Adrenalin als Superkraft für Schauspieler*innen
Wir Künstler*innen kennen verschiedenste Arten von Ängsten und reden doch so selten darüber. Ein Tabuthema? Eine Schwäche? Ganz und gar nicht. Wer grosse Angst empfindet, schüttet dementsprechend mehr Adrenalin aus und ist um einiges leistungsfähiger, als seine entspannten Zeitgenossen.
Text von Stefanie Gygax, professionelle Bühnendarstellende
Um bei einer Première Höchstleistung erbringen zu können, wird vom Körper ungefähr die gleiche Menge an Adrenalin ausgeschüttet, wie wenn er sich in Lebensgefahr befindet. Das bedeutet Alarmbereitschaft für Herz, Lunge, Muskeln und Hirn. Dieser Zustand ermöglicht es dem Körper Energiereserven anzuzapfen, die im “normalen” alltäglichen Zustand nicht abrufbar wären. Der Mensch kann schneller reagieren und besser performen. Angst kann ein machtvoller Motivator sein.
Wieso sprechen wir aber gar nicht oder nur höchst selten offen über unsere Ängste? Von der Gesellschaft als Schwäche verurteilt, lernen wir bereits als kleines Kind, dass wir keine Angst haben sollen. Ich hätte mir gewünscht, dass man mich als Kind in den Arm genommen hätte, um zu sagen, dass es in Ordnung ist, Angst zu haben. Diese Emotion gehört genauso zum Leben wie Freude, Wut, Trauer. Aber auch meine Eltern hatten bereits erlernt, dass dies gar keine Option ist, da Angst in der Gesellschaft noch immer nicht akzeptiert wird.
Mein Lieblingszitat: “Mut ist, wenn man Angst hat und es trotzdem tut” hat bei mir einen Schalter gedreht. Ich habe realisiert, dass diejenigen, die sich Ihren Ängsten stellen, die Stärksten sind.
Stefanie, Gygax
Mein Lieblingszitat: “Mut ist, wenn man Angst hat und es trotzdem tut” hat bei mir einen Schalter gedreht. Ich habe realisiert, dass diejenigen, die sich Ihren Ängsten stellen, die Stärksten sind. Ich habe angefangen, stolz darauf zu sein, wenn ich meine Komfortzone verlasse, und mittlerweile suche ich mir sogar diese Erlebnisse, um mich weiterzuentwickeln. Denn “Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.” Beispielsweise hatte ich letzte Woche die Möglichkeit an der Hamburger Staatsoper vorzusingen.
Natürlich hatte ich grossen Respekt. Ich hatte zwar nicht direkt Angst zu versagen, fürchtete aber sowohl den Anforderungen nicht gerecht zu werden als auch den Gefühlszustand, wenn es nicht so läuft, wie ich es mir wünsche. Ich habe mich dann aber mental auf die Freude konzentriert und die bösen Gedanken weggeschickt, was sich gottseidank ausbezahlt hat – das Vorsingen lief sehr gut!
Ich habe mich dann aber mental auf die Freude konzentriert und die bösen Gedanken weggeschickt, was sich gottseidank ausbezahlt hat – das Vorsingen lief sehr gut!
In der Vergangenheit hatte ich nicht immer so schöne Erlebnisse. Die Zuschauer sehen immer nur den Erfolg auf der Bühne, das Privileg dieses Berufes. Aber was wir Sänger alles an Kritik und Machtspielen einstecken müssen, darüber redet kaum jemand. Wiederum aus Angst, dass man nicht mehr engagiert wird?
Leider ja. Gerade diese unterdrückte Angst ist noch viel gefährlicher, denn sie kann zu unangenehmen Panikattacken führen. Ich selbst habe einige Zeit darunter gelitten und wer diesen Zustand kennt, weiss, dass dieser viel tiefer geht als die “normale Angst” und nicht mehr leicht in den Griff zu bekommen ist. Ausgelöst wurde es bei mir durch subtiles Mobbing am Arbeitsplatz. Man sollte jeweils gut überlegen, ob man einen Job wirklich machen will, wenn eine Person aus dem leitenden Team einen aus (un-)bestimmten Gründen nicht mag. Ich habe mit einer Sängerkollegin aus dem Musicalbusiness darüber geredet, die den Beruf aus diesem Grund komplett an den Nagel hängen wollte. Auch ich hatte damals unterschätzt, was es für psychischen Schaden anrichten kann, wenn dir jemand bei jeder Probe das Gefühl gibt, nicht gut genug zu sein, ob als Mensch oder als Künstler*in.
