Kleintheater vor dem Aus: Zürcher Kulturförderung auf Abwegen

Die Bewerber*innen für Kulturfördergelder der Stadt Zürich werden gegeneinander ausgespielt und undurchsichtige Entscheidungen gefährden ganze Existenzen. Der Stadtrat der Stadt Zürich streicht den beiden kleinen Zürcher Theatern STOK und Keller62 ab Ende 2025 die städtische Kulturförderung. Das kann ihr Ende bedeuten und ist ein massiver Verlust für die Zürcher Kultur.

Ein Verlust für das Publikum, die restlichen Theaterhäuser, aber auch für die dort auftretenden Theaterschaffenden und die vielen gastierenden Gruppen von Nah und Fern. Arbeitsplätze werden vernichtet, Existenzen gefährdet und Traditionen zerstört.

Ich schreibe hier als Kulturkonsument, nicht als Teil der Szene und von Aussen gesehen ist dieser Entscheid nicht nachvollziehbar. Noch 2018 stellte eine unabhängige Expertengruppe aus Graz (Integrated Consulting Group) mittels grosser Studie und im Auftrag der Stadt fest, kein kulturelles Überangebot in Zürich zu finden. Wie kann es also sein, dass die gleiche Stadt drei Jahre später zum Schluss kommt, man müsse zwei etablierten Kleintheatern die Existenzgrundlage entziehen?

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Im neuen Fördermodell der Stadt Zürich werden die kleinen Theater gegeneinander in einen Wettbewerb geschickt und kämpfen ums Überleben. STOK und Keller62 schenken uns jährlich um die 250 bis 280 Vorstellungen und können gegenüber der Stadt Zürich eine Selbstfinanzierung von über 70 Prozent vorweisen. Das allein belegt, dass ein Angebot, wie es die beiden Häuser liefern, von der Bevölkerung geschätzt und genutzt wird.

Fehlende Diversität?

Laut städtischer Jury soll ihren eingereichten Konzepten die „Diversität“ fehlen. Was doch eher komisch anmutet, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel der Keller62 seit 20 Jahren, neben vielen anderen Events, ein theatrales Flaggschiff des LGBTQ+ Festivals „warmer mai“ ist und immer wieder queere Künstler:innen auf und neben der Bühne fördert und nebenbei auch noch von einem Immigranten geleitet wird. Das Theater STOK wurde von einem Exil-Polen gegründet und sein Programm ist vielfältiger als die Vielfalt selbst.

Ist es nicht eher so, dass dieser städtische Wettbewerb selbst die geforderte Diversität beschneidet? Die Menschen, die aus Zürich und der ganzen Schweiz in diese beiden Theater kamen, ob als Theaterschaffende oder als Publikum, haben jetzt keine Wahl mehr. Sie liebten die Intimität und gerade auch die Vielfalt dieser beiden Theater und werden kaum einen Ersatz finden. Denn in der durchkuratierten Landschaft gibt es keinen Platz mehr für sie.

Eine Vorstellung an den hochsubventionierten Häusern wird durchschnittlich mit knapp 80 000 Franken subventioniert. Das ist in etwa die gleiche Summe, welche die beiden kleinen Theater bisher gemeinsam und für ein ganzes Jahr an Fördermitteln bekamen. Es kann also nicht um Finanzen gehen.

Keine Hinterzimmer-Entscheide über die Existenzgrundlage echter Menschen!

Das Überleben von Kunst und Kultur darf nicht von einem kleinen, grauen Gremium in irgendeinem Hinterzimmer entschieden werden. Denn Kunst und Kultur sind immer Geschmackssache. Und sie gehören uns allen. Nur schon wegen der Vielfalt. Wir sind das Publikum. Lasst uns für unser Kulturangebot kämpfen.

Und hey, wegen der Diversität, habt ihr es gewusst? In der Sprache Wolof, in Senegal, gibt es ein Wort, das heisst „Nioukuboouku“. Es wird nur gesprochen und nicht geschrieben und bedeutet so etwas wie „es ist für uns alle“.

