Krank? The Show must stop.

Wie krank muss ich sein, um eine Vorstellung abzusagen? Werde ich dafür verurteilt? Für schwach gehalten? Muss die Show wirklich weitergehen, bis jemand zusammenbricht? Unsere Kolumnistin Steffi Gygax macht sich Gedanken zu Selfcare.
Von Stefanie Gygax

Krank sein ist relativ, gesund sein ebenso. Wer bestimmt, ab wann wir krank genug sind, um uns von einer Probe oder Vorstellung abzumelden? Wo hört gesund sein auf und wo beginnt das krank sein?

Als Künstler ist es grundsätzlich nicht erlaubt krank zu sein. Krank sein bringt Schwierigkeiten mit sich, wie Besetzungsnot, Lohnausfall und Angriffsfläche für Kollegen und Arbeitgeber. Ich bin mit dem Grundsatz im Theater aufgewachsen: „The show must go on“ und Kranke gelten als stark, wenn Sie sich trotz Grippe und gebrochenen Rippen durch die Vorstellung kämpfen. Wenn man die 2.Besetzung spielen lässt, so wie es eigentlich gedacht wäre, fangen sogar die weissen Schafe an, sich die Mäuler über den Umstand zu zerreissen. Anstatt es einfach anzunehmen, wie es ist, werden Fragen in den Raum gestellt.

„Meinst du, sie ist wirklich krank? Was hat Sie denn überhaupt?“

Scheinbar ist es dem Menschen in die Wiege gelegt, sich immer und in jeder Situation ein Urteil bilden zu müssen und zu tratschen. Dabei braucht ein kranker Mensch vor allem Mitgefühl, um wieder gesund und fit zu werden. Aber wenn jemand das Bein bricht, dann ist natürlich klar, dass er zu Hause bleiben muss. Von einem Musiker, dem das kürzlich passiert ist, habe ich erfahren, dass sogar ER ein schlechtes Gewissen hatte, die Vorstellungen abzugeben.

Wie oft habe ich schon miterlebt, dass die Märtyrer gelobt werden.

Ich fühle mich oft sehr alleine mit der Entscheidung, ob es mir schlecht genug geht, um abzusagen. Solange ich gut stehen und gehen kann, kämpfe ich mich zur Probe, auch wenn ich die Kollegen anstecke, weil es so erwartet wird. Muss ich erst vor Schwindel umklappen, dass ich weiss, jetzt sollte ich nicht mehr auf die Bühne gehen? Wieso kann mir nicht mal ein Arzt sagen, wo die Grenze ist?

Seitdem ich das erste Mal erlebte, wie meine Stimme und mein Kreislauf während der Arbeit eingeknickt, habe ich riesigen Respekt vor dieser Entscheidung. Ein solches Erlebnis ist traumatisch.  Die Stimme und die ganze körperliche Befindlichkeit können sich im Laufe einer Vorstellung drastisch verändern. Wahrscheinlich liegt das an den hohen Mengen von Cortisol und Adrenalin, die man während eines Auftritts ausschüttet.

Wo ist die Grenze?

Wo ist meine Grenze? Ich habe gelernt, dass wir selbst die Grenzen in unserem Leben bestimmen müssen, ohne Rücksicht auf Verlust. Aber im Künstleralltag kann die Grenze am einen Ort zu einem weiteren Engagement führen und die anders gesetzte Grenze schiesst dich ins Out! Eine zweite Besetzung für eine Rolle machen diese Regeln einfacher, aber zu oft kann sich das die Produktion nicht leisten.
Ist es das wert, sich mit Medikamenten vollzustopfen, um weiter arbeiten zu können und die Gefahr einzugehen, dass der Körper irgendwann die Notbremse zieht?

Für mich ist diese Thematik schwierig, weil ich gerne arbeite und negative Reaktionen fürchte, wenn ich nicht über meine Grenzen hinausgehe. Trotzdem glaube ich, in einer Welt, in der klar ist, dass ich bei Krankheit zu Hause bleiben kann, ohne meinen Körper zu zerschleissen oder gar meine Kolleg*innen anzustecken, besser und gesünder für alle wär.

Oft zeigen sich die Auswirkungen der Lebensweise ja erst nach Jahrzehnten. Im Alter zahlen wir den Preis für unsere Lebensweise.  Aber auch wenn wir jünger sind, redet der Körper mit uns und gibt immer wieder Zeichen, was nicht gut für uns ist. Unser Bauchgefühl arbeitet ununterbrochen und schickt Informationen an den Verstand. Oft haben wir aber keine Lust uns auszuruhen oder eine Veränderung des Lebensstils herbeizuführen, sodass der Körper immer deutlichere Signale senden muss.

Hör auf deinen Körper oder er wird dich flachlegen

Mich hat mein Körper bisher immer lahmgelegt, wenn ich etwas verändern sollte. Das äussert sich bei mir durch Kreislaufprobleme wie Schwindel, Rauschen in den Ohren und Kribbeln im Körper. Dann fahre ich herunter und schaue, wie ich mich in meinem Alltag erleichtern kann.
Das ist zwar ein miserables Gefühl, aber trotzdem bin ich dankbar, dass ich keine schwerwiegende Krankheit bekomme, sondern ein klares Kommando für Ruhe und Stillstand, um meine Batterien wieder aufzuladen. Wenn ich dem Rat folge, geht es schneller, wenn ich trotzdem immer wieder arbeite, genese ich langsamer. Erstaunlich wozu unser Körper fähig ist.

Viele Künstler, vor allem die Hochsensiblen, kennen diese Zustände und reden nicht darüber, weil sie nicht als schwach gelten wollen und Angst haben, aufgrund dessen nicht mehr engagiert zu werden. Ich finde es wichtig darüber zu reden, denn die Gemeinsamkeit und das Verständnis hilft uns besser damit umzugehen und schneller wieder Gesundheit zu geniessen. Wer seine Leidenschaft ausübt, ist bereit 24/7 zu arbeiten und wird dafür noch gelobt.  Dabei sollten wir uns  gegenseitig ermutigen, uns Auszeiten der Ruhe zu nehmen, damit unser Körper und unser Geist in Zukunft beste Leistungen bringen können.

1 Kommentar
  1. Katharina Lienhard
    Katharina Lienhard sagte:

    Liebe Stefanie

    Du sprichst mir aus dem Herzen- Danke fürs Anstossen der Thematik.
    Ich denke mich unterstützen mein Körper und meine Einstellung, dass ich ja sonst ohne Gage wäre, würde ich krank. Gleichzeitig lebe ich so, dass ich mir und meinen Kräften nach Möglichkeit schaue. Aber das geht nicht immer. Und dieses „The Show must go on“ ist schlicht ein Ignorieren des eigenen, wichtigen Instruments, das Körper, Seele, Geist heisst. Das mag ja mal passen, ein Medi zu nehmen. Aber ich habe mit Schrecken festgestellt, dass dies bereits schon der Usus junger Kunstschaffender ist. Und genau diese Haltung, dass wir uns als ätherische Poeten: innen sehen, lässt uns auch Engagements annehmen, die unterbezahlt sind und anderes mehr. Es ist an der Zeit, das Karma unserer „Gilde“ zu verändern…

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