Intimitätskoordination – ein Berufszweig auf der Überholspur

Gemäss der ersten zertifizierten Intimacy Coordinator Julia Effertz, unterstützt diese Berufsfeld den Entstehungs-Prozess intimer Szenen von der Vorbereitung, über den Dreh bis hin zur Post-Produktion.

Die Regie wird bei der Umsetzung ihrer kreativen Vision massgeblich durch den Intimacy Coordinator unterstützt und diese*r stellt sicher, dass Inhalte einvernehmlich entstehen und die Grenzen der Schauspieler*innen respektiert werden. Produktionen die mit Intimacy Coordination arbeiten verstehen die spezielle Schwierigkeit intimer Szenen und tragen Fürsorge für Cast und Crew.

Die Redaktion von Ensemble Magazin hat einen Medienspiegel für Sie zusammengestellt, der das Berufsfeld eingehender behandelt.

„Intimität fängt schon bei Kussszenen an. Jeder Kuss erzählt eine andere Geschichte, ist eine intime Berührung. Was auch sehr intim sein kann, ist eine Szene, in der eine Schauspielerin eine gebärende Frau spielt. Das ist mitunter sehr exponierend für die Schauspielerin.“

Julia Effertz, deutsche Intimitätskoordinatorin im Interview mit Edition F

Julia Effertz ist Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin – im Interview mit Edition F spricht sie über diesen neuen Berufszweig, warum er so wichtig für die Filmbranche ist und wozu beispielsweise Genitaltaschen genutzt werden. Effertz sorgt bei den Probesituationen dafür, dass die Grenzen von Schauspieler*innen beim Drehen intimer Szenen eingehalten werden und erklärt im Interview, wo die Schwierigkeiten hierfür liegen. Ein kleiner Auszug:

Wie bei jeder intimen Szene arbeite ich mit der Schauspielerin körperlich, stimmlich und emotional. Das Ziel ist auch hier, daß ihr privater Körper geschützt ist und sie mit ihrem Körper die Rolle und ihre Geschichte erzählen kann. Ich sorge dafür, wie auch bei anderen intimen Szenen, dass es der Schauspielerin am Set gut geht, dass sie etwa zwischen den Takes nicht entblößt daliegt, sondern dass ihr sofort nach dem ‘Danke’ der Bademantel gereicht wird. Im Idealfall sollte auch hier  ein ,Closed Set’-Protokoll mit minimaler Crew eingehalten werden.

und

„Ein choreografisches Hilfsmittel ist das ,Anchoring’, also die Bewegung über ,Anker’ anderer Körperstellen. Das kann man sich zum Beispiel so vorstellen: klassische Missionarsstellung, der Mann liegt über der Frau. Die Genitalbereiche berühren sich hierbei nicht, sondern der Schauspieler ankert seinen Oberschenkel an dem seiner Szenenpartnerin. Stoßbewegungen können dann über diese Ankerstelle ausgeführt werden. Je nachdem wie viel Nacktheit vereinbart ist, wird mit verschiedenen Kostümen gearbeitet. Das wären hautfarbene Slips oder sogenannte Genitaltaschen für Männer, in denen sie alles gut verpacken können.“

Es erschien ein weiterer Artikel über die Arbeit von Julia Effertz mit dem Titel „Ich bin nicht die Sexpolizei“ im Onlinemagazin ze.tt.

Einen kurzen Einblick in die Thematik gewährt das Format „100 Sekunden“ von SRF als Podcast. Er greift das Prinzip der fünf C’s auf, das auf den Punkt bringt, wie eine Intime Szene aufgebaut sein muss.

Mein privater Körper war durch die Intimitätskoordination völlig geschützt, mein Schauspielkörper füllte die Rolle ganz aus. Da habe ich verstanden: die Intimitätskoordination funktioniert. Sie sichert mich nicht nur ab, sie eröffnet mir auch absolute künstlerische Freiheiten.“

Julia Effertz

Eine weitere wichtige Intimitätskoordinatorin ist die junge Kalifornierin Amanda Blumenthal, die in den USA und Grossbritannien «Euphoria», «The L-Word» und «The Affair» begleitet. Sie sei als Sex- und Beziehungscoach tätig gewesen, als sie von der Stellenanzeige bei HBO hörte, erklärt sie im Interview mit der Annabelle.

Im Interview antwortet sie auf die Frage, ob sie viele Geschichten von Missbrauch am Set höre, folgendermassen:

„Allerdings, und es sind manchmal sehr extreme Geschichten: Von Regisseuren, die alle nachhause schicken, um ungestört die Hauptdarstellerin vergewaltigen zu können. Von Schauspielern, die während des Drehs backstage Sex haben. Von verbalen Entgleisungen nach dem Motto «Zeig mir deine Titten». Der Böse ist nicht immer der Regisseur, Übergriffe finden auch zwischen Setmitarbeitern oder Schauspielerkollegen statt.

Blumenthal spricht ausserdem darüber, dass auch das Erleben des Aggressors bei einer gewaltsamen Sexszene verstärkt thematisiert und mentoriert werden müsse, wie auch alle anderen Beteiligten, die dem Dreh beiwohnen und von den psychischen Herausforderungen einer solchen Szene betroffen sind.

Seit #MeToo herrscht unter den Männern grosse Nervosität. Viele haben Angst, sich falsch zu benehmen. Sie erkennen meist, dass wir dazu da sind, ihnen unangenehme Diskussionen abzunehmen, zu klären, wer sich wo anfassen darf und wie genau man sich küsst. Es verleiht Sicherheit, so eine vermittelnde, neutrale Person mit an Bord zu haben.

Amanda Blumenthal im Interview mit  Annabelle

Auf ihrer eigens für die Thematik kreierten Website „Intimacy professionals association“ teilt sie als führende internationale Organisation ihr Wissen mit Interessierten. Darunter ist eine Auflistung zu den wichtigsten Dienstleistungen eines Intimacy Coordinators zu finden:

  • Erleichterung des Dialogs zwischen den Schauspielern und dem Regisseur über ihr Wohlbefinden in Bezug auf den intimen Inhalt einer Szene
  • Emotionale Vorbereitung der Schauspieler auf intensive Intimitätsszenen, wie z. B. simulierte sexuelle Übergriffe, und Unterstützung während des gesamten Prozesses sowie emotionale Nachbetreuung, falls erforderlich
  • Sicherstellen, dass während des Drehs einer Szene die Grenzen der Schauspieler nicht überschritten werden und dass sie während des gesamten Drehs sowohl körperlich als auch emotional sicher bleiben
  • Bereitstellung einer sicheren Umgebung, in der die Schauspieler ihre Arbeit verrichten können
  • Sicherstellen, dass die Richtlinien für geschlossene Sets und SAG-Nacktheit eingehalten werden
  • Als Fürsprecher und Verbündeter für LGBTQIA+-Darsteller am Set fungieren
  • Choreografieren von simulierten Sexszenen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen
  • Koordination mit Abteilungen wie Kostümen und Make-up, um sicherzustellen, dass die Schauspieler mit angemessener Nacktheitskleidung, Barrieren und Prothesen ausgestattet sind

Weitere statistische Informationen, als auch weiterführende Informationen zur Ausbildungsmöglichkeit in Deutschland, erteilt das „kmbk“ – Beratung und Netzwerk für Künstler*innen, Kreative, Kultur- und Medienschaffende aus München.

In Wirklichkeit ist gar nichts spontan oder sexy. Sexszenen sind harte Arbeit, physisch und psychisch.

Amanda Blumenthal

 

Performancepreis Schweiz – Swiss Performance Art Award

Der Performancepreis Schweiz erhöht die Sichtbarkeit der Schweizer Performancekunst, zeigt ihre Vielfalt und Qualität, und stärkt ihre Anerkennung. Der seit 2011 jährlich national ausgeschriebene Wettbewerb ist offen für Bewerbungen von Kunstschaffenden mit einer performativen Praxis aus allen Sparten.

Der Performancepreis Schweiz ist eine partnerschaftliche Förderinitiative der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, St. Gallen, Zürich und der Stadt Genf. Der Kanton Luzern ist zum zweiten Mal Gastgeber des Performancepreis Schweiz, dieser wird am 12. November 2022 im Kunstmuseum Luzern ausgetragen. Vom 11. bis 13. November 2022 findet ein vielseitiges Rahmenprogramm unter Beteiligung von Luzerner Performanceschaffenden statt. Es finden Performances, Interventionen, Diskussionen und Lectures statt.

