«Gegen das Gefühl, verloren zu sein»

Wanda Wylowa spricht im Interview über Unsicherheit zwischen Engagements, schwierige Altersvorsorge – und Solidarität zwischen Frauen.

Von Seraina Kobler

«Das Kino ist zurück», hast du kürzlich gejubelt. Woher die Freude?

Wanda Wylowa*: Es ist gerade so ein guter Zeitgeist: Spannende Schauspielenden wie Andrew Scott oder Emma Stone, eine gute Generation. Auch wird wieder mehr besprochen in den Medien und öffentlich diskutiert, obwohl das Feuilleton so viele Federn lassen musste. An Filmen wie «Zone of Interest», «Poor Things» oder «All of us strangers» kommt man derzeit kaum vorbei, zu Recht. Das wünsche ich mir nun auch für das Theater.

Du meinst, den Besucheraufschwung nach der Pandemie?

Ja, ich gehe ja seit jeher zwischen beiden Welten hin und her. Und auf der Bühnen, mit dem direkten Kontakt, spannt sich ein Raum auf für das Empfindsame, das Sensible. Der lässt sich durch keine Streaming-Plattform der Welt ersetzen. Und doch müssen die Häuser kämpfen, besonders die Kleinen.

Wie äussert sich das für euch als Schauspielende?

Es gibt schon einige Mechanismen, das zeigt sich schon nur in der Terminplanung, die manchmal der Quadratur des Kreises gleicht. Und am Ende beanspruchen einfach doch immer die Engagements für Filme freie Vorfahrt, einfach weil dort viel mehr Geld vorhanden ist.

Wie bekommst du dennoch beides unter einen Hut?

Man muss sich selbst eine Struktur schaffen. Mir fällt immer mehr auf, dass ich oft sechs Dinge gleichzeitig am machen bin. Zwei Stunden Organisation, dann etwas Netzwerk, dazwischen Text lernen, die Garderobe für den nächsten Auftritt festlegen, jemanden Treffen, neue Ideen aushecken, Schreiben für die Kurzfilme von gerade, nochmals was vorbereiten, ein Brot backen, im Kopf nochmals den Text durchgehen, den Terminkalender verinnerlichen, alles einteilen.

Und machst du auch mal frei?

Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich arbeite freiwillig sieben Tage die Woche, auch wenn ich nicht spiele. Letztes Jahr waren es über 60 Vorstellungen oft auch an Wochenenden… Aber ich muss dazu auch sagen, dass ich dafür verkürzte Arbeitstage mache, ich nütze die produktiven Stunden, jeden Tag. Alles andere birgt das Risiko, dass ich rausfalle. So bleibe ich immer in Verbindung mit dem, was ich tue. Das ist mir viel lieber, als ein 9-5-Job.

Gab es auch mal Momente, wo du überlegt hast, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen?

Ja, früher jeden Sommer. Da tat sich dieses grosse Loch ohne Engagements auf, wenn die Produktionen still stehen und die Bühnen in der Pause sind. Nun habe ich diese Wochen mit Sommertheatern füllen können, das ist aufs Jahresbudget gesehen kein grosser Anteil, aber dafür eine grosse Freude. Daneben hilft Werbesprechen, was aber leider auch nicht mehr soviel Gage gibt wie früher. Manche fürchten, dass Sprecher:innen-Stimmen schon in wenigen Jahren durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden können… Das wäre dramatisch. Schon jetzt könnte man mit dem, was von meiner Stimme im Netz verfügbar ist, eine künstliche Spur erzeugen.

Gibt es da keinen Schutz? Was unternimmt die Branche?

Bis jetzt ist nichts reglementiert. Das Problem ist auch hier, dass die Rechtsprechung dem rasanten technologischen Wandel hinterherhinkt. Bis die nach sind, ist die Stimme schon lange geklaut oder imitiert …

«Wenn ich es schaffe,
die Schwingungen der Worte zu erfassen,
sie glasklar denke,
braucht es nichts mehr»

Und doch gibt es Bereiche, wo Menschen nicht zu ersetzen sind. Gerade im Wechselspiel mit Kunst und Sprache. Literatur liegt dir auch sehr am Herzen, du besprichst oft Bücher im Netz, moderierst Vernissagen oder liest dich für Monsterlesungen mal eben durch Dürrenmatt Werk …

Das stimmt, Sprache ist mir sehr wichtig. Am Anfang von jedem Stück und jedem Film steht der Text. Ich lasse ihn durch mich hindurchfliessen. Wenn ich es schaffe, mich da reinzugeben, die Schwingungen der Worte zu erfassen, sie glasklar denke, dann braucht es eigentlich nichts mehr. Ausserdem bedeutet Lesen auch immer, über die Welt nachzudenken. Warum sind wir hier? Warum tun wir die Dinge so, wie wir sie tun? Wie funktioniert die Liebe?

Nochmals zurück zur wirtschaftlichen Lebensrealität. Du engagierst dich seit einigen Jahren dafür, mehr Transparenz und Handlungsmöglichkeiten auf die Altersvorsorge von Kunstschaffenden aufzuzeigen. Was machst du genau?

