt sich für dieses Gespräch zwischen Manuela Rigo und Danielle Brunner.

„Die neue Generation von Tänzer*innen“

Mamu Tshi (30 Jahre alt, Kongolesin, lebt in Lausanne, wo sie mit dem Théâtre Sévelin 36 zusammenarbeitet), Dickson Mbi (36 Jahre alt, Kameruner, aufgewachsen in London wo er auch studiert hat, tritt mit Ausnahmekünstlern wie Robbie Williams auf), Joy Ritter (39 Jahre alt, Kalifornierin, philippinischer Herkunft, aufgewachsen in Freiburg im Breisgau wo sie auch studiert hat, arbeitet für Kompanien wie Akram Khan und den Cirque du Soleil) sind die drei Stars des Abends. Drei selbst choreografierte Soli, völlig unterschiedlich in Stil, Technik und Seele: Krumping für Mamu Tshi im Solo „L’Héritière“, Popping für Dickson Mbi in „Duende“ und eine Mischung aus Voguing, philippinischen Volkstänzen und klassischem Training für Joy Ritter in „BABAE“. Sie alle sind auf der Suche nach Neuem, außerhalb ihrer angestammten Techniken, um ihren eigenen zeitgenössischen Stil zu finden: Akram Khan selbst nennt sie „die neue Generation von Tänzern“.

 

Interview von Lilly Castagneto

„Portraits in Otherness“ ist eine hochkarätige Performance, kuratiert von Akram Khan und produziert von Farroq Chaundhry, im Rahmen des alle zwei Jahre stattfindenden Tanzfestivals STEPS des Migros-Kulturprozent, das seit 1988 in der ganzen Schweiz unterwegs ist. STEPS kehrt mit einer Reihe von zeitgenössischen Tanzaufführungen und außergewöhnlichen choreografischen Aktivitäten zurück. Mit einer Laufzeit von rund vier Wochen ist es auch in diesem Jahr wieder in fast allen Theatern ausverkauft und zeigt nationale und internationale Stars.

Was bedeutet STEPS für dich, Claudia Toggweiler?

Claudia Toggweiler (Roadmanagerin von STEPS): Das Tanzfestival STEPS macht es möglich, aussergewöhnliche Produktionen an rund 38 Orten in der Schweiz zu sehen. Spannend für uns ist vor allem zu beobachten, wie die unterschiedlichen Reaktionen des Publikums ausfallen. Vor allem im Tessin und der Romandie sind die Zuschauer sehr enthusiastisch und warmherzig.

Wie hat die Öffentlichkeit auf STEPS reagiert, Claudia?

Toggweiler: Man spürt, dass sich viele danach sehnten, Tanz wieder live auf der Bühne zu sehen, und tatsächlich waren fast alle Vorstellungen ausverkauft.

Was bedeutet „Portraits in Otherness“ für dich und wie ist die Idee dazu entstanden?

Dickson Mbi: „Portraits in Otherness“ ist eine Abbildung des schlagenden Herzens eines jeden Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft oder Stil: Wir sind alle gleich, dieselbe Essenz. Die Idee stammt von Akram Khan und Farroq Chaundhry, um Nachwuchschoreographen die Möglichkeit zu geben, auf internationale Tourneen zu gehen. Amandine (Mamu Tshi), die Schweizerin, wollte, dass wir sie bei diesem Abenteuer begleiten.

Ihr seid international bekannte Tanzstars: Wisst ihr, dass ihr das seid?

Dickson: Ich glaube nicht, dass ich ein Star bin, ich glaube, ich bin ein Mensch wie jeder andere, ich versuche, meine Träume zu leben. Ich habe eine sehr strenge Lebensdisziplin: Yoga, Pilates, viele Stunden Training. Ich höre viel auf meinen Körper, damit ich nicht zu müde werde, ich ernähre mich gesund, mein Arbeitsleben ist wirklich sehr streng. In meiner Freizeit schaue ich mir gerne Fußball im Fernsehen an, ich bin ein Fan meiner Mannschaft, ich bin ein ganz normaler Mann aus Ost-London.

Joy Ritter: Ich lerne viel, ich nehme viele verschiedene Kurse: klassischer Tanz, Hip-Hop, Contemporary, Yoga und Jogging. Auf und abseits der Bühne bleiben wir immer Künstler: in meiner Freizeit tanze ich gerne, draußen im Park, ich liebe das Tanzen, es ist mein Beruf, aber auch meine Leidenschaft, ich lebe gerne mit der Kunst.

