Streiten hinter der Bühne – fight or flight?

Lieber still sein oder einen Streit riskieren? Soll man sich auch mal gegen die Mächtigen wehren und dabei auch etwas riskieren, oder einfach nicken und weitermachen? Unsere Kolumnistin übt den Widerstand.
Von Stefanie Gygax

Dieses Thema bringt mich immer wieder auf die Palme, wenn ich daran denke, wie viel ich mir schon habe gefallen lassen.

Kürzlich habe ich eine Doku über das Thema Machtmissbrauch im Theater gesehen und habe gespürt, dass die interviewten Künstler zwar darüber reden wollen, aber immer noch mit Vorsicht, dass man ja nichts Verbotenes sagt, was bei potenziellen Arbeitgebern „falsch“ rüber zu kommen könnte. Kurz danach gab es dann einen Artikel im Opernmagazin von einer Sängerin, die nicht mehr aktiv im Business ist und Missstände frei ansprechen konnte.

Die tief verwurzelte Angst ist echt schockierend. Es zieht sich durch die ganze Gesellschaft und prägt vermutlich jeden Arbeitsbereich. Beginnt es doch bereits in der Primarschule, dass man dem Lehrer nicht widersprechen soll. Die Eltern wissen in der Regel alles besser, weil sie ja „Er-wachsen“ sind und „Schwäche“ zeigen ist grundsätzlich tabu.

Wieso lehrt und lernt man nicht, wie man richtig streitet? Warum ist es immer entweder einknicken oder total eskalieren?

„Sei ruhig und mach deinen Job“ ist doch, seien wir ehrlich, aus dem letzten Jahrhundert. Ein Stück zu kreieren, ein Team zu bilden, ist doch sowas Magisches, wenn alle am gleichen Strick ziehen, jeder seine ganz eigene Persönlichkeit einbringt und das Gegenüber mit Wertschätzung behandelt! Und das wäre eben auch dann angebracht, wenn es darum geht, sich zu wehren oder Grenzen zu setzen. Aber in einer untergeordneten Position riskiere ich damit meinen Job. Anstatt zu sagen, was mich verletzt oder wie ich mich fühle, warnt mich eine innere Stimme vor den Konsequenzen. Dabei wäre es gesünder für die ganze Produktion, wenn man Auseinandersetzungen  auch offen führen kann.

Oft steht und fällt dieser Prozess mit den leitenden Positionen. Genau wie die Eltern in der Kindheit, hat das Leading Team im Theater eine immense Verantwortung, die weit über das Künstlerische hinaus geht. Wenn einige beginnen, über andere schlecht zu reden, breitet sich das aus wie eine Pest. Es entsteht Gerede, die Stimmung kommt ins Wanken, Unzufriedenheit erwacht.

Es ist auch wichtig, bei schwelenden Konflikten, die nicht nur uns direkt betreffen, Stellung zu beziehen. Ist der Konflikt unterschwellig, macht es das Ganze schwieriger, aber wenn verbale Beleidigungen offensichtlich sind, kann es doch nicht sein, dass wir alle zu Eis erstarren. Ich habe diesen Mechanismus so oft erlebt, an mir selbst und bei anderen. Ich dachte immer wieder, jetzt sage ich was dazu, aber dann war der Augenblick vorbei und ich liess es wieder sein. Es braucht so viel Mut, einfach mal STOP zu sagen, eine Probe zu unterbrechen oder danach die betreffende Person darauf anzusprechen. Meistens sind mehrere Leute involviert und man hat das Gefühl, zu sensibel zu sein oder der Stimmung zu schaden. Aber das ist ja in dem Moment bereits passiert, wenn auch „nur“ in dir. Du bist aber wichtig, denn du bist ein Teil des Ganzen, egal wie gross deine Rolle ist!

Mittlerweile trainiere ich immer mehr, den Punkt zu erwischen, von der Erstarrung sofort umzuschalten, um klar und respektvoll sagen zu können, was ich nicht in Ordnung finde. Es funktioniert nur mit dem Willen, das nächste Mal den Moment nicht zu verpassen, damit das Hirn sofort den Schalter legt und einen Bruch im gewohnten Verhalten erzeugen kann. Blitzschnelle Reaktionsfähigkeit ist gefragt, gepaart mit Mut und Klarheit. Und wenn das nicht hilft, darf man auch mal davon laufen.

Wie viele reden davon, haben es aber noch nie getan?

„Am liebschte wär ich devo gloffe!“

Ist denn schon mal jemand wirklich bei der Probe davon gelaufen, wenn die Situation unerträglich war? Ich kenne nur einen einzigen Kollegen, der die Eier hatte, das zu machen. Manchmal sind die Menschen leider so unreflektiert, dass ein Gespräch im Augenblick nicht hilft. Eine Freundin von mir ist damals ihrem Lehrmeister davon gelaufen, weil er sie immer von oben herab behandelt hatte. Das braucht so viel Mut, ich finde das unglaublich beeindruckend. Hier ist die Grenze, so lasse ich mich nicht mehr behandeln.

Es kann auch wirklich zu Zusammenbrüchen führen, wenn man sich nicht rechtzeitig wehrt oder abgrenzt. In einer Situation, in der ALLE Solisten malträtiert wurden, konnte ein Bekannter eines Morgens einfach nicht mehr aufstehen. Es ging nichts mehr, sein Körper verweigerte den Gehorsam und es musste ein Ersatz organisiert werden. Nicht mal dann wurde über den Missstand gesprochen, weil die Sänger*innen die restliche Probezeit ohne „weitere Probleme“ überstehen wollten. Von aussen klingt das total absurd, aber wenn man mittendrin ist, fühlt man sich manchmal wie gefangen.

Wir brauchen mehr mutige Seelen, die sich klar aber höflich ausdrücken können und füreinander einstehen. Sprich das „Problem“ direkt an, damit es eben nicht zum Problem wird. Wir wären erstaunt, wie plötzlich die Zahnräder ineinander greifen, weil wir das grössere Zahnrad nicht für etwas „Besseres“ halten.

Stefanie Gygax ist professionelle Sängerin & Schauspielerin, Mitglied bei SzeneSchweiz und schreibt monatlich über Herausforderungen und Erlebnisse im Berufsalltag vor, hinter und neben der Bühne. Hier gibts mehr zu ihr.

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