Geld und Geist – Bilanz zum Jahresende

Wir haben uns in unseren Breitengraden darauf geeinigt, dass das Jahr 12 Monate hat und in dem Sinne nach dieser beschränkten Zeit vorbeigeht. Das macht aus kapitalistischen Gründen alles etwas einfacher, wenn Abrechnungen anstehen. Mit dem Jahresende kommt auch das Buchhaltungsende. Die Abrechnungen flattern ins Haus, wir freuen uns entweder, dass wir so viel verdient haben oder fragen uns, welche Alternative zu den Covid-Zahlungen da wäre, um uns sicher in die nächste Abrechnungsperiode zu bringen.

Ob freischaffend oder nicht – als Künstler*in in der Schweiz leben zu können, heisst oftmals unter finanziell prekären Umständen zu arbeiten. Viele von uns könnten auf dem klassischen ersten Arbeitsmarkt mehr Geld verdienen, als wir es mit unserer Kunst machen. Wieso tun wir es trotzdem? Die Gründe sind natürlich so vielfältig wie die Menschen, die dahinter stehen. Keine*r von uns hat die gleiche Laufbahn. Was für ein Feld, welche Möglichkeiten, welche Risiken und welche Freuden!

Eine Umfrage der SzeneSchweiz hat dieses Jahr die Zahlen in Schwarz-Weiss abgedruckt: 86 Prozent der professionellen Freischaffenden können nicht von ihrem Einkommen aus der künstlerischen Tätigkeit leben. 74 Prozent der freischaffenden Künstler*innen und 59 Prozent der Festangestellten fürchten negative Konsequenzen bei Gagen- und Lohnforderungen. Ein Grossteil der Teilnehmenden steckt über Jahre im Anfangslohn fest. 54 Prozent der (festangestellten) Frauen haben zwischen 2018 und 2022 keine Lohnerhöhung bekommen. Bei den Männern sind es noch 50 Prozent. Familiengründung ist in der Darstellenden Kunst ein Armutsrisiko (Zum Interview mit Salva Leutenegger und dem Download der Umfrage geht hier.).

Ich bin gerade nicht in der Schweiz, besuche über die Festtage Freund*innen und Beinahe-Verwandte. Wir sprechen viel über Politik und Kunst in diesem Land, das ich jetzt mal ungenannt lasse, über die Verhältnisse für Künstler*innen und wie die Politik alles beeinflusst. Der Arbeitsmarkt ist hier so heruntergerockt, dass es keine fairen Arbeitsverhältnisse gibt für junge Menschen. Sie müssen sich den vorherrschenden patriarchalen Verhältnissen unterordnen oder leben von Schwarzarbeit. Die meisten leben mit ihren Eltern, ausser die Eltern haben das Geld, ihnen eine Wohnung zu mieten oder es gibt eine Immobilie, die im Familienbesitz ist.

Immer wieder tauchen in unseren Gesprächen Gemeinsamkeiten auf, immer wieder werde ich mir bewusst, wie gut es ist, einen Berufsverband zu haben, der für einen da ist und die Interessen der Mitglieder vertreten möchte. Es gibt sicher Themenfelder, auf denen das besser gelingt als auf anderen. Dazu braucht es die Mitglieder, die sich melden, die sich wehren wollen, die einstehen möchten für sich selbst und sich dabei Hilfe holen. Dann kann der Verband was tun. Aber einfach zu wissen, dass es eine Institution gibt, die dafür da ist, meine Interessen zu vertreten, ist wahnsinnig erleichternd und stärkt den Rücken. Gerade auch, wenn es darum geht, Verträge zu lesen oder Gagen zu verhandeln.

Ich weiss nicht, wie euer Jahr war, meines war gut. Ich konnte meinen Beruf ausüben, mich weiterbilden, mir neue Ziele setzen und Kontakte knüpfen. Ich bin bereit, mich noch weiter darauf einzulassen, dass das mein Beruf ist, ich entscheide mich jeden Tag wieder neu dafür, in dieser Art der Arbeit zu Hause zu sein und als Künstler*in zu leben. Dass wir das können, hat auch mit den stärkenden Privilegien zu tun, die wir haben und die andere vor uns erarbeitet haben.

Ende Jahr ist doch immer eine gute Zeit, sich zu fragen: Wofür bin ich dankbar in diesem Jahr? Was waren meine Herausforderungen? Und was habe ich daraus gelernt? Wie möchte ich weitergehen: Wie, mit was und mit wem möchte ich meine Zeit verbringen im 2024?

Die letzte Weiterbildung, die ich 2023 besucht habe, war zum Thema Improvisation im Theater. Ich habe so viel mitgenommen, was ich auch im 2024 als Grundsätze in meinem Leben etablieren möchte. Zum Beispiel: Wachsam sein. Aufmerksamkeit schärfen. Angebote annehmen. Logisch, Spielangebote eh (immer her damit). Aber auch andere Angebote. Was ist, wenn ich mal zuerst nicht Nein sage? Sondern ausprobiere – und schaue, was es mit mir macht? Und dann die richtigen Schlüsse daraus ziehe – ja, das mache ich wieder. Nein, davon lasse ich in Zukunft die Finger. Eine gute Strategie auch, Vorurteile abzubauen.

Weiter auch: Den Widerstand zu finden und mit diesem zu spielen. Gerade dabei auch keine Angst vor dem Profanen zu haben, vor dem Offensichtlichen. Vor dem, was erzählt werden möchte. Nicht zu weit suchen. Auf Gemeinsamkeiten aufbauen, die unausgesprochen im Raum stehen, die erzählt werden möchten. Wir alle haben Wünsche und wir alle haben Hürden, die sich uns in den Weg stellen. Sie sind alle erzählenswert.

Und vielleicht als letztes, aber nicht minder wichtig: den anderen auch ihren Moment gönnen, um zu glänzen. Sie darin unterstützen, unterfüttern, eine solide und stabile Nebenfigur sein in ihrem Moment. Der eigene Moment kommt nämlich in der Impro meist schneller als gedacht und dann ist es doch schön, wenn andere als supporting act da sind (wahrscheinlich schon das bessere Wort als Nebenfigur).

Geschichten erzählen sich nicht von alleine. Sie brauchen uns! Unsere Stimmen, unsere Emotionen, unsere Körper, unser Gefühl und unsere Fertigkeiten, die Geschichten zu schleifen, sie zu komponieren und sie zu verdichten. Dafür versuchen wir, Klarheit zu schaffen. In unseren Köpfen und unseren Körpern. Mit Im-Moment-Sein. Mit einem wieder-und-wieder-Schleifen unserer Intuition und unseren Fähigkeiten. Um bereit zu sein. Um sich unterstützt zu wissen. Um Freude daran haben zu können.

Corinne Soland schreibt im ENSEMBLE zum Leben in einer als Darsteller*in im 21. Jahrhundert. Corinne spielt “Anna” in Neumatt, “Isabelle” in Monsieur Claude und seine Töchter (Bernhard Theater), “Emma” im VR Game Amazing Monster! und spricht als “Jimmy” und “Dimitri” im Guetnachtgschichtli. Corinne lebt in Basel und unterrichtet Motion Capture Schauspiel an interessierte Spielende.

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