«Werde ein Star!» *Zwinkersmiley*

Schauspieler Martin Ostermeier beantwortet zum Jahresbeginn Fragen zu Entwicklungen in den Darstellenden Künsten und verrät, was er seinem jüngeren Ich heute empfehlen würde.

Das Interview wurde schriftlich geführt, redaktionell verantwortlich: Reda El Arbi

Herr Ostermeier, was würden Sie ihrem 20-jährigen Ich aus heutiger Sicht zum Thema Schauspielerei und Karriere ans Herz legen?

Darüber könnte ich fast ein Buch schreiben. Hier mal eine Art Klappentext zu einem solchen Buch, so etwas wie ein Teaser:

Liebes 20-jähriges Ich!
1. Pflege deine Arbeitskontakte!
2. Trenne zwischen beruflichen und privaten Beziehungen!

Zunächst mal zu dem zweiten Punkt. Natürlich kannst und musst du nicht immer zwischen Privatem und Professionellem trennen, schließlich entwickeln sich bei Film oder Theater mitunter auch Freundschaften. Außerdem kann es – aufgrund der intensiven zeitlichen Beanspruchung und der eher ungewöhnlichen Arbeitszeiten als Schauspieler – recht schwierig sein, persönliche Beziehungen außerhalb des Berufs zu pflegen. Daher wirst du natürlich oft mit den Arbeitskolleg*innen auf ein Bier gehen oder etwas anderes unternehmen.

Aber sei dir bewusst, dass die Leute, mit denen du zusammenarbeitest, in erster Linie Teil deiner Berufswelt sind. So vermeidest du zu große persönliche Verletzungen oder Enttäuschungen, wenn die Kolleg*innen sich mal nicht so verhalten, wie du dir das wünschst, oder wie es
angebracht wäre.

Und wie sollte man seine Arbeitskontakte pflegen?

Ich sage nicht, dass du ständig mit Leuten aus der Berufswelt in Kontakt sein musst. Also in der heutigen Welt: du musst nicht dauernd auf verschiedensten Kanälen Emojis und Kurztexte hin und her schicken. Nein, denke einfach daran, dass man sich immer wieder begegnen kann. Sei also zurückhaltend damit, jemanden definitiv abzuschreiben.


Zur Person
Martin Ostermeier
ist Vorstandsmitglied SzeneSchweiz und studierte Schauspielerei am Mozarteum in Salzburg. Es folgten Engagemente beim Schauspiel Frankfurt, am Luzerner Theater, Schillertheater Wuppertal und weitere  Stationen in Deutschland und der Schweiz.

Im Jahr 2006 besuchte er einen Filmschauspielkurs an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Dem breiten Schweizer Publikum  wurde er durch die Serie Der Bestatter bekannt, wo er den Gerichtsmediziner Alois Semmelweis verkörpert.


Wir alle machen Fehler und in neuen Kontexten kann eine Arbeit mit einer Person, mit der es mal nicht so funktioniert hat, plötzlich gelingen. Also ein wenig Nachsicht und Geduld. Menschen, denen alles oder das meiste glückt, sind sehr selten; vielleicht gibt es sie gar nicht.

Aber durch beständige und an der Sache orientierte Arbeit kannst du dich stetig verbessern. Schau genau hin: Was will die Person mit dem, was sie macht? Aus welchen Gründen will sie das? Welche Rolle – in einem sehr weiten Sinne – übernimmst du in dem ganzen Spiel, das die Kultur- oder Unterhaltungsbranche ist?

Wie findet man seine berufliche Identität?

Darüber wie man generell seine berufliche Identität findet, rede ich hier ausdrücklich nicht. Das wäre wieder eine andere Frage. Ich spreche hier zu meinem 20-jährigen Ich. Da würde ich noch folgendes anfügen: Verabschiede dich von dem (falsch verstandenen) Geniegedanken!

