«Kindertheater? Schlicht und einfach Theater!»
Ronja Rinderknecht arbeitet als Dramaturgin und Produktionsleiterin im Theater für ein junges Publikum. Im Interview erzählt sie, wie es ist, unter guten Bedingungen diesen Beruf auszuüben. Und warum man Kindern durchaus auch schwerere Themen zumuten kann.
Von Seraina Kobler
Ronja, du arbeitest als Dramaturgin, Produktions- und Gastspiel-Leiterin. Wie organisierst du so viele Rollen?
Ronja Rinderknecht: Manchmal fühle ich mich ein bisschen wie Dach und Boden des Theaterhauses. Auf eine sehr gute Art und Weise geht die Vielfalt meiner bisherigen Tätigkeiten und Ausbildungen ineinander auf.
Nach dem Studium warst du erst mal mit deiner Band «Prader & knecht» unterwegs, die «introspektive, fein ziselierte Musik macht», wie das SRF vor einigen Jahren schrieb …
Das war eine schöne Zeit. Irgendwann aber war da auch der Wunsch, die Dinge zu bündeln. Am Vorstadttheater habe ich einen Fokus gefunden, bei gleicher Vielfältigkeit, kann mich auf verschiedenste Weise einbringen und bin doch in ein tolles, kleines Team eingebunden.
Ihr macht Theater für «ein junges Publikum», diese Bezeichnung ziehst du dem «Kindertheater» vor, warum?
Einerseits, weil der Begriff «Kindertheater» mit vielen Klischees und Erwartungen beladen ist und häufig auch abwertend benutzt wird. Andererseits: Es ist doch primär schlicht und einfach Theater! Und das darf auch einfach nur Kunst sein. Es muss nicht immer alles sofort angewendet und verwertet werden können. Diese Vorstellungen möchte ich gerne aufbrechen.
In der Literatur hört man oft, dass zeitgenössische Kinderbücher zu pädagogisch seien. Nur darauf angelegt, versteckte Botschaften zu transportieren. Wie ist das bei euch?
Klar ist es schön, wenn man auf eine lustvolle Art aktuelle Themen ansprechen und behandeln kann in einem Stück. Aber im besten Fall werden Themen auf verschiedenen Ebenen transportiert. Solche, die vordergründig erkennbar sind, aber auch versteckte oder übergreifende Gedankenanstösse. Und zwar für alle Altersgruppen.
Ein Anspruch, den ihr auch mit dem Ansetzen der Vorstellungszeiten ansetzt…
Genau. Eine Vorstellung für junges Publikum darf durchaus auch mal am Abend stattfinden. Wir setzen unsere Hausproduktionen auch bewusst dann an – weil wir damit nicht nur Kinder als Zielpublikum ansprechen. Genauso, wie ich umgekehrt selber als Erwachsene auch gerne mal ein Stück am Nachmittag schauen gehe, wenn etwa die Vereinbarkeit mit der Familie einfacher zu bewerkstelligen ist.
Aber es gibt schon auch Vorgaben, etwa für Schulvorstellungen?
Natürlich. Da finde ich es wichtig, eine Balance zu finden zwischen Ansprüchen der Schule (des Lehrplans) und eigenen künstlerischen Ideen. Das Schöne ist, dass wir durch die Schulvorstellungen als Publikum viele Schüler: innen haben. Die Erziehungsdepartemente der Kantone Basel-Stadt und Baselland finanzieren massgeblich die Schulbesuche mit.
So gibt es die Möglichkeit ein Publikum zu erreichen, das sonst nicht unbedingt zu uns finden würde. Und da kommt schon auch mal die Frage von Lehrpersonen, wo sie das im Lehrplan verbuchen können. In welchem Fach sich eine Nachbereitung anbietet. Da lassen sich bei jedem Stück Ansätze finden. Es sollte aber am Ende des künstlerischen Prozesses stehen, nicht am Anfang.
Gibt es auch andere Vorgaben?
Es wird zum Beispiel oft verlangt, dass ein Stück nur so oder so lange ist. Weil sich die Kinder und Jugendlichen angeblich nicht mehr länger konzentrieren können. Da frage ich mich schon: Beim Film geht das doch auch. Warum soll es dann im Theater nicht möglich sein, wo die direkte Resonanz noch viel grösser ist. Aber klar gibt es im Hinblick auf die gewohnte Dauer einer Schulstunde eine Rechtfertigung. Häufig wird auch darüber diskutiert, was man zeigen darf und was nicht.
Trauen wir unseren Kindern diesbezüglich zu wenig zu?
