AI, VR, Motion Capture – quo vadis, Schauspielkunst?
Corinne Soland führt uns mit der neuen, regelmässigen Kolumne in die Zukunft der darstellenden Künste – vorbei an Ängsten, Kämpfen, Abenteuern und vielen, vielen neuen Möglichkeiten.
Ich sitze gerade auf dem Boden in der Eingangshalle des Los Angeles Convention Center. Hier bin ich nahe an einer Steckdose. Mein Computer hatte keinen Strom mehr und ich wollte unbedingt noch an dieser Kolumne schreiben. “Die Zukunft des Schauspiels” – was könnte das sein? Ich spiele als darstellende Person abwechselnd in Theater, Film und neuen Medien. Games zum Beispiel oder Virtual Reality.
Um mich herum findet die SIGGRAPH, die grösste Konferenz für Computergrafik, statt. Was das mit Schauspiel zu tun hat? Hier knüpfe ich neue Kontakte zu Motion Capture Studios, mit denen ich gerne zusammenarbeiten möchte. Die Konferenz existiert seit 1974, es gibt Präsentationen zu bestehenden Technologien und Einblicke in zukünftige Ansätze zur Visualisierung von Geschichten mithilfe von Computern.
Werden wir bald durch künstliche Intelligenz ersetzt?
Das klingt jetzt alles etwas nerdig – der Grund, weshalb ich mich in diese Vorträge setze, ist folgender: Mich beschäftigt, was mit unserer Branche passiert. Welchen Stellenwert haben Schauspielende in zukünftigen audiovisuellen Produkten? Werden wir bald durch Künstliche Intelligenz ersetzt? Werden unsere Stimmen kopiert und verlieren wir dann vielleicht auch unsere Sprech-Jobs? Verlieren wir die Rechte an unserem Aussehen, unseren Bewegungen, unserer Identität?
Diese Fragen treiben aktuell hunderte streikende Schauspielende in Hollywood um. Ihr seht sie auf euren Social Media Profilen, wie sie ihre Schilder hochhalten und protestieren. Sie stehen hier in LA jeden Tag vor den grossen Studios, beharren seit mehr als 100 Tagen darauf, für die digitale Weiterverwendung ihrer biometrischen Daten fair entschädigt zu werden.
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Und wir verstehen sie, wir sind wütend mit ihnen, wir denken: Genau! Wieso verdiene ich knapp 2000 Franken an einem Scan von mir, den irgendeine Firma dann ohne Buyout für den Rest meines Lebens weiterverwenden kann? Ich rede hier von den Grossen, von Disney, Netflix, Universal, Meta. Die kleinen Studios, a24 zum Beispiel, haben schnell auf Interimslösungen mit dem Berufsverband SAG-AFTRA eingewilligt. Auch, weil sie sich einen Drehstopp nicht leisten können.
KI ist nicht das Problem. Ohne Regulierungen jedoch verstärkt sie Ungerechtigkeiten.
Hier an der Konferenz haben die Visual Effects-Menschen eines der grössten kommerziellen Unternehmen – Marvel – angekündigt, dass sie einen Verband gründen wollen. Die Menschen, die mit unseren Gesichtern, unseren Daten und unseren Stimmen direkt arbeiten, erleben die Auswirkungen von weiterentwickelter Technologie meistens noch vor uns Spielenden. Ihre Jobs sind auch in Gefahr, wenn Studios die Effekte von einer KI machen lassen. Auch sie reagieren nun darauf – mit dem Willen, für ihre Rechte einzustehen. Den Wert ihrer Arbeit soll anerkannt und anständig entlohnt werden.
Auf den Panels wird gesagt: “Im Grunde genommen ist Künstliche Intelligenz als Tool nur ein Problem, weil die Effizienz im Vordergrund steht.” Mit KI soll nämlich alles noch schneller gehen, mit weniger Schlaufen, die Kosten verursachen. Es ist also nicht die Technologie selbst, die den Künstler*innen als Erstes Sorgen macht, sondern wie sie angewandt wird, von wem und zu welchem Zweck. KI ist nicht das Problem. Ohne Regulierungen jedoch verstärkt sie Ungerechtigkeiten.