Und: Sei selbstbewusst! Du kannst etwas. Auch ganz vieles, was andere nicht können. Ich belasse es jetzt mal bei diesen ausgewählten, skizzenhaften Gedanken. Wie gesagt, ich könnte ein Buch zu dem Thema schreiben.

À propos Buch! Es gibt da eines, das ich empfehlen kann. Der Autor ist aus verschiedenen Gründen heute ein wenig aus der Mode gekommen. Aber in Über den Beruf des Schauspielers von (Berthold) Brecht gibt es ein paar gute Stellen. Ich hatte es zu Schauspielschulzeiten auch in der Hand, habe aber damals einiges darin nicht richtig oder falsch verstanden.

Was hat sich in den letzten Jahren für Freischaffende verändert? Zum Positiven? Zum Negativen?

Gut, das wäre das nächste Buch. *Zwinkersmiley* Dass sich unsere Welt rasend verändert, ist eine Binsenweisheit. Das war übrigens schon oft so, je nach dem, an welchen Ort und an welchen Zeitpunkt in der Geschichte man sich gedanklich begibt.

Ich beschränke mich auf ein, zwei Aspekte, mit denen jede und jeder vertraut sein dürfte. Natürlich bieten uns die – nicht mehr ganz so neuen – neuen Kommunikationsmittel viele hilfreiche Möglichkeiten der Vernetzung.

Ein Beispiel: Wenn ich im Februar auf die Berlinale gehe, bin ich Teil einer WhatsApp-Gruppe, in der Informationen über wichtige Events und Gelegenheiten zum Kennenlernen, sowie andere praktische Hinweise geteilt werden. Außerdem kann ich mich online über die An- oder Abwesenheit von Filmemachenden erkundigen und diese kontaktieren, wenn sie vor Ort sind. Super!

Davon profitieren die Darstellenden …

Die Gefahr von dem Ganzen scheint durch diese Vorteile natürlich bereits hindurch: Info-Overload, Angst davor, etwas zu verpassen (Fomo), ständige Erregtheit bzw. Übererregtheit (Hyperarousal) mit all ihren negativen Folgen.

Nächstes Beispiel: Castings finden – seit knapp fünf Jahren noch massiv durch die Pandemie befeuert – sehr oft nur noch elektronisch statt. Selbst wenn die Casterin – meist sind es Frauen – in der selben Stadt ist, wird oft ein E-Casting gewünscht, zumindest am Anfang und für kleinere Rollen.

Dadurch steigt mein Aufwand als Schauspieler*in massiv: ich muss eine genügend gute Kamera mit genügend Speicherplatz (Mobiltelefon) besitzen; ein Stativ ist fast unabdingbar; ich muss mich um den geeigneten Raum für das Casting selbst kümmern, genauso wie um Kolleg*innen als Anspielpartner*innen.

Diese Leistungen sind in den letzten Jahren oft von den Castingagenturen – die auch unter Druck stehen – an die Schauspielenden outgesourct worden. Den Mehraufwand muss ich leisten. Natürlich kann ich nun auch von der Schweiz aus auf dem deutschen oder internationalen Markt mitmischen; das ist der Vorteil der beschriebenen Entwicklung. Aber hier lauern ähnliche Gefahren, wie ich sie oben in Bezug auf die Vernetzung auf der Berlinale beschrieben habe.

Die Pandemie und der Lockdown bewirkten eine Zäsur in den Darstellenden Künsten. Hat sich die Szene wieder erholt? Sind neue Möglichkeiten aus der Erfahrungen des Lockdowns entstanden?

Alle, die sich irgendwie für Theater interessieren, bekamen nochmal intensiv vor Augen geführt, dass es – gelehrt ausgedrückt – um physische Kopräsenz geht, also um mindestens zwei Leute zur gleichen Zeit im gleichen Raum. Ich denke, niemand vermisst gestreamte Aufführungen. Ich selber habe mir keine angesehen. Nur einmal bin ich selbst live in einem Zoom aufgetreten. Für mein Gefühl ist mein Auftritt in die Hose gegangen.