Und als ich dann während der Vorstellungsphase krank geworden bin und mit angeschlagener Stimme singen musste, überraschte mich mein Körper mit plötzlichem Herzrasen, Schwindelgefühl, Kribbeln im Körper, Taubheitsgefühle … die typischen Anzeichen einer Panikattacke. Ich habe die Vorstellung überlebt, aber diesen Zustand wünsche ich niemandem.
Auch ich habe mir damals überlegt, ob ich aufhören soll. Aber da ich ohne meine Berufung nicht mehr viel Lebenssinn spürte, habe ich mir psychologische Hilfe geholt, um wieder in meine Kraft zu kommen und mich auch um meine mentale Gesundheit zu kümmern.
Folglich wurde dieses Gefühl jedes Mal getriggert, wenn ich nicht ganz fit war oder ein Kratzen im Hals spürte vor einem Auftritt. Auch ich habe mir damals überlegt, ob ich aufhören soll. Aber da ich ohne meine Berufung nicht mehr viel Lebenssinn spürte, habe ich mir psychologische Hilfe geholt, um wieder in meine Kraft zu kommen und mich auch um meine mentale Gesundheit zu kümmern. I
ch habe im Theater und mit Freunden angefangen über Ängste zu sprechen und gemerkt, wieviele Künstler*innen darunter leiden. Ich möchte dazu ermutigen: Tauscht euch darüber aus, es geht uns allen in der einen oder anderen Form gleich! Wenn man zum Beispiel merkt, dass jemand sehr aufgeregt ist oder bei einer Probe vom Regisseur beleidigt worden ist, sollte man die Person direkt versuchen darauf anzusprechen und schauen, ob sie für eine Gespräch bereit ist.
Vielleicht geht es ihre danach direkt besser, weil sie sich verstanden fühlt oder nicht mehr alleine damit ist. Ich habe leider oft die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leute still bleiben und sich nicht trauen, zu intervenieren, wenn jemand auf eine gemeine Art und Weise kritisiert wird, geschweige denn der oder die Angegriffene selbst.
Ich sagte ihr, Sie müsse jetzt vertrauen. Da schaute Sie mich verständnislos an. Ich erklärte ihr, dass das Adrenalin alles Menschenmögliche mit ihrem Körper machen werde, um den Ton auf der Bühne zu produzieren.
Warum haben wir nicht den Mut zu sagen, dass wir das nicht in Ordnung finden? Wieder aus Angst, nicht mehr gemocht zu werden und dann der Nächste zu sein, der gemobbt wird? Eine junge Kollegin bei Sister Äct kam fünf Minuten vor dem Auftritt beunruhigt auf mich zu. Sie berichtete mir, dass sie erkältet sei und beim Einsingen keinen hohen Ton singen konnte… sie wisse nicht, was sie jetzt machen solle! Ich sagte ihr, sie müsse jetzt vertrauen. Da schaute Sie mich verständnislos an. Ich erklärte ihr, dass das Adrenalin alles Menschenmögliche mit ihrem Körper machen werde, um den Ton auf der Bühne zu produzieren. Etwas verdutzt, aber mit Hoffnung in den Augen ging sie auf die Bühne und meisterte den hohen Ton bravourös!
Unser Beruf erfordert Unmengen an Mut und wir sind bei jeder Probe, bei jeder Audition gefordert, aus unserer Komfortzone herauszugehen. Das ist eine riesige Leistung, auf die wir jeden Tag stolz sein können.
Guter Artikel. Viel Bühnenmenschen lassen sich zu viel gefallen – und alle wissen das.
Im Theater St Gallen gibt es einen Vertrag mit einem Verhaltenskodex bezüglich Mobbing. Einfach toll!