Ensemble-Magazin trifft Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons Luzern. In dieser Funktion ist er auch Leiter der Kulturförderung Kanton Luzern, hierzu gehören neben Theater, Tanz, Musik oder der Bildenden Kunst natürlich auch die Performance-Kunst dazu. In Luzern und der Zentralschweiz existiert gemäss Sägesser bereits eine relativ starke Szene. Diese kulturelle Szene ist traditionell in der bildenden Kunst angesiedelt, was sich aber mehr und mehr verändern wird. Die Bereiche Tanz, Theater und Schauspiel fliessen mehr ein, was auch durch die Hochschule für Design und Kunst geprägt wird. Die HSLU gibt als Partner bietet für die Performance-Kunst extra eine Ausbildung an und bietet dem Medium damit auch Raum für Forschung. Deshalb war der Entscheid klar, bei der Plattform Performance Preis Schweiz dabei sein zu wollen.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können. Früher geschah das mehr im Umfeld von Kunstmuseen. Das liegt daran, dass Performance eine anspruchsvolle Kunstform ist aus Sicht der Rezipienten. Man kann nicht genau abschätzen, was einen jeweils erwartet. Es braucht Leute mit einem gewissen kulturellen Hintergrund, als auch einer spezifischer Vorbildung, um die codierte Symbolik der Performance deuten zu können.

Der Performance Preis findet einmal jährlich statt, Sägesser sieht dieses Jahr das theatrale Element im Vordergrund, im Vergleich zu anderen Ausgaben. „Es gibt zunehmend Gruppierungen, Kollektive, das hat sich in den letzen Jahren immer deutlicher herausgestellt. Die klassische Performance, die in der freien Kunst angesiedelt ist, geht eher zurück. In der WestSchweiz ist das sogar noch stärker ein Thema als in der Deutschschweiz.“

Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Sägesser ist mit dem Austragungsort Luzern für die Organisation zuständig, alle Partner-Kantone stellen jeweils geeignete Jury-Mitglieder zur Verfügung. Dabei zählen Diversiät bei Gender- und Sprachvertretung, als auch beim Alter der Finalist*innen eine tragende Rolle. Es wird nach der Einnahme von Positionen, nach Stilmitteln gewertet, wie auch nach dem Innovationsgrad der Ideen. Sägesser betont auch, dass die Tagesform der Auftretenden ein wesentliches Kriterium sei, besonders beim Zusammenspiel in Kollektiven, da es kein spezifisches Skript gibt wie im klassischen Theater. Die Jury entscheidet am Ende unabhängig von der kantonalen Zugehörigkeit der Finalist*inne, wer gewinnt. „Aus Erfahrung herrscht auch im Publikum ein grosses Kribbeln und Anspannung während den Performances“, meint Sägesser.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum.

Mit der Ausschreibung und Vergabe des Performance Awards ist eine nationale Plattform gegeben. Es handelt sich mittlerweile um eine Auszeichnung, die sich etabliert hat und sich besonders positiv auf Lebenslauf und Reputation der Gewinner*innen auswirkt. Der Preis und auch das relativ hoch angesetzten Preisgeld sind eine gute Basis für das weitere Schaffen der Künstler*innen. Besonders für Stiftungen, darunter beispielsweise Pro Helvetia, sind solche Preise massgeblich. Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum – er meint aber auch, dass sich das seit Corona-Pandemie in eine gute Richtung entwickelt und die Performancekunst öffentlich wahrnehmbarer geworden ist. Auch gab es im Publikum in den letzten 7 Jahren grossen Zuspruch, wie auch in der Veranstalterszene. Noch immer gibt es aber eine spürbare Zurückhaltung gegenüber Ungewöhnlichem.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten. Dies wünscht sich Sägesser für die Zukunft – die Performance-Szene sei an sich schon relativ klein und bringe unabhängig immer wieder aus eigenem Antrieb mit grossem Aufwand Kreationen auf die Bühne. Die Finanzierung wie auch die Werbung sind dabei ein herausfordernder Balanceakt. Sägesser erhofft sich mit der alljährlichen Ausschreibung mehr Perspektive für die Performanceszene.

Folgende Künstler*innen und Kollektive sind diese Jahr für den Preis nominiert:


Collectif Les Heureuses aus Bern sind Jeanne Jacob und Cornelia Nater. Die beiden Künstlerinnen arbeiten seit zwei Jahren zusammen und beschäftigen sich in ihren Malereien, Performances, Audio- und Videoarbeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Verhältnis zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Sammeln, Ordnen, gemeinsame Produzieren und Diskutieren betreiben sie mit humorvollen, poetischen und spielerischen Mitteln.

In der Performance Lauter beste Schlusssätze (2022) trinken Jeanne Jacob und Cornelia Nater an einem Gartentisch mit aufgemaltem Mühlespiel Tee. In ihrer Performance richten sie Fragen an das Publikum, an sich selbst und ihr Gegenüber: Was wird hier gespielt? Wer gewinnt und wer verliert? Wobei der Titel andeutet, dass dies mit einem Augenzwinkern geschieht. Der gesprochene Text handelt vom Spielen um des Spielens Willen, der Symbiose zwischen Pilzen und Bäumen, der Begegnung am Küchentisch und der Kunst auf Rädern zu gehen. Untermalt wird das Gespräch von elektronischem Sound, eingespielten Tonaufnahmen und Videos, die die unterschiedlichen Erzählstränge zu einer dichten multimedialen Collage verbinden.

 

Claudia Grimm beschäftigt sich in ihren Performances mit alltäglichen performativen Sprechsituationen. Sie untersucht diese auf ihren Inhalt, die Art des Sprechens und der Wissensvermittlung und reinszeniert sie mit feinen Irritationen. Die daraus entstehenden Vorlesungen, Workshops, Rundgänge oder Ansprachen sind eine Mischform aus Choreografie und Improvisation. Wiederkehrende Themen sind Techniken zum Einüben unterschiedlicher Fähigkeiten, der Umgang mit Archiven und das kollektive künstlerische Schaffen in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv DARTS (disappearing artists).
 
Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen (2022)
Treffen können uns die unterschiedlichsten Dinge: eine Aussage, eine Geste, ein Schicksalsschlag, ein herunterfallender Ast. Die Performance «Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen» knüpft an vorangehende Übungsreihen an, worin Claudia Grimm in Zusammenarbeit mit DARTS Strategien für den Umgang mit dem Getroffen-werden präsentiert. Dafür orientiert sich die Künstlerin an How To- oder Survival-Tutorials – Gebrauchsanweisungen, wie wir sie aus dem Internet kennen – und reflektiert deren Vokabular und Demonstrationsmodus. Ausstaffiert mit einer improvisierten Schaumstoffmontur, einem Schutzwall-Kit und wortgewandten Verteidigungsstrategien trotzt Claudia Grimm angreifenden Pfeilen, Steinen oder Sinneseindrücken. Die kommentierten Übungen sollen dazu befähigen, dem Getroffen-werden tapfer und beherrscht zu begegnen.

 

Johanna Kotlaris aus Zürich interessiert sich in ihrer künstlerischen Praxis für zwischenmenschliche Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken von Nähe, Distanz oder Grenzziehungen. In ihren theatralen und oft satirisch überzeichneten Inszenierungen verkörpert sie unterschiedliche Rollen und Charaktere, anhand derer sie Themen wie Identität, Leistung, Fehlerhaftigkeit oder Machtverhältnisse behandelt. Inspiration für ihre Rollen findet sie im Theater, im Film, in der Musikbranche oder der Stand-Up-Comedy. In ihren Performances nutzt sie die spezifische Architektur der Aufführungsorte als wandelbare Bühne und untersucht sie auf ihre Beschaffenheit hin. Ihre zentralen Ausdrucksmittel sind Körpersprache, Sprache und Stimme.