Wann wurde euch klar, dass der Tanz euer Weg sein würde?

Dickson: Ich entdeckte den Tanz erst mit 18 Jahren für mich. Ich ging in ein Tanzstudio und sah eine Gruppe von Jungs, die Popping tanzten, und ich sagte: „Wow, das will ich mit meinem Leben machen“. Als ich 22 war, traf ich den Meisterlehrer Stuart Thomas. Er brachte mir bei, mich selbst zu sein.

Joy: Ich wusste bereits im Alter von fünf Jahren, dass ich Tänzerin werden wollte.

Welchen Rat könnt ihr Berufstänzern und jungen Talenten geben?

Dickson: Den Berufstänzern sage ich: macht weiter, auch wenn es manchmal schwer erscheint, macht weiter, gebt eure Träume nicht auf und den jungen Talenten: bleibt konzentriert, verlangt viel Disziplin von euch selbst, kein Alkohol, keine Drogen, kein Telefon den ganzen Tag lang.

Joy: Ich weiß, dass es nicht immer einfach ist, aber lasst euch nicht von eurem Weg abbringen, lasst euch nicht ablenken, hört nicht auf eure Zweifel, lernt, unterstützt und inspiriert euch gegenseitig.

Wie können junge Menschen unterstützt werden?

Dickson: Sie zu Veranstaltungen mitnehmen, ihnen Hoffnung geben, wenn sie schlechte Tage haben, jemanden finden, der mit ihnen spricht.

Joy: Glaubt an sie, auch wenn sie nicht perfekt sind.

Wie erreicht ihr die perfekte Kontrolle über euren Körper?

Joy: jeden Tag trainieren und proben, mindestens sieben Stunden, die Schönheit in sich selbst finden, Selbstvertrauen haben und auf seinen Körper hören.

Dickson: Um interessant zu sein, muss man Selbstvertrauen haben: glaube an dich, sei stark!

Wie können wir die Arbeitssituation von Tänzern verbessern?

Joy: Eigenwerbung machen, über den Tanz sprechen, Professionalität zeigen, macht euren Job nicht umsonst nur weil ihr ihn gerne macht, lasst euch immer bezahlen.

Dickson: Es ist sehr schwierig, den Leuten klar zu machen, dass es sich bei unserem Beruf um einen echten Beruf handelt, vielleicht kann die jüngere Generation das verstehen. Man muss qualitativ hochwertige Aufführungen produzieren und sich ständig verbessern.

Amandine (Mamu Tshi, Künstlerin aus Lausanne): Erzähle uns von dir.

Mamu Tshi: Ich bin die Tochter meiner grossartigen Mutter, daher auch mein Künstlername Mamu Tshi, ich entwickle mich immer weiter. Mit 17 Jahren entdeckte ich den Tanz für mich und hatte keine Ahnung, dass dies mein Weg werden würde. Ich bin Englischlehrerin an einem Gymnasium, weil ich mich mit meinem Job als Tänzerin allein nicht über die Runden komme, und ich mir nichts vorenthalten möchte. Also arbeite ich hart als Lehrerin und Tänzerin.

Was kannst du den jungen Schweizer Talenten sagen?

Mamu: Ich finde die Arbeit der jungen Künstler in der Schweiz sehr gut, denn ich sehe sie gehen auf Reisen, und wenn sie zurückkommen sind sie bessere Künstler. Es ist wichtig, mit eigenen Projekten voranzugehen. Ich sehe, dass es eine große Dynamik gibt, dass es ein Verlangen nach etwas Neuem gibt. Auch die Institutionen erkennen, dass Tanz mehr ist als nur Ballett: Tanz ist Kultur. Es gibt viele Talente in der Schweiz. Mein Rat: geht auf Reisen, studiert und lernt immer mehr, kommt mit euren Erfahrungen zurück. In der Schweiz haben die Institutionen sehr viel Geld in die Kultur investiert.

Ich danke Mamu Tshi, Dickson Mbi und Joy Ritter für ihre Zeit, ihre Leidenschaft und ihre Professionalität. Ich danke Claudia Toggweiler und Gene Lou (Tourmanager von STEPS) für ihre Unterstützung und Organisation.

