Was geht, SzeneSchweiz?

Was hat SzeneSchweiz in den letzten Jahren erreicht? Wo liegen die Herausforderungen? Und wie sieht die Zukunft der Darstellenden Künste in der Schweiz aus? Wir sprachen mit SzeneSchweiz-Präsident Matthias Albold und Geschäftsführerin Salva Leutenegger.

Vor drei Jahren fand der Zusammenschluss von SBKV und Tasi zum Bundesverband SzeneSchweiz statt. Was hat sich seither in den Aufgaben verändert?

Salva Leutenegger: Wir sind jetzt in der italienischen Schweiz mit einem eigenen Sekretariat aktiv. Die Betreuung der Mitglieder vor Ort ist ein wichtiger Punkt, denn nicht nur Sprache und Kultur unterscheiden sich, sondern auch die Arbeitsweise. So hat das Tessin z.B. kein institutionelles Haus mit festen Ensembles, die darstellenden Künstler*innen arbeiten dort ausschliesslich als Freischaffende im Arbeitsverhältnis – befristete Arbeitsverträge sind die Regel.

Matthias Albold: Unser Blick auf Lebens- und Arbeitsumstände der freischaffenden Künstler im Tessin hat sich seit der Fusion geweitet. Unsere Vorstandsmitglieder Manuela Rigo und Igor Mamlenkov, sowie unsere Sektionsleiterin Margit Huber, berichten uns direkt über Probleme und den Arbeitsalltag der Kulturschaffenden im Südkanton. Und wenn wir bis anhin glaubten, den Freischaffenden im deutschsprachigen Teil der Schweiz hätten die schwierigsten Arbeitsbedingungen, dann wurden wir durch die Fusion eines Besseren belehrt.

Welche Themen waren im letzten Jahr am Dringendsten?

Matthias Albold: Unsere Lohnumfrage, die Kulturbotschaft und deren Beratungen in den Bundesgremien und die Rückmeldungen unserer Mitglieder gaben hier klar das Thema vor: Einkommensverhältnisse der Freischaffenden Künstler in der Schweiz. Wer kein Arbeitsverhältnis unter dem Schutz einer unserer beiden GAVs ergattern kann, hat es um ein Vielfaches schwerer seinen Lebensunterhalt mit seinem Hauptberuf zu verdienen als ein sogenannter Festangestellter. Der Bund hat den Handlungsbedarf erkannt, streicht aber trotzdem bei der Kultur. Das Signal ist fatal.

«Die Gagen steigen an den festen Häusern wenig, dafür konstant.»

Salva Leutenegger: Im Bereich der Freischaffenden arbeiten wir eng mit anderen Verbänden zusammen, wenn es darum geht, Gagenrichtlinien auszuarbeiten oder zu erneuern. In diesem Jahr wurden zum Beispiel die Empfehlungen der Filmgagen nach oben angepasst. Die viel zu tiefen Einkommensverhältnisse von darstellenden Künstler*innen werden auch auf strategischer behandelt: Matthias Albold ist diesbezüglich kulturpolitisch auch in Bern sehr aktiv.Bei den Festangestellten sind die Mindestgagen für Berufseinsteiger jedes Jahr ein Thema. Eine zwischen Arbeitgeberverband und SzeneSchweiz etablierte Tarifkommission kommt einmal im Jahr zu Verhandlungen zusammen. Die Gagen steigen an den festen Häusern wenig, dafür konstant.

Eine Schweizer Besonderheit in den Darstellenden Künsten zeigt sich darin, dass sowohl Arbeitgeber*innen als auch Arbeitnehmer*innen von Fördergeldern aus der öffentlichen Hand abhängig sind. Wie wirkt sich das z. B. auf Verhandlungen zu fairer Bezahlung aus?

Salva Leutenegger: Diese Tatsache schwächt unsere Position ein wenig im Vergleich zu anderen unabhängigen Branchen, weil die Arbeitgeber bei jeder Verhandlung betonen, dass wir alle im selben Boot sitzen, da die Kulturfördermittel von der Politik bestimmt werden. Wir lassen dieses Argument aber nur zum Teil gelten, denn in den Budgets ist der ungerechte Verteilschlüssel das grosse Problem. Regie, Bühnenbild, Technik etc. sind immer wichtiger als die Künstler*innen.

Matthias Albold: Es ist schon richtig, wir sitzen im selben Boot. Aber die angestellten Künstler*innen entscheiden eben nicht über die Verteilung der Subventionen und Fördergelder. Das tun logischerweise die kulturellen Institutionen oder Gesuchsteller ohne Mitsprache der Ensembles. Unsere Einflussnahme auf die Bezahlung beschränkt sich auf die Tarifkommission des GAVs. Was die Richtgagen für die Freischaffenden betrifft, fehlt uns zurzeit noch die Durchsetzungskraft gegenüber den Arbeitgebern. Wir setzen alles daran, einen Sitz am Tisch mit den Subventionsgebern zu bekommen. Es ist wichtig, dass diese verstehen, wie viele Menschen infolge der augenblicklichen Verteilung in prekären Arbeitsverhältnissen gefangen sind.

