Vom Wert der Gewerkschaften – eine Metastudie

Eine Metastudie zum Einfluss von Gewerkschaften und Gesamtarbeits- verträgen auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Produktivität.

Text übernommen aus der Studie der SGB

Seit über 100 Jahren schliessen sich Berufstätige in Gewerkschaften zusammen, um ihre Arbeits- bedingungen und ihre Rechte im Betrieb oder in den Branchen zu verbessern. So verhindern sie, dass sie gegeneinander ausgespielt werden können. Gewerkschaften verhandeln mit den Arbeitgebern Gesamtarbeitsverträge (GAV) und ersetzen so die individuelle Lohnpolitik. Sie erkämpfen in den Betrieben mehr Mitbestimmung. Und sie nehmen Einfluss auf die Politik, wenn es um Fragen des Arbeitsrechts oder der sozialen Sicherheit geht. Spätestens seit der Finanzkrise geniesst diese Arbeit der Gewerkschaften in vielen Ländern wieder sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung.

In den letzten rund 20 Jahren haben Ökonominnen und Ökonomen die Gewerkschaften und ihren Einfluss auf Löhne und Beschäftigung besonders intensiv untersucht. Welchen Einfluss haben Ge- werkschaften und Gesamtarbeitsverträge auf die Löhne? Was sind die Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Produktivität und die Innovationstätigkeit der Firmen?

Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge sind eine Art Gegenpol zum marktmächtigen Arbeitgeber. Sie können Missbräuchen entgegenhalten und verhindern, dass Arbeitgeber ihre Stellung auf Kosten der Berufstätigen ausnützen.

Wegweisend an der neueren Forschung ist insbesondere die Erkenntnis, dass viele Arbeitgeber eine Marktmacht haben («Monopson-Theorie», siehe weiter unten). Zum Beispiel weil es für die Arbeitneh- menden aufwändig ist, ihre Stelle zu wechseln – aufgrund von firmenspezifischem Wissen, das dann verloren geht, oder hohen Umzugskosten. Oder weil Firmen nur wenige Konkurrenten auf ihrem lokalen Arbeitsmarkt haben; beispielsweise beim Extremfall SBB für Lokführer*innen.

In den neuen Untersuchungen sind frühere ökonomische Vorurteile ins Wanken geraten. Die Studien zeigen: Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge sind eine Art Gegenpol zum marktmächtigen Arbeitgeber. Sie können Missbräuchen entgegenhalten und verhindern, dass Arbeitgeber ihre Stellung auf Kosten der Berufstätigen ausnützen. Das lohnt sich, besonders für Beschäftigte mit tiefen und mittleren Einkommen. Ihre Löhne profitieren am meisten von einem GAV oder einer starken Gewerkschaft im Unternehmen. Das reduziert die Lohnungleichheit. Und im Gegensatz zu früheren Befürchtungen steigt die Arbeitslosigkeit nicht. Die Auswirkungen auf die Beschäftigung sind höchstens gering und sehr umstritten.

Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ein Anstieg des gewerkschaftlichen Organisati- onsgrads insgesamt zu höheren Löhnen führt. Die Auswirkung ist bei tiefen und mittleren Löhnen am grössten.

Ein Dossier der SGB wertet über 100 Studien zu Gewerkschaften und GAV und ihrer Bedeutung für den Arbeitsmarkt aus. Insbesondere zu den Themen Lohn, Arbeitsbedingungen, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit sowie zur Produktivität und Innovationstätigkeit von Firmen. Thesenartig zusammengefasst haben die Forscher*innen Folgendes herausgefunden:

Gewerkschaften und Gesamtarbeitsverträge können die Löhne erhöhen und Ungleichheiten reduzieren. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ein Anstieg des gewerkschaftlichen Organisati- onsgrads insgesamt zu höheren Löhnen führt. Die Auswirkung ist bei tiefen und mittleren Löhnen am grössten. Managerlöhne steigen dagegen in gewerkschaftlich gut organisierten Branchen und Betrieben weniger stark. Die Aktivitäten der Gewerkschaften verhindern wohl so, dass die obersten Einkommen davonziehen und die Ungleichheit steigt. Gesamtarbeitsverträge reduzieren die Ungleichheit ebenfalls und wirken Lohnungleichheiten zwischen den Geschlechtern entgegen.

