Tanz der Skelette
Corinne setzt sich immer mit den zukünftigen Möglichkeiten des Berufs auseinander. Einige davon haben mit neuer Technologie zu tun. So auch das heutige Thema: Motion Capture.
Ich stelle immer wieder Figuren dar, die sich nicht klassisch auf einer Bühne oder im Film ansehen lassen . Den Charakteren, denen ich Leben einhauche, begegnet die Zuschauerin in einer Virtuellen Realität, auf dem Computer oder in einer VR Brille. Oder sie spielt ein Videospiel und steuert die von mir verkörperte Figur durch ein Terrain und löst Rätsel.
Ob ich auf der Bühne spiele, vor der Kamera oder für Motion Capture: Immer werden meine Bewegungen registriert. Auf der Bühne von den Menschen mit ihren Körpern (Augen, Ohren, Haut, Herzen), beim Film durch die Kamera und bei MoCap durch Sensoren, die an meinem Körper angebracht sind.
Ich bewege mich also. Ich bewege mich auf einer Bühne oder auf einem Filmset. Ich bewege die Fleischsehnen in meinem Fleischhaus und die Fleischgliedmassen bewegen sich mit. Dahin, wo ich sie haben möchte. So schnell oder langsam oder verzögert oder beschleunigt, wie die Bewegung sein soll. Ich bin Darstellende Künstler*in, trainiert, diese Bewegungen zu vollziehen und auf eine Korrektur von Aussen zu reagieren: “10% dringlicher”, “mit mehr Verantwortungslosigkeit dem Gegenstand gegenüber” oder “die Wut macht dich noch träger”. Ich passe meine Bewegungen an – so, dass sie eine Geschichte erzählen können.
Mein Körper als Instrument. Meine Bewegungen als Klänge dieses Instruments. Mata Hari sagte: “Der Tanz ist ein Gedicht und jede seiner Bewegungen ein Wort.” Ich liebe es, mit meinem Körper Musik zu machen – oder Poesie. Ihn durch verschiedene Musikstile und Genres hindurch zu bewegen, mal etwas poppiger, mal ernst und dramatisch, mal fast existenziell nah, mal wieder leicht und verspielt. Die Qualität meiner Bewegungen hängt davon ab, wie verfügbar ich bin. Was ich zulasse und was ich “durch mich hindurch gehen” lassen kann, um es dann zu spiegeln, das Innere nach Aussen zu kehren, zu zeigen, zu re-präsentieren, was da drin vor sich geht. Durchlässig sein, transparent.
Kann ich ähnlich transparent sein während unterschiedlichen Arbeitsbedingungen? Ist es anders, für Theater zu spielen als für eine Technologie, die “nur” dreidimensionale Koordinaten aufnimmt? Ja! Und nein.
Tanz der Skelette
Mit der Motion Capture-Technologie werden meine Bewegungen “getrackt”, also aufgenommen. Es gibt verschiedene Systeme, eines davon, das optische, funktioniert so: Spezielle Kameras schiessen ein Infrarot-Licht auf mich hinab. Ich trage einen Anzug, der hauteng auf meinem Körper liegt. Auf diesem Anzug sind Marker befestigt. Diese reflektieren das Infrarot-Licht der Kameras. Die Reflexion gibt der dahinterliegenden Software die Information, an welchem Ort sich dieser Marker befindet, zum Beispiel auf meinem Ellbogen oder meinem Bein oder Kopf.
Drei Kameras und sichtbare Punkte braucht es für die Koordinate im Raum für einen Marker – es werden üblicherweise zwischen 30 und 70 Marker an meinem Körper angebracht. Diese Markierungen werden in der Software und dank einer geübten Motion Capture-Person für die Aufnahmen so angeordnet, dass sie einem menschlichen Skelett entsprechen.
Wenn ich also mit dieser Technologie spiele, muss ich wissen: was ich bewege, ist nicht meine Haut, nicht mein Fleisch, nicht meine Wimpern und Lippen und Haare – es sind meine Knochen. Die Gelenke und das Skelett werden nachvollziehbar verfolgt mit den Markierungen. Auf diese Skelett-Bewegungen wird der digitale 3D Körper gelegt.
Je nachdem, wie ich mich bewegt habe, passt das zu dem ausgewählten 3D Mesh (der digitalen Haut) oder eher nicht. Dann passe ich an und erprobe mit der 3D Figur, wie es ist, mit diesem Körper zu gehen: “I am taking the character for a walk.” Ich spaziere mit meiner Figur, ich renne und drehe mich, sprinte, schleiche und stolziere. Welcher Gang passt wohl am besten?
Character-Work mal anders: Ich betrachte dabei die digitale Figur auf einem Bildschirm – oder vertraue der Animationsfachperson, der Regie oder der Person, welche die Daten aufnimmt, ob es wahrhaftig wirkt in 3D. Eitelkeit hat keinen Platz, denn es geht nicht darum, wie ich aussehe, nur, wie die virtuelle Figur aussieht und ob wir ihr glauben, was sie tut.
Schauspiel mit der Motion Capture Technologie ist für mich eine Art, die volle Transparenz der darstellerischen Kunst herzustellen. Es ist ein interessanter Zwischen-Zustand: Ich bin gleichzeitig wahnsinnig unsichtbar als Darsteller*in – es geht nie um mein Gesicht oder wie mein Körper in echt aussieht – und unvergleichbar sichtbar: Jede meiner nervlichen Zuckungen wird registriert, jede Unsicherheit, Gedanken statt Handlungen.
Alles überträgt sich auf das Skelett. Beim Schauspiel mit der Motion Capture Technologie erzählen die Knochen die Wahrheit.
Corinne Soland schreibt im ENSEMBLE zum Leben in einer als Darsteller*in im 21. Jahrhundert. Corinne spielt “Anna” in Neumatt, “Isabelle” in Monsieur Claude und seine Töchter (Bernhard Theater), “Emma” im VR Game Amazing Monster! und spricht als “Jimmy” und “Dimitri” im Guetnachtgschichtli. Corinne lebt in Basel und unterrichtet Motion Capture Schauspiel an interessierte Spielende.
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