Malcantone im Tessin: Agorà Teatro, Magliaso

Text von Blue Sky

Der Malcantone ist ein Gebiet im Kanton Tessin, das neunzehn Gemeinden umfasst und sich vom Luganersee bis zum Monte Lema erstreckt, mit kleinen Dörfern, Bergstraßen, großen Kastanienbäumen und Weinbergen. Und genau in dieser Region befinden sich seltene Perlen der Tessiner Performancekunst.

Einst wurden Metallerze abgebaut, von denen heute nur noch wenige historische Artefakte erhalten sind, und in den Tälern können wertvolle Kunst- und Kulturschätze und charakteristische Museen besichtigt werden. Künstler*innen und Räume von ungewöhnlicher Schönheit und hoher Professionalität, die durch den Wunsch verbunden sind, ihr eigenes Menschsein mit den anderen zu teilen. Dort, wo sich die Kunst zu Hause fühlt, wird sie zu Materie, zu Körpern, und gewinnt an Wert sowohl in der stillen Suche wie auch an öffentlich zugänglichen Orten.

Blue Sky traf für Ensemble-Magazin die Künstler*innen des Malcantone, die  Mitglieder von ScenaSvizzera sind: Opera retablO von Ledwina Costantini, Salone Piazza Grande von Sandro Schneebeli, Teatro Agorà von Marzio Paioni und Olimpia De Girolamo und Teatro Lo Sgambetto unter der Leitung von Melanie Häner – jede und jeder von ihnen ist ein Mikrokosmos der Performancekunst!

Interview mit Marzio Paioni und Olimpia de Girolamo, den künstlerischen Leitern vom Agorà Teatro.

In Magliaso, nur einen Steinwurf vom Seeufer entfernt, befindet sich ein Haus, in dem sich ein Theater befindet, das Agorà Teatro, ein Haus der Künste, das 2005 von Marzio Paioni gegründet wurde.

Ensemble Magazin: Warum ein Theater in ein Haus bauen?

Marzio Paioni: Nach den Jahren des intensiven Studiums in Mailand und Rom entstand in mir der starke Wunsch, das, was ich positiv erlebte, an andere Menschen weiterzugeben. Grotowski spricht in einem seiner Texte davon, „eine Hütte zu haben“, und das ist der Ursprung der Inspiration: zu Hause einen Raum zu öffnen, um zu empfangen und zu kommunizieren. Agorà Teatro entstand also aus dem menschlichen Bedürfnis heraus, über die Theaterschule hinaus zu sagen: „Ich bin hier“ und das Leben, und eine bestimmte Art zu denken und zu handeln, mit anderen Menschen zu teilen. Ich wollte wirklich, dass das Haus und das Theater in der gleichen „Hütte“ sind, mit einer Tür als einziger Schwelle zum Überschreiten der Grenze. Ich wollte einen Ort schaffen, an dem Menschen mit sich selbst und anderen in Beziehung treten können, um ihre inneren Fähigkeiten, ihre Emotionalität und ihre Kommunikationsfähigkeit zu entdecken.

Das Theater war ein kathartischer Ort, an dem ich erneuert und geläutert auftauche, wenn ich jemanden sah, dem Dinge widerfuhren.

Marzio Paioni, Künstlerische Leitung des Agorà Teatro

Welche Bedeutung hat der Name Agorà Teatro?

Die Agora ist ein Versammlungsort, ein Platz, der seit der Antike ein Ort der Gemeinschaft war. Das Wort Theater bedeutet in seiner ursprünglichen Bedeutung „Gemeinschaft bilden“, weshalb die Griechen es vor mehr als zweitausend Jahren schufen. Das Theater war ein kathartischer Ort, an dem ich erneuert und geläutert auftauche, wenn ich jemanden sah, dem Dinge widerfuhren. 

Das Agorà Teatro will genau das sein: ein symbolischer Platz, an dem Menschen, die sich nicht kennen, zusammenkommen und wachsen können, und an dem das Publikum sich lebendig fühlen und mitmachen kann. Das ist es, was Theater ausmacht: diesen Raum zwischen dir und mir zu bewohnen.

An der Schwelle zwischen Haus und Theater treffen wir auch ethische Entscheidungen. Wir versuchen, in der Haltung des täglichen Lebens eine innere Kohärenz zu leben, die wir auf die Bühne und zu unseren Schülern bringen. Es kann nur so sein: mit einem Habitus, der getragen, gelebt und weitergegeben wird. Unsere Studenten leben und bewohnen diese Agora: Die Haustür des Theaters steht immer offen und sie können zu den Proben und zum Training kommen.

Ein solches Theater zu haben, bedeutet, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gruppe von Menschen einzubinden, die gemeinsame Werte haben: Unsere sind friedlich, der Mensch steht im Mittelpunkt und nichts ist interessant außer dem Menschen.

Was ist der Schwerpunkt eurer Arbeit?

Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht das Wort „Person“ und seine persönliche Kraft. In diese Agora kommen Menschen („schöne Seelen“) unterschiedlicher Berufe und Altersgruppen, die alle dasselbe suchen: einen Ort, an dem sie endlich wieder mit all dem in Verbindung treten können, was die Welt draußen uns vergessen lässt. Ein solches Theater zu haben, bedeutet, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gruppe von Menschen einzubinden, die gemeinsame Werte haben: Unsere sind friedlich, der Mensch steht im Mittelpunkt und nichts ist interessant außer dem Menschen. Daraus folgt, dass einer der Grundwerte die körperliche Arbeit ist. Grotowsky lehrte uns: Das Training mit seiner Disziplin ist die Gelegenheit, den eigenen Körper als Kanal für den Kontakt mit der Essenz des Menschseins, der eigenen Seele, wiederzuentdecken. Die tiefe Forschung mit und im Körper wird zum Instrument der Erforschung der Welt, des persönlichen Wachstums, des Raums für Beziehungen und des poetischen Schaffens.

Das ist der Grund, warum wir mit Grotowskis Werk in Berührung kommen: Ich leihe mein ganzes Ich der Figur, die eine Seele hat, der ich mich zur Verfügung stelle.

Wie überträgt sich das auf  eure Poetik?

Das Theater ist das Medium zur Erforschung des menschlichen Wesens in all seinen Formen und Ausdrucksweisen. Unsere Poesie befasst sich immer mit menschlichen Fragen, und existenzielle Fragen tauchen immer in unseren Kreationen auf, sowohl in der Produktion als auch in den Ausbildungskursen.  Das ist der Grund, warum wir mit Grotowskis Werk in Berührung kommen: Ich leihe mein ganzes Ich der Figur, die eine Seele hat, der ich mich zur Verfügung stelle.  Training, Stimmarbeit und Zuhören sind grundlegend, um die Tür zur Poesie zu öffnen. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch, und dem anderen zuzuhören, ist Leben. Was und wo es mich berührt, was und wie ich fühle, wie es mich bewegt.

Jeder Text, jeder Autor gibt uns bestimmte Umstände vor, und wir versuchen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Manchmal schaffen wir unsere eigenen, wie in La Mar. Es ist eine Suche im Menschlichen: Was haben wir mit dieser Geschichte zu tun? Welche Verbindungen gibt es zum Leben? Was geschieht dort? Es ist kein Zufall, dass der griechische Ursprung des Wortes Theater sich von theaomi, schauen, ableitet und das Wort oida, ich weiß, verwendet wird, das mit ich habe gesehen kombiniert wird. Indem ich dein Verhalten sehe, das wichtiger ist als Worte, und indem ich zuhöre, sehe und weiß ich. Und es macht immer wieder Spaß: den Blick zu wechseln.

Bei Agorà Teatro gibt es keine Trennung zwischen Ausbildung und Produktion, sondern absolute Sorgfalt in allen Schritten. Es ist unsere professionelle Einstellung, es ist eine innere Konsistenz unserer Art, Theater zu machen. Die Tiefe der Arbeit kann sich verändern, und wie weit wir gehen, aber es gibt nie ein egozentrisches Thema.

Nach dem, was ihr sagt, scheint es keine klare Trennung zwischen eurer Produktionsarbeit und euren Ausbildungskursen zu geben.

Bei Agorà Teatro gibt es keine Trennung zwischen Ausbildung und Produktion, sondern absolute Sorgfalt in allen Schritten. Es ist unsere professionelle Einstellung, es ist eine innere Konsistenz unserer Art, Theater zu machen. Die Tiefe der Arbeit kann sich verändern, und wie weit wir gehen, aber es gibt nie ein egozentrisches Thema. Unsere Schüler lernen, auf die Bühne zu gehen, indem sie dem Publikum ein Werk präsentieren, das auf dem Studium von Texten verschiedener Dramatiker beruht. Sie erleben die harte Arbeit, die es bedeutet, eine Szene zu bauen, die Disziplin des Materials, die Pflege des Raums. Wir versuchen, die Ehrlichkeit zu vermitteln, den Ideen auf den Grund zu gehen, selbst den verrücktesten, und das zu wählen, wofür man sich entschieden hat, zum Guten oder zum Schlechten.

Der Weg, auf dem man sich theatralische Techniken aneignet, hat einen großen Wert, der es einem ermöglicht, zu entdecken, warum man etwas tut.

Das Verstehen der Ausbildung, wie die Stimme, die ein großartiger Detektor ist, kommt mit der Zeit, es ist nicht sofort da, und die Ebene des kognitiven Verständnisses kommt, nachdem man wahrgenommen, gehört und erlebt hat. Das Theater ist ein Mittel, um dorthin zu gelangen. Der Weg, auf dem man sich theatralische Techniken aneignet, hat einen großen Wert, der es einem ermöglicht, zu entdecken, warum man etwas tut. Es ist möglich, unseren Reichtum zu zeigen, die Großartigkeit, die wir sind.

Biografie

Das Agorà Teatro wurde 2005 von Marzio Paioni in Magliaso gegründet, um eine ganze Gemeinschaft in die Kunst einzuführen und zu erziehen. Die künstlerische Leitung liegt derzeit bei Marzio Paioni und Olimpia De Girolamo, die von Claudio Orlandini (Mitbegründer) künstlerisch und regietechnisch beraten und von Regisseur Philippe Blanc unterstützt werden. Das Theater organisiert Ausbildungskurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die zu Abschlussaufführungen führen. Es veranstaltet ein Festival Segni d’arte (Zeichen der Kunst), bei dem sowohl Aufführungen als auch Fortbildungsveranstaltungen für die gesamte Bevölkerung stattfinden. Die neuesten Aufführungen unter der Leitung von Claudio Orladini sind: La Mar, I Fisici, Barbuta und Il Grande Drago.

