«Ich empfand MoCap-Sets viel gesünder»

Die Londonerin Cheryl Burniston kämpft, tanzt, weint und lacht in Computerspielen. Im Interview anlässlich des Zürcher ZFICTION-Events erklärt sie die Unterschiede zwischen MoCap-Acting und anderen Schauspielformen.

Interview und Übersetzung: Corinne Soland

Corinne: Cheryl, wie bist du zur Schauspielerei mit Motion Capture gekommen?

Cheryl: Mein erstes Mocap-Projekt war im Jahr 2017. Ich erhielt einen Anruf von einer Maskenbildnerin, die eine Person suchte, die Bewegungen für einen animierten Kurzfilm liefern sollte. Ich habe mich schon immer für körperliche Darstellung interessiert und habe Tanz, Kampfsport und Kampftechniken für den Film trainiert.

Ich spielte eine Tee-Nymphe, die aus einer verschütteten Tasse Tee herauskam, die Umgebung erkundete und schließlich wieder in die Tasse sprang. Das war sehr befreiend für mich. Die Vorstellung, dass man alle*s spielen kann – es gibt nichts Schöneres, als seinen Avatar zum ersten Mal auf einem Bildschirm zu sehen. Ich musste mehr davon haben! Ich war danach sehr hartnäckig bei den Mocap-Studios dran, um mehr Aufträge zu bekommen.

Du hast große Rollen gespielt, zum Beispiel in dem Spiel Final Fantasy. Wie bist du dazu gekommen?

Ende 2018 hatte ich ein paar Demos für dasselbe Studio gemacht. Zu dieser Zeit schickte mir ein Freund einen Tweet über ein Casting für ein Videospiel. Der Casting-Aufruf stammte von Jessica Jefferies, einer mittlerweile sehr etablierten Performance-Capture-Casting-Direktorin in Großbritannien.

Das Gefühl, das man hat, wenn man eine Filmrolle bekommt – das war dieses Glück, aber hundertmal mehr! Dieses Videospiel wurde schließlich zu „The Dark Pictures Anthology: Little Hope“, der zweite Teil der Trilogie von Supermassive Games. Während der Dreharbeiten zu diesem Spiel habe ich mit Neil Newbon zusammengearbeitet, der beim Trailer zu Borderlands 3 Regie führte, und durch diese Rolle bekam ich die Möglichkeit, für Final Fantasy XVI vorzusprechen.

Wie bereitest du dich auf ein Mocap-Vorsprechen vor?

Es ist wie bei jedem anderen Vorsprechen für eine Rolle. Man setzt sich so gut wie möglich mit der Rolle auseinander und bereitet sich mit dem Material vor, das man bekommt. Du bringst alles ein, was du in deiner Ausbildung oder aus deinen bisherigen Erfahrungen gelernt hast. Beim Vorsprechen für Little Hope wollte ich meine Bewegungen übertreiben, um zu zeigen, wie ich mich bewegen kann. Aber ich wusste, dass das Projekt eine naturalistische Darbietung erfordert. Man muss wirklich lesen und zuhören, was das Projekt und die Rolle von einem verlangen.

Zur Person
Cheryl Burniston ist Londoner Schauspielerin und arbeitet seit ihrem Abschluss an der School of the Arts, University of Northamptonhauptsächlich im Filmbereich. Cheryl ist zudem eine erfahrene Motion-Capture-Künstlerin undspielte Kreaturen als auch für menschliche Charaktere in Projekten wie Final Fantasy XVI, The Dark Pictures Anthology, Magic: The Gathering, Borderlands 3 und Need For Speed gemacht.

Wie war der Produktionsprozess für dich als Schauspielerin?

Ich habe etwa 9 Monate mit den Dreharbeiten zu Little Hope und 5 Monate mit den Dreharbeiten zu Final Fantasy VXI verbracht. Für Little Hope drehten wir jeden Monat eine Woche lang, von Montag bis Freitag. So hatten die Animatoren Zeit, die Daten durchzugehen, wir kamen dann im nächsten Monat zurück und machten weiter. In den drei Wochen zwischen den Drehs konnten wir uns ausruhen.

Die Drehwoche war oft sehr anstrengend, wir mussten viel rennen und sehr physisch Dämonen abwehren. Jedes Projekt hat einen anderen Prozess. Die Aufnahme von Körper, Gesicht und Stimme zusammen wird Performance Capture genannt, aber die einzelnen Elemente können auch aufgeteilt und von mehreren Darstellern aufgenommen werden.