Ein Tanzfestival für die ganze Schweiz

Eine starke Schweizer Beteiligung und eine grosse Stilvielfalt prägen das Programm der 18. Ausgabe des Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps. Neun Compagnien bespielen unter dem Leitthema «Neue Perspektiven» vom 28. April bis 22. Mai in 71 Vorstellungen insgesamt 38 Spielstätten in allen Sprachregionen der Schweiz. Das Festival ermöglicht Begegnungen mit dem zeitgenössischen Tanz in grossen Stadttheatern, in alternativen Kulturhäusern und in kleinen Spielstätten in der Peripherie.

Ensemble-Magazin wird am 9. Mai bei der Open Space-Veranstaltung „Steps Seismograph“ für die Schweizer Tanzszene im Théâtre Équilibre in Fribourg dabei sein und berichten. Wir freuen uns und sind gespannt auf neue Impulse aus der Tanzlandschaft Schweiz!

 

 

 

 

 

Das etwas andere Männerballett: Der Raiffeisen-Prozess im Zürcher Volkshaus

(dh) Wer sich auf der Suche nach Inspiration, nach Stoff für ein Theaterstück, Ballett oder ein Musical befindet, begebe sich in die Wirtschaftsbranche. Chefetage. Hier gibt es für jedes Genre eine Farce oder ein grosses Drama – Sex and Crime inklusive. Sicher aber bühnenfertiges Material in Hülle und Fülle.

Im Theatersaal des Zürcher Volkshaus spielte sich in den letzten Wochen ein Drama der etwas anderen Art ab. Das Bezirksgericht war zu klein für diesen Mehrakter. Für diese Gruppenszenen. Für die aufwendige Statisterie. Deshalb verlegte man den spektakulären Wirtschaftsprozess hierher auf die grosse Bühne. Die Vorhänge straff nach hinten gezurrt, die Scheinwerfer flackern oft unabsichtlich schrill: der Lichttechniker scheint unterfordert mit der farblosen Banalität der Wirtschaftselite. In mehreren Etappen wurden hier ein ehemaliger Chefbanker, sein Berater und etliche Beteiligte aus der Schweizer Wirtschaft zu ihren Anklagen wegen Betrugs und unlauterer Geschäftsführung befragt und verteidigt. Für Theaterschaffende ein gratis Buffet an Feldforschung und Sozialstudie. Und dennoch stechen zu viele Klischees ins Auge, um sie direkt zu übernehmen. Ein Beispiel.

KING LAWYER’S LIAR – EIN TRAUERSPIEL

 

Bühnenbild

Zwei Rednerpulte stehen mittig unterhalb der Bühne im Zuschauerraum. Links das für Staatsanwaltschaft und Privatklägerin, rechts jenes für Beschuldigte und Verteidigung. Hier sind zwischen den Befragungen und Plädoyers schöne Choreografien und Pas de deux denkbar. Erhöht dahinter hockt, direkt an der Bühnenrampe, das vierköpfige Richtergremium. Ganz rechts aussen tippt unscheinbar, hinter einem Stapel Bundesordnern, die Gerichtsdienerin mit. Dies gerne im Offbeat.

 

Dramatis Personae

DER OBERSCHURKE

Ehemaliger Chef der drittgrössten Schweizer Bank. Netter, hemdsärmeliger Typ. Bündner Dialekt. Weiss von nichts. Hat nichts getan. Geht gerne und oft in Striplokals oder fliegt mit Freund:innen und Kund:innen nach Übersee. Das darf er doch? Aha, nicht auf Spesen? Das wusste er nicht. Aha, er darf nicht Käufer und Anbieter derselben Firma sein? Das wusste er nicht. Aha, das hätte er melden müssen? Usw. usf. Trinkt flaschenweise Cola Zero, ignoriert die Maskenpflicht konsequent, wobei das Sicherheitspersonal ohnehin nur zuschauendes Volk zurechtweist.

SEIN GEHÜLFE

Millionenschwerer Berater des Oberschurken und eigentlicher Drahtzieher. In denselben Punkten angeklagt. Grau meliertes, zurückgegeltes Haar. Mit einer Krücke. Weiche, schmeichelhafte Stimme. Beteuert, dass er nie und nimmer jemals jemandem etwas Böses gewollt habe. Wenn er könnte, täte er sich wohl auf Knien dazu bekreuzigen. Und auch er wusste wirklich, wirklich von überhaupt gar nichts Falschem.