Bibbidi-Bobbidi-Anima (2022)
Die für den Performancepreis Schweiz entwickelte Arbeit «Bibbidi-Bobbidi-Anima» entstand in Kollaboration mit den Performerinnen Hanna Mehler und Marie Popall. Als Personifikation des Todes führt Johanna Kotlaris durch die Räume des Kunstmuseums Luzern und versucht sich in ein menschliches Dasein einzufühlen und sich dieses anzueignen. Die Figur verstrickt das Publikum in ihre Auseinandersetzung mit Verlust, Aufbruch, Veränderung und der Unvermeidbarkeit des Endens: Wie strukturieren sich die Zyklen von Werden und Vergehen? Inwiefern lassen sich die Geschehnisse in unserem Leben beeinflussen und gestalten? Und was hat es mit dem Mythos der Unsterblichkeit auf sich? Die Reflexion der eigenen Rolle sowie Textfragmente aus kulturgeschichtlichen Erzählungen über das Sterben und die damit einhergehenden Neuanfänge mischen sich mit Gesang, Sound und Bewegungssequenzen zu einem zeitgenössischen Totentanz.

 


Milda Lembertaitė & Amelia Prazak arbeiten seit 2014 als Duo und beschäftigen sich in ihren Performances, Videoarbeiten und Kostümen mit den Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen sowie dem Spannungsverhältnis von Körper, Nahrung, Umwelt und Technologie. In essayistischen, teilweise surreal anmutenden Erzählungen verbinden sie individuelle Beobachtungen und Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Geologie, Medientheorie und Menschheitsgeschichte.

Only See You When I Look at Myself (2022)
Das geophysikalische Phänomen des «erratischen Blocks» bezeichnet ortsfremdes Gestein, das durch Gletscher oder die Gezeiten verschoben wurde. Die auch als Findlinge bekannten Steinbrocken dienen Milda Lembertaitė & Amelia Prazak als Sinnbild, um vielschichtige Fragen zu Identität, Zugehörigkeit, Verortung und Transit zu thematisieren. Die daraus entstandene Performance «Only See You When I Look at Myself» ist als Videoessay konzipiert, worin die Künstlerinnen Screens gleichzeitig als Requisiten, Prothesen sowie Bildträger einsetzen und so auf die Verwobenheit des menschlichen Körpers mit medialen Geräten verweisen. Die Suche nach Heilung und Reinigung zieht sich durch die Erzählung und findet ihren Ausdruck im fliessenden Wasser, das Körper, Gestein und Geräte durchströmt.

 

Natalie Portman nennt sich das Kollektiv bestehend aus Paula Henrike Herrmann, Philémon Otth und Arnaud Wohlhauser. Unter Einbezug von wechselnden Kollaborationspartner:innen organisieren die drei Kunstschaffenden seit 2017 Veranstaltungen und Performances. Durch ihre künstlerischen Eingriffe kreieren sie in alltäglichen Situationen subtile Verschiebungen der Wahrnehmung – Momente der Reibung und Überlagerung zwischen unterschiedlichen Realitäten und Menschen.

La Société du Pestacle (2022)
In der für den Performancepreis Schweiz entwickelten Performance «La Société du Pestacle» versammelt Natalie Portman eine Gruppe von Figuren aus Theaterstücken. Die Schauspieler:innen, die diese Rollen aktuell an verschiedenen Schweizer Theaterhäusern verkörpern, tauchen beiläufig im Kunstmuseum Luzern auf und mischen sich unter das Publikum. Die Figuren werden aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst, so dass neue spekulative Beziehungen und assoziative Geschichten entstehen. In ihren Kostümen unterschiedlich klar als fiktive Charaktere erkennbar, verschwimmen die Grenzen zwischen Publikum und Performer:innen. Natalie Portmann reflektiert damit unterschiedliche Darstellungskonventionen des Theatralen ebenso wie die Rollen, die das Publikum im Kunstkontext einnimmt.

 

Francesca Sproccati aus dem Tessin schafft in ihren Performances szenische Erfahrungsräume: Mittels minimaler Setzungen aus Klang, Licht und Bewegung rückt sie die Wahrnehmung des Publikums in den Fokus und lädt dieses zu Interaktion und Kontemplation ein. Aspekte wie Melancholie, Leere oder Erinnerung werden sinnlich erfahrbar.

Out of Me, Inside You (2022)

«Out of Me, Inside You» besteht aus Videoaufnahmen, Field Recordings und Textfragmenten, die Francesca Sproccati während zweier Reisen sammelte. Mit dem Jungfraugletscher und Neapel hat sie zwei ganz unterschiedliche Klanglandschaften durchquert. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elena Boillat, dem Musiker und Komponisten Adriano Iiriti, der Dramaturgin Rosa Coppola und mit der Unterstützung von Alan Alpenfelt und Camilla Parini entwickelte sie ein Live-Set in einem installativen Setting: Loops und Variationen des Ausgangsmaterials bestimmen die multimediale Choreografie und erzeugen einen intimen Raum, worin das Zuhören, die eigene körperliche Anwesenheit und individuelle Assoziationskraft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

 

Im künstlerischen Kosmos von Latefa Wiersch aus Zürich tummeln sich Mischwesen zwischen Mensch und Tier, Pflanze, Objekt und Maschine, denen sie in Videos, als Performance oder fotografisch inszeniert ein eigendynamisches Leben verleiht. Ausgehend von alltäglichen Beobachtungen und mit abgründigem Humor erzählen die selbstgebauten Puppen von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen echtem und künstlichem Körper. Wiederkehrende Themen sind Identität, Mutterschaft, Liebe und Gewalt.

Neon Bush Girl Society (2022)
Die Performance «Neon Bush Girl Society» ist eine Zusammenarbeit von Latefa Wiersch, Rhoda Davids Abel und Dandara Modesto. Die drei Künstlerinnen entwickeln aus Text, Gesang und performativen Objekten eine spekulative Erzählung, die sich aus ihrer jeweiligen lückenhaften Biografie sowie den Kultur- und Kolonialgeschichten unterschiedlicher indigener afrikanischer und afrodiasporischer Bevölkerungsgruppen speist. Ein verbindendes Motiv sind Gesten des Umkehrens und Zurückschauens, die für ein Sehnen und Trauern um die verlorene Heimat stehen. Diese finden sich zum Beispiel in der Legende des vom Krieg betroffenen Volkes der Nama im südlichen Afrika: Im Mythos verwandeln sich die Geflüchteten in Mischwesen zwischen Baum und Mensch. Daher stammt der Afrikaans-Name «Halfmens» (dt. «Halbmensch») für eine Pflanze, deren Silhouette an menschliche Figuren erinnert. Daran angelehnt entstanden die hybriden Spielfiguren zur Performance, die mit den Körpern der Akteurinnen in wechselnden Konstellationen zu verschmelzen scheinen. Diese Figuren verweisen zudem auf die identitätspolitische Dimension von weiblichen Körpern of Color und werfen Fragen zu Sichtbarkeit, Repräsentation und Formen der Ermächtigung auf.

Workshop-Angebot von SzeneSchweiz

Exklusiv für SzeneSchweiz-MitgliederWorkshop „Tonstudio für Anfänger*innen“

Zum neunten Mal präsentieren SzeneSchweiz und VPS-ASP den Workshop Tonstudio für Anfänger*innen.

Das Bedürfnis nach mehreren beruflichen Standbeinen ist gross – sei es bei den Freischaffenden oder auch den festangestellten darstellenden Künstlerinnen und Künstlern.

Der eintägige Kurs versteht sich als Sprungbrett für alle weiteren Schritte in den Beruf als Sprecherin oder Sprecher. Mit der Arbeit an Kommentar- und Werbetexten können neue oder auch ergänzende Erfahrungen am Mikrofon gesammelt werden. Ganz ohne Druck, ein pfannenfertiges Ergebnis abliefern zu müssen.

Irina Schönen und Stephan Lendi (Sprecher und Coaches) unterstützen die Teilnehmenden bei den Aufnahmen, zusammen mit Leoš Gerteis von den NJP Tonstudios. Sie geben Feedback, beantworten Fragen und berichten über die Arbeit als professionelle Sprecher*innen und im Studio.

Wann: Montag 14. November 2022 von 9 – 17 Uhr (eine Stunde Mittagspause)

Wo: NJP Studios, Vorderzelgstrasse 7a, 8700 KüsnachtKosten: 180.- (subventioniert durch SzeneSchweiz)

Anmeldunginfo@szeneschweiz.ch

Anmeldefrist: 31. Oktober 2022

Der Kurs ist auf 8 Teilnehmende beschränkt. Anmeldungen werden nach Reihenfolge des Eingangs berücksichtigt und gelten ab dem 1. November als verbindlich. Danach werden Annullierungsgebühren erhoben.