Statistik: Bund hat Corona-Schaden für Kultur errechnet

Aus dem News-Ticker Kultur des Tagesanzeiger

D | F | I Taskforce Culture: Kulturbotschaft 2025–2028

Artikel in F und I weiter unten

Heute fand in Bern auf Einladung des Bundesamts für Kultur BAK ein Informations- und Austauschtreffen zur kommenden Kulturbotschaft statt, in Anwesenheit von Bundesrat Alain Berset und der Direktorin des BAK, Carine Bachmann. Die Kulturverbände konnten sich über die zentralen Handlungsfelder der Kulturpolitik für die Jahre 2025–2028 informieren und austauschen. Die Taskforce Culture begrüsst den Einbezug der Kulturverbände, der zum ersten Mal in dieser Form stattfand.

Die Kulturbotschaft legt die strategische Ausrichtung der Kulturpolitik des Bundes jeweils für eine Periode von vier Jahren fest. Sie beinhaltet die Ziele, die wichtigsten Massnahmen und die Finanzierungsrahmen sämtlicher Förderbereiche des Bundes.

Beim heutigen Treffen ging es um die kulturpolitischen Schwerpunkte des Bundes für die Jahre 2025– 2028, verdichtet zu folgenden sechs Handlungsfeldern: Kultur und digitale Transformation, Kultur und nachhaltige Entwicklung, Kulturerbe als lebendiges Gedächtnis, Aktualisierung des Kulturfördersystems, Kultur als Arbeitswelt sowie Gouvernanz im Kulturbereich. Die Taskforce Culture unterstützt die definierten Handlungsfelder und begrüsst den konstruktiven Austausch. Die Handlungsfelder machen zudem einmal mehr deutlich, mit welch grossen Herausforderungen der Schweizer Kultursektor in den kommenden Jahren konfrontiert sein wird.

Im Mai 2023 wird die Vernehmlassungsvorlage der Kulturbotschaft 2025–2028 vorliegen mit konkreten Massnahmen in den verschiedenen Förderbereichen. Erst dann wird bekannt, welche finanziellen Mittel für die nationale Kulturförderung 2025–2028 zur Verfügung gestellt werden sollen. Alle interessierten Personen und Organisationen können sich dann im Rahmen der Vernehmlassung äussern.

Bereits jetzt ist für die Taskforce Culture klar: Angesichts der Herausforderungen, die der Kultursektor zu meistern hat und unter Berücksichtigung der Inflation, ist eine Erhöhung des Kulturbudgets unumgänglich. Ausserdem werden gesetzliche Anpassungen zur sozialen Absicherung nötig sein, die nicht nur den Kulturbereich, sondern alle “prekären” Arbeitsformen betreffen, also befristet Angestellte, mehrfach Beschäftigte, teilweise Selbstständigerwerbende oder auch arbeitgeberähnliche Personen. Hier besteht branchenübergreifend Handlungsbedarf.

 

Une rencontre d’information et d’échange sur le prochain Message culture a eu lieu aujourd’hui à Berne, à l’invitation de l’Office fédéral de la culture (OFC), en présence du conseiller fédéral Alain Berset et de la directrice de l’OFC, Carine Bachmann. Les associations culturelles ont échangé des informations et des réflexions sur les principaux champs d’action de la politique culturelle pour les années 2025-2028. La Taskforce Culture se félicite de l’implication des associations culturelles, qui a eu lieu pour la première fois sous cette forme.

Le Message culture définit l’orientation stratégique de la politique culturelle de la Confédération pour une période de quatre ans. Il contient les objectifs, les principales mesures et les cadres de financement de tous les domaines d’encouragement de la Confédération.

La rencontre d’aujourd’hui a porté sur les priorités de la politique culturelle de la Confédération pour les années 2025-2028, condensées dans les six champs d’action suivants : culture et transformation numérique, culture et développement durable, le patrimoine culturel comme mémoire vivante, l’actualisation du système d’encouragement de la culture, la culture comme secteur d’activité professionnelle et la gouvernance dans le domaine de la culture. La Taskforce Culture soutient ces champs d’action tels qui ont été définis et se félicite du caractère constructif des échanges. En outre, une fois encore, ces champs d’action mettent en évidence les grands défis auxquels le secteur culturel devra faire face ces prochaines années.

En mai 2023, le Conseil fédéral ouvrira la consultation sur le Message culture 2025-2028 proposant des mesures concrètes dans les différents domaines d’encouragement. On connaîtra seulement à ce moment-là les moyens financiers mis à disposition au plan fédéral pour l’encouragement de la
culture 2025-2028. Dans le cadre de la consultation, toutes les personnes et organisations intéressées pourront alors s’exprimer.

D’ores et déjà, au vu des défis auxquels le secteur de la culture doit faire face, et compte tenu de l’inflation, la Taskforce Culture est persuadée qu’une augmentation du budget de la culture est inévitable. En outre, il va falloir adapter la législation en matière de protection sociale, des adaptations qui d’ailleurs ne concernent pas seulement le secteur culturel, mais toutes les formes de travail « précaires », à savoir les personnes employées à durée déterminée, les personnes occupant de multiples emplois, les personnes partiellement indépendantes ou encore les personnes occupant une position assimilable à celle d’un employeur. Il faut agir tous secteurs confondus dans ce domaine.

