Performancepreis Schweiz – Swiss Performance Art Award

Der Performancepreis Schweiz erhöht die Sichtbarkeit der Schweizer Performancekunst, zeigt ihre Vielfalt und Qualität, und stärkt ihre Anerkennung. Der seit 2011 jährlich national ausgeschriebene Wettbewerb ist offen für Bewerbungen von Kunstschaffenden mit einer performativen Praxis aus allen Sparten.

Der Performancepreis Schweiz ist eine partnerschaftliche Förderinitiative der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, St. Gallen, Zürich und der Stadt Genf. Der Kanton Luzern ist zum zweiten Mal Gastgeber des Performancepreis Schweiz, dieser wird am 12. November 2022 im Kunstmuseum Luzern ausgetragen. Vom 11. bis 13. November 2022 findet ein vielseitiges Rahmenprogramm unter Beteiligung von Luzerner Performanceschaffenden statt. Es finden Performances, Interventionen, Diskussionen und Lectures statt.

Ensemble-Magazin trifft Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons Luzern. In dieser Funktion ist er auch Leiter der Kulturförderung Kanton Luzern, hierzu gehören neben Theater, Tanz, Musik oder der Bildenden Kunst natürlich auch die Performance-Kunst dazu. In Luzern und der Zentralschweiz existiert gemäss Sägesser bereits eine relativ starke Szene. Diese kulturelle Szene ist traditionell in der bildenden Kunst angesiedelt, was sich aber mehr und mehr verändern wird. Die Bereiche Tanz, Theater und Schauspiel fliessen mehr ein, was auch durch die Hochschule für Design und Kunst geprägt wird. Die HSLU gibt als Partner bietet für die Performance-Kunst extra eine Ausbildung an und bietet dem Medium damit auch Raum für Forschung. Deshalb war der Entscheid klar, bei der Plattform Performance Preis Schweiz dabei sein zu wollen.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können. Früher geschah das mehr im Umfeld von Kunstmuseen. Das liegt daran, dass Performance eine anspruchsvolle Kunstform ist aus Sicht der Rezipienten. Man kann nicht genau abschätzen, was einen jeweils erwartet. Es braucht Leute mit einem gewissen kulturellen Hintergrund, als auch einer spezifischer Vorbildung, um die codierte Symbolik der Performance deuten zu können.

Der Performance Preis findet einmal jährlich statt, Sägesser sieht dieses Jahr das theatrale Element im Vordergrund, im Vergleich zu anderen Ausgaben. „Es gibt zunehmend Gruppierungen, Kollektive, das hat sich in den letzen Jahren immer deutlicher herausgestellt. Die klassische Performance, die in der freien Kunst angesiedelt ist, geht eher zurück. In der WestSchweiz ist das sogar noch stärker ein Thema als in der Deutschschweiz.“

Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Sägesser ist mit dem Austragungsort Luzern für die Organisation zuständig, alle Partner-Kantone stellen jeweils geeignete Jury-Mitglieder zur Verfügung. Dabei zählen Diversiät bei Gender- und Sprachvertretung, als auch beim Alter der Finalist*innen eine tragende Rolle. Es wird nach der Einnahme von Positionen, nach Stilmitteln gewertet, wie auch nach dem Innovationsgrad der Ideen. Sägesser betont auch, dass die Tagesform der Auftretenden ein wesentliches Kriterium sei, besonders beim Zusammenspiel in Kollektiven, da es kein spezifisches Skript gibt wie im klassischen Theater. Die Jury entscheidet am Ende unabhängig von der kantonalen Zugehörigkeit der Finalist*inne, wer gewinnt. „Aus Erfahrung herrscht auch im Publikum ein grosses Kribbeln und Anspannung während den Performances“, meint Sägesser.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum.

