Lohnumfrage: «Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel»

Die Lohnumfrage von SzeneSchweiz bringt Erschütterndes ans Licht: Trotz langer Ausbildung, intensiver Arbeitszeit und hohem sozialen Verzicht reicht die Entlöhnung für viele nicht zum Leben. Eine Familiengründung gilt als Armutsrisiko.

«Ihr macht das ja, weil es euch Spass macht!», müssen sich viele darstellende Profi-Künstler*innen anhören, wenn sie sich um ein besseres Arbeitsverhältnis bemühen. Diese Sichtweise ist nicht nur romantisierend, sie ist, angesichts der anstrengenden Arbeit, der langen Ausbildung und der herrschenden Konkurrenz, ein Hohn.

86 Prozent der Freischaffenden können nicht von ihrem Einkommen leben und sind auf einen Brotjob nebenbei angewiesen, wie die Umfrage 2023 von SzeneSchweiz zeigt.  Bei den Festangestellten geben 55 Prozent an, damit ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können. Bei professionellen Darsteller*innen und Tänzer*innen in der Schweiz ist also prekäre Arbeit, die nicht zum Leben reicht, die Regel, nicht die Ausnahme.

Bereits 2021 ergab eine Umfrage des Schwesternverbandes SSVF (Schweizer Syndikat Film und Video, der Verband der Schauspieler*innen), dass das Armutsrisiko unter ihren Mitgliedern im Vergleich zur restlichen Bevölkerung um einiges höher ist. Bei der aktuellen SzeneSchweiz-Umfrage stellt sich die Situation noch angespannter dar.

 

Der Anteil unbezahlter Arbeit ist höher als in jedem anderen Beruf.

Lohnverhandlungen? Zu gefährlich.

Der normale Arbeitnehmer würde wohl davon ausgehen, dass man einen Job einfach nicht annimmt, wenn das Salär nicht zum Leben reicht. Oder man würde einfach mehr Lohn fordern. Darstellende Künstler*innen sind aber mit ganz anderen Voraussetzungen konfrontiert: Nach einem drei- bis vierjährigen Studium finden sich die Künstler*innen in einem hoch kompetetiven Arbeitsumfeld wieder, das ihnen kaum Grundlagen zum Überleben bietet.

So fürchten sich bei den Festangestellten knapp 60 Prozent vor dem Schritt zu einer höheren Lohnforderung, bei den Freischaffenden sind es sogar 74 Prozent. In der Branche herrscht eine «Friss oder stirb»-Atmosphäre, da Produktionen und Bühnen einfach auf andere Künstler*innen ausweichen können. Hier spielt nicht der Markt, hier spielt die Willkür.

Und mit Alter und Erfahrung wird es nicht besser. Zwar hat SzeneSchweiz mit dem Sozialpartner Schweizer Bühnenverband SBV einen Mindestlohn aushandeln können, aber die Progression per Anstellungsjahr und Alter ist völlig willkürlich den einzelnen Häusern überlassen und gilt nur für die Bühnen und Produktionen, die Mitglied des Bühnenverbandes sind.

Und hier sind die Frauen zusätzlich benachteiligt: Laut Befragten haben 54 Prozent der (festangestellten) Frauen zwischen 2018 und 2022  keine Lohnerhöhung bekommen. Bei den Männern sind es immerhin noch 50 Prozent.

Familiengründung als Armutsrisiko

Ab einem gewissen Alter stellt sich die Familienfrage. Für viele Frauen ist das der Punkt, an dem sie aus dem Beruf aussteigen müssen. Reicht die Bezahlung schon für den normalen Lebensunterhalt oft nicht aus, wiegt bei einer Familiengründung die terminliche Belastung und die geleistete unbezahlte Arbeit (Texte lernen, Einarbeitung, Fitness) noch schwerer.

Das Zeitbudget wird ausgereizt, aber nicht finanziell abgegolten. In den darstellenden Künsten sind Kinder ein Armutsrisiko. So etwas kennt man sonst nur aus weniger entwickelten Ländern.

Faire Verteilung von Geldern

Viele Künstler*innen in der Branche haben genug vor der ständigen Angst, dass die nächste Rechnung den Schritt in die Armut bedeuten könnte. In den USA streikt die Schauspieler-Gewerkschaft SAG-AFTRA, was Tänzer*innen und Schauspieler*innen ermutigt, sich auch für bessere Arbeitsbedingungen, und damit einhergehende Bezahlung, zu engagieren. Nur ist die Situation in der Schweiz viel komplizierter. Die Bühnen und die Filmproduzenten sind nicht nur Sozialpartner bei den Lohnverhandlungen, sie sind auch gemeinsam abhängig von Subventionen und Geldern. Egal ob von Stadt, Kanton oder Bund.

Da liegt das Problem. Und hier kann SzeneSchweiz auch ansetzen: Die Bühnen und Produktionen können die Subventionen nach Erhalt freihändig inhouse verteilen. Das führt zu absurden Situationen, in denen grosse Regisseure und Namen die Hälfte der erhaltenen (Lohn-)Gelder einsacken, während das Ensemble, die Crew nicht genug hat, um sich ein Leben zu leisten. Dies ist möglich, weil die Politik keine Transparenz für den Einsatz der erhaltenen Unterstützung einfordert, und weil die Künster*innen, respektive deren Vertreterin SzeneSchweiz, keinen Sitz am Verhandlungstisch haben.

Wir fordern Teilnahme an den Subventionsverhandlungen, Mitsprache bei der Verteilung von Geldern und, zuallererst, Transparenz beim Einsatz der Gelder aus öffentlicher Hand. Dann kann der Kuchen neu verteilt werden.

Hier zum PDF-Download: Umfrage Löhne und Gagen in der Schweiz 2023_(28_7_23) 

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