 

Exklusiv für SzeneSchweiz-MitgliederSocial Media-Workshop am Montag, 14. November 2022

Unser beliebter Workshop zu Social Media mit Reda El Arbi (Journalist & Blogger) findet wieder statt. Die Eckdaten:

  • Montag, 14. November 2022
  • im SIG-Mehrzweckraum an der Kasernenstrasse 15, 8004 Zürich (Eingang via Innenhof)
  • Von 11:15 bis 18:00 Uhr
  • SzeneSchweiz übernimmt sämtliche Kosten wie auch den Lunch

Der Inhalt:Die beiden Pandemie-Jahre haben auch in den darstellenden Künsten das Bewusstsein für digitale Möglichkeiten geschärft. So haben verschiedenste Künstler*innen neue, virtuelle Kanäle entdeckt und sich die unterschiedlichsten (digitalen) Bühnen auf Social Media geschaffen. Von ganzen Filmen, die in Instagram-Stories gezeigt werden, über Podcasts, in denen Sprecher*innen ihre Fähigkeiten einbringen konnten, bis zu Twitch-Livestreams – alles steht da draussen zur Verfügung.Wir machen eine kleine Einführung zu allen relevanten Social Media-Plattformen und suchen gemeinsam nach Ideen.Anmeldungen nehmen wir gerne per Email an info@szeneschweiz.chentgegen.Anmeldeschluss ist der Freitag, 28. Oktober 2022.

 

Erinnerung – freie Plätze!

Liebe Obleute und Ensemblesprecher*innen

Als gewählte Ortsgruppenvertreter*innen habt ihr nach Art. 34 GAV die schwierige Aufgabe, eure Kolleg*innen zu vertreten und mit der Direktion eures Hauses über Ausnahme-Regelungen zu verhandeln. Um euch in dieser Aufgabe zu unterstützen, führen wir einen Workshop mit einem international erfahrenen Verhandlungstrainer durch:

Wie kann ich als Obmann/Obfrau/Sprecher*in die Interessen meiner Kolleg*innen bestmöglich vertreten?

Gerne machen wir euch nochmals auf den Workshop aufmerksam:

Datum: Montag, 21. November 2022

Zeit: 10:15 bis max. 17:00 Uhr

Ort: SIG Mehrzweckraum, Kasernenstrasse 23 (im Hof, im Untergeschoss), 8004 Zürich

Kosten: Alle Kosten inkl. Lunch trägt SzeneSchweiz

Maximale Teilnehmerzahl: 15

Anmeldung: bis spätestens 31. Oktober 2022 per Mail an info@szeneschweiz.ch 

Verhandlungstrainer: Jochen Luksch ist geschäftsführender Partner der Beratungsfirma Egger, Philips & Partner AG. Der Jurist und ehemalige Journalist begleitet seit vielen Jahren Verhandlungen in den verschiedensten Branchen. Er bietet Verhandlungstrainings, Coaching und Mediation nach dem Harvard-Konzept an.

 

Prix suisses des arts de la scène 2022

Deutsche Übersetzung weiter unten

 

Texte de Viviane Bonelli, ScèneSuisse Romandie

Dans un théâtre de Carouge refait à neuf, on nous accueille dans une ambiance feutrée mais décontractée. Les convives chuchotent en jetant des coups d’œil de part et d’autre afin de deviner qui se cache derrière cette coupe de cheveux extravagante ou ce maquillage parfait.

Une Mercedes se gare, notre conseiller fédéral Alain Berset sort de la voiture avec deux ou trois personnes tout de noir vêtues, d’autres personnalités se succèdent. Les photographes et les cameramans se pressent afin de capter chaque émotion, chaque instant.

Un artiste allemand au look original me parle avec un fort accent et un beau sourire. Il est là, gêné mais heureux d’accompagner ses amis qui viennent recevoir un prix.

La sonnette retentit. Il est l’heure de rejoindre la salle. J’assieds tout en haut pour mieux ressentir l’ambiance. Les lumières s’éteignent, le duo de modérateur fait rire l’assemblée. Puis, les artistes se succèdent les uns après les autres pour recevoir leur prix. Des rires, des larmes, beaucoup de passion et d’émotion, et puis Barbara Frey reçoit l’Anneau Hans Reinhart 2022, magnifique, brillant, une reconnaissance pour l’ensemble de sa carrière. On lui rend hommage, le public applaudit, les lumières s’allument puis la fête continue et les langues se délient, les cravates se dénouent, les maquillages se défont et la vie reprend son souffle. Les artistes déambulent un verre à la main, soulagés, heureux.

Merci pour cette belle soirée.

 

Deutsche Übersetzung

Schweizer Preise Darstellende Künste 2022

Text von Viviane Bonelli, SzeneSchweiz Romandie

Im neu renovierten Theater in Carouge werden wir in einer gedämpften, aber entspannten Atmosphäre empfangen. Die Gäste tuscheln und werfen Blicke von einer Seite zur anderen, um zu erraten, wer sich hinter dem extravaganten Haarschnitt oder dem perfekten Make-up verbirgt.

Ein Mercedes parkt, Bundesrat Alain Berset steigt mit zwei oder drei schwarz gekleideten Personen aus dem Auto, weitere Persönlichkeiten folgen. Fotografen und Kameraleute drängen sich, um jede Emotion, jeden Moment festzuhalten.

Ein deutscher Künstler mit einem originellen Look spricht mich mit einem starken Akzent und einem schönen Lächeln an. Er steht da, verlegen, aber glücklich, seine Freunde zu begleiten, die einen Preis entgegennehmen wollen.

Die Türklingel ertönt. Es ist Zeit, in den Saal zu gehen. Ich sitze ganz oben, um die Atmosphäre besser zu spüren. Die Lichter gehen aus, das Moderatorenduo bringt die Anwesenden zum Lachen. Dann folgt ein Künstler nach dem anderen, um seinen Preis in Empfang zu nehmen. Lachen, Tränen, viel Leidenschaft und Emotionen, und dann erhält Barbara Frey den Hans-Reinhart-Ring 2022, wunderschön, glänzend, eine Anerkennung für ihre gesamte Karriere. Sie wird geehrt, das Publikum applaudiert, die Lichter gehen an, dann geht die Party weiter und die Zungen lösen sich, die Krawatten werden gelockert, die Schminke wird gelöst und das Leben nimmt seinen Lauf. Die Künstler schlendern mit einem Glas in der Hand umher, erleichtert und glücklich.

Danke für diesen schönen Abend.

Hier finden sie die Aufzeichnung der Preisverleihung in voller Länge.

 

 

Massive Vorwürfe an die Ballettschule Theater Basel

Fortsetzung Medienspiegel vom 30. September 2022: In Kooperation mit der „NZZ am Sonntag“ hat das Online Magazin „Bajour“ aus Basel eine umfangreiche Recherche zur Thematik publiziert, die auf Interviews mit 33 Tänzerinnen basiert. Trotz jahrelangem Missbrauch hat die Basler Behörde bis anhin wenig unternommen. Die Leitung der Schule streiten die Vorwürfe vehement ab. Darunter waren erschütternde Stimmen der Tänzerinnen wie diese:

«Als eine Mitschülerin völlig abgemagert ins Spital eingeliefert und an die Sonde angeschlossen werden musste, rüttelte uns das durch. Wir waren zu jung, um das mit den Methoden der Schule in Verbindung zu bringen, für uns war die Botschaft: So dünn müssen wir also werden, um der Direktorin zu gefallen.»

Julie Diethelm, Schülerin an der BTB

oder diese:

«Ich weinte regelmässig und hoffte, man würde uns helfen. Aber niemand setzte sich für uns ein. Es schien, als hätten sie alle eine stillschweigende Vereinbarung getroffen: Was hier läuft, mag hart sein, aber nötig. Man brach uns, und alle schauten zu.»

Madison Devietti

Aktuell will die Ballettschule Theater Basel  eine unabhängige Untersuchung in Auftrag geben und sich wheren, was in einer Mitteilung auf Bajour heute bekannt gegeben wurde. Dies nachdem Bajour und die «NZZ am Sonntag» Vorwürfe von Schüler*innen publik machten, die von jahrelangem Missbrauch berichten.

In den Gesprächen, die Bajour und die «NZZ am Sonntag» mit den 33 Schüler*innen führten, werden der Schule Demütigungen im Unterricht, systematische Beschimpfungen und Mobbing vorgeworfen. Die meisten Frauen sollen während der Zeit an der BTB keine Menstruation gehabt, eine 1,69 Meter grosse Studentin noch 36 Kilo gewogen haben. Panikattacken, Essstörungen, Ermüdungsbrüche sollen die Folge gewesen sein. Neben den Gesprächen haben wir zahlreiche Krankenakten, Mails und Textnachrichten ausgewertet.