Deshalb bin ich an dieser Konferenz: Um zu verstehen.
Ich persönlich informiere mich gerne, wenn etwas auf mich zukommt, was mir Angst macht. Wenn ich es von näherem betrachte, ist es meistens nicht so gruselig. (Oder noch viel gruseliger, zugegeben.) Auf jeden Fall kann ich mir ein Bild machen und verstehe vielleicht eher, worum es eigentlich geht. Dann kann ich Verantwortung übernehmen für meine Ängste und Sorgen. Deshalb bin ich an dieser Konferenz – um zu verstehen. Was ich bisher herausgefunden habe ist, dass alle – auch die Grafiker*innen und Techniker*innen – Regulierungen möchten.
Erste Bewegungen in diese Richtung gibt es international und auch in der Schweiz. Die Vereinigung professioneller Sprecherinnen und Sprecher der Schweiz (VPS-ASP) hat in Zusammenarbeit mit der UVA (United Voice Artists) ein Manifest herausgegeben. Damit wollen sie unter anderem eng mit Entscheidungsträger*innen zusammenzuarbeiten, um Vorschriften zu erlassen, die den Einsatz von KI-Technologien mit der menschlichen Kreativität sowie den Datenschutzbestimmungen und den Rechten der Künstler*innen, in Einklang bringen.
Alle Forderungen sind ausformuliert einsehbar auf der VPS Website www.vps-asp.ch/about/news > AI Manifest. Diese Bestrebungen sind unbedingt unterstützenswert. Gleichzeitig ist es wichtig, dass wir Darstellenden auf der ganz eigenen, persönlichen Ebene Verantwortung übernehmen: unsere neuen Verträge ganz genau lesen, uns über KI informieren (wie funktioniert denn eine synthetische Stimme? dazu bald mehr) und im gegenseitigen Austausch bleiben über Erfahrungen aus dem Berufsalltag.
Tätigkeit immer wieder neu erfinden!
Die Zukunft des Schauspiels! Sie ist also da. Oder fängt sie gerade erst an – morgen? Jä nei – haben wir sie vielleicht bereits verpasst! Darstellende Künstler*innen haben seit jeher ihre Existenz und Tätigkeit immer wieder neu erfunden! Spielende stellen ihre Zeit, ihre menschliche Wärme, ihre dringlichen Anliegen, Sorgen, Ängste, Zweifel, Nöte, Beschwingtheit, ihre unendliche Tiefe des Glücks über ein Wort oder einen perfekt beleuchteten Augenblick dem Publikum zur Verfügung.
Sie teilen, was sie haben und werden immer noch unterbezahlt – vielleicht ändert sich das in Zukunft? Noch immer kämpfen Darsteller*innen dafür, dass ihr Beruf und die Familie irgendwann vereinbar werden. Mit Bangen blicken manche Spielende ihrer Rente und einer eventuellen Altersarmut entgegen. Ich möchte mich mit euch unterhalten: Green Producing, Machtverhältnisse, Stereotyp/innen – was sind eure Fragen an die Zukunft der Darstellenden Künste? Schreibt mir in die Kommentare! Ich freue mich darauf, Monat um Monat etwas anderes aufzudröseln.
Corinne Soland schreibt im ENSEMBLE zur Zukunft des Schauspiels. Corinne spielt “Anna” in Neumatt, “Isabelle” in Monsieur Claude und seine Töchter (Bernhard Theater), “Emma” im VR Game Amazing Monster! und spricht als “Jimmy” und “Dimitri” im Guetnachtgschichtli. Corinne lebt in Basel und unterrichtet Motion Capture Schauspiel an interessierte Spielende.
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