Mit der Ausschreibung und Vergabe des Performance Awards ist eine nationale Plattform gegeben. Es handelt sich mittlerweile um eine Auszeichnung, die sich etabliert hat und sich besonders positiv auf Lebenslauf und Reputation der Gewinner*innen auswirkt. Der Preis und auch das relativ hoch angesetzten Preisgeld sind eine gute Basis für das weitere Schaffen der Künstler*innen. Besonders für Stiftungen, darunter beispielsweise Pro Helvetia, sind solche Preise massgeblich. Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum – er meint aber auch, dass sich das seit Corona-Pandemie in eine gute Richtung entwickelt und die Performancekunst öffentlich wahrnehmbarer geworden ist. Auch gab es im Publikum in den letzten 7 Jahren grossen Zuspruch, wie auch in der Veranstalterszene. Noch immer gibt es aber eine spürbare Zurückhaltung gegenüber Ungewöhnlichem.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten. Dies wünscht sich Sägesser für die Zukunft – die Performance-Szene sei an sich schon relativ klein und bringe unabhängig immer wieder aus eigenem Antrieb mit grossem Aufwand Kreationen auf die Bühne. Die Finanzierung wie auch die Werbung sind dabei ein herausfordernder Balanceakt. Sägesser erhofft sich mit der alljährlichen Ausschreibung mehr Perspektive für die Performanceszene.

Folgende Künstler*innen und Kollektive sind diese Jahr für den Preis nominiert:


Collectif Les Heureuses aus Bern sind Jeanne Jacob und Cornelia Nater. Die beiden Künstlerinnen arbeiten seit zwei Jahren zusammen und beschäftigen sich in ihren Malereien, Performances, Audio- und Videoarbeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Verhältnis zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Sammeln, Ordnen, gemeinsame Produzieren und Diskutieren betreiben sie mit humorvollen, poetischen und spielerischen Mitteln.

In der Performance Lauter beste Schlusssätze (2022) trinken Jeanne Jacob und Cornelia Nater an einem Gartentisch mit aufgemaltem Mühlespiel Tee. In ihrer Performance richten sie Fragen an das Publikum, an sich selbst und ihr Gegenüber: Was wird hier gespielt? Wer gewinnt und wer verliert? Wobei der Titel andeutet, dass dies mit einem Augenzwinkern geschieht. Der gesprochene Text handelt vom Spielen um des Spielens Willen, der Symbiose zwischen Pilzen und Bäumen, der Begegnung am Küchentisch und der Kunst auf Rädern zu gehen. Untermalt wird das Gespräch von elektronischem Sound, eingespielten Tonaufnahmen und Videos, die die unterschiedlichen Erzählstränge zu einer dichten multimedialen Collage verbinden.

 

Claudia Grimm beschäftigt sich in ihren Performances mit alltäglichen performativen Sprechsituationen. Sie untersucht diese auf ihren Inhalt, die Art des Sprechens und der Wissensvermittlung und reinszeniert sie mit feinen Irritationen. Die daraus entstehenden Vorlesungen, Workshops, Rundgänge oder Ansprachen sind eine Mischform aus Choreografie und Improvisation. Wiederkehrende Themen sind Techniken zum Einüben unterschiedlicher Fähigkeiten, der Umgang mit Archiven und das kollektive künstlerische Schaffen in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv DARTS (disappearing artists).
 
Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen (2022)
Treffen können uns die unterschiedlichsten Dinge: eine Aussage, eine Geste, ein Schicksalsschlag, ein herunterfallender Ast. Die Performance «Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen» knüpft an vorangehende Übungsreihen an, worin Claudia Grimm in Zusammenarbeit mit DARTS Strategien für den Umgang mit dem Getroffen-werden präsentiert. Dafür orientiert sich die Künstlerin an How To- oder Survival-Tutorials – Gebrauchsanweisungen, wie wir sie aus dem Internet kennen – und reflektiert deren Vokabular und Demonstrationsmodus. Ausstaffiert mit einer improvisierten Schaumstoffmontur, einem Schutzwall-Kit und wortgewandten Verteidigungsstrategien trotzt Claudia Grimm angreifenden Pfeilen, Steinen oder Sinneseindrücken. Die kommentierten Übungen sollen dazu befähigen, dem Getroffen-werden tapfer und beherrscht zu begegnen.