 

Für Little Hope wurde mein Body Capture mit den zuvor aufgenommenen Gesichts- und Stimmaufnahmen kombiniert. Ich hatte kein Drehbuch, das ich kennen musste. Ich bekam ein Bild meines Charakters, etwas Hintergrundgeschichte und ein paar Entwürfe der Welt, in der wir uns befanden. Im Volume (so heisst die Capture Stage, die 3D Bühne, in der aufgenommen wird, Anm. cs) hörten wir den Dialog für die Szene, merkten uns davon so viel, wie wir konnten, und gabe alles, um die Emotionen, die wir hörten, darzustellen und sicherzustellen, dass die Körperlichkeit mit der Stimme übereinstimmt. Little Hope ist ein Spiel, das auf Entscheidungen basiert, so dass es Hunderte von alternativen Möglichkeiten für die Szenen gab.

Für Final Fantasy XVI drehten wir jeweils zwei Wochen am Stück mit zwei Wochen Pause. Wir haben Motion- und Facial-Capture-Aufnahmen für einen Synchronsprecher gemacht, mit dem wir uns später abstimmen konnten. Die Besetzung bestand aus neun Personen, und wir haben alle mehrere Rollen gespielt.

Was sind gute Eigenschaften für das Spiel mit Motion oder Performance Capture?

Bei AAA-Spielen wird alles unglaublich geheim gehalten. Ich denk ich, dass eine der wichtigsten Fähigkeiten eines*r Motion-Capture-Künstlers*in deshalb darin besteht, völlig offen zu sein. Es ist wie bei dem Improvisationsspiel „Ja und…“: Man muss einfach nehmen, was man bekommt, und loslegen. Vertrauen in sich selbst als als Darsteller*in ist der Schlüssel. Je nach Projekt kann es sein, dass man eine Vorabvisualisierung erhält, einerseits der Umgebung oder auch deiner Figur. Manchmal hast du nur die Umrisse eines Menschen in einer grauen Landschaft und ein paar Bäume. Genau da kommt die Vorstellungskraft ins Spiel, ohne die es nicht geht.

Was sind die Vorteile gegenüber dem normalen Acting?

Eine Sache, die ich wirklich wichtig finde, ist die Möglichkeit, das Volume aus der Vogelperspektive zu betrachten. Oben zu sitzen und nach unten zu schauen und sich selbst zu kartografieren, seinen Weg zu sehen, den man abgehen soll und alles auf einmal zu erfassen. Aber letztendlich ist es Schauspiel.

Es scheint, als gäbe es jetzt mehr Motion- und Performance-Capture-Rollen und auch mehr Schauspielende, die in diesem Feld arbeiten möchten. Deshalb ist es wichtig für Spielende, ihre Fähigkeiten aufrechtzuerhalten – Schauspiel, Kampffähigkeiten, Bewegungsqualitäten. Die Drehtage sind oft lang und anstrengend, so dass viel Durchhaltevermögen erforderlich ist, sowohl körperlich als auch geistig. Das Schauspielen von Kreaturen macht unglaublich viel Spaß, ist aber auch unglaublich anstrengend, nicht nur für den Körper, sondern auch für die Stimme.

Wie unterscheidet sich das Spiel rein technisch gesehen?

Ich würde nicht sagen, dass man anders spielt. Man berücksichtigt den Stil des Projekts und die Eigenschaften der Figur und gibt die Leistung, die die Regie von einem verlangt. Es kommt wirklich auf den Inhalt an. Die bekannte Übung „Spiel’ diese Emotion, erhöhe sie auf zwei, dann auf fünf“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie man die Emotionen hoch- und runterschrauben kann – aber immer aus einer realen Situation heraus. Manchmal kann man das, was man tut, auf den Bildschirmen überprüfen. Am Ende des Tages soll die Figur lebendig sein: Dafür ist die Atmung entscheidend.

Ist es für die Schauspielenden wichtig, etwas über die Technologie zu wissen?

Ich finde es interessant, zu wissen, wie sie funktioniert. Bei der Arbeit weiß ich dann, worauf die Animationsspezialist*innen achten, und man kann das in seine Arbeit einfließen lassen – um klare Bewegungen finden und sicherzustellen, dass die Marker nicht von den Kameras verdeckt werden. Es ist wichtig, an die Leute zu denken, die die Daten bereinigen, und es wird nicht unbemerkt bleiben, wenn man ihnen das Leben ein wenig leichter macht.