Bajour, Online Magazin

Es sei nicht die erste öffentliche Diskussion über die Ausbildung von Balletttänzer*innen in der Schweiz. Lange Zeit hätten die Spitzensportler*innen als Symbol für Eleganz und Perfektion, wenn sie anmutig Pirouetten drehen und scheinbar mühelos auf Zehenspitzen über die Bühne gleiten. Doch das System, das Balletttänzer*innen hervorbringt, steht immer öfter unter Kritik. Diesen Sommer machte Die Zeit Anschuldigungen publik, dass an der Zürcher Tanz Akademie (TAZ) ein System der Angst herrsche.

Wichtig: Die Mitgliedschaft bei SzeneSchweiz ist währen der Ausbildung gratis und auf der Website gibt es eine anonyme Meldeplattform, die jederzeit genutzt werden kann.

filmZ – eine Filmschauspielschule bricht mit Normen

Ensemble trifft Sandra Fischer, Mitbegründerin von Filmschauspielschule Zürich, kurz filmZ, und selbständige Beraterin, zum Gespräch über die Bildungslandschaft im Schweizer Film.

Fischer kommt aus der Erwachsenenbildung und hat viel Erfahrung in Kulturmanagement, sie ist selbständige Auditorin und Beraterin. Simon Keller ist vom Beruf aus Schauspieler und schreibt und leitet theaternahe Projekte. Er hat jahrelang an Theatern inszeniert aber auch selber Stücktexte verfasst. Die filmZ fing als Projekt 2021 an und fand schnell Zuspruch und Sympathie. Das Unternehmen ist eine eigenständige GmbH, Fischer bildet den Vorstand, kümmert sich um Strategisches und um die Kooperationen mit anderen Institutionen. Keller zieht die Projekte auf und leitet sie. Mit den externen Dozent*innen wird so das Kernteam geformt von der filmZ. Das Curriculum wird stets aktualisiert und die externen Diplomprüfungen von Jury-Mitgliedern zusammengesetzt, unter anderem mit SzeneSchweiz und renommierten Schulen aus Deutschland. Anhand von einem Prüfungskatalog wird dann bewertet. Die filmZ ist noch nicht schweizweit bekannt, das wird sich aber bald ändern, meint Fischer.  

Die filmZ ist noch nicht schweizweit bekannt, das wird sich aber bald ändern.

Sandra Fischer, Gründerin

Als Erwachsenenbildnerin und Diplompädagogin weiss sie, was wichtig ist bezüglich einem akademischen Anspruch und dem Qualitätsmanagement. Die Inhalte folgen einem gezielten Lehrplan, ausserdem sind fast alle Student*innen nebenbei berufstätig. Die filmZ ist durch eduQua:2012 zertifiziert, dem Schweizerischen Qualitätszertifikat für Weiterbildungen. 

Zudem legt die filmZ hohen Wert auf Datenschutz und das Wissen auch an die Student*innen weiter. Bezüglich Informationssicherheit und Qualitätsmanagement ist die Filmschauspielschule auf dem neusten Stand. Fischer sieht sich selber als Brückenbauerin zwischen Formalien und des schauspielerischen Berufsfeldes und hält ihren Fokus auf eine qualitativ hochwertige Ausbildung.  

Fischer sieht sich selber als Brückenbauerin zwischen Formalien und des schauspielerischen Berufsfeldes und hält ihren Fokus auf eine qualitativ hochwertige Ausbildung.

Die Dozent*innen bringen eine breite Expertise mit, haben bereits unterrichtet und stehen auch selbst vor der Kamera, wie zum Beispiel Beren Tuna oder Caspar Kaeser. Ausserdem bringen sie auch die Skills mit, Inhalte an junge Leute zu vermitteln. Darunter sind wichtige Fächer, wie Acting Basics, das Rollenstudium, aber auch Fächer in Richtung Bewegung und Stimmtraining. Nebst dem Bühnendeutsch werden auch die verschiedensten Dialekte gefördert. „Es gibt viele tolle Drehbücher in Mundart. Wir ermutigen die Leute auch in den Projekten, diese auszubauen“, meint Fischer.  

Der Aufbau des Studiums und der Modulplan ist für alle Studierenden derselbe. Jedoch können in bestimmten Fällen auch Anpassungen vorgenommen werden, meint Fischer: „Wir legen grossen Wert auf Weiterentwicklung. Teils übernehmen wir Leute von anderen Schulen und versuchen individuell einzuwirken. Wenn beispielsweise jemand noch nicht gut Deutsch spricht, kann man auf einem tieferen Niveau Module belgen.“ 

Wir legen grossen Wert auf Weiterentwicklung. Teils übernehmen wir Leute von anderen Schulen und versuchen individuell einzuwirken.

Es gäbe aber auch Fälle, in denen die Zwischenprüfung zeigt, dass das Kontingent nicht geschafft werden kann. Diese Personen werden dann auf Alternativen beraten. Grundsätzlich haben alle die Chance, zu bestehen, aber es gibt Grenzen. Wenn der Beruf nicht der Richtige ist, dann wird auch ehrlich vorgegangen und zusammen nach Lösungen gesucht. 

Es gehe um einen nachhaltigen und langfristigen Aufbau der Schule, Chancen zur Vernetzung werden geboten. Aktuell werden Projekte im Bereich Film bereits im zweiten Jahr erfolgreich mit der SAE umgesetzt. Die meisten Student“innen, die sich bei der filmZ bewerben, sind für die gängigen Hochschulen nicht zugelassen oder befinden sich bereits in anderen Berufen 

Die filmZ lockert die Chancen zu einer schauspielerischen Bildung auf, was sehr positiv ist für die Schweizerische Bildungslandschaft.

Die Schule befindet sich auf dem Bildungsniveau einer schweizerischen Lehre oder ist als zweiter Bildungsweg geeignet. Wenn die Arbeit flexibel ist, geht das gut. Es sind somit jüngere Leute ohne Zulassung zur Fachhochschule und Hochschule oder Leute, die die Altersgrenze zur Zulassung bereits überschreiten. Es gibt aber auch weitere Gründe. Die filmZ lockert die Chancen zu einer schauspielerischen Bildung auf, was sehr positiv ist für die Schweizerische Bildungslandschaft. Denn Talent und Bildungsgrad sind nicht immer identisch. Fischer kann Talente erkennen, die an einer normalen Schule keine Chance haben und mit den eher kleinen Klassen von 6-8 Leuten ist der ideale Rahmen geboten. Der verschulte Unterricht und der persönliche Umgang gibt Leuten Halt, die aus der normalen Auswahl fallen würden.  

Fischer betont, dass es prägend für filmZ ist, dass die Studierende informiert sind, selbstständige Unternehmer werden und dennoch in besonderem Masse ihre Spielfreude behalten.  

Die GmbH funktioniert nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, die filmZ legt grossen Wert auf die damit einhergehende Unabhängigkeit und ist im Regelbetrieb nicht förderfähig. Sie geht von dem Grundsatz aus, dass sie entweder wirtschaftlich förderfähig ist oder nicht, jedoch stets unabhängig von StiftungsbeiträgenDas eduqua-Zertifikat wurde vor allem erworben, damit die Studierenden von Stiftungen Fördergelder erhalten können. Damit hebt sich filmZ von den anderen privaten Schulen in der Schweiz ab. Darin enthalten sind die Gewährleistung von Datenschutz, das Ton- und Bildrecht und andere wichtige Faktoren, die man in diesem Berufsverband braucht. Fischer betont, dass es prägend für filmZ ist, dass die Studierende informiert sind, selbstständige Unternehmer werden und dennoch in besonderem Masse ihre Spielfreude behalten.  