Lustigerweise kommen diese Bedenken nie von den Kindern selbst. Meine grösste Angst ist, sie zu langweilen und sie dadurch längerfristig zu verlieren. Daher finde ich es wichtig, ihnen genug Platz zu geben, um die eigene Fantasie mitspinnen zu lassen. Ihnen Räume für eigene Bilder zu schenken. Wie man den Kindern eine Geschichte erzählt, das ist doch das Wesentliche. Ausserdem entsteht ein starkes, gemeinschaftliches Erlebnis, wenn sie gleichzeitig das Gleiche erleben und sehen. Das Schöne ist ja, dass sie da nicht alleine im Raum sitzen…
Was würdest du dir da für die Zukunft wünschen?
Dass wir unseren Kindern auch schwere Themen zutrauen. Etwa psychische Gesundheit, Verluste, Abschiede… Man hat Angst, sie damit zu konfrontieren. Doch sie sind ja nicht auf den Kopf gefallen, merken, was um sie herum geschieht in der Welt. Und ihnen wird so die Möglichkeit genommen, einen altersgerechten Umgang damit zu lernen.
Du erwähntest die Zusammenarbeit mit dem Kanton, wie setzt sich die Unterstützung für das Haus zusammen?
Das Vorstadttheater Basel ist subventioniert durch den Kanton Basel-Stadt. Und erwirtschaftet einen weiteren Teil seines Budgets selbst. Der Betrieb nährt sich aber auch von privaten Spenden und wir sind davon abhängig, dass unsere Produktionen zusätzlich gefördert werden. Das ist leider eine Tatsache. Und doch sind wir in der glücklichen Position, dass unser Grundbetrieb gewährleistet ist. Natürlich müssen wir auf die Finanzen schauen, unsere Räume vermieten, weitere Einnahmequellen erschliessen. Doch wir arbeiten nicht permanent auf Messers Schneide.
Wie verändert das die künstlerische Arbeit?
Es ermöglicht eine Art Nachhaltigkeit und Planungssicherheit. Was wohl der grösste Unterschied zum Prekariat der freien Szene ist, von dem wir auch viel spüren, da wir ja für die Hausproduktionen immer wieder mit Menschen aus der Freien Szene zusammenarbeiten und auch für das Gastspielprogramm im laufenden Austausch mit dieser stehen. Wir haben ein stabiles Fundament. Das ist Seelennahrung.
Wie steht es generell um das Theaterschaffen für ein junges Publikum?
Es gibt eine eigene Szene, viele Festivals im deutschsprachigen Raum, einen Verband, Häuser, die sich explizit dem Theater für ein junges Publikum verschrieben haben, die sich verbinden. Leider ist die Szene in sich eher geschlossen. Deshalb finde ich auch wichtig: Man kann durchaus mal ein Stück, eine Produktion für junges Publikum machen – und dann auch wieder für Erwachsene.
Wir machen Theater für alle Generationen!
Das sollte durchlässiger sein. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Jahren die Plattform «FR!SCH» gegründet, für neue Gesichter im Theater für ein junges Publikum, die dadurch Aufführungsmöglichkeiten und Zugang zu einem Netzwerk erhalten können.
Eine Haltung, die ihr auch im neuen Zuhause des Vorstadttheaters pflegt?
Aber sicher, im Gemeindehaus Oekolompad, wo wir nun angekommen sind, gibt es viele spannende Institutionen über alle Generationen hinweg. Wie der Quartiertreffpunkt und ein Angebot zum Berufseinstieg von jungen Müttern bis hin zu einer Tagesstätte für Demenzerkrankte. Das ist sehr in unserem Geiste, sehen wir auch unsere Kunst auf der Bühne als generationenübergreifend.
Wir machen «Theater für alle Generationen». Ausserdem sind wir nun am neuen Ort im Gotthelf Quartier noch viel mehr in ein vielfältiges Familienquartier eingebunden. Aber es gibt noch mehr Parallelen zu uns…
Die wären?
Das Vorstadttheater Basel ist nun in einem alten Kirchenraum zuhause. Auch in einem Theatersaal kommen Menschen zusammen und bilden eine temporäre Gemeinde. Da stehen Personen auf der Bühne, die vor dieser Gemeinschaft etwas zu sagen haben.
Obwohl ich am Anfang etwas erschrocken bin, wie opulent der neue Theaterraum im alten Kirchenschiff daherkommt. Im Foyer gibt es hohe Spiegel und eindrucksvolle Leuchten. Aber dann dachte ich: Warum sollen Kinder nicht ebenfalls einen solch prachtvollen, grossen Raum als ihr Theater bekommen?!
Ronja Rinderknecht ist seit 2020 Produktionsleiterin und Dramaturgin am Vorstadttheater Basel und programmiert das Gastspielprogramm.
Nach ihrem Studienabschluss in Politikwissenschaft und Musikwissenschaft an der Universität Zürich absolvierte sie ein Dramaturgie-Studium an der ZHdK. Bis 2020 führte sie den Verband für Kinder- und Jugendtheaterschaffende ASSITEJ Schweiz. Als Cellistin und Sängerin steht sie seit über 10 Jahren auf diversen nationalen und internationalen Bühnen und hat in diversen Studioproduktionen mitgewirkt.
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