Ein Interesse an der Branche und ein Verständnis für die Zeit und den Aufwand, die in der Entwicklung eines Spiels stecken, sind ebenfalls hilfreich. Die Spieleindustrie ist riesig und wächst, und die Menschen verbringen Stunden und Tage damit, mit Ihrer Figur zu interagieren, und das ist etwas ganz Wunderbares. Sie beobachten dich nicht nur auf dem Bildschirm, sondern sind in ein viel interaktiveres Abenteuer verwickelt. Man kann jahrelang auf die Veröffentlichung eines Spiels warten, man ist zur Geheimhaltung verpflichtet.

Wie ist deine Beziehung zur Regie in der Vorbereitungsphase und während des Drehs?

Beim Film und auf der Bühne bekommst du das Drehbuch, daraus ziehst du die Dinge, die deine Figur prägen. Du kannst über die Epoche, das Land, die Stadt oder den Ort recherchieren, in dem der Film oder das Stück spielt. Bei Mocap ist es anders – bis du ins Volume kommst, kann es sich so anfühlen, als ob du im Dunkeln tappst. Manchmal wird dir auch Material zur Verfügung gestellt, das du vorbereiten kannst, aber meiner Erfahrung nach erfahre ich den Großteil der Informationen am ersten Tag. Du musst also dir selbst und dem Team vertrauen.

Bevor du an Bord kommst, sind Monate und oft Jahre in das Projekt geflossen. Ich finde, dass die Beziehung zu einer Regie im Volume dann enger ist als am Filmset oder auf der Bühne. Die Dreharbeiten gehen schneller als bei einem Filmset, aber es fühlt sich für mich mehr nach Zusammenarbeit an. Die kollektive Vorstellungskraft der Designer*innen, der Produzent*innen, der Regie und der Darstellenden ist wirklich stark.

Wie funktioniert das Besetzen für Games in Großbritannien – du meintest vorhin, dass es eine*n spezielle*n Casting Director gibt?

Ja, Jessica Jefferies. Sie macht ihre Casting-Aufrufe öffentlich und setzt sich für Neulinge in diesem Bereich ein. In England gibt es auch einige Schauspielagenturen, die sich neben der Schauspielerei für Leinwand, Bühne und Werbung auf Motion Capture spezialisiert haben. Viele Studios casten aber auch immer noch selbst. Es kann also nicht schaden, sie anzuschreiben, sich vorzustellen, seine Fähigkeiten zu bewerben und eine Beziehung aufzubauen.

Es gibt auch Unternehmen, die Workshops anbieten und dir das aufgenommene Material zur Verfügung stellen. Präsentiere alle anderen Bewegungsfähigkeiten, die du hast – Kampf- und Stuntfähigkeiten werden in Spielen häufig eingesetzt. Wenn du schon Sprecher*innenaufträge hattest, halte sie auf dem neuesten Stand oder aktualisiere sie. Mach‘ dir klar, für welche Art von Projekten du arbeiten möchtest, und arbeite darauf hin. Die Welt der Performance Capture fühlt sich viel zugänglicher an. Auf mich wirken alle ein bisschen netter.

Ich habe das gleiche Gefühl. Mocap Menschen sind toll!

Oh, es sind fantastische Menschen! Ich empfand die MoCap-Sets als viel gesünder. Es fühlt sich zu keinem Zeitpunkt des Prozesses wie ein Beliebtheitswettbewerb an.

Hast du schon Kreaturen aufgenommen und wenn ja – welche Art: Tiere oder Humanoide?

In Little Hope habe ich den Ertrunkenen Dämon gespielt. Sie war der Dämon einer Figur, die als Hexe verurteilt und ertränkt worden war. Wenn es um die Arbeit mit Kreaturen geht, näherst du dich ihnen am besten wie jeder anderen Figur. Zum Beispiel kannst du dich fragen: Warum ist diese Kreatur diese Kreatur – wurde sie so geboren oder wurde sie erst später dazu? Warum ist sie hier, was ist ihr Ziel? Versuche, die Kreatur zu verstehen: Versucht sie, jemanden zu verletzen oder zu töten? Hat sie Angst vor etwas? Oder geht es ihr nur ums Überleben?