Fischer versucht immer wieder auf die Qualität der Ausbildung zu pochen und bei Gagneverahandlungen realistische Kompromisse zu verhandeln 

Es gibt auch ein Resilienztraining und besonders bei jungen Schauspieler*innen wird gelehrt, wie man selbstbewusst und authentisch bleibt und sich in einem Konfliktfall nicht beirren lässt. Genügend früh Grenzen zu setzen, sei in diesem Berufsfeld besonders wichtig. Es gebe auch immer wieder finanzielle Ausbeutung bei den Gagen. Pro Woche erhalte Fischer um die zehn Anfragen aus der Wirtschaft für Werbesequenzen ohne oder mit sehr geringem Entgelt. Darunter befinden sich grössere Player, die ohne Probleme eine angemessene Gage bezahlen könnten, dies aber als „Chance“ für die angehenden Schauspieler*innen anpreisen. Genau in solchen Fällen, versucht Fischer Aufklärung zu leisten und dies an ihre Studierende zu vermitteln. Fischer versucht immer wieder auf die Qualität der Ausbildung zu pochen und bei Gagneverahandlungen realistische Kompromisse zu verhandeln 

Ensemble Magazin bedankt sich für das Gespräch mit Sandra Fischer und ist gespannt, wie sich die filmZ weiterentwickelt und wächst! 

Stadt Theater Bern: Probenleiter bleibt unangetastet, nicht wie seine Opfer

Medienspiegel: Die Reportage über die sexuellen Übergriffe durch einen Probenleiter im Stadttheater Bern in der Zeit Schweiz lösten ein überregionales Medien-Echo aus. Hier ein paar Stimmen.

Hast du selbst etwas erlebt? HIER kannst du dich anonym bei SzeneSchweiz melden

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Ausschnitt Interview Tagesanzeiger
«Ein geschützter Raum für Machtmissbrauch»
Es sei unhaltbar, dass der beschuldigte Probenleiter bei Bühnen Bern im Haus bleiben könne, sagt Salva Leutenegger vom Berufsverband für Darstellende Künste.

SRF-Regionaljournal
Trotz Belästigungsvorwürfen: Ballett-Probeleiter arbeitet weiter

Der Probeleiter des Ballettensembles von Bühnen Bern soll mehrere Tänzerinnen wiederholt sexuell belästigt haben. Trotzdem darf er weiterarbeiten. Wir fragen, was Bühnen Bern unternimmt, und was Fachleute von aussen zur Situation von Tanzschaffenden sagen. Hier gehts zum Beitrag.

 

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Ausschnitt aus „Der Bund“
„Die Bühnen Bern haben gehandelt – aber nicht konsequent genug“

Der Entscheid, den Probenleiter trotz klarer verbaler sexueller Belästigung wieder einzustellen, bedroht den Ruf dieser wichtigen Berner Kulturinstitution.

… hier gehts weiter auf Der Bund.

Sexuelle Übergriffe bei Konzert Theater Bern

Der Probenleiter des Tanzensembles von Konzert Theater Bern soll gemäss Recherchen der «Zeit» Tänzerinnen sexuell belästigt haben. Diese Geschichte zeigt, dass manche Häuser noch immer oft erst ihren Ruf, dann den Täter und erst ganz am Schluss ihre Tänzer*innen schützen. Es herrscht ein Klima der Angst.

Kurz die Geschichte zusammengefasst: Der Probenleiter des Ensembles Bühnen Bern fiel immer wieder durch verbale Entgleisungen auf, auch körperliche Übergriffe wurden genannt.  In den Lokalredaktionen von „Bund“ und „Berner Zeitung“ wusste man schon länger von den Vorkommnissen. (Hier die ganze Geschichte bei Tamedia (Abo+) und bei der Zeit Schweiz (Paywall) )

Zitat Tagesanzeiger/Bund heute, 29. 09.22: „Die Redaktion von «Bund» und «Berner Zeitung» hatte schon seit längerem Kenntnis von diesen Vorwürfen. Recherchen im Umfeld des Ballettensembles haben verschiedene Überschreitungen des Probenleiters zutage gebracht. Der Redaktion liegen mehrere Dokumente vor, die das nahelegen. Es geht um unangebrachte Avancen, verbale sexuelle Belästigungen und körperliche Übergriffe.“

Hier der Beitrag von Radio Bern1:

Wenn eine solche Geschichte bereits in den Redaktionen bekannt ist, dann bedeutet das, dass man innerhalb der betroffenen Branche meist schon viel länger davon wusste. Und da liegt das Problem.

Untersuchung ohne Konsequenzen

Wieso wurde nicht früher veröffentlicht? Der Probenleiter ist eine wichtige Persönlichkeit in diesem Setting. Tänzerinnen, die sich gegen Übergriffe wehren, müssen mit Konsequenzen für ihre Karriere rechnen. So fürchten sie sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und damit haben sie auch Recht, solange sich nichts ändert.

Im vorliegenden Fall hat sich eine Betroffene an die Leitung gewandt. Der Probenleiter wurde während der Untersuchung für zwei Monate freigestellt. Der Untersuchungsbericht einer externen Beraterfirma kam gemäss der «Zeit» zum Schluss, dass es zu verbalen Belästigungen gekommen sei. Der Verdacht, dass es auch körperliche Übergriffe gegeben habe, lasse sich allerdings nicht erhärten, heisst es weiter. Im Tanzberuf seien, anders als in einem Bürojob, «körperliche Berührungen und Umarmungen normal». Der Bericht hatte keine einschneidenden Konsequenzen zur Folge. Der Täter blieb an der Macht.

Schweigevereinbarung unterzeichnen

ÄHNLICHE ERFAHRUNGEN GEMACHT? Hier anonym bei SzeneSchweiz melden!

Dass die ganze Geschichte trotzdem den Weg an die Öffentlichkeit fand, ist ehemaligen Ensemble-Mitgliedern zu verdanken, die die Aussagen der Betroffenen gegenüber der Zeit bestätigten. Dies braucht, selbst anonym, Mut. Die Szene ist nicht so gross, so dass sich immer Rückschlüsse auf die Personen ziehen lassen. Und das kann auch bei anderen Häusern zu einem Zögern führen, da diese Tänzer*innen dann als „schwierig“ gelten. Weil sie sich in einem traditionell streng hierarchischen Arbeitsumfeld für ihre Rechte wehren. Eine Geisteshaltung aus dem letzten Jahrhundert.

Spitze des Eisbergs

Die Stillschweigevereinbarung zeigt deutlich, dass es sich um ein strukturelles Problem und nicht um einen Einzelfall handelt. In den Köpfen vieler Direktionen gilt noch immer, dass die Reputation des Hauses über dem Wohlergehen der Tänzer*innen steht, dass Stars mehr Rechte haben als das Ensemble. Salva Leutenegger, Geschäftsführerin von SzeneSchweiz dazu: An allen festen Häusern sind die Tänzer:innen, diejenigen, die am meisten arbeiten, am wenigsten verdienen und am schlechtesten vor Machtmissbrauch geschützt sind. Und die Leitungen schauen so lange zu, bis diese Fälle an die Öffentlichkeit kommen. Das muss sich ändern. Es braucht flache Hierarchien, ein wertschätzender Umgang und griffige Massnahmen gegen Machtmissbrauch.“

Selbstverwirklichung durch mutige Entscheidungen

Danielle Brunner ist Balletttänzerin und wurde ausgebildet an der Ballettberufsschule in Zürich und später an der Howard School in New York. Sie ist nicht nur diplomiert in Tanz , sondern auch in Eiskunstlauf, als Lehrerin und als Choreografin. Bei ihrer Berufswahl hat sie sich für Ballett, Jazz, Contemporary, Gesang und Musical entschieden. Schon immer übte die Kombination von Tanz, Gesang und Schauspiel als mehrdimensionale theatrale Realität eine ganz eigene Faszination auf Brunner aus.

Danielle Brunner war ursprünglich Tänzerin am Ballett Theater Basel unter der Leitung des renommierten Schweizer Choreographen und Produzenten Heinz Spoerli. Sie nahm an seinen regelmässig stattfindenden Auditionen in den USA teil und wurde aus 600 Kandidat*innen von ihm ausgewählt. Manuela Rigo selber hat Brunner, als sie Teil des Ensembles war zwischen 1983 und 1985 , mehrmals auf der Bühne des Theater Basels erlebt. Ein Unfall während der Proben war der Grund für ihren Abschied von der Bühne als Tänzerin. Nach diesem negativen Ereignis nahm sie eine Gesangs- und Schauspielausbildung auf, um sich kopfüber in die Welt der Musicals zu stürzen. Sie wurde in berühmten Musicals wie „Cats“, „Das Phantom der Oper“, „The Chorus Line“ und vielen anderen eingesetzt, in denen sie wichtige Rollen gespielt hat. In Wien lernte sie bei einer Musicalaufführung Nikolaus Bohlen kennen, der ihr späterer Ehemann wurde.

