Lucerne Festival: Geld & Willkür

Essay: Der Skandal am Lucerne Festival zeigt, wie willkürlich private Kulturförderung wirkt. Private Mäzene und Unternehmenssponsoring als Alternative zur öffentlichen Kulturförderung funktionieren nicht. 

Viele Kunstwerke – von Opern über Bilder bis hin zu ganzen Kirchengestaltungen – gäbe es nicht, hätten nicht reiche Gönner deren Entstehung aus privaten Mitteln finanziert. Damals die einzige Form, um ausserhalb der dominanten und reichen Kirchen Kunst zu finanzieren. Und heute? Eine gute Sache in einer Zeit, in der öffentliche Förderung für Kultur unter Druck steht, würde man instinktiv annehmen. Ja, aber …

Das Lucerne Festival erlebt gerade einen kleinen Skandal.

Erster Akt: Die Hauptsponsoren Sibylla und Christoph M. Müller – Multimillionäre und Patrons der Vaillant Group – forderten den Rücktritt der ehemaligen CS-Verwaltungsratspräsidenten Urs Rohner und Walter Kielholz aus dem Stiftungsrat des Festivals, weil diese mit ihrer Mitverantwortung am Untergang der CS nicht mehr die Werte transportieren, die die beiden Gönner*innen vertreten. Auch hier: Eigentlich eine gute Sache, stehen die Müllers doch für eine ethische Verantwortung in der Wirtschaft.

Zweiter Akt: Als ihrer Forderung nicht vollständig nachgegeben wurde, beendeten die Müllers das Sponsoring und entzogen dem Festival mehrere Hunderttausend Franken Unterstützung. Das mag ein Statement sein, trifft aber nicht die unethischen Geschäftsleute, sondern die Kulturschaffenden und die effektive Kunst.

Auch wenn die Müllers aus hehren Gründen entscheiden, eine Institution nicht mehr zu unterstützen (was ihr Recht ist), könnten andere aus anderen Gründen ein Sponsoring verweigern. Aus politischen Gründen zum Beispiel. Nehmen wir an, der Milliardär Christoph Blocher unterstützt ein Theater oder ein Opernhaus. Irgendwann denkt er, die Intendanz sei zu „woke“ und will das Ganze nicht mehr finanzieren. Das wäre sein Recht. Aber was bedeutet das für die Kultur?

Es bedeutet, dass privat finanzierte Kultur nicht frei ist. Reiche Menschen oder Unternehmen entscheiden, was produziert und gesehen wird. Was verdient, unterstützt zu werden.  Das ist reine Willkür. Bezahlt wird, was einer kleinen Gruppe genehm ist. Keine Voraussetzung für die kulturelle Identität einer Gesellschaft.

Für meine neoliberalen Bekannten müsste sich Kulturschaffen auf dem freien Markt durchsetzen. Gemessen wird nicht mehr am Kulturgut, sondern an der Fähigkeit der Vermarktung. Nur, wer seine Kunst gut verkaufen kann, verdient es, gesehen zu werden, darf einen Beitrag an die kulturelle Vielfalt leisten.

Dasselbe gilt übrigens für Medien und Wissenschaft. Wenn das Geld von Unternehmen bestimmt, woran die Universitäten forschen, wenn zum Beispiel medizinische Forschung immer direkt an möglichst lukrative Medikamente gekoppelt ist, dann entsteht ein gefährliches Ungleichgewicht. Wenn Milliardäre die Inhalte von Zeitungen, Sendern und Newsplattformen bestimmen, verzerrt das die Demokratie.

Ich habe nichts gegen Private, die Kunst, Kultur, Medien oder Wissenschaft fördern. Nur sollten sie durch öffentlich zugängliche Gelder ausgeglichen werden, damit keine Verzerrungen entstehen. Welche Verzerrungen, fragt ihr?

Geht durchs Kunsthaus oder eines der anderen grossen Museen der Welt. Schaut euch die grossen Opern an. Die Regisseure der letzten hundert Jahre. Fragt euch, warum Frauen oder nicht europäische Künstler*innen über Jahrhunderte in allen Bereichen der Kunst untervertreten sind. Das hat nichts damit zu tun, dass es in diesen Gruppen weniger talentierte oder gar geniale Individuen gegeben hätte. Es hat damit zu tun, dass Reichtum in den Händen von Männern lag. Und diese Männer bestimmten, was die wichtige, die richtige Kunst sein sollte.

Es ist nicht „woke“, für eine breite öffentliche Kulturfinanzierung einzustehen. Es ist auch nicht „woke“, wenn man Gelder für Kulturprojekte fordert, die nicht dem Mainstream entsprechen und die Themen und Gruppen sichtbar machen, die sonst kaum Öffentlichkeit bekommen.

Der liberale Grundwert von Chancengleichheit ist nicht erfüllt, wenn diejenigen gesehen werden, die am besten verkaufen oder am meisten Geld organisieren können. Chancengleichheit ist dann erfüllt, wenn alle die gleichen Grundvoraussetzungen für ihre Werke erhalten.

 

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