 

Johanna Kotlaris aus Zürich interessiert sich in ihrer künstlerischen Praxis für zwischenmenschliche Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken von Nähe, Distanz oder Grenzziehungen. In ihren theatralen und oft satirisch überzeichneten Inszenierungen verkörpert sie unterschiedliche Rollen und Charaktere, anhand derer sie Themen wie Identität, Leistung, Fehlerhaftigkeit oder Machtverhältnisse behandelt. Inspiration für ihre Rollen findet sie im Theater, im Film, in der Musikbranche oder der Stand-Up-Comedy. In ihren Performances nutzt sie die spezifische Architektur der Aufführungsorte als wandelbare Bühne und untersucht sie auf ihre Beschaffenheit hin. Ihre zentralen Ausdrucksmittel sind Körpersprache, Sprache und Stimme.

Bibbidi-Bobbidi-Anima (2022)
Die für den Performancepreis Schweiz entwickelte Arbeit «Bibbidi-Bobbidi-Anima» entstand in Kollaboration mit den Performerinnen Hanna Mehler und Marie Popall. Als Personifikation des Todes führt Johanna Kotlaris durch die Räume des Kunstmuseums Luzern und versucht sich in ein menschliches Dasein einzufühlen und sich dieses anzueignen. Die Figur verstrickt das Publikum in ihre Auseinandersetzung mit Verlust, Aufbruch, Veränderung und der Unvermeidbarkeit des Endens: Wie strukturieren sich die Zyklen von Werden und Vergehen? Inwiefern lassen sich die Geschehnisse in unserem Leben beeinflussen und gestalten? Und was hat es mit dem Mythos der Unsterblichkeit auf sich? Die Reflexion der eigenen Rolle sowie Textfragmente aus kulturgeschichtlichen Erzählungen über das Sterben und die damit einhergehenden Neuanfänge mischen sich mit Gesang, Sound und Bewegungssequenzen zu einem zeitgenössischen Totentanz.

 


Milda Lembertaitė & Amelia Prazak arbeiten seit 2014 als Duo und beschäftigen sich in ihren Performances, Videoarbeiten und Kostümen mit den Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen sowie dem Spannungsverhältnis von Körper, Nahrung, Umwelt und Technologie. In essayistischen, teilweise surreal anmutenden Erzählungen verbinden sie individuelle Beobachtungen und Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Geologie, Medientheorie und Menschheitsgeschichte.

Only See You When I Look at Myself (2022)
Das geophysikalische Phänomen des «erratischen Blocks» bezeichnet ortsfremdes Gestein, das durch Gletscher oder die Gezeiten verschoben wurde. Die auch als Findlinge bekannten Steinbrocken dienen Milda Lembertaitė & Amelia Prazak als Sinnbild, um vielschichtige Fragen zu Identität, Zugehörigkeit, Verortung und Transit zu thematisieren. Die daraus entstandene Performance «Only See You When I Look at Myself» ist als Videoessay konzipiert, worin die Künstlerinnen Screens gleichzeitig als Requisiten, Prothesen sowie Bildträger einsetzen und so auf die Verwobenheit des menschlichen Körpers mit medialen Geräten verweisen. Die Suche nach Heilung und Reinigung zieht sich durch die Erzählung und findet ihren Ausdruck im fliessenden Wasser, das Körper, Gestein und Geräte durchströmt.

 

Natalie Portman nennt sich das Kollektiv bestehend aus Paula Henrike Herrmann, Philémon Otth und Arnaud Wohlhauser. Unter Einbezug von wechselnden Kollaborationspartner:innen organisieren die drei Kunstschaffenden seit 2017 Veranstaltungen und Performances. Durch ihre künstlerischen Eingriffe kreieren sie in alltäglichen Situationen subtile Verschiebungen der Wahrnehmung – Momente der Reibung und Überlagerung zwischen unterschiedlichen Realitäten und Menschen.