Die Idee dahinter ist, dass es viele Kunstschaffende gibt, die sich schämen, dass sie keine Altersvorsorge haben. Vielleicht auch diese Themen verdrängen, eine hohe Hemmschwelle aufbauen, je länger sie das tun. Weil sie so wenig verdienen. Für diese Menschen gibt es in einem Pilotprojekt von der Migros eine Peer-to-Peer Beratung.

Mit dir?

Wer möchte (lacht), ja. Natürlich können auch wir Ambassador:innen nicht die Probleme lösen, aber wir zeigen Möglichkeiten auf. Helfen gegen das Gefühl, verloren zu sein. Klären über die zweite und dritte Säule auf, denn schon ein paar hundert Franken mehr, machen im Alter viel aus.

Wie kommst du selbst zwischen den Produktionen über die Runden?

Zum Glück steht uns das Arbeitsamt als Zwischenlösung zur Verfügung. Da wir ja von einer Kürzestanstellung zur nächsten gehen. Vieles hat sich auch verbessert, so war es früher etwa nicht einmal möglich, durchgängig Kinderzulagen zu beziehen. Es gab keine Mutterschaftsversicherung … Eine weitere Vereinfachung bringt die Sprecherkasse.

Wie funktioniert die?

Das ist ein gemeinsames Abrechnungssystem für Schauspielende, die gelegentlich Sprecherjobs machen, kleinere Engagements oder Lesungen. Ich zahle 2,5 Prozent von meiner Gage, dafür wird mir die ganze Abrechnung und Einzahlung der Sozialabgaben abgenommen, für Honorare unter tausend Franken. Man muss dem Geld nicht nachrennen, nicht selbst mahnen, man ist versichert, das hilft enorm.

Welche Verbesserungen für die Branche würdest du dir wünschen?

Auch E-Castings sollten entgolten werden, da es wahnsinnig aufwendig ist, sich darauf vorzubereiten. Die Arbeit vom Textlernen, jemanden für die Aufnahmen beauftragen und das ganze Prozedere werden bislang unentgeltlich geleistet. Arbeitszeiten sollen eingehalten werden, Schauspielende sind keine Leibeigene während Wochen für 24 Stunden an 7 Tagen die Woche. Dem Theater wünsche ich mehr Zeit zum Proben und weniger Einfluss von Modeströmungen.

Und speziell für Frauen?

Dass auch Frauen über fünfzig diverse und spannende Rollen erhalten und diese schon viel früher, etwa beim Drehbuch und Geschichtenschreiben, gestaltet werden. Sie können so viel mehr spielen, als Grossmütter oder Geschiedene.

Gibt es Dinge, die dir eine andere Gelassenheit geben als früher?

Der Vorteil davon, fünfzig zu werden ist, dass man merkt: So viel Zeit ist da nicht mehr wie auch schon. Was ist mir wichtig? Das möchte ich geniessen und dankbar sein, statt mich um morgen zu sorgen, schliesse ich lieber eine liebe Freundin in den Arm und verbringe einen schönen Abend mit gutem Essen. Feiere den Moment. Das geht natürlich auch leichter, wenn die ganze Rush-hour des Leben mit kleinen Kindern etwas nachlässt, das Tempo geht automatisch runter. Der Atem kommt zurück. Und die Musse einfach mal auf einem Bänklein sitzenzubleiben und in die Sonne zu blinzeln. Oder eine Siesta machen, wenn man müde ist.

Stichwort Freundinnen, du bist auch beruflich geschickt darin, Frauen zu verbinden …

Das liegt mir tatsächlich sehr am Herzen. Da gibt es «Female Act», einen regelmässigen Stammtisch für Schauspieler*innen, einen Safe Space, wo wir uns austauschen und bestärken. Oder regelmässige Aktionen, wie sich gemeinsam eine Fotografin buchen und neue Shots fürs Portfolio machen. So vieles geht einfacher, wenn man es teilt. Das ist wichtig, gerade, wenn du in so einem kompetitiven Umfeld tätig bist.

Letzte Frage: Wenn du zurückblickst, was war deine schönste Produktion?

Seitentriebe von Güzir Kar, eine Produktion für das Schweizer Fernsehen, auf die ich heute noch immer wieder von jungen Frauen angesprochen werde. Es ging über zwei Staffeln, insgesamt waren wir zwei Jahre lang dran. Der Anerkennungspreis der Stadt Zürich im November 2023 war für mich wirklich sehr wichtig, er hat mein bisheriges Arbeiten gewürdigt und vor allem das zukünftige gefördert. Natürlich hat mich auch der Schweizer Filmpreis für die beste Nebenrolle im «Hamster» gefreut. Diese Dinge, die bleiben.

*Zur Person

Wanda Wylowa ist als Performer*in seit Anfang der Nullerjahre in verschiedensten Formaten des Kunstschaffens zu erleben. Als Mitbegründerin der freien Theatergruppe 400asa hat sie die Möglichkeiten der Theaterbühne ausgelotet und insbesondere in ihrer Kombination mit neuen Medien an der Erforschung neuer Erzählformen mitgearbeitet. Die Untersuchungen führten und führen sie immer wieder zu Film- und Audioarbeiten.

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