1995 gründete sie ihre Schule „The Moving Factory“, die bis 2017 in Locarno und derzeit in der Fabbrica in Losone ansässig ist. Eine Allround-Tanzschule, denn sie bietet ihren Schülern sehr interessante Ausbildungskurse an: klassischer Tanz, Jazztanz, zeitgenössischer Tanz, Hip Hop, Akrobatik, Gesang und Schauspiel, wesentliche Elemente für die Musical-Ausbildung. Sie bietet ihren Schülern auch die Möglichkeit, sich auf die Prüfungen für klassischen Tanz der Royal Academy of Dance of London und die Prüfungen für Musiktheater der LAMDA (The London Academy of Music & Dramatic Art) vorzubereiten, beides renommierte britische Akademien. Viele ihrer Schüler haben dann tatsächlich den Tanz und Gesang zu ihrem Beruf gemacht.

Interview von Manuela Rigo

Wie bist du als Tanzlehrerin ins Tessin gekommen und warum ins dahin, wo du bereits Karriere als Tänzerin im Ausland gemacht hast?

Vorerst wegen des warmen Klimas und der schönen Regionen im Kanton, es war ein idealer Ort für meine Familie. Meine Mutter, Beatrice Brunner, hatte bereits in den 1970er Jahren ihre Ballettschule in Locarno eröffnet. Als sie sich zur Ruhe setzte, eröffnete ich meine Schule mit weiteren Vorschlägen und entwickelte meine Vision einer Vorschulung für junge Tanzaspirant*innen.

Wie bist du bei der Einführung der RAD-Methode an den Unterricht herangegangen? (RAD: Königliche Akademie für Tanz in London)

Als ich mit meiner Tochter Kimberly schwanger wurde, ging mein Wunsch in Erfüllung, ins Tessin zu ziehen. Es war 1995, und kurz darauf beschloss ich, eine Lehrerausbildung nach der Methode der Royal Academy of Dance in London zu machen. Ich habe mich für die englische Methode entschieden, weil sie die psychophysische Entwicklung des Kindes sehr respektiert.  Darüber hinaus ist die R.A.D. Methode sehr gut strukturiert, sie identifiziert und betont das Talent jeder einzelnen Tänzerin und bringt seine schönsten persönlichen Eigenschaften zur Geltung. Ich finde diesen Aspekt sehr wichtig, gerade weil er die Möglichkeit bietet, sich der Disziplin des Tanzes auf eine freudige, ausgeglichene und kreative Weise zu nähern. Es ist hervorzuheben, dass die Methode auch eine vollständige professionelle Ausbildung für diejenigen bietet, die den beruflichen Weg für Tänzer verfolgen wollen, indem sie die „Berufsprüfungen“ bis zum Solo Seal Level ablegen.

Wie würdest du die Realität des Ballettunterrichts im Tessin definieren, wenn man bedenkt, dass nicht alle Tanzschulen in der Region über qualifizierte Lehrer verfügen?

Ich denke, man findet in der ganzen Schweiz unqualifizierte Lehrer. Meiner Meinung nach gibt es ein grundsätzliches Problem: viele Eltern wissen nicht, dass es schweizweit Danse Suisse und im Tessin die AFPDanza (Associazione Formazione Professione Danza) gibt. Beide Verbände erkennen nur qualifizierte Lehrkräfte an. Es ist die Aufgabe des Kantons, Schulen mit qualifizierten Lehrkräften anzuerkennen. Anhand dieser Information können die Eltern eine Tanzschule auf sicherere Weise auswählen.

Es macht wenig Sinn, eine Berufsschule zu gründen, wenn die Realität des Berufes nicht existiert.

Glaubst du, dass das Tessin und seine Institutionen wie das DECS bereit sind, eine Ausbildung für Tänzer anzubieten?

Es macht wenig Sinn, eine Berufsschule zu gründen, wenn die Realität des Berufes nicht existiert. Für die Zukunft eines jeden angehenden Tänzers ist es wichtig, eine professionelle Ausbildung zu absolvieren, bei der man direkt mit der Kunst in Berührung kommt. Das ist an professionellen Schulen der Fall, beispielsweise die Mailänder Scala. Studenten des letzten Jahres haben die Möglichkeit, an den Produktionen der Theaterkompanie mitzuwirken – das gleiche gilt in noch stärkerem Maße für die Produktionen der Musicals. Diese Realität gibt es im Tessin nicht, dennoch glaube ich, dass sich der Tanz im Tessin stark ausbreitet und dass es mehrere Schulen gibt, die den vorberuflichen Weg anbieten, wir bewegen uns also in die richtige Richtung. Denn die Talente, die professionell ausgebildet werden sollen, kommen alle aus den Amateurtanzschulen. Dort muss der Unterricht durch qualifizierte Lehrkräfte gewährleistet werden, nur so ist die Zukunft der Ausbildung gesichert.

Deine Schule „The Moving Factory“ bietet im Rahmen der Musical-Ausbildung einen begehrten Weg im Ballett, und ich weiß, dass mehrere deiner Schüler ins Ausland gegangen sind, um ihre Ausbildung fortzusetzen.

Ich bin glücklich, weil 25 meiner Schüler im Ausland arbeiten und sich beruflich weiterbilden. Ich denke, dieses Ergebnis bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Im September 2021 hat das Ausbildungsprogramm „Musical Factory“ in Luzern begonnen. Arbeitet deine Schule mit diesem Programm zusammen?

Ich bin mir dessen bewusst, es ist eine berufliche Richtung, die ich denjenigen vorschlage, die sich nicht zu weit von zu Hause entfernen wollen. Als „Musical Factory“ stehe ich in Kontakt mit der Schule, und wenn dies als eine Form der Zusammenarbeit verstanden werden kann, dann kann ich das bejahen. Bisher haben sich meine Schüler für das Ausland entschieden, für Städte wie London, wo Tanz und Musicals die Realität sind.

Ich habe gesehen, dass deine Schule „The Moving Factory“ durch die Teilnahme einiger Schüler an Tanzwettbewerben in der Schweiz, in Deutschland und in Italien grosse künstlerische Anerkennung erhält.

Ja, wir haben uns bei mehreren Wettbewerben in der Schweiz, in Deutschland und in Italien qualifiziert und die ersten drei Plätze erreicht. Ich freue mich, dass diese Erfolge in den Bereichen Ballett, Zeitgenössischer Tanz und Hip Hop erzielt wurden.

Es ist immer die Leidenschaft der Schüler, die die Dinge am Laufen hält, auch bei den Eltern.

Du hast an deiner Schule einen speziellen Kurs für deine begabten Schüler eingerichtet. War es einfach, den Eltern diese Botschaft zu vermitteln und wie sehen sie die Zukunft ihrer Kinder in der Kunst?

Im allgemeinen beginne ich damit, zu beurteilen, wie motiviert ich die Schüler*innen sehe. Gerade weil sie mehrere Stunden pro Tag und Woche in Anspruch nimmt sind die Motivation und die Einstellung zur Disziplin Tanz sehr wichtig. Die Eltern folgen, begleiten und unterstützen ihre Kinder bei ihren Entscheidungen. Es ist immer die Leidenschaft der Schüler, die die Dinge am Laufen hält, auch bei den Eltern.

Im Tessin müssen wir auf Finanzhilfen und die Anerkennung als berufsvorbereitende Schulen bestehen und sicherstellen, dass wir Schulen unterstützen, die ihren Schülern den Zugang zu den besten Berufsschulen bescheinigen können.

Was muss deiner Meinung nach im Tessin getan werden, um die Realität des Tanzes im Allgemeinen zu verbessern?

Im Tessin müssen wir auf Finanzhilfen und die Anerkennung als berufsvorbereitende Schulen bestehen und sicherstellen, dass wir Schulen unterstützen, die ihren Schülern den Zugang zu den besten Berufsschulen bescheinigen können. Erst dann kann der Kanton entscheiden, welche Schulen er finanziell unterstützt. Eine Schule, die einen berufsvorbereitenden Bildungsgang anbietet, benötigt finanzielle Unterstützung, um ihre qualifizierten Lehrkräfte, die oft aus dem Ausland kommen, bezahlen zu können.

Ensemble bedankt sich für dieses Gespräch zwischen Manuela Rigo und Danielle Brunner.