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ZAHLEN:
KELLER62. Seit 1999 fanden hier an die 1086 Produktionen mit 2890 Vorstellungen statt. Das sind durchschnittlich 45 Produktionen und 121 Vorstellungen pro Saison. Die veranstalteten Workshops wurden von über 220 Menschen in insgesamt 26 400 Stunden besucht.
Theater STOK. In den letzten 10 Jahren fanden hier 403 Produktionen mit 1584 Vorstellungen statt. Das sind durchschnittlich 40 Produktionen und 158 Vorstellungen pro Jahr.

8 Kommentare
  1. Jenny Baruch
    Jenny Baruch sagte:

    Wenn es helfen soll, braucht es die Möglichkeit für mehr als 300 Interschriften…
    Könnt ihr das öffnen?

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    • Reda
      Reda sagte:

      Liebe Jenny

      Die Zahl zeigt immer nur das nächste Etappenziel an. Sind 300 erreicht, ist 500 das nächste Ziel, dann 1000, dann 5000.

      Lieber Gruss

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  2. Daniel Ludwig
    Daniel Ludwig sagte:

    Die Stadtpräsidentin von Züri schiesst wie eine wildgewordene Neo-Jägerin mitleidlos zwei Zürcher Kleintheater ab. Sie bestreitet diesen Umstand natürlich energisch und verweist elegant auf die auf die Empfelungen ihrer Abschussassisstenten. Sie selber war ja nie dort. Die Spurensicherung der Stadtpolizei hat an ihren Händen allerdings Mauchspuren gefunden. Man kriegt damit wie ich – der ich nach 40 Jahren Profidasein nicht nur im Keller 62, sondern auch fast überall woanders in Züri (sogar im Schlauspielhaus, wow!) gewirkt habe – ob dieser kulturpolitischen Beschränktheit krampfartige Mauchschmerzen.

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  3. Francesco Papagni
    Francesco Papagni sagte:

    Alle sind gleich, doch sind einige gleicher als andere – so schrieb George Orwell in animal farm. Und das gilt auch in Zürich: es gibt Kommissionen, es gibt Verfahren, am Ende sind zwei tot. Sie waren eben nicht gleich genug. Man habe Mittel für einen Zirkus gebraucht, heisst es dann entschuldigend. Aber für den Zirkus gibt es doch den gut gefüllten Topf der Soziokultur, oder?

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  4. Fortunat Frölich
    Fortunat Frölich sagte:

    Das Theater Stok ist Zürikultur pur! Es ist eines der schönsten Kleintheater das ich kenne (und ich habe sehr viele Kleintheater bespielt und gesehen) – das gemauerte alte Kellergewölbe, in denen sich das Publikum von drei Seiten um die kleine Bühne drängt, ist der ideale Ort für Kammerkunst.

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  5. Julia Schürer
    Julia Schürer sagte:

    Die grosse Mehrheit der sogenannten Kleinkünstler*innen fand im Stok den idealen Auftrittsort. Ich verstehe nicht, wie man auf die Idee kommen kann, einer derart gut funktionierenden Institution den Geldhahn abzudrehen?!
    Julia Schürer

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  6. Heiner Bontrup
    Heiner Bontrup sagte:

    Das Theater Anderwelten aus Wuppertal hatte am 17./18./19. Mai dieses Jahres ein Gastspiel mit einem Stück über Klaus Mann und den surrealistischen Dichter René Crevel im Stok. Es war modernes, experimentelles Theater mit einer traumhaft-surrealen Videoinstallation. Ein Crossover der Künste: Musik, Schauspiel, Chansons und Bilder verdichteten sich zu einer atmosphärischen dichten Show, in der das Paris der 1920er Jahre wieder lebendig wurde.

    Wir wurden sehr freundlich und sehr professionell vom Theater Stok aufgenommen; dessen Leiter Peter Doppelfeld agierte wunderbar als Sprechen an der Seite von Daniel Fueter (!).

    Als Leiter des Theater Anderwelten kann ich nur sagen, dass ich tief beeindruckt war von der Atmosphäre des Theaters und seiner großartigen Geschichte. Ein schöneres und intimeres Kleinkunsttheater habe ich noch nicht kennengelernt. Unbedingt erhaltenswert!

    Heiner Bontrup
    Künstlerischer Leiter Theater Anderwelten

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