 

Su invito dell’Ufficio federale della cultura (UFC), si è svolto oggi a Berna, alla presenza del Consigliere federale Alain Berset e della Direttrice dell’UFC Carine Bachmann, un incontro informativo e di scambio sul prossimo Messaggio sulla cultura. Le associazioni culturali hanno potuto così informarsi e scambiare opinioni sui campi d’azione centrali della politica culturale per gli anni 2025-2028. Taskforce Culture accoglie con favore il coinvolgimento delle associazioni culturali, che si è svolto per la prima volta in questa forma.

Il Messaggio sulla cultura definisce la direzione strategica della politica culturale della Confederazione per un periodo di quattro anni. Contiene gli obiettivi, le misure più importanti e il quadro finanziario per tutte le aree di promozione della Confederazione.

L’incontro di oggi si è concentrato sulle priorità della politica culturale della Confederazione per gli anni 2025-2028, condensate nei seguenti sei campi d’azione: cultura e trasformazione digitale, cultura e sviluppo sostenibile, patrimonio culturale come memoria vivente, aggiornamento del sistema di promozione culturale, cultura come mondo del lavoro e governance nel settore culturale. Taskforce Culture accoglie con favore lo scambio costruttivo e sostiene i campi d’azione definiti, dai quali risultano con chiarezza le principali sfide che il settore culturale svizzero dovrà affrontare nei prossimi anni.

Nel maggio 2023, sarà disponibile il documento delle procedure di consultazione del Messaggio per la cultura 2025-2028, con le misure concrete adottate nelle varie aree di promozione. Solo allora si saprà quali risorse finanziarie saranno rese disponibili per la promozione culturale nazionale 2025-2028. Durante il processo di consultazione tutti i soggetti interessati potranno quindi esprimere i loro pareri.

Per Taskforce Culture risulta già evidente che, alla luce delle sfide che il settore culturale dovrà affrontare e tenendo conto dell’inflazione, un aumento del budget a disposizione della cultura è inevitabile. Inoltre, si renderanno necessari degli adeguamenti di legge per la previdenza sociale, che non riguarderanno solo il settore della cultura, ma tutte le forme di lavoro „precario“, ossia i lavoratori a tempo determinato, i lavoratori con più contratti di lavoro, i lavoratori parzialmente autonomi e tutti i soggetti assimilabili ai datori di lavoro. Occorre intervenire in tutti i settori.

Neue Meldungen schweizweit: Kulturprekariat und Stellenmeldepflicht

Im Bericht „Reiche Chefs, arme Tänzerinnen“ im Bund (19. November 2022) werden die Löhne in der Kulturbranche angesprochen. In der Berner Kulturbranche sind erstmals die Jahressaläre von Direktorinnen und Intendanten öffentlich. Die grosse Frage: Sind diese gerechtfertigt?

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Warum die Löhne der Kulturspitze schweizweit nicht öffentlich sind, obwohl die Institutionen Subventionen in Millionenhöhe beziehen, hat laut Salva Leutenegger vom Berufsverband der darstellenden Künste SzeneSchweiz unter anderem politische Gründe. Da die Beiträge an die Kultur von bürgerlicher Seite regelmässig kritisiert werden, seien die Subventionsgeber unter Druck. «Die Löhne werden wohl auch deshalb unter Verschluss gehalten.»

«Branchenüblich» – wer die grossen Kulturinstitutionen in Bern zu den Löhnen ihrer Chefs und Chefinnen befragt, erhält ohne Ausnahme dieses Wort als Antwort. Zusammen mit: «Der Lohn ist angemessen.»

Salva Leutenegger, Verband der darstellenden Künste SzeneSchweiz

Kritik kommt aber häufig nicht bezüglich der höchsten Löhne. Sondern vor allem bezüglich der niedrigsten – und der grösser werdenden Lohnschere. Aktuell betragen die Mindestgagen für Festangestellte bei Bühnen Bern etwa für eine 100-Prozent-Stelle 54’600 Franken.

Vielfach müssen Kulturschaffende aber mit deutlich weniger auskommen: So haben sechs von zehn ein Gesamteinkommen von weniger als 40’000 Franken im Jahr – bei einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 45 Stunden, so eine Studie. Vielen drohe die Altersarmut. Dafür befragte das Forschungsbüro Ecoplan im Auftrag des Vereins Suisseculture Sociale und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia rund 10 Prozent aller Kulturschaffenden in der Schweiz. Auffallend wenig, sagt Salva Leutenegger vom Berufsverband der darstellenden Künste, verdienen Tänzerinnen und Tänzer.

Was in der darstellenden Kunst besonders wichtig sei: «Schafft es ein Haus, eine bekannte Person anzustellen, kriegt es nachweislich mehr Publikum, mehr Aufmerksamkeit, mehr Erfolg.»

Salva Leutenegger, Berfusverband der darstellenden Künste SzeneSchweiz

Als Hauptgrund, dass die grossen Häuser verhältnismässig tiefe Mindestlöhne zahlen, werde oft die Höhe der Subventionsbeiträge genannt, so Leutenegger – man müsse mit den Geldern arbeiten, die man erhalte.

