«Theater scheint sicherer als Film»

Patrick Karpiczenko, Autor, Regisseur und Schweizer Film-KI-Pionier, sieht die Chancen von künstlicher Intelligenz, aber auch die Veränderungen in Kunst und Kultur. Sein Fazit: „Macht keine schlechte Kunst!“

Für ENSEMBLE interviewte Reda El Arbi

Karpi, gibts in Zukunft eine App, auf der wir uns beliebig Schauspieler*innen herunterladen und dann mit einer KI einen Film zusammenstellen lassen können?

Natürlich. Und das ist erst der Anfang. Nicht nur wird es Apps geben, die auf Knopfdruck ganze Spielfilme erstellen, es wird auch ohne Knopfdruck passieren. Denkbar sind Fernsehsender, die automatisch merken, wenn sich einzelne Zuschauer zu langweilen beginnen – das Programm wird dann in Echtzeit umgestaltet. Genauso wie ich die Gruselgeschichten, die ich meiner Tochter erzähle, spontan ihren Launen und Interessen anpasse, so wird auch die Unterhaltung der Zukunft spontan auf jedes Anzeichen von Langeweile oder Verstörung reagieren.

Aber es geht noch weiter. Auch bestehende Filme können „on the fly“ umgeschrieben werden. Wer keine tragischen Schlüsse mag, dem verpasst die KI spontan ein Happy End – dann geht die Titanic am Schluss halt nicht unter. Und Kate und Leo heiraten.

Die Technologie dafür ist schon jetzt fast da. Einzig ungeklärt ist die Rechtesituation von Schauspieler:innen und bestehenden Filmwerken. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Hindernisse beseitigt werden. Wo ein Business-Modell ist, ist auch ein Weg.

In den USA haben die Schauspieler*innen und die Autor*innen gestreikt, weil die Angst umgeht, durch künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. Ist das Szenario realistisch? Müssen Schauspieler*innen Angst haben, ihr Gesicht und ihre Identität könnten geklaut oder überzeugend kopiert werden?

Jaein. Im Moment schon noch, aber eher, weil die Technologie so rasant fortschreitet und in Sachen Urheberrechte noch wilder Westen herrscht. In Deutschland organisieren sich die Synchronsprecher:innen bereits für solche Szenarien.

Ich bin zuversichtlich, dass auch hier bald Richtlinien und Geschäftsmodelle entstehen. Problematisch wär nur, wenn diese Geschäftsmodelle noch mehr auf Ausbeutung bauen, als die bestehenden. Ein Spotify-artiges Geschäftsmodell für Gesichter und Stimmen von Schauspieler:innen wär nicht wünschenswert.

Du hast ein Projekt des SRF verlassen, bei dem an kreativen Prozessen mit KI herumgebastelt wurde. Wolltest du die KI, die in Zukunft deinen Job macht, nicht ausbilden?

Das Projekt habe ich aus ganz profanen Gründen verlassen – und nicht, weil ich Angst hatte, dass mein Job in Zukunft von einer KI gemacht werden kann. Im Gegenteil, ich arbeite seit Jahrzehnten daran, mich obsolet zu machen – bisher ist es mir nicht geglückt.

Wo steht die Schweizer Filmlandschaft in Bezug auf künstliche Intelligenz? Hinken wir wie immer zehn Jahre hinterher?

Leider ja. Von ein paar Nerds und Nerdetten mal abgesehen, treffe ich auf sehr viele Schlafmützen. Auch die Förderinstanzen schlummern friedlich.

Du lebst von deiner Kreativität. Denkst du, dass künstliche Intelligenz diesen eher chaotischen, intuitiven Prozess irgendwann wirklich selbst machen kann?

Irgendwann schon, ja. Aber das ist nicht weiter schlimm, vorausgesetzt wir schaffen es bis dahin, die wirtschaftliche Komponente von der kreativen zu lösen. Utopie ist für mich, wenn wir alle arbeiten können, aber nicht müssen. Und wenn alle Künstler:innen sein können – ohne finanziellen Druck.

Was würdest du Darstellenden Künstler*innen empfehlen, um auf die Zukunft vorbereitet zu sein? Ausbildung? Jobwechsel? Nur noch Theater?

Schwierig. Lapidar gesagt würde ich dem Nachwuchs raten, keine schlechte Kunst zu machen, weil die am schnellsten obsolet wird. Je spezifischer, persönlicher, gewissenhafter jemand arbeitet, umso mehr sehe ich dafür Bedarf. Das „Wieso“ und „Warum“ wird in Zukunft wichtiger als das „Was“. Auch das Prädikat „hübsch“ wird durch KIs komplett entwertet – was ich grundsätzlich begrüsse.

Und ja, Theater scheint sicherer zu sein als Film und Fernsehen. Ich persönlich schicke meine Tochter in den Zirkuskurs. Der Beruf der Zirkusartistin ist „future proof“.

Und zum Schluss: Denkst du, dass KI irgendwann mal selbstbewusst und empfindungsfähig wird und die Weltherrschaft an sich reisst

Selbstbewusst und empfindungsfähig auf jeden Fall. Das kommt schon bald. Auch das mit der Weltherrschaft ist möglich, aber im Moment noch eher ein Hirngespinst. Ich mach mir weniger Sorgen darüber, was KIs alleine anrichten können, sondern für was sie von Menschen instrumentalisiert werden können. Wenn Konzerne dank KI jeden Bereich meiner Privatsphäre monetarisieren. Oder wenn autokratische Staaten mit Hilfe von KI den „perfekten“ Überwachungsstaat bauen um ihre Macht zu zementieren – das macht mir Sorgen. Die Roboterherrschaft wirkt dagegen noch zahm.

Patrick Karpiczenko,  in Bern geboren,  freischaffender Autor und Regisseur für Film, Fernsehen, Theater und Werbung (Regie und Konzept u.a. für Migros, SBB, Swisscom, SRF, Schweiz Tourismus, Greenpeace, PostFinance). Preisträger von ein paar nationalen und internationalen Filmpreisen.  Showrunner, Miterfinder und Sidekick der SRF Late-Night-Show «Deville» (2016 – 2020).

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