«KI darf uns nicht überrollen»

Bruno Marty, Geschäftsleiter Schweizerische Interpretengenossenschaft, arbeitet an Vertragsbausteinen, die Missbrauch von KI in Film und Musik verhindern sollen. Wir sprachen mit ihm über die Zukunft.

Das Interview fand über Videocall statt.

Bruno Marty, braucht es in zehn Jahren noch Interpret*innen oder übernimmt das dann alles die künstliche Intelligenz?

Bruno Marty: Ja, die braucht es durchaus noch. Das Schöne an Kunst ist, dass sie sich immer weiterentwickelt, immer neue Formen annimmt. Natürlich ist künstliche Intelligenz ein Teil der Zukunft, aber Interpret*innen und Künstler*innen wird es immer brauchen.

Patrick Karpiczenko aka Karpi, der Comedian und KI-Experte, meinte, dass man nur mit Theater auf der sicheren Seite sei, weil die KIs das nicht imitieren könnten. Stimmt das?

Ich wär da nicht so sicher. Wir stehen ja noch ganz am Anfang. ChatGPT und seine Kollegen sind erst seit knapp zwei Jahren präsent, der Boom hat gerade erst begonnen. Wir wissen nicht, was noch auf uns zukommt und wie Künstler*innen mit den Möglichkeiten von KI umgehen werden. Ich will auch nicht in Pessimismus verfallen. Es gibt viele coole Möglichkeiten mit KI und viele Kreative suchen neue Wege. Es ist nicht alles schlecht, was mit KI zu tun hat, auch wenn einige Unternehmen oder Personen sie zum Nachteil von Interpret*innen oder gar der Gesellschaft einsetzen.

Zur Person

Bruno Marty ist Geschäftsleiter der Schweizerischen Interpretengenossenschaft SIG in Zürich. Er kennt die Musikbranche einerseits als ehemaliger Musiker, Manager, Promoter und Booker und anderseits als früherer Geschäftsführer der action swiss music (heute Sonart). Über die Jahre aktiv in verschiedenen Organisationen (u.a. Suisseculture, mx3,  SIS und Swissperform).

Kreativität und das Schaffen von originärer Kunst setzt, zumindest bis heute, noch Empfindungsfähigkeit, Empathie voraus. Werden in Zukunft künstliche Intelligenzen auch diesen Bereich erobern?

Ha, das sind philosophische Fragen! Aber ja, das könnte irgendwann kommen, ich will es auf jeden Fall nicht ausschliessen. Doch zurzeit sind KIs eher Instrumente, Tools, die auch bewusst von Künstler*innen eingesetzt werden, um Neues zu erschaffen. Wir kennen das ja auch aus der Geschichte. Leute, die meinten, elektrische Gitarren seien der Untergang der Musik-Kultur, später dann der Synthesizer, dann Sampling. Kunst und Kultur nimmt Veränderungen auf und nutzt sie für neue Wege, für weiteren kreativen Ausdruck.

Besonders gut sieht man das im Filmbusiness. Viele der Sachen, die wir im Kino, TV oder auf Netflix sehen, wären ohne KI gar nicht mehr möglich. Neue Technologien werden adaptiert und mit der Zeit Normalität.

Aber gerade für Interpret*innen stecken da auch die Gefahren. Wenn eine KI mit meiner Stimme und meinem Aussehen einen ganzen Film oder einen Song produzieren kann, muss ich als Künstler*in schauen, wo ich bleibe …

Völlig richtig und letztlich eine Frage der Regulierung – und die ist sehr dringlich. Zurzeit arbeiten wir, also die Interpretengenossenschaft und ihre Partner, an Vertragsbausteinen, die man gerade für solche Situationen benutzen kann, um die Rechte der Interpret*innen schützen.

Also völliges rechtliches Neuland?

In der Schweiz sind die Persönlichkeitsrechte von Künstler*innen recht gut geschützt. Aber wir haben das Problem, dass es noch keine Rechtspraxis dazu gibt. Keine Urteile, die bestehendes Recht auf neue Technologien und Situationen anwendet. So bewegen wir uns da in einer Dunkelkammer. Unsere Empfehlungen an Interpret*innen: Nichts unterschreiben, das man nicht völlig versteht und die Nutzung nicht klar umschreibt. Im Zweifelsfalle einen Vertrag kurz von einer Fachperson checken lassen. Und da sind wir auch gut aufgestellt: Die Interessensverbände, also wir, Suisa, SzeneSchweiz, etc. alle bieten einen kostenlosen Rechtsberatungsdienst an.

Das war ja beim SAG-EFTA-Streik in den USA ein zentrales Thema …

Dort ging es neben den Definitionen der Nutzung auch ganz konkret um den finanziellen Aspekt. Was ist es wert, wenn meine Stimme, meine äussere Erscheinung, meine ganze Person virtuell von einer KI ‚gespielt‘ wird. Als Beispiel: Wenn ich für nur einen Drehtag am Set bin und meine Daten erfasst werden, danach aber ein ganzer Kinofilm mit meiner Identität produziert wird, wie viel Entschädigung bekomme ich dann? Daran arbeiten wir auch ganz konkret: Wir schaffen gerade Richtlinien, die solche Sachen regeln sollen. Schliesslich geht es um Berufe, die ein Recht auf anständige Entlöhnung haben.

Ist das in der Schweiz wirklich schon ein Thema?

Bei der Nachproduktion oder bei einem Stunt kann es durchaus sein, dass digitale Versionen der Schauspieler*innen verwendet werden. Aber das ist weniger das Problem, da es sich meist nur um Filmsekunden handelt. Wenn man aber nur noch kurz am Set benötigt wird, entzieht das den Schauspieler*innen jegliche Existenzgrundlage.

Für uns ist es wichtig, dass wir schnell dazulernen, schnell Lösungen und Hilfsmittel entwickeln, weil die KI sehr viel schneller lernt als wir.

Was ist das Dringendste, das die Branche jetzt tun muss?

Das Wichtigste ist, dass die unterschiedlichen Verbände und Interessenvertreter jetzt an einem Strang ziehen und schnell Regelungen und Empfehlungen formulieren, neben ganz praktischen Dingen wie eben diesen Vertragsbausteinen und weiteren Infos, an denen wir gerade arbeiten. Wenn wir nicht  von der KI-Welle überrollt werden wollen, sondern diese neue Technologie fair nutzen möchten, müssen wir etwas Tempo zulegen.

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