Lange waren die Löhne bei den Kulturhäusern unter Verschluss, seit diesem Jahr gelten aber im Kanton Bern neue Richtlinien für öffentlich finanzierte Betriebe: Die Vergütungen in den Chefetagen müssen transparent gemachtwerden. Zu den grossen Institutionen, die diese nun ausweisen, gehören Bühnen Bern (220’000 Franken für Intendant Florian Scholz), das Kunstmuseum Bern mit dem Zentrum Paul Klee (248’000 Franken für Direktorin Nina Zimmer) und das Historische Museum (206’700 Franken für Direktor Thomas Pauli-Gabi).

Fairerweise müsste man alle Löhne und Honorare prüfen, die mit öffentlichen Geldern finanziertwerden. «Es kann nicht sein, dass man die Lohnhöhen in der Kultur beschränkt, aber in den anderen Bereichen keine Limiten setzt.»

Sandra Künzi, Co-Präsidentin von t. Theaterschaffen Schweiz

 

Seit April 2020, meldet SRF (16. November 2022), verteile Suisseculture Sociale Corona-Nothilfen an Künstlerinnen und Künstler – leider endet nun diese Unterstützung.

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Die Trägerin des Sozialfonds des Dachverbands der Schweizer Kulturverbände hat bislang insgesamt 32 Millionen Franken ausbezahlt. Per Ende Jahr ist Schluss damit. Viele Kulturschaffende sehen sich deshalb in einer schwierigen Lage.

Nicht nur die wirtschaftliche Lage ist prekär, sondern auch die psychische.

Nicole Pfister Fetz, Präsidentin von Suisseculture Sociale

Die atypischen Arbeitsverhältnisse der Kulturschaffenden müsse man sich genauer anschauen und prüfen, wie man die Menschen in Zukunft optimal unterstützen könne. Diese Unterstützung muss den komplexen Arbeitsverhältnissen in der Kulturbranche gerecht werden.

 

Ein Drittel der offenen Stellen werde von Firmen gar nicht angezeigt, schreibt die NZZ (16.11.2022). Der Beruf mit der höchsten Arbeitslosenquote in der Schweiz ist derzeit jener des Schauspielers.

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Auf der Liste stehen alle Berufe, die eine Arbeitslosenquote von über 5 Prozent aufweisen. Wenn Firmen Mitarbeitende in einer der aufgelisteten Berufsarten suchen, müssen sie die offenen Stellen einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden. Mit der Liste soll das Potenzial derinländischen Arbeitskräfte besser genutzt werden, ohne das Freizügigkeitsabkommen mit der EU zu gefährden. Die Stellenmeldepflicht besteht seit Juli 2018 und ist eine Antwort auf die Annahme der Initiative «Gegen Masseneinwanderung».

Zur Relevanz der Stellenmeldepflicht für Schauspieler sagt Silvan Gisler, Creative Director des Schauspielhauses Zürich:

Schauspiel ist ein Bereich, wo zum einen über Jahre gewachsene Arbeits- und Vertrauensbeziehungen zwischen Regie und Schauspielerinnen und Schauspielern sehr wichtig sind und zum anderen auch stets sehr spezifische Vorstellungen und damit auch Anforderungsprofile vorhanden sind.

Silvan Gisler, Creative Director des Schauspielhauses Zürich

Schauspieler seien schlecht untereinander ersetzbar, da jede Person ein eigenständiges künstlerisches Profil habe. Insofern sei aus künstlerischer Sicht die Stellenmeldepflicht zwar von geringer Relevanz – aber Teil der Gesetzgebung und des Vorgangs, den es zu respektieren gelte.

 

Intimitätskoordination – ein Berufszweig auf der Überholspur

Gemäss der ersten zertifizierten Intimacy Coordinator Julia Effertz, unterstützt diese Berufsfeld den Entstehungs-Prozess intimer Szenen von der Vorbereitung, über den Dreh bis hin zur Post-Produktion.

Die Regie wird bei der Umsetzung ihrer kreativen Vision massgeblich durch den Intimacy Coordinator unterstützt und diese*r stellt sicher, dass Inhalte einvernehmlich entstehen und die Grenzen der Schauspieler*innen respektiert werden. Produktionen die mit Intimacy Coordination arbeiten verstehen die spezielle Schwierigkeit intimer Szenen und tragen Fürsorge für Cast und Crew.

Die Redaktion von Ensemble Magazin hat einen Medienspiegel für Sie zusammengestellt, der das Berufsfeld eingehender behandelt.

„Intimität fängt schon bei Kussszenen an. Jeder Kuss erzählt eine andere Geschichte, ist eine intime Berührung. Was auch sehr intim sein kann, ist eine Szene, in der eine Schauspielerin eine gebärende Frau spielt. Das ist mitunter sehr exponierend für die Schauspielerin.“

Julia Effertz, deutsche Intimitätskoordinatorin im Interview mit Edition F

Julia Effertz ist Schauspielerin und Intimitätskoordinatorin – im Interview mit Edition F spricht sie über diesen neuen Berufszweig, warum er so wichtig für die Filmbranche ist und wozu beispielsweise Genitaltaschen genutzt werden. Effertz sorgt bei den Probesituationen dafür, dass die Grenzen von Schauspieler*innen beim Drehen intimer Szenen eingehalten werden und erklärt im Interview, wo die Schwierigkeiten hierfür liegen. Ein kleiner Auszug:

Wie bei jeder intimen Szene arbeite ich mit der Schauspielerin körperlich, stimmlich und emotional. Das Ziel ist auch hier, daß ihr privater Körper geschützt ist und sie mit ihrem Körper die Rolle und ihre Geschichte erzählen kann. Ich sorge dafür, wie auch bei anderen intimen Szenen, dass es der Schauspielerin am Set gut geht, dass sie etwa zwischen den Takes nicht entblößt daliegt, sondern dass ihr sofort nach dem ‘Danke’ der Bademantel gereicht wird. Im Idealfall sollte auch hier  ein ,Closed Set’-Protokoll mit minimaler Crew eingehalten werden.

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„Ein choreografisches Hilfsmittel ist das ,Anchoring’, also die Bewegung über ,Anker’ anderer Körperstellen. Das kann man sich zum Beispiel so vorstellen: klassische Missionarsstellung, der Mann liegt über der Frau. Die Genitalbereiche berühren sich hierbei nicht, sondern der Schauspieler ankert seinen Oberschenkel an dem seiner Szenenpartnerin. Stoßbewegungen können dann über diese Ankerstelle ausgeführt werden. Je nachdem wie viel Nacktheit vereinbart ist, wird mit verschiedenen Kostümen gearbeitet. Das wären hautfarbene Slips oder sogenannte Genitaltaschen für Männer, in denen sie alles gut verpacken können.“

Es erschien ein weiterer Artikel über die Arbeit von Julia Effertz mit dem Titel „Ich bin nicht die Sexpolizei“ im Onlinemagazin ze.tt.

Einen kurzen Einblick in die Thematik gewährt das Format „100 Sekunden“ von SRF als Podcast. Er greift das Prinzip der fünf C’s auf, das auf den Punkt bringt, wie eine Intime Szene aufgebaut sein muss.

Mein privater Körper war durch die Intimitätskoordination völlig geschützt, mein Schauspielkörper füllte die Rolle ganz aus. Da habe ich verstanden: die Intimitätskoordination funktioniert. Sie sichert mich nicht nur ab, sie eröffnet mir auch absolute künstlerische Freiheiten.“

Julia Effertz

Eine weitere wichtige Intimitätskoordinatorin ist die junge Kalifornierin Amanda Blumenthal, die in den USA und Grossbritannien «Euphoria», «The L-Word» und «The Affair» begleitet. Sie sei als Sex- und Beziehungscoach tätig gewesen, als sie von der Stellenanzeige bei HBO hörte, erklärt sie im Interview mit der Annabelle.

Im Interview antwortet sie auf die Frage, ob sie viele Geschichten von Missbrauch am Set höre, folgendermassen:

„Allerdings, und es sind manchmal sehr extreme Geschichten: Von Regisseuren, die alle nachhause schicken, um ungestört die Hauptdarstellerin vergewaltigen zu können. Von Schauspielern, die während des Drehs backstage Sex haben. Von verbalen Entgleisungen nach dem Motto «Zeig mir deine Titten». Der Böse ist nicht immer der Regisseur, Übergriffe finden auch zwischen Setmitarbeitern oder Schauspielerkollegen statt.

Blumenthal spricht ausserdem darüber, dass auch das Erleben des Aggressors bei einer gewaltsamen Sexszene verstärkt thematisiert und mentoriert werden müsse, wie auch alle anderen Beteiligten, die dem Dreh beiwohnen und von den psychischen Herausforderungen einer solchen Szene betroffen sind.

Seit #MeToo herrscht unter den Männern grosse Nervosität. Viele haben Angst, sich falsch zu benehmen. Sie erkennen meist, dass wir dazu da sind, ihnen unangenehme Diskussionen abzunehmen, zu klären, wer sich wo anfassen darf und wie genau man sich küsst. Es verleiht Sicherheit, so eine vermittelnde, neutrale Person mit an Bord zu haben.

Amanda Blumenthal im Interview mit  Annabelle

Auf ihrer eigens für die Thematik kreierten Website „Intimacy professionals association“ teilt sie als führende internationale Organisation ihr Wissen mit Interessierten. Darunter ist eine Auflistung zu den wichtigsten Dienstleistungen eines Intimacy Coordinators zu finden:

  • Erleichterung des Dialogs zwischen den Schauspielern und dem Regisseur über ihr Wohlbefinden in Bezug auf den intimen Inhalt einer Szene
  • Emotionale Vorbereitung der Schauspieler auf intensive Intimitätsszenen, wie z. B. simulierte sexuelle Übergriffe, und Unterstützung während des gesamten Prozesses sowie emotionale Nachbetreuung, falls erforderlich
  • Sicherstellen, dass während des Drehs einer Szene die Grenzen der Schauspieler nicht überschritten werden und dass sie während des gesamten Drehs sowohl körperlich als auch emotional sicher bleiben
  • Bereitstellung einer sicheren Umgebung, in der die Schauspieler ihre Arbeit verrichten können
  • Sicherstellen, dass die Richtlinien für geschlossene Sets und SAG-Nacktheit eingehalten werden
  • Als Fürsprecher und Verbündeter für LGBTQIA+-Darsteller am Set fungieren
  • Choreografieren von simulierten Sexszenen, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen
  • Koordination mit Abteilungen wie Kostümen und Make-up, um sicherzustellen, dass die Schauspieler mit angemessener Nacktheitskleidung, Barrieren und Prothesen ausgestattet sind

Weitere statistische Informationen, als auch weiterführende Informationen zur Ausbildungsmöglichkeit in Deutschland, erteilt das „kmbk“ – Beratung und Netzwerk für Künstler*innen, Kreative, Kultur- und Medienschaffende aus München.