SzeneSchweiz vertritt die Interessen der Darstellenden Künstler*innen, versteht sich aber nicht als klassische Gewerkschaft. Welche Mittel stehen dem Verband zur Verfügung, um sich Gehör zu verschaffen und eventuell auch mal Druck auszuüben?

Matthias Albold: Druck ist ein starkes Wort. Gesehen an der Wirtschaftsleistung von Kultur, haben wir wenig Druckmittel. Gemessen an gesellschaftlicher Relevanz, am Beitrag zur lebendigen Kultur und der Gestaltung und Bereicherung der Lebensräume oder Steigerung der Lebensqualität sollten wir genügend Druck aufbauen können, wenn wir uns als Kulturschaffende zusammentun. Das stärkste Mittel ist  der öffentliche Diskurs. Siehe Theater Basel, da haben alle am gleichen Strick gezogen und wurden gehört.

«Das stärkste Mittel ist der öffentliche Diskurs.»

Salva Leutenegger:  Klassische Arbeitskampfmittel wie Streiks sind in unserem Bereich problematisch, weil das Publikum solche Aktionen wohl nicht goutieren würde und der Schaden für Haus letztlich auch die Künstler*innen treffen würde. Aber der öffentliche Diskurs und damit der Druck auf die Politik sind gangbare Mittel, um uns Gehör zu verschaffen. Die Häuser mögen es gar nicht, wenn wir mit der Öffentlichkeit drohen. In der freien Szene sind Druckmittel nur punktuell vorhanden, da sich die Grenzen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft nicht klar ziehen lassen.

Als Bundesverband ist SzeneSchweiz für alle Landesteile zuständig. Ist es ein Nachteil, sich in einer viersprachigen, föderalen Struktur für Verbesserungen einzusetzen, oder macht es das sogar einfacher, weil man viele kleine Teilerfolge erringen kann?

Matthias Albold: Einfacher im Sinn von schneller, sicher nicht. Im Sinne von nachhaltiger aber schon. Fellini sagte einmal: „A different language is a different vision of life“. Um jede Sprachregion mit ihren Eigenheiten abzuholen und zu verstehen, braucht es Einfühlungsvermögen, Verständnis und Zeit.

Salva Leutenegger: Die Vorteile überwiegen, wenn regionale Erfolge Signalwirkung haben. Aber ja, die Verhandlungsstrategien müssen regional und sprachlich angepasst werden, das macht es für uns aufwändiger. Aber in der Schweiz ist es nun mal so – wir alle leben in dieser Realität.

Es gibt diverse Verbände, die im Bereich Kultur, Theater, Film, Musik/Bühne und Interpret*innen aktiv sind. Ist das eine Verzettelung der Kräfte? Oder ist da eine breitere Wahrnehmung möglich?

Salva Leutenegger: Es gibt tatsächlich viele Verbände, die aber alle ihre Existenzberechtigung haben: Jeder Verband hat einen anderen Schwerpunkt. Für die Mitglieder ist es nicht einfach, denn nicht alle können sich mehrere Mitgliedschaften leisten. Wir sollten unter Verbänden über vergünstigte Doppelmitgliedschaften nachdenken. SzeneSchweiz hat hierzu die Initiative ergriffen, ist aber bisher gescheitert.

Matthias Albold: Die vorliegende Struktur der Verbandslandschaft ist nicht umsonst so gewachsen, wie wir sie jetzt vorfinden. Der gesamte kulturelle Sektor ist extrem heterogen. Von Bühnentechnik bis zur Tonistallation, von Museumspersonal bis zum Lichtdesign: Das ist neben den darstellenden Künstler*innen alles Kulturarbeit. In unserem Nachbarland Frankreich werden diese ganzen Berufe gleichberechtigt in Gewerkschaften vertreten. Dort ist allerdings die kulturelle und gewerkschaftliche Tradition eine ganz andere als hier bei uns. Die Frage ist vermutlich mit einem sowohl als auch zu beantworten.

Welche Herausforderungen für Verband und Branche kündigen sich für das nächste Jahr an? 

Matthias Albold:  Die Branche wird sich die Frage stellen müssen, wie wir auf drohende Kürzungen und wachsende Lebenshaltungskosten reagieren. Das wird eine gigantische Herausforderung für Subventionsgeber und Produzierende. Wir als Verband spüren den deutlich erhöhten Druck auf die Arbeitnehmer an den steigenden Zahlen von Beratungen. Ein wesentlicher Auftrag der Kulturverbände wird es sein, der Politik immer wieder klarzumachen, was für gesellschaftliche Signale sie sendet, wenn sie Kulturausgaben kürzt. Was ist uns unsere Kultur wert?

Salva Leutenegger: KI ist in aller Munde – auch in der darstellenden Kunst. Es sind schon einige Projekte am Laufen, wie z.B. die Textbausteine für Künstlerverträge. KI wird uns noch lange beschäftigen.

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