La Société du Pestacle (2022)
In der für den Performancepreis Schweiz entwickelten Performance «La Société du Pestacle» versammelt Natalie Portman eine Gruppe von Figuren aus Theaterstücken. Die Schauspieler:innen, die diese Rollen aktuell an verschiedenen Schweizer Theaterhäusern verkörpern, tauchen beiläufig im Kunstmuseum Luzern auf und mischen sich unter das Publikum. Die Figuren werden aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst, so dass neue spekulative Beziehungen und assoziative Geschichten entstehen. In ihren Kostümen unterschiedlich klar als fiktive Charaktere erkennbar, verschwimmen die Grenzen zwischen Publikum und Performer:innen. Natalie Portmann reflektiert damit unterschiedliche Darstellungskonventionen des Theatralen ebenso wie die Rollen, die das Publikum im Kunstkontext einnimmt.

 

Francesca Sproccati aus dem Tessin schafft in ihren Performances szenische Erfahrungsräume: Mittels minimaler Setzungen aus Klang, Licht und Bewegung rückt sie die Wahrnehmung des Publikums in den Fokus und lädt dieses zu Interaktion und Kontemplation ein. Aspekte wie Melancholie, Leere oder Erinnerung werden sinnlich erfahrbar.

Out of Me, Inside You (2022)

«Out of Me, Inside You» besteht aus Videoaufnahmen, Field Recordings und Textfragmenten, die Francesca Sproccati während zweier Reisen sammelte. Mit dem Jungfraugletscher und Neapel hat sie zwei ganz unterschiedliche Klanglandschaften durchquert. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elena Boillat, dem Musiker und Komponisten Adriano Iiriti, der Dramaturgin Rosa Coppola und mit der Unterstützung von Alan Alpenfelt und Camilla Parini entwickelte sie ein Live-Set in einem installativen Setting: Loops und Variationen des Ausgangsmaterials bestimmen die multimediale Choreografie und erzeugen einen intimen Raum, worin das Zuhören, die eigene körperliche Anwesenheit und individuelle Assoziationskraft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

 

Im künstlerischen Kosmos von Latefa Wiersch aus Zürich tummeln sich Mischwesen zwischen Mensch und Tier, Pflanze, Objekt und Maschine, denen sie in Videos, als Performance oder fotografisch inszeniert ein eigendynamisches Leben verleiht. Ausgehend von alltäglichen Beobachtungen und mit abgründigem Humor erzählen die selbstgebauten Puppen von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen echtem und künstlichem Körper. Wiederkehrende Themen sind Identität, Mutterschaft, Liebe und Gewalt.

Neon Bush Girl Society (2022)
Die Performance «Neon Bush Girl Society» ist eine Zusammenarbeit von Latefa Wiersch, Rhoda Davids Abel und Dandara Modesto. Die drei Künstlerinnen entwickeln aus Text, Gesang und performativen Objekten eine spekulative Erzählung, die sich aus ihrer jeweiligen lückenhaften Biografie sowie den Kultur- und Kolonialgeschichten unterschiedlicher indigener afrikanischer und afrodiasporischer Bevölkerungsgruppen speist. Ein verbindendes Motiv sind Gesten des Umkehrens und Zurückschauens, die für ein Sehnen und Trauern um die verlorene Heimat stehen. Diese finden sich zum Beispiel in der Legende des vom Krieg betroffenen Volkes der Nama im südlichen Afrika: Im Mythos verwandeln sich die Geflüchteten in Mischwesen zwischen Baum und Mensch. Daher stammt der Afrikaans-Name «Halfmens» (dt. «Halbmensch») für eine Pflanze, deren Silhouette an menschliche Figuren erinnert. Daran angelehnt entstanden die hybriden Spielfiguren zur Performance, die mit den Körpern der Akteurinnen in wechselnden Konstellationen zu verschmelzen scheinen. Diese Figuren verweisen zudem auf die identitätspolitische Dimension von weiblichen Körpern of Color und werfen Fragen zu Sichtbarkeit, Repräsentation und Formen der Ermächtigung auf.

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