In Wirklichkeit ist gar nichts spontan oder sexy. Sexszenen sind harte Arbeit, physisch und psychisch.

Amanda Blumenthal

 

Performancepreis Schweiz – Swiss Performance Art Award

Der Performancepreis Schweiz erhöht die Sichtbarkeit der Schweizer Performancekunst, zeigt ihre Vielfalt und Qualität, und stärkt ihre Anerkennung. Der seit 2011 jährlich national ausgeschriebene Wettbewerb ist offen für Bewerbungen von Kunstschaffenden mit einer performativen Praxis aus allen Sparten.

Der Performancepreis Schweiz ist eine partnerschaftliche Förderinitiative der Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Luzern, St. Gallen, Zürich und der Stadt Genf. Der Kanton Luzern ist zum zweiten Mal Gastgeber des Performancepreis Schweiz, dieser wird am 12. November 2022 im Kunstmuseum Luzern ausgetragen. Vom 11. bis 13. November 2022 findet ein vielseitiges Rahmenprogramm unter Beteiligung von Luzerner Performanceschaffenden statt. Es finden Performances, Interventionen, Diskussionen und Lectures statt.

Ensemble-Magazin trifft Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons Luzern. In dieser Funktion ist er auch Leiter der Kulturförderung Kanton Luzern, hierzu gehören neben Theater, Tanz, Musik oder der Bildenden Kunst natürlich auch die Performance-Kunst dazu. In Luzern und der Zentralschweiz existiert gemäss Sägesser bereits eine relativ starke Szene. Diese kulturelle Szene ist traditionell in der bildenden Kunst angesiedelt, was sich aber mehr und mehr verändern wird. Die Bereiche Tanz, Theater und Schauspiel fliessen mehr ein, was auch durch die Hochschule für Design und Kunst geprägt wird. Die HSLU gibt als Partner bietet für die Performance-Kunst extra eine Ausbildung an und bietet dem Medium damit auch Raum für Forschung. Deshalb war der Entscheid klar, bei der Plattform Performance Preis Schweiz dabei sein zu wollen.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können.

„In der Schweiz gab es immer wieder starke Performance-Szenen, die in Wellenbewegungen kamen und gingen, insbesondere in den 70er Jahren, sowie Mitte und Ende der 80er Jahre – es bleibt aber bis heute die Schwierigkeit, für Performance eine Plattform zu schaffen, ergo auch Häuser und Orte, wo sie stattfinden können. Früher geschah das mehr im Umfeld von Kunstmuseen. Das liegt daran, dass Performance eine anspruchsvolle Kunstform ist aus Sicht der Rezipienten. Man kann nicht genau abschätzen, was einen jeweils erwartet. Es braucht Leute mit einem gewissen kulturellen Hintergrund, als auch einer spezifischer Vorbildung, um die codierte Symbolik der Performance deuten zu können.

Der Performance Preis findet einmal jährlich statt, Sägesser sieht dieses Jahr das theatrale Element im Vordergrund, im Vergleich zu anderen Ausgaben. „Es gibt zunehmend Gruppierungen, Kollektive, das hat sich in den letzen Jahren immer deutlicher herausgestellt. Die klassische Performance, die in der freien Kunst angesiedelt ist, geht eher zurück. In der WestSchweiz ist das sogar noch stärker ein Thema als in der Deutschschweiz.“

Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Sägesser ist mit dem Austragungsort Luzern für die Organisation zuständig, alle Partner-Kantone stellen jeweils geeignete Jury-Mitglieder zur Verfügung. Dabei zählen Diversiät bei Gender- und Sprachvertretung, als auch beim Alter der Finalist*innen eine tragende Rolle. Es wird nach der Einnahme von Positionen, nach Stilmitteln gewertet, wie auch nach dem Innovationsgrad der Ideen. Sägesser betont auch, dass die Tagesform der Auftretenden ein wesentliches Kriterium sei, besonders beim Zusammenspiel in Kollektiven, da es kein spezifisches Skript gibt wie im klassischen Theater. Die Jury entscheidet am Ende unabhängig von der kantonalen Zugehörigkeit der Finalist*inne, wer gewinnt. „Aus Erfahrung herrscht auch im Publikum ein grosses Kribbeln und Anspannung während den Performances“, meint Sägesser.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum.

Mit der Ausschreibung und Vergabe des Performance Awards ist eine nationale Plattform gegeben. Es handelt sich mittlerweile um eine Auszeichnung, die sich etabliert hat und sich besonders positiv auf Lebenslauf und Reputation der Gewinner*innen auswirkt. Der Preis und auch das relativ hoch angesetzten Preisgeld sind eine gute Basis für das weitere Schaffen der Künstler*innen. Besonders für Stiftungen, darunter beispielsweise Pro Helvetia, sind solche Preise massgeblich. Die Höhe des Preisgeldes sei bewusst so gesetzt, denn dadurch werde für das nächste Projekt Gewissheit und Ruhe während dem Prozess des Kreierens gewährleistet.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten.

Sägesser wünscht sich mehr Neugierde für Unbekanntes, Unerforschtes, Überraschendes von seitens Publikum – er meint aber auch, dass sich das seit Corona-Pandemie in eine gute Richtung entwickelt und die Performancekunst öffentlich wahrnehmbarer geworden ist. Auch gab es im Publikum in den letzten 7 Jahren grossen Zuspruch, wie auch in der Veranstalterszene. Noch immer gibt es aber eine spürbare Zurückhaltung gegenüber Ungewöhnlichem.

