Geld oder Zeit? Oder gar nichts?
Unsere Kolumnistin erzählt, warum „freie Zeit“ eben nicht „frei“ ist, warum Geld und Angst immer Hand in Hand gehen, und wieso man untereinander über Gagen und Arbeitsbedingungen sprechen sollte.
Von Stefanie Gygax
„Ich könnte das nicht“ – diese Worte höre ich immer wieder, wenn ich Freunden und Verwandten von den Unsicherheiten in meinem Beruf erzähle. Die ewige Ungewissheit, wie das Geld nächsten Monat reinkommt, ist für viele Menschen ein Horror-Szenario. In einem Monat mehr als genug zu verdienen und im nächsten unter das Existenzminimum zu rutschen, ist für Viele unvorstellbar, für mich aber ganz normal. Für die Meisten meiner Bekannten steht fest, sie würden lieber einen langweiligen, unbefriedigenden Job machen, als in der ständigen Existenzangst leben zu müssen.
Für mich war es schon immer wichtig, meinem Umfeld einen Einblick in den Künstleralltag zu geben, mit allen Schwierigkeiten, die er mit sich bringt. Während ich als junge Darstellerin die übliche Frage X-Mal hören musste: „Was machsch du eigentlich de ganz Tag?“ oder „Scho schön, wemmer de ganz Namitag frei het“, höre ich diese Floskeln seit einigen Jahren nicht mehr. Mittlerweile sind viele in meinem Umfeld diesbezüglich verstummt, weil sie mitbekommen, dass ich eigentlich nie wirklich frei habe.
Bei jedem „Feierabend“ überlege ich mir genau, ob ich noch auf ein Glas mit den Kollegen ausgehe. Muss ich morgen wieder singen? Wie fühlt sich mein Hals an? Sollte ich jetzt schweigen oder den Körper ausruhen, damit ich das morgen schaffe? Ich sollte mich ausruhen, damit der Körper für die Vorstellung am Abend genügend Energiereserven zur Verfügung hat. Trotzdem fällt es mir schwer, wenn ich doch noch Bewerbungen schreiben, Wäsche waschen oder einkaufen sollte.
Jeder freie Tag beinhaltet die Möglichkeit zu unterrichten, um weniger an die bevorstehenden Ausgaben und Rechnungen denken zu müssen. Habe ich einen freien Nachmittag, ist das die Gelegenheit, sich um den nächsten Job zu kümmern oder in den Übungsraum zu gehen, um die Stimme zu trainieren.
Wenn wir frei haben, ist unser Kopf ist bereits auf die Vorstellung ausgerichtet oder die nächste Probe, die wir bewältigen dürfen. Wir müssen eine Masse an Text und Noten liefern, meistens auswendig und jeder Fehler nervt die Kollegen, weil es den Fluss der Arbeit stört. Wir haben auch nicht frei, weil wir permanent rechnen, ob wir nächsten Monat genug Geld verdienen, um unsere Fixkosten zu bezahlen und einen Plan schmieden, wie wir das nächste Arbeitsloch füllen können. Die Monate, in denen genug Geld reinkommt, gehen meistens schnell vorbei und die Reserven reichen oft nicht für einen Urlaub, sondern gerade mal für den nächsten Gesangsunterricht, den man ja auch noch weiterführen sollte, wenn man sich weiterentwickeln möchte.
Wie wäre es also mal mit der Frage:
„Wie schaffst du es, auf der Bühne zu stehen, wenn du krank bist?
„Muss man Stimme und Körper eigentlich trainieren oder weiterbilden, so wie die Sportler, um im Rennen zu bleiben?“
„Wie machst du das, während den Arbeitslöchern nicht zu verzweifeln?“
Ich möchte mich nicht beklagen, der Lebensstandard in der Schweiz ist hoch und wir haben eine Sicherheit vom RAV, dass wir einen Teil unseres Angestellten- Einkommens versichert haben. Dennoch bin ich jeden Monat am Rechnen und Einteilen. Ist das der Preis für die Selbständigkeit? Offensichtlich geht es Angestellten an den Stadttheatern doch genauso. Warum verdienen Opernsänger *innen mehr als Ballett-Tänzer*innen? Warum verdient ein Dirigent mehr als der Solist auf der Bühne? Wer hat jetzt mehr Verantwortung? Die Regeln sind verwirrend und niemand macht sich die Mühe, das mal zu erklären. Kann mir also jemand erklären, warum die Ballett-Tänzer die niedrigsten Gagen haben? Da kommt noch der Verschleiss und das Karriereende mit Mitte Dreissig..
Wie kann ich im Ensemble nur 20.- weniger verdienen, als eine Hauptrolle? Wieso verdient der Kollege, mit einer viel kleineren Rolle gleichviel, obwohl ich eine viel grössere Verantwortung habe? Die Aufteilung ist unverständlich, oft unlogisch, deshalb steht wohl in jedem Vertrag, man solle Stillschweigen bewahren, was die Meisten zum Glück nicht mehr machen.
Die veraltete Aufteilung darf in der modernen Gesellschaft bitte mal überdacht werden. Es kann doch nicht sein, dass überall die Teuerung ausgeglichen wird, ich im Theater aber immer noch gleich viel verdiene wie vor 20 Jahren.
Ich danke allen da draussen, die sich für faire Löhne im Theater die Zähne ausbeissen. Auch hier könnte man doch mal damit beginnen, auf Augenhöhe MITeinander zu verhandeln, anstatt den Künstlern immer das Gefühl zu geben: „Dir geht’s wohl nur ums Geld? Ich dachte, du machst das aus Freude.“
Danke Stefanie, für deine ehrlichen Worte. Ja, die Künstlergagen sind selten transparent und in einigen Bereichen nicht nachvollziehbar. Die Theater halten sich bedeckt und argumentieren zu oft mit historischen Gründen – wohlbemerkt im Hier und Jetzt. Der Berufsverband SzeneSchweiz setzt sich dafür ein, dass euer Einkommen und die soziale Sicherheit besser werden. Ein schwieriges Unterfangen, aber wir bleiben dran.