Aber da fängt es schon an, „für mein Gefühl“: ich habe das Publikum nicht gespürt und weiß deshalb auch nicht wirklich, wie meine Vorstellung angekommen ist. Es gab einfach kein Theater zu den Lockdownzeiten. Zumindest kein Theater, wie ich es verstehe, wo ein energetischer Austausch zwischen Agierenden und Zuschauenden möglich ist. Helge Schneider z.B. hat sich geweigert, vor Leuten, die in Autos sitzen, aufzutreten. Glücklicherweise gehört er zu denen, die sich so eine Haltung finanziell leisten können.

Sind durch die besonderen Umstände damals nicht auch neue Formen der Zusammenarbeit entstanden?

Natürlich gehen wir alle mittlerweile viel selbstverständlicher mit Zoom oder anderen Kollaborationsplattformen um. Für gewisse Kontexte ist das sehr hilfreich. Wenn ich einen Film mit einem Regisseur drehe, der im Moment im Kosovo sitzt, kann ich den zumindest schon mal online kennen lernen.

Über einen Videoanruf spüre ich den Menschen schon viel mehr als über eine Mail oder einen normalen Anruf. Das fand ich bei meinem letzten Film Silence of Sirens sehr angenehm.

Im Theater ist es klar: Es gibt Festanstellungen in Ensembles. Wie sieht es in der Filmbranche aus? Gibt es da überhaupt Möglichkeiten, um ein regelmässiges und sicheres Einkommen zu generieren?

Ja, diese Möglichkeit gibt es: Werde ein Star! Anders gesagt: Diese Möglichkeit gibtes nicht wirklich. Denn ein Star zu werden hängt erstens von sehr vielen Dingen mit ab, die Filmschauspielende nicht selbst in der Hand haben; außerdem gibt es, wenn wir mal nur über den Schweizer Markt sprechen, lediglich Platz für eine Handvoll Stars im Film.

Also muss ich sicher auch außerhalb vom Film arbeiten: im Theater, als Sprecher*in, an Schauspielschulen, in der Theaterpädagogik, im Kommunikationstraining … oder natürlich auch in gänzlich branchenfremden Bereichen: von der Velokurierin bis zur Bankangestellten, vom Lastwagenchauffeur bis zum Primarlehrer ist hier alles möglich. In meinem Bekanntenkreis habe ich für alle erwähnten Tätigkeiten Beispiele.

Noch mal kurz zu der eingangs erwähnten Möglichkeit, ein Star zu werden: Ich will nicht sagen, dass es gar nicht auf die eigenen Entscheidungen und Bemühungen sowie gar nicht auf die eigene Arbeit ankommt. Das ist aber nur ein Teil von dem, was dich eventuell zum Star macht. Vieles liegt außerhalb deiner Einflussmöglichkeiten.

Viele deutschsprachige Darsteller*innen versuchen ihr Glück in Deutschland, bei frankophonen Frankreich, bei italienischsprechenden Italien. Sind die Voraussetzungen für eine Karriere im Ausland besser als in der Schweiz? Und
wenn ja, warum?

Na, da wären wir beim Thema, das schon mehrmals angeklungen ist: der gesamte deutschsprachige Markt (DACH) und der internationale Markt. Das wäre dann das dritte Buch, das zu schreiben wäre, denn es wird ein wenig komplexer jetzt. Eigentlich kann ich deine Frage in wenigen Sätzen nicht beantworten. Ich versuche es trotzdem. *Zwinkersmiley*

Sprechen wir zunächst über den Bereich (Sprech-) Theater. Da mache ich es mal kurz und sage, Deutschland, Österreich, und die Deutschschweiz (DACH), das ist im Sprechtheater wie ein Land. Klar, das ist vereinfacht, denn es gibt erhebliche Unterschiede z.B. bei den Gagen und bei den Fördermitteln, die zur Verfügung stehen; aber das System der Häuser mit festen Ensembles und daneben die (sehr heterogene) freie Szene … das ist in DACH alles sehr ähnlich.

Es ist also egal, ob München, Wien oder Zürich?

So kann man das natürlich nicht sagen. Aber zum Teil sind die Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder größer als die Unterschiede zwischen bestimmten Städten aus verschiedenen Ländern. Sicher lässt sich festhalten, dass ich natürlich viel mehr Möglichkeiten habe, wenn ich nach Deutschland und auch Österreich gehe.

Schwierig ist es nur, mit einer deutschen Gage einen Wohnsitz in der Schweiz zu halten, wenn man z.B. gastiert: die Bezahlung ist viel niedriger und von dieser wird viel mehr abgezogen – wenn ordentlich abgerechnet wird.

Über Italien könnte ich nur mutmaßen, also lasse ich das. Frankreich? Das System im Sprechtheater ist komplett anders. Es gibt nur sehr wenige feste Ensembles, der Rest ist so ähnlich wie bei uns die freie Szene organisiert. Dafür ist es in Frankreich leichter, zwischen einzelnen Engagements Geld als intermittent*e du spectacle zu bekommen; zumindest war das früher so, ich bin da vielleicht nicht auf dem neuesten Stand.

Es ist einfach ein Systemwechsel, wenn man zum Sprechtheater nach Frankreich geht. Die einen finden das angenehm, die anderen nicht. Mehr Möglichkeiten als in der Romandie? Natürlich, ein Vielfaches an Möglichkeiten.

Wie sieht es beim Film aus? In der Schweiz gibt es ja kaum grosse Produktionen.

Der audiovisuelle Bereich, also Kino, Fernsehen, Streaming? Die Märkte in Deutschland, Frankreich und Italien sind größer, also gibt es dort auch mehr Möglichkeiten. Das ist sicher von Vorteil. Gleichzeitig sind natürlich auch mehr Schauspielende dort, die sich um Rollen bemühen.

Sicher ist: in Deutschland können viel mehr Leute nur vom Kameraschauspiel leben als in der kleinen Schweiz. Man darf natürlich nicht die Koproduktionen vergessen, die in und mit der Schweiz gemacht werden. Die letzten beiden Filme, die ich gemacht habe, waren mit dem Kosovo bzw. mit Italien zusammen produziert. Da weichen sich dann langsam die Grenzen auf: Ist das jetzt eine CH- oder eine internationale Produktion. Rein der Form nach natürlich international.

Was sind die dringendsten Themen, die SzeneSchweiz in Bezug auf die Freischaffenden in der näheren Zukunft angehen muss?

Gefährlich, denn wenn ich jetzt zwei Punkte herausgreife, gibt es sicher Leute, die finden, ich hätte das Wichtigste vergessen Aus meiner Sicht sind zwei Themen dringend:

1. Tantiemen für Streaming und alles andere was im Internet angeboten wird. Es kann nicht sein, dass ich heute Geld bekomme, wenn etwas im Fernsehen gesendet, aber nicht, wenn es im Internet gestreamt wird. Das ist eine große Ungerechtigkeit, die durch die Verlagerung der Medienangebote ins Internet immer größer wird. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!0

2. Durch technische Entwicklungen gibt es neue Möglichkeiten – z.B. motion capture – aber auch neue Fallen und Gefahren wie im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Hier zeigen sich neuartige Herausforderungen, mit denen wir umgehen müssen. In erster Linie sind Urheber- und Persönlichkeitsrechte zu nennen. „Ein elektronischer Klon von mir, mit dem ein Film gemacht und Geld verdient wird, ohne dass ich davon etwas bekomme? – Ein No Go!

To be continued!

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