Mit all diesen Überlegungen arbeitest du dann an ihrer Körperlichkeit. Ich hatte einen Arm um mich gewickelt, den ich nicht benutzen konnte, und ich hatte Gewichte an meinen Beinen befestigt, um die Anstrengung zu zeigen, die es bedeutet, meinen Körper mit einem Arm über den Boden zu ziehen. Und dann bringt die Stimme alles zusammen. Der Atem ist ein wichtiger Teil der Rollengestaltung, es kann eine Abkürzung sein, um sich in die Figur hineinzuversetzen, die Grundhaltung zu finden, zu atmen und dann zu spielen.

Und dann war da noch die Braut von Frankenstein. Sie kann sich bewegen, atmen und sprechen wie ein Mensch, aber ihre Bewegungen und ihr Blick sind die einer ängstlichen Katze. Das Zischen war das, was für mich die Emotionen und die Dringlichkeit der Szene hervorgerufen hatte, nebst ihrem Ziel. Bei der Arbeit mit Kreaturen muss man 110% geben. Es ist anstrengend, und da kommt es darauf an, sich fit zu halten, aber es macht so viel Spaß.

Was rätst du Schauspielenden, die in Videospielen arbeiten möchten?

Ich finde es hilfreich, einen Workshop zu finden, einen sicheren Ort, an dem man neue Bewegungsmöglichkeiten für seinen Körper finden kann. Du hast dieselben zwei Arme und zwei Beine, einen Rumpf und einen Kopf, aber dein Körper kann sich auf so viele wunderbare und unterschiedliche Arten bewegen, dass du dich jedes Mal selbst überraschen wirst.

Es ist natürlich toll, wenn man eine Mocap-Rolle hatte und diese vorweisen kann. Wenn man diese Erfahrung noch nicht hat, kann man sich in einem leeren, beleuchteten Raum in enger Kleidung filmen, um seinen Körper und seine Bewegungen zu zeigen. Du musst keinen Mocap-Anzug tragen, es geht darum, deine Körperform zu zeigen und wie sich dein Körper bewegen kann.

In 3 Worten – was hat Mocap zu deinem Schauspiel-Leben beigetragen?

Verspieltheit. Offenheit. Und vielleicht etwas über den Geist: Experimentieren. Wenn ich über Performance Capture und die Möglichkeiten nachdenke, die es bietet, über unsere Größe, unsere Gestalt, unser Geschlecht und unser Alter hinauszugehen, und wie die Technologie es uns erlaubt, uns in einen Charakter zu verwandeln, der so weit von unserem eigenen Charakter entfernt sein kann – das ist wirklich erstaunlich. Mit jedem Projekt, das ich mache, mit jeder Figur, die ich spiele, spüre ich, wie ich mich mehr öffne und mutiger werde, um Ideen, Fähigkeiten und Figuren in Angriff zu nehmen, von denen ich dachte, sie lägen jenseits von mir. Im Volume hat es Platz. Raum zum Atmen und Wachsen.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast für unser Gespräch und das Teilen deiner Gedanken!

ZFICTION in Zürich

Cheryl Burniston teilte in ihrem Vortrag „The differences and similarities in acting for screen, stage and performance capture“ an der Zürcher Spielfilm Tagung ZFICTION.24 ihre Gedanken zum Schauspiel mit Motion Capture.

Die Spielfilmtagung ZFICTION.24 fand am 21. und 22. März 2024 statt. Die Beiträge wurden gefilmt und werden auf hier verfügbar sein.

In der Schweiz gibt es mehrere Anbieter*innen für Motion Capture Workshops, unter anderem das Quantum Stage Studio in Winterthur oder die Filmschauspielschule Zürich filmZ GmbH. Der nächste Kurs der filmZ kann hier  gebucht werden.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Schauspiel für Screen, Bühne und Performance Capture
Was ist der Unterschied zwischen dem “traditionellen” Schauspiel, wie man es auf der Leinwand und auf der Bühne sieht, und dem Schauspiel für Performance Capture und Face Capture? Wie geht eine schauspielende Person an ein Projekt heran, wenn es kein Bühnenbild und keine Kostüme gibt? Welche Unterschiede gibt es im Prozess der Charaktervorbereitung, wenn die entstehende Figur virtuell ist? Hier zum Blog.

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