„Die neue Generation von Tänzer*innen“

Mamu Tshi (30 Jahre alt, Kongolesin, lebt in Lausanne, wo sie mit dem Théâtre Sévelin 36 zusammenarbeitet), Dickson Mbi (36 Jahre alt, Kameruner, aufgewachsen in London wo er auch studiert hat, tritt mit Ausnahmekünstlern wie Robbie Williams auf), Joy Ritter (39 Jahre alt, Kalifornierin, philippinischer Herkunft, aufgewachsen in Freiburg im Breisgau wo sie auch studiert hat, arbeitet für Kompanien wie Akram Khan und den Cirque du Soleil) sind die drei Stars des Abends. Drei selbst choreografierte Soli, völlig unterschiedlich in Stil, Technik und Seele: Krumping für Mamu Tshi im Solo „L’Héritière“, Popping für Dickson Mbi in „Duende“ und eine Mischung aus Voguing, philippinischen Volkstänzen und klassischem Training für Joy Ritter in „BABAE“. Sie alle sind auf der Suche nach Neuem, außerhalb ihrer angestammten Techniken, um ihren eigenen zeitgenössischen Stil zu finden: Akram Khan selbst nennt sie „die neue Generation von Tänzern“.

 

Interview von Lilly Castagneto

„Portraits in Otherness“ ist eine hochkarätige Performance, kuratiert von Akram Khan und produziert von Farroq Chaundhry, im Rahmen des alle zwei Jahre stattfindenden Tanzfestivals STEPS des Migros-Kulturprozent, das seit 1988 in der ganzen Schweiz unterwegs ist. STEPS kehrt mit einer Reihe von zeitgenössischen Tanzaufführungen und außergewöhnlichen choreografischen Aktivitäten zurück. Mit einer Laufzeit von rund vier Wochen ist es auch in diesem Jahr wieder in fast allen Theatern ausverkauft und zeigt nationale und internationale Stars.

Was bedeutet STEPS für dich, Claudia Toggweiler?

Claudia Toggweiler (Roadmanagerin von STEPS): Das Tanzfestival STEPS macht es möglich, aussergewöhnliche Produktionen an rund 38 Orten in der Schweiz zu sehen. Spannend für uns ist vor allem zu beobachten, wie die unterschiedlichen Reaktionen des Publikums ausfallen. Vor allem im Tessin und der Romandie sind die Zuschauer sehr enthusiastisch und warmherzig.

Wie hat die Öffentlichkeit auf STEPS reagiert, Claudia?

Toggweiler: Man spürt, dass sich viele danach sehnten, Tanz wieder live auf der Bühne zu sehen, und tatsächlich waren fast alle Vorstellungen ausverkauft.

Was bedeutet „Portraits in Otherness“ für dich und wie ist die Idee dazu entstanden?

Dickson Mbi: „Portraits in Otherness“ ist eine Abbildung des schlagenden Herzens eines jeden Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft oder Stil: Wir sind alle gleich, dieselbe Essenz. Die Idee stammt von Akram Khan und Farroq Chaundhry, um Nachwuchschoreographen die Möglichkeit zu geben, auf internationale Tourneen zu gehen. Amandine (Mamu Tshi), die Schweizerin, wollte, dass wir sie bei diesem Abenteuer begleiten.

Ihr seid international bekannte Tanzstars: Wisst ihr, dass ihr das seid?

Dickson: Ich glaube nicht, dass ich ein Star bin, ich glaube, ich bin ein Mensch wie jeder andere, ich versuche, meine Träume zu leben. Ich habe eine sehr strenge Lebensdisziplin: Yoga, Pilates, viele Stunden Training. Ich höre viel auf meinen Körper, damit ich nicht zu müde werde, ich ernähre mich gesund, mein Arbeitsleben ist wirklich sehr streng. In meiner Freizeit schaue ich mir gerne Fußball im Fernsehen an, ich bin ein Fan meiner Mannschaft, ich bin ein ganz normaler Mann aus Ost-London.

Joy Ritter: Ich lerne viel, ich nehme viele verschiedene Kurse: klassischer Tanz, Hip-Hop, Contemporary, Yoga und Jogging. Auf und abseits der Bühne bleiben wir immer Künstler: in meiner Freizeit tanze ich gerne, draußen im Park, ich liebe das Tanzen, es ist mein Beruf, aber auch meine Leidenschaft, ich lebe gerne mit der Kunst.

Wann wurde euch klar, dass der Tanz euer Weg sein würde?

Dickson: Ich entdeckte den Tanz erst mit 18 Jahren für mich. Ich ging in ein Tanzstudio und sah eine Gruppe von Jungs, die Popping tanzten, und ich sagte: „Wow, das will ich mit meinem Leben machen“. Als ich 22 war, traf ich den Meisterlehrer Stuart Thomas. Er brachte mir bei, mich selbst zu sein.

Joy: Ich wusste bereits im Alter von fünf Jahren, dass ich Tänzerin werden wollte.

Welchen Rat könnt ihr Berufstänzern und jungen Talenten geben?

Dickson: Den Berufstänzern sage ich: macht weiter, auch wenn es manchmal schwer erscheint, macht weiter, gebt eure Träume nicht auf und den jungen Talenten: bleibt konzentriert, verlangt viel Disziplin von euch selbst, kein Alkohol, keine Drogen, kein Telefon den ganzen Tag lang.

Joy: Ich weiß, dass es nicht immer einfach ist, aber lasst euch nicht von eurem Weg abbringen, lasst euch nicht ablenken, hört nicht auf eure Zweifel, lernt, unterstützt und inspiriert euch gegenseitig.

Wie können junge Menschen unterstützt werden?

Dickson: Sie zu Veranstaltungen mitnehmen, ihnen Hoffnung geben, wenn sie schlechte Tage haben, jemanden finden, der mit ihnen spricht.

Joy: Glaubt an sie, auch wenn sie nicht perfekt sind.

Wie erreicht ihr die perfekte Kontrolle über euren Körper?

Joy: jeden Tag trainieren und proben, mindestens sieben Stunden, die Schönheit in sich selbst finden, Selbstvertrauen haben und auf seinen Körper hören.

Dickson: Um interessant zu sein, muss man Selbstvertrauen haben: glaube an dich, sei stark!

Wie können wir die Arbeitssituation von Tänzern verbessern?

Joy: Eigenwerbung machen, über den Tanz sprechen, Professionalität zeigen, macht euren Job nicht umsonst nur weil ihr ihn gerne macht, lasst euch immer bezahlen.

Dickson: Es ist sehr schwierig, den Leuten klar zu machen, dass es sich bei unserem Beruf um einen echten Beruf handelt, vielleicht kann die jüngere Generation das verstehen. Man muss qualitativ hochwertige Aufführungen produzieren und sich ständig verbessern.

Amandine (Mamu Tshi, Künstlerin aus Lausanne): Erzähle uns von dir.

Mamu Tshi: Ich bin die Tochter meiner grossartigen Mutter, daher auch mein Künstlername Mamu Tshi, ich entwickle mich immer weiter. Mit 17 Jahren entdeckte ich den Tanz für mich und hatte keine Ahnung, dass dies mein Weg werden würde. Ich bin Englischlehrerin an einem Gymnasium, weil ich mich mit meinem Job als Tänzerin allein nicht über die Runden komme, und ich mir nichts vorenthalten möchte. Also arbeite ich hart als Lehrerin und Tänzerin.

Was kannst du den jungen Schweizer Talenten sagen?

Mamu: Ich finde die Arbeit der jungen Künstler in der Schweiz sehr gut, denn ich sehe sie gehen auf Reisen, und wenn sie zurückkommen sind sie bessere Künstler. Es ist wichtig, mit eigenen Projekten voranzugehen. Ich sehe, dass es eine große Dynamik gibt, dass es ein Verlangen nach etwas Neuem gibt. Auch die Institutionen erkennen, dass Tanz mehr ist als nur Ballett: Tanz ist Kultur. Es gibt viele Talente in der Schweiz. Mein Rat: geht auf Reisen, studiert und lernt immer mehr, kommt mit euren Erfahrungen zurück. In der Schweiz haben die Institutionen sehr viel Geld in die Kultur investiert.

Ich danke Mamu Tshi, Dickson Mbi und Joy Ritter für ihre Zeit, ihre Leidenschaft und ihre Professionalität. Ich danke Claudia Toggweiler und Gene Lou (Tourmanager von STEPS) für ihre Unterstützung und Organisation.