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Konflikt Theater Basel: Rechtliche Stellungnahme zum Bajour-Artikel vom 2. Juni

In den letzten Wochen machten am Theater Basel Arbeitskampf-Aktionen von Ensemblemitgliedern – koordiniert von der Regionalvertretung der UNIA – Schlagzeilen regional und überregional. Diese Aktionen fanden ohne Wissen oder Mitwirkung des Verbandes SzeneSchweiz statt.
In der Berichterstattung zu diesen Aktionen wurde der Arbeitsrechtler Prof. Thomas Geiser zu den rechtlichen Grundlagen der Aktionen zitiert. SzeneSchweiz muss, nach gründlichen juristischen Abklärungen, einigen der veröffentlichten Aussagen vehement widersprechen.

Im Artikel werden – mit Verweis auf eine Anfrage bei Prof. Thomas Geiser – die folgenden beiden Standpunkte wiedergegeben:
· Die Unia sei berechtigt, mit dem Theater Basel direkt über Gagen der Tänzer*innen zu verhandeln.
· Die Friedenspflicht sei von den Tänzer*innen nur einzuhalten, sofern sie Mitglied von Szene Schweiz seien; ansonsten müssten sie sich nicht an den GAV halten.

(Zum Artikel gehts hier)

Zu den Lohnverhandlungen

Mit der Unterschrift unter den Arbeitsvertrag eines Arbeitgebers, der den Vorgaben des GAV unterliegt, haben angestellte Künstler*innen die Sozialpartnerschaft und damit die Vertretung durch SzeneSchweiz akzeptiert, auch ohne explizit Mitglied des Verbandes zu sein. Sie dürfen sich natürlich im Einzelfall, also in den Verhandlungen eines Individuallohnes, von einem Rechtsvertreter unterstützen lassen.

Die Lohnverhandlungen für die im Hause geltenden Mindestlöhne sind jedoch SzeneSchweiz als offiziellem Sozialpartner vorbehalten und können nicht durch einzelne Ensemble-Vertreter*innen an UNIA abgegeben werden.

Zur Friedenspflicht

Mit der Unterschrift des Arbeitsvertrages anerkennen die Ensemble-Mitglieder gleichzeitig den geltenden GAV, aus dem die Bedingungen für den individuellen Arbeitsvertrag hervorgehen. Mit dieser Anerkennung kommt auch die Vorgabe der Friedenspflicht. Weder einzelne Ensemble-Mitglieder noch ein gesamtes Ensemble kann diese aussetzen. Die Aussetzung der Friedenspflicht unterliegt alleine dem Sozialpartner, der den GAV ausgehandelt hat.

Die Folgen

Aufgrund dieser Beurteilung zeigt sich, dass UNIA leider die rechtliche Situation des Ensembles am Theater Basel falsch eingeschätzt hat. Die übereilte Aktion hat nicht nur die Arbeitsplätze der Beteiligten gefährdet, sie lässt auch die Ensemble-Mitglieder mit einem rechtlichen Risiko allein: Für eventuell ausfallende Vorstellungen oder andere finanzielle Einbussen durch die Aktionen könnten die Beteiligten haftbar gemacht werden.

SzeneSchweiz setzt sich mit Engagement und Überzeugung für verbesserte Arbeitsbedingungen auf und hinter Schweizer Bühnen ein. Dies ist keine Auseinandersetzung, die mit einem Holzhammer geführt werden kann. Kampfmassnahmen, so attraktiv sie auf den ersten Blick scheinen mögen, schaden immer dem gesamten Kulturbetrieb und können im schlimmsten Falle sogar Subventionen gefährden. Dies zum Schaden aller Beteiligten.

Die Gewerkschaft UNIA mag Sozialpartner für Technik und Verwaltung sein, aber im Bereich Kunst ist sie fremd und gefährdet Betroffene und den Kulturbetrieb als Ganzes. Die Arbeitgeber im Bereich Kultur sind keine internationalen Konzerne oder kapitalistische Ausbeuter. Sie sind in erster Linie Partner, die Kultur auf Schweizer Bühnen ermöglichen.

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Rechtliche Ausführungen:

Zu Lohnverhandlungen:

Es ist danach zu unterscheiden, ob es um die Verhandlung von Mindestlöhnen und/oder Besoldungsordnungen geht, die als Ausfluss des GAV in die lokalen Hausordnungen aufgenommen werden, oder ob es um eine individuelle Gagenverhandlung oder -streitigkeit eines Bühnenmitglieds in einem konkreten Einzelfall geht (bei der sich ein Bühnenmitglied selbstverständlich auch anwaltlich vertreten lassen kann).

Die Bestimmungen über (Mindest-)Löhne sind Bestandteil der normativen Bestimmungen eines GAV (vorliegend Art. 11 GAV Chor und Ballett-/Tanz; zuständig für die Festlegung der an den jeweiligen Häusern geltenden Mindestgagen ist die von den Sozialpartnern gewählte Tarifkommisson). Sofern an den Häusern Besoldungsordnungen festgelegt werden, welche die Entlöhnung für die Bühnenmitglieder konkretisierend festlegen (z.B. nach Dienstalter, Erfahrungsjahren o.ä.), sind sie Bestandteil der vom GAV vorgesehenen örtlichen Hausordnungen (gleich wie Probenordnungen, Vereinbarungen über Spesenvergütungen etc.), welche zwischen den Bühnenleitungen und den gewählten SzeneSchweiz-Ortsgruppenvertretungen auszuhandeln sind.

Die normativen Bestimmungen des GAV gelten auch für die nicht-gewerkschaftlich organisierten Bühnenmitglieder. Denn die Bühnenkünstler*innen haben sich einzelarbeitsvertraglich ausdrücklich dem GAV angeschlossen (vgl. Art. 4 Abs. 1 und 2 GAV sowie und Formular „Bühnenengagementvertrag“ im Anhang des GAV). Entscheidend ist also nicht die Mitgliedschaft bei SzeneSchweiz oder bei Unia (oder ein späterer Wechsel von der einen zur anderen Gewerkschaft), sondern die Tatsache, dass die Tänzer*innen mit ihren Arbeitsverträgen den Anschluss an den GAV und dessen vorbehaltlose Anerkennung erklärt haben (selbst wenn sie nicht Mitglied von SzeneSchweiz sein sollten).

Zur Friedenspflicht:

Auch die Einhaltung der Friedenspflicht ist einem Anschluss an den GAV inhärent. Tritt ein Bühnenmitglied nachträglich einer anderen Gewerkschaft bei, wird es dadurch nicht davon entbunden, die Regeln des GAV weiterhin einzuhalten, denen es sich einzelarbeitsvertraglich unterworfen hat. Die im Artikel formulierte Auffassung, wonach sich die Tänzer*innen nicht an den GAV halten müssten, sofern sie „nur“ Unia-Mitglied seien, ist gestützt auf die einzelarbeitsvertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Theater und den Bühnenmitgliedern nicht zutreffend.

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