Theater: „Erfolg ist relativ“
Ist es genug? Ist es nur ein Dopamintief oder das Hochstapler-Syndrom? Bin ich erfolgreich? – Nadine Hochstrasser sinniert über Erfolg, Identität und Ehrlichkeit.
Kann mir irgendjemand sagen, wie lange es noch dauert, bis ich nicht mehr das Gefühl habe, am Anfang meiner beruflichen Laufbahn zu stehen? Vor neun Jahren entschied ich mich, beruflich den Weg der Kunst einzuschlagen. Ich absolvierte eine Schauspielausbildung, ohne genau zu wissen, wohin ich eigentlich wollte. Selbst jetzt, wo ich mein gesamtes Einkommen mit Theater verdiene, fühlt sich ein Teil von mir immer noch absolut lächerlich dabei, zu behaupten, ich sei „Schauspielerin“.
Die Vorstellung, mich so vorzustellen, stösst mir auf. Irgendetwas in mir schreit laut: „Who the fuck are you?!“ Deshalb sage ich immer: „Ich bin Theaterschaffende.“ Das trifft meine Realität ohnehin viel besser.
Jeder meiner Jobs – und die meisten davon liebe ich – fühlt sich an wie ein Mittel zum Zweck, ein Schritt hin zu einem Ziel, das sich ständig zu verschieben scheint. Gibt es diesen einen Moment, in dem man fühlt, dass man angekommen ist? Oder bleibt die Ziellinie eine Fata Morgana, die sich immer weiter entfernt? Dieser Gedanke: „Wenn ich DAS geschafft habe, dann bin ich einen Schritt weiter.“ Aber dann gehe ich diesen Schritt, und sobald das Erlebnis vorbei ist oder hier ist, stehe ich wieder am Anfang. Immer wieder.
Aus meinem nicht kunstschaffenden Umfeld kommt oft die Frage: „Was machst du denn jetzt gerade?“ Manchmal fühlen sich diese Fragen an, als wäre der Subtext: „Ist der Erfolg nun endlich eingetroffen?“ Aber kommt dieser Druck wirklich von aussen? Oder projiziere ich ihn auf andere? Woher diese Gefühle kommen, kann ich mir in unserer kapitalistischen Dauer-Optimierungs-Erfolgsgesellschaft natürlich schon erklären. Ich möchte weder reich noch berühmt sein – trotzdem nehme ich diesen „Need to be special“ und das Verlangen nach einem extrem aufregenden Leben immer wieder wahr. Ich spüre diesen Hunger und wünschte, ich wäre satt.
Ich nenne das jetzt mal das „Falco-Syndrom“: Er landet Welthits – und zerbricht am Druck, weitere zu liefern. Welthits zu landen ist nicht das, was ich anstrebe, jedoch bringt dieses Beispiel mein Gefühl zum Ausdruck, dass sich unser Streben nach mehr immer verschieben wird – egal wie weit man es gebracht hat. Ist das der Grössenwahn der unsere Welt vergiftet?
Sind diese destruktiven Gedanken auch bei anderen so präsent? Selbst bei denen, die behaupten, total etabliert zu sein? Ist dieses ganze Spiel vielleicht genau das – ein Spiel? Oder bin ich alleine auf einem Spielfeld und habe verpasst, dass niemand gegen mich spielt.
In letzter Zeit experimentiere ich oft damit, wie ich über mein Dasein spreche. Ich beobachte, wie andere von ihrer Arbeit erzählen, und merke, wie sehr ihre Worte meine Wahrnehmung von ihnen beeinflussen. Was ich auch gerne vergesse: Sie haben viel weniger Informationen über meine Realität als ich selbst. Und doch nehme ich ihre Aussagen oft widerspruchslos hin, während ich erwarte, dass andere meine Worte als momentanes Gefühl verstehen – nicht als absoluten Zustand.
Eigentlich wünsche ich mir einfach ehrliche, reflektierte Gespräche. Ich wanke zwischen Bescheidenheit und dem Wunsch nach Grösserem. Vielleicht sind diese Momente des Zweifels nur Tiefstapelei, und ich verpasse die Wertschätzung, Genügsamkeit, das Geniessen im Jetzt und die Erkenntnis meines privilegierten Lebens. Manchmal denke ich, dass meine gutgläubige Ehrlichkeitsstrategie mich im Spiel des Erfolgreichseins schlechter dastehen lässt.
Dass mich Menschen weniger ernst nehmen, weil ich ihnen meine Wahrheiten ins Gesicht schmettere. Und wahrscheinlich tue ich dasselbe mit ihnen. Und doch gibt es diesen liebevollen Teil in mir, der stolz darauf ist – weil er es nicht als Strategie, sondern als Überzeugung sieht.
Es hilft mir, kleine Reisen in die Vergangenheit zu machen und mich zu fragen, was ich mir vor all diesen Jahren für mich und meine Zukunft gewünscht habe. In diesen Momenten weiss ich, dass ich damals noch viel mehr am Anfang war, als ich es jetzt bin. Vielleicht ist der Anfang so lange, bis der Schluss kommt. Ein stetiges Sich-im-Kreis-Drehen – man bleibt zwar in diesem Kreis, aber er wird grösser und tiefer.
Zur Person
Nadine Hochstrasser (29) ist freiberufliche Theaterschaffende aus Winterthur und vielseitig in der Schweizer Theaterlandschaft tätig. Sie arbeitet als Produktions- und Regiemitarbeiterin, Fundraising-Verantwortliche, Theaterpädagogin und Darstellerin. Während ihrer Schauspiel- und Sprecherausbildung engagierte sie sich beim Zürcher Theaterverein Jungthaeter und beim Jungen Theater Winterthur. Sie unterrichtete an verschiedenen Zirkusschulen und tourte zwei Jahre mit dem Circolino Pipistrello durch die Schweiz. Aktuell wirkt sie in Produktionen vom FAHR.WERK.ö!, Theater Jetzt und Regisseur Patric Gehrig mit. Nun steht sie mit ihrem eigenen Kollektiv DeliЯatio in den Startlöchern
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