«Diesen Missstand dürfen wir nicht länger hinnehmen!»

Die Mehrheit der Schweizer darstellende Künstler*innen kann trotz langer Ausbildung und intensiven Arbeitszeiten von ihrem Beruf nicht leben. Salva Leutenegger, Geschäftsführerin SzeneSchweiz, ist wütend und sucht trotzdem nach einvernehmlichen Lösungen.

Für ENSEMBLE interviewte Reda El Arbi

Zum Dowload Umfrage-Loehne-und-Gagen-in-der-Schweiz-2023

Frau Leutenegger, in den USA streiken die Schauspieler*innen. Laut einer aktuellen Umfrage von SzeneSchweiz geht es den Darsteller*innen in der Schweiz finanziell ebenfalls nicht rosig. Was hat die Umfrage zutage gefördert?

Unsere Lohnumfrage, die wir an alle unsere freischaffenden wie auch festangestellten Mitglieder geschickt hatten, bestätigt unsere Erfahrungswerte. Darstellende Künstler*innen hätten auch hier Grund zu streiken, auch wenn hier – anders als in den USA – die Kulturförderung eine staatliche und kantonale Aufgabe ist. Fast die Hälfte der freischaffenden** Profis bewegt sich im Lohnband zwischen CHF 18’000 – 25’000 jährlich.

Das ist für ein reiches Land mehr als beschämend. Bei den Festangestellten an den subventionierten Häusern verdient die Hälfte CHF 51’000 – 70’000. Die Freischaffenden geben ausserdem zu 86% an, dass sie fürs Überleben sogenannte Brotjobs brauchen. Hochqualifizierte (die allermeisten mit Masterabschluss) müssen in der Gastronomie, im Verkauf etc. arbeiten, damit sie ihre Rechnungen zahlen können. Das ist Zeit, die in ihrem kreativen Beruf fehlt.

**Freischaffende darstellende Künstler*innen arbeiten im Arbeitsverhältnis, sie werden für künstlerische Produktionen befristet angestellt.

Kann man Ursachen dafür erkennen?

Überrascht haben uns die Angaben zum Anteil der unbezahlten Arbeit in der darstellenden Kunst. Die Hälfte der freischaffenden Schauspieler*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen geben an, zwischen 30 und 50% unbezahlte Vor- und Nachbearbeitungszeit zu haben. Man muss kein Zahlenakrobat sein, um zu erkennen, dass Künstler*innen unendlich viel arbeiten und sehr wenig verdienen.

SzeneSchweiz hat mit dem Sozialpartner SBV (Schweizerischer Bühnenverband) einen Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelt. Was sind da die Grundlagen und wo gibt es Spielraum oder Verbesserungspotential?

An den Häusern mit Gesamtarbeitsvertrag (GAV) haben Künstler*innen soziale Sicherheit, lange Kündigungsfristen und ein regelmässiges Einkommen. Auch die Freischaffenden, die für Produktionen beigezogen werden, arbeiten befristet unter dem Schutz des GAV.

Die Sozialpartner SBV (Schweizerischer Bühnenverband) und SzeneSchweiz treffen sich jährlich, um paritätisch die Mindestgagen festzulegen. Leider bleiben zu viele Künstler*innen zu lange ohne nennenswerte Lohnkarriere auf der Mindestgage sitzen. Hier sehen wir einen dringenden Handlungsbedarf, den wir zwar bereits besprochen haben, aber wir möchten im Rahmen der Sozialpartnerschaft eine tragende Rolle spielen.

Wie unterscheidet sich die Schweizer Branche von zB USA oder Europa?

Natürlich gibt es europäische Länder, wo Künstler*innen noch mehr leiden als unsere. Während z.B. in den USA Kulturförderung privatisiert ist, hat sich die Schweiz die Kulturförderung sozusagen auf die Fahne geschrieben. Die Filmförderung wird fast ausschliesslich vom Bund gefördert, die GAV-Theaterhäuser haben Subventionsverträge mit Städten resp. Kantonen.

Auch Stiftungen unterstützen Kulturprojekte, u.a. aus der freien Szene. Das viersprachige Land hat eine ganz besondere Verantwortung, die kulturelle Vielfalt der Sprachregionen zu fördern und zu schützen, weshalb Vergleiche mit anderen Ländern immer etwas schwierig sind.

«… von öffentlichen Geldern und vom zahlenden Publikum abhängig»

Am Theater Basel kam es kürzlich zu einer Protestaktion der Unia. SzeneSchweiz war darüber nicht erfreut. Können Sie uns ausführen, warum die Ensembles von Kampfmassnahmen absehen sollten?

Gerade weil die Kultur in der Schweiz institutionalisiert gefördert wird, ist es schwierig, den direkten Arbeitnehmer vs. Arbeitgeber-Kampf zu führen. Die Arbeitgeber sind Kulturinstitutionen, die von öffentlichen Geldern und vom zahlenden Publikum abhängig sind. Die Protestaktionen auf der Bühne des Theater Basel haben zwar kurzfristig höhere Löhne zur Folge gehabt, aber die mittel- bis langfristigen Konsequenzen könnten weniger positiv sein. Das Publikum war zum Teil irritiert und überfordert.

Die Aktionen haben auch rechte, nicht immer kulturfreundliche Parteien auf den Plan gerufen. Unser Land ist bürgerlich bis rechtsbürgerlich regiert, Streiks und Arbeitnehmerproteste sind für solche Kreise des Teufels. Weil SzeneSchweiz Kürzungen von Fördermitteln nicht riskieren will, ziehen wir den sozialpartnerschaftlichen Dialog und Verhandlungen den Streiks vor.

Laut der Umfrage gibt es den Gender-Gap auch bei Darsteller*innen. Können Sie uns etwas über die Gründe dafür sagen?

Ja, auch in der darstellenden Kunst gibt es einen Gender-Gap – vor allem bei den Freischaffenden. Er ist zwar nicht so gross wie in anderen Branchen, aber im mittleren Alterssegment von 30-49 Jahren verdienen 5% Prozent mehr Männer als Frauen CHF 70’000 und mehr. Bei der Altersgruppe 50-65 Jahren liegt der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen zwischen 5 bis 10%.

In der Schweiz hängt die Kulturfinanzierung sehr von Subventionen ab. Reichen die Gelder nicht oder werden sie falsch verteilt, wenn ganz klar ein grosser Teil der Künstler*innen nicht vom Einkommen leben kann?

Natürlich könnten die Subventionen grundsätzlich höher sein. Aber ich glaube nicht, dass sich an der Prioritätensetzung etwas ändern würde. Das heisst, dass die Künstler*innen stets am Ende der Nahrungskette sind.

Diesen Missstand dürfen wir nicht länger hinnehmen, die künstlerische Arbeit muss unbedingt aufgewertet und im Budget priorisiert werden. Ein sehr aufwändiges und teures Bühnenbild ist sicher schön, aber letztlich sind die Menschen die tragenden Säulen der darstellenden Kunst.

Was sind die nächsten Schritte von SzeneSchweiz, um die Situation in der Branche zu verbessern?

Wir wollen im Bereich der Subventionen die Kulturschaffenden, Theaterhäuser, Veranstalter etc. stärker unterstützen. Ein erster Schritt wird sein, unseren Sozialpartner zu überzeugen, dass SzeneSchweiz bei den Subventionsverträgen mitwirken soll.

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