Der Mensch ist keine Insel

Wie stark werden wir von unseren Mitmenschen geformt? Und wie stark verändern wir selbst unser Umfeld? Eine Reflexion von Stefanie Gygax.

Inwiefern beeinflussen dich die Menschen, mit denen du dich umgibst und die Orte in denen du lebst? Wo würdest du heute stehen, wenn du andere Kollegen hättest? Andere Eltern, andere Partner gehabt hättest?

Immer wieder sprechen mich meine Mitmenschen auf meine Zeit in Wien an. Ich habe in zwei komplett unterschiedlichen Phasen meines Lebens dort gelebt. Ich spüre die Sehnsucht dieser Menschen, dass sie sich an den eigenen Ausland-Aufenthalt zurückerinnern oder gerne selbst den Mut gehabt hätten, in die Ferne zu ziehen.

Manchmal frage ich mich, inwiefern ich heute eine andere Künstlerin, ein anderer Mensch wäre, wenn ich nie in Wien gelebt hätte. An einem fremden Ort, mit anderer Kultur und anderem Umgang alleine klarzukommen, prägt einen schon sehr stark. Man fühlt sich alleine, manchmal verloren und doch ist man unglaublich stolz über die eigenen Grenzen zu gehen.

Auch heute noch, wenn ich einen Job im Ausland habe, ist das mulmige Gefühl noch da, bevor ich abreise. Mich beschäftigen Fragen, wie: „Wie werden die Leute sein? Werde ich mich in der Unterkunft wohlfühlen? Wieso tue ich das eigentlich?“

Viele Menschen aus meinem Umfeld bewundern das, weil sie denken, im Ausland ist alles besser und aufregender. Wieso eigentlich? Dass ich mich nicht auskenne, ist doch nur mühsam. Ich kann nicht in meinem eigenen Bett schlafen und meine Familie und Freunde sehe ich auch sehr selten.

Und doch veränderte mich JEDER Auslandsaufenthalt, egal ob Arbeit, Urlaub oder Sprachaufenthalt. Aus deiner Komfortzone zu gehen, ist unglaublich bereichernd. Es öffnet deinen Blick auf die Menschen, andere Kulturen und auf die Welt. Es zeigt dir, was wirklich wichtig ist im Leben. Deine Familie und Freunde in der Nähe zu haben, gibt einen unglaublichen Halt. Es unterstützt dich in allen Lebenslagen.

Einerseits bewundere ich meine Kollegen, die von Pontius zu Pilatus reisen jede Woche, aber andererseits weiss ich, wie anstrengend, ermüdend und frustrierend das sein kann. Vor allem die Opernsänger, welche ständig von einem Theater zum nächsten fliegen. Was für ein permanenter Stressfaktor das für den Körper ist, realisieren viele gar nicht. Wieso singen eigentlich in China nicht einfach nur die Chinesen und in Deutschland die Deutschen? Wieso dieses ganze Hin und Her?

Wieso gelte ich als erfolgreicher, wenn ich im Ausland ein Projekt habe?

Ich muss sagen, dass ich es auch aufregender finde, im Ausland zu arbeiten. Die Menschen sind anders, man muss sich mehr behaupten, für sich selbst schauen. Die Schweizer sind sehr höflich und nett, aber ich finde, man sollte auch mal sagen, was einen stört und nicht immer des Frieden Willens aussen vor bleiben.

Ich erinnere mich an eine Szene kürzlich in Österreich. Die Situation war folgende, dass wir schon den ganzen Tag geprobt hatten und dieser Tag quasi mit Open-End bevor stand. Da wir alle im Hotel wohnten, wurden wir von der Produktion verpflegt. Für das Abendessen bestellte der Arbeitgeber Pizza und im Team-Chat wurde geschrieben, dass es „2 Vegetarier“ und „1 Veganer“ gibt.

Leider kamen dann nur Pizzas mit oder ohne Fleisch und der Veganer hatte nichts zu essen. Da uns eine Probe bevorstand und er somit nichts mehr kaufen gehen konnte, wehrte er sich, dass das doch nicht sein könne. Ein Mitarbeiter, der die Pizzas brachte, konnte aber auch nichts machen und ging schulterzuckend aus der Garderobe.

Wie dann eine junge Kollegin hinausstürmte und für sein Recht kämpfte, dass man ihn doch nicht einfach ignorieren kann, fand ich sowas von beeindruckend … aber nichts passierte. Die Kollegin googelte dann, welche Lieferservice noch offen hatte und bestellte ihrem Kollegen etwas. Was für eine wundervolle Geste. Hier geht es zwar „nur“ ums Essen, aber wie stark wäre es, wenn wir immer so für unsere Kollegen das Wort erheben würden. Und nicht ständig diese unterschwellige Angst vor irgendwas haben würden.

Dies ist mein Vorsatz fürs neue Jahr, dass ich nicht mehr mit meiner Meinung zurückhalte und auch mal für meine Kolleginnen das Wort erhebe, wenn diese gerade in der Schockstarre sind, wenn ein Kollege oder Arbeitgeber sie unfair behandelt. Machst du mit?

In diesem Sinne, auf ein mutigeres Jahr 2025, wo die Menschen füreinander einstehen, anstatt zu schweigen.

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