Ein Teil der Lohnerhöhungen geht auf Kosten der Gewinne. Ein höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad erhöht den Anteil der Arbeitseinkommen am gemeinsam erarbeiteten Wohlstand, und senkt damit den Anteil des Kapitals.

Gewerkschaften können die Produktivität erhöhen. Forscher*innen finden immer wieder einen positiven Einfluss von Gewerkschaften auf die Produktivität, zumindest in bestimmten Branchen. Der Einfluss der Gewerkschaften auf die Investitionen und die Innovation ist umstrittener.

Diese konsequente Ausrichtung an der empirischen Realität hat dazu geführt, dass die Forscherinnen und Forscher heute davon ausgehen, dass viele oder sogar die meisten Arbeitgeber die Macht haben, Löhne festzusetzen.

Die neuere Forschung zu Gewerkschaften und GAV

Noch nie konnten Ökonom*innen die Arbeitsmärkte so genau erforschen wie heute. Im Unterschied zu früher ist die Forschung heute viel empirischer. Es gibt umfangreiche Datensätze mit Informationen zu einzelnen Firmen und ihren Beschäftigten, neue statistische Methoden und leistungsfähigere Computerprogramme. Diese Voraussetzungen erlauben es, sich ein immer besseres Bild der Zusammenhänge zu verschaffen. Diese konsequente Ausrichtung an der empirischen Realität hat dazu geführt, dass die Forscherinnen und Forscher heute davon ausgehen, dass viele oder sogar die meisten Arbeitgeber die Macht haben, Löhne festzusetzen. Im Gegensatz zu einer idealisierten Welt des „perfekten Wettbewerbs“, welche lange Zeit das Standardmodell der Arbeitsmarktökonomie war, kündigen die Arbeitnehmenden ihre Anstellung nicht, wenn Arbeitgeber die Löhne geringfügig senken. Ebenso können Arbeitgeber auch dann auf ein Arbeitsangebot zählen, wenn sie schlechter zahlen als die Konkurrenz. Die Arbeitgeber haben deshalb eine so genannte „Monopsonstellung“.

Wenn Arbeitgeber alleine marktmächtig sind und/oder sich koordinieren und gemeinsam verhandeln, verändert das die Wirkungsweise der Arbeitsmärkte.

Was sind die Gründe für diese Marktmacht der Arbeitgeber?

Zunächst können Arbeitnehmende meist nicht sofort ihre Stelle wechseln. Die Arbeitssuche dauert, ist kostspielig und die Beschäftigten haben zu wenige Informationen über alternative Arbeitsangebote. Arbeitnehmende sind auch aus anderen Gründen an ihren Arbeitsplatz gebunden. Besonders Frauen, welche in vielen Haushalten die Kinderbetreuung stemmen, sind auf flexible Arbeitszeiten angewiesen und können es sich nicht erlauben, weit zur Arbeit zu pendeln. Auch lassen sich im Betrieb erworbene Qualifikationen nicht einfach auf andere Arbeitgeber übertragen. Schliesslich sind einige Arbeitsmärkte stark konzentriert. Für einzelne Berufe und Regionen gibt es schlicht zu wenige Arbeitgeber, als dass Arbeitnehmende wählerisch sein könnten. Wenn Arbeitgeber alleine marktmächtig sind und/oder sich koordinieren und gemeinsam verhandeln, verändert das die Wirkungsweise der Arbeitsmärkte. Starke Gewerkschaften können als Gegenpol auf solchen „Monopson“-Arbeitsmärkten durch höhere, kollektiv verhandelte Löhne nicht nur bessere Einkommen für ihre Mitglieder erzielen. Sondern sogar die Beschäftigung erhöhen. Zumindest führen Lohnerhöhungen in diesem Umfeld nicht zwingend zu weniger Beschäftigung und höherer Arbeitslosigkeit. Diese Zusammenhänge sind übrigens auch aus der neueren Forschung zu gesetzlichen Mindestlöhnen bekannt. Die Einführung und die Erhöhung von Mindestlöhnen hat in den wenigsten Ländern zu Beschäftigungsverlusten geführt. ÖkonomInnen glauben heute ausserdem immer öfter, dass die Verhandlungsschwäche der Arbeitnehmenden eine zentrale Ursache für viele makroökonomische Probleme wie stagnierende Löhne und stark gestiegene Profite ist.

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