DAS GEFOLGE

Sechs weitere schwerreiche, alternde Geschäftsmänner in grauen Anzügen, mit blossen, für die Jahreszeit etwas zu braungebrannten Fussgelenken. Hemden und Zähne dafür blendend weiss. Güldener Schmuck und Manschetten, gülden auch das Schreibgerät. Allesamt der Komplizenschaft angeklagt. Nach abgehaltenem, gut einstudiertem Tänzchen am Rednerpult besteht ihre Hauptbeschäftigung einzig noch im Begutachten und Swipen von leichtgekleideten Damen oder Luxuswagen am Tablet.

Anm. d. Redaktion: Um das literarische Niveau des Stücks einigermassen zu halten und dem Anspruch des Publikums gerecht zu bleiben, empfiehlt es sich, Verhalten und Reden der Protagonisten nicht eins zu eins zu übernehmen, sondern diese hie und da etwas zu verfeinern. Die gegebenen Attituden und Klischees erschienen auf der Bühne doch allzu plump und unglaubwürdig.

DIE WEIBLICHE ENTOURAGE

Zum Gefolge kommen die wenigen weiblichen Darstellerinnen dazu: Gattinnen, Dolmetscherinnen und sonstige Entourage der Beschuldigten. Zierlich, blond, Füsschen massierend, Blümchen auf Zettelchen malend, ab und zu ein Kleckschen Handcrème auftragend. Nicht für Sprechrollen geeignet. Eher empfiehlt es sich, daraus einen lasziv-betörenden Damenchor zu gestalten. Bitte auch hier augenfällige Klischees vermeiden.

DIE ANWÄLTE

Hier böten sich zur Kostümierung abwechslungshalber Tiermasken an. Diese reichten von Füchsen über Marder und Echsen, hin zu Geiern und durchaus auch Karpfen. Als Meta-Ebene stünde den Staatsanwälten und Verteidigern – nach hitzigen Monologen und emotionalen Ausbrüchen – ein zärtliches Pas-de-deux oder ein inniger Tango gut an.

DER CHOR

Die Medienschaffenden: Auch sie in – weniger modischem – Grauschwarz, der Teint allerdings blass. Unbeeindruckt bleibt ihr Blick auf zwölf Zoll beschränkt. Zuverlässig fallen sie in regelmässigen Abständen – auf Zeichen des Richters, oder sonstig absehbarer Pointen – in hysterisches Zehnfingerhacken ein. Ihr Fokus liegt ganz beim Aufregerpotenzial.

DAS VOLK

Das zuschauende Volk unterscheidet sich in Auftritt und Gebaren deutlich vom Rest derSzenerie. Mit viel Distanz darf es von weit oben dem Geschehen zuschauen, dies allerdings nur an einzeln ausgewählten Prozesstagen. Hier oben wird sich deutlich mehr amüsiert, wobei das juristische Verständnis mitunter gen Null strebt. Ab und zu isst einer heimlich eine Banane. Taktgenau wird das Volk vom Sicherheitspersonal auf korrektes Tragen der Masken und Verbot von elektrischem Gerät hingewiesen.

DAS SICHERHEITSPERSONAL

Hier dürfen Klischees bedient werden. Es gibt wenig Alternativen.

DER RICHTER

Seine Rolle ist auch für Schauspiellaien leicht zu bewerkstelligen: stellt er den Beschuldigten zwar eine Handvoll Fragen, die auf seinem Zettel stehen, verkündet er doch hauptsächlich die Dauer der Bio- und Mittagspausen sowie den weiteren Verlauf des Prozesses. Hin und wieder flüstert er einem Richterkollegen etwas ins Ohr. Dieser flüstert ihm eine Antwort zurück. Am Fuss seines Tisches steht täglich sein Znünisäckli vom Beck Stocker. Auch er ein in die Jahre gekommener Herr, werden seine Augenlider öfters schwer.

Wie im letzten Aufzug des Stücks am Zürcher Volkshaus schliesslich über Betrug, Arglist und Mittäterschaft befunden, wie erfolgreich die beteiligten Akteure sich gebärdet und inszeniert haben werden und wer am Ende wen an die Wand gespielt haben wird, ist zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Magazins noch nicht bekannt. Finales Urteil und Vorhang fallen voraussichtlich im April. Die Hoffnung auf weiteres Inspirationsfeld aus der Finanzbranche soll sich dadurch aber nicht zerschlagen: man verfolge getrost die Tagesthemen dieses Landes.