Häuser, die eine grössere Kapazität für performative Darbietungen haben, darunter die Gessnerallee in Zürich, die Kulturkaserne Basel, der Südpol Luzern, wie auch die Lockremise in St. Gallen, sollten aus eigener Initiative heraus mutiger werden, auch unter dem Jahr mehr zu veranstalten. Dies wünscht sich Sägesser für die Zukunft – die Performance-Szene sei an sich schon relativ klein und bringe unabhängig immer wieder aus eigenem Antrieb mit grossem Aufwand Kreationen auf die Bühne. Die Finanzierung wie auch die Werbung sind dabei ein herausfordernder Balanceakt. Sägesser erhofft sich mit der alljährlichen Ausschreibung mehr Perspektive für die Performanceszene.

Folgende Künstler*innen und Kollektive sind diese Jahr für den Preis nominiert:


Collectif Les Heureuses aus Bern sind Jeanne Jacob und Cornelia Nater. Die beiden Künstlerinnen arbeiten seit zwei Jahren zusammen und beschäftigen sich in ihren Malereien, Performances, Audio- und Videoarbeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Verhältnis zu ihrer unmittelbaren Umgebung. Das Sammeln, Ordnen, gemeinsame Produzieren und Diskutieren betreiben sie mit humorvollen, poetischen und spielerischen Mitteln.

In der Performance Lauter beste Schlusssätze (2022) trinken Jeanne Jacob und Cornelia Nater an einem Gartentisch mit aufgemaltem Mühlespiel Tee. In ihrer Performance richten sie Fragen an das Publikum, an sich selbst und ihr Gegenüber: Was wird hier gespielt? Wer gewinnt und wer verliert? Wobei der Titel andeutet, dass dies mit einem Augenzwinkern geschieht. Der gesprochene Text handelt vom Spielen um des Spielens Willen, der Symbiose zwischen Pilzen und Bäumen, der Begegnung am Küchentisch und der Kunst auf Rädern zu gehen. Untermalt wird das Gespräch von elektronischem Sound, eingespielten Tonaufnahmen und Videos, die die unterschiedlichen Erzählstränge zu einer dichten multimedialen Collage verbinden.

 

Claudia Grimm beschäftigt sich in ihren Performances mit alltäglichen performativen Sprechsituationen. Sie untersucht diese auf ihren Inhalt, die Art des Sprechens und der Wissensvermittlung und reinszeniert sie mit feinen Irritationen. Die daraus entstehenden Vorlesungen, Workshops, Rundgänge oder Ansprachen sind eine Mischform aus Choreografie und Improvisation. Wiederkehrende Themen sind Techniken zum Einüben unterschiedlicher Fähigkeiten, der Umgang mit Archiven und das kollektive künstlerische Schaffen in Zusammenarbeit mit dem Kollektiv DARTS (disappearing artists).
 
Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen (2022)
Treffen können uns die unterschiedlichsten Dinge: eine Aussage, eine Geste, ein Schicksalsschlag, ein herunterfallender Ast. Die Performance «Getroffen-werden. Anleitung zu praktischen Übungen» knüpft an vorangehende Übungsreihen an, worin Claudia Grimm in Zusammenarbeit mit DARTS Strategien für den Umgang mit dem Getroffen-werden präsentiert. Dafür orientiert sich die Künstlerin an How To- oder Survival-Tutorials – Gebrauchsanweisungen, wie wir sie aus dem Internet kennen – und reflektiert deren Vokabular und Demonstrationsmodus. Ausstaffiert mit einer improvisierten Schaumstoffmontur, einem Schutzwall-Kit und wortgewandten Verteidigungsstrategien trotzt Claudia Grimm angreifenden Pfeilen, Steinen oder Sinneseindrücken. Die kommentierten Übungen sollen dazu befähigen, dem Getroffen-werden tapfer und beherrscht zu begegnen.

 

Johanna Kotlaris aus Zürich interessiert sich in ihrer künstlerischen Praxis für zwischenmenschliche Beziehungen und die damit verbundenen Dynamiken von Nähe, Distanz oder Grenzziehungen. In ihren theatralen und oft satirisch überzeichneten Inszenierungen verkörpert sie unterschiedliche Rollen und Charaktere, anhand derer sie Themen wie Identität, Leistung, Fehlerhaftigkeit oder Machtverhältnisse behandelt. Inspiration für ihre Rollen findet sie im Theater, im Film, in der Musikbranche oder der Stand-Up-Comedy. In ihren Performances nutzt sie die spezifische Architektur der Aufführungsorte als wandelbare Bühne und untersucht sie auf ihre Beschaffenheit hin. Ihre zentralen Ausdrucksmittel sind Körpersprache, Sprache und Stimme.

Bibbidi-Bobbidi-Anima (2022)
Die für den Performancepreis Schweiz entwickelte Arbeit «Bibbidi-Bobbidi-Anima» entstand in Kollaboration mit den Performerinnen Hanna Mehler und Marie Popall. Als Personifikation des Todes führt Johanna Kotlaris durch die Räume des Kunstmuseums Luzern und versucht sich in ein menschliches Dasein einzufühlen und sich dieses anzueignen. Die Figur verstrickt das