Stopp – Grenzen setzen!

Bevor man anderen Grenzen setzen kann, muss man die eigenen Grenzen auch kennen, findet unsere Kolumnistin Stefanie Gygax. In einem Beruf, der mit Emotion, Körper und Nähe arbeitet, muss man für sich selbst eine klare Linie finden, damit man sie auch anderen aufzeigen kann.
Text: Stefanie Gygax, professionelle Sängerin & Schauspielerin

„Es tut mir leid, wenn ich den Eindruck hinterlassen habe, dass du mich so behandeln darfst“. Wenn wir davon ausgehen, dass alle unsere Handlungen aus Aktion und Reaktion bestehen, ist diese Aussage sowas von genial. Wenn du von jemandem nicht so behandelt wirst, wie du es dir wünschst, dann überlege dir, inwiefern dein Verhalten oder dein So-Sein da hineinspielt.

Grenzen zu setzen beginnt nicht in deinem Umfeld, nicht bei der Arbeit, es beginnt bei dir selbst. Hast du schonmal versucht, deinen Gedanken Grenzen zu setzen? Ich trainiere dies seit ein paar Jahren, weil ich es so geschafft habe, meine Panik-Attacken „zurückzuweisen“. Wir können unsere Gedanken lenken, ihre Richtung ändern, sie weg schicken, in dem wir sie bewusst wahrnehmen und entsprechend handeln. Ich mache es so, dass ich mit ihnen rede und ihnen sage, was mir nicht gefällt und was ich mir wünsche.

Dann habe ich angefangen, das bei meinem Gegenüber anzuwenden. Dies klingt zwar banal und selbstverständlich, ist es aber leider ganz und gar nicht. Und wisst ihr, was das Absurdeste daran ist? Dieses Verhalten hat mein Leben nicht leichter gemacht, sondern konfrontiert mich jeden Tag mit Menschen, die mich ganz und gar nicht verstehen und die ganz Verrückten behaupten, dass ich falsch liege, mit dem was ich empfinde.

Wann muss ich Stop sagen?

Ein schönes Beispiel ereignete sich gerade erst in diesem Jahr. Ich arbeitete seit 1.5 Jahren mit einem Kirchenmusiker, der mich immer wieder als Sängerin engagierte. Er war so begeistert von unserer Zusammenarbeit, dass er eine Konzertreihe organisierte. Es kamen immer mehr SMS, weil ja viel geplant werden musste, aber nun vermehrten sich auch die persönlichen Fragen und Berichte. Nun gut, Menschen mögen ja Ver-bindung, dann macht die Arbeit auch mehr Spass?

Okay, jetzt musste plötzlich mehr besprochen werden, also wurde ich zu einer Sitzung zu ihm nach Hause berufen. Zu dieser Zeit fragte ich mich gar nicht, warum der Organist nicht dabei ist. Nun gut, es ging um die Lektion, die ich lernen musste. Und weiter gings, die Begrüssungen, welche ich gerne herzlich in einer Umarmung pflege, wurden erweitert mit einem Kuss auf Ohr oder Hals. Beim ersten Mal dachte ich, das war ein ungeschicktes Manöver, aber nach dem zweiten/dritten Mal war ich wie gelähmt…ich konnte ihn nicht direkt damit konfrontieren.

Normalerweise habe ich damit keine Probleme, wenn die Anmache offensichtlich ist, aber so war das irgendwie total harmlos, aber doch grenzüberschreitend, aber er verhielt sich eigentlich normal und seine Partnerin kannte ich ja auch schon.

OKAY STOP!!!

In welchem Abschnitt dieser Entwicklung hätte ich die Grenze klar setzen müssen. Wann hättest du reagiert und wie? Ich begann die Zügel wieder in meine Hand zu nehmen. Eine Sitzung zu Zweit, von mir aus, aber in einem Cafe. SMS von mir aus, aber bitte nur auf die Arbeit bezogen. Begrüssungen nur noch mit Kopf nicken. Ihr glaubt es nicht, er hat mir dann tatsächlich ein Mail geschrieben, dass er es komisch findet, mal Umarmung, mal nicht, er wolle eine klare Linie und ich solle sagen, wie ich das handhaben will.

Nichts lieber als das, kein Körperkontakt, keine Umarmung. Die Absurditäten nahmen ihren Lauf und je mehr ich meine Grenzen kommunizierte, immer ruhig und anständig wohl bemerkt, desto mehr kochte es in ihm. In einer Nachricht schrieb er, dass ich einen super Job mache, das stützt alle, aber es gibt halt da noch anderes.

WOW meine Damen und Herren, Grenzen setzen macht nicht immer Spass, weil man die Mitmenschen manchmal in die Schranken weisen muss und das mögen grosse Egos ganz und gar nicht. Die ersten 1,5 Jahre verstanden wir uns super, solange es so lief, wie er sich das vorgestellt hatte. Ein halbes Jahr lang durfte ich aber noch an dieser Situation üben, zu sagen, was ich nicht in Ordnung finde. Als Reaktion auf die Halsküsse kam nur, ich hätte das direkt sagen müssen, wenn mir das nicht gefallen hat. Er hatte ja sowas von
Recht.

In unserem Beruf gibt es so viele Grenzüberschreitungen und Machtmissbräuche, zum einen, weil wir mit unseren Körpern, Stimmen Gefühlen arbeiten, zum anderen, weil oft straffe Hierarchien herrschen.  Aber ich bitte euch, wehrt euch, steht auf für eure Kollegen und für euch selbst. Wir tun es alle noch viel zu wenig. Nicht mit Wut, nicht mit Zweifel, sondern mit Loyalität und ruhigem Gewissen, weil wir für unseren Wert einstehen.

Stefanie Gygax ist professionelle Sängerin & Schauspielerin, Mitglied bei SzeneSchweiz und schreibt monatlich über Herausforderungen und Erlebnisse im Berufsalltag vor, hinter und neben der Bühne. Hier gibts mehr zu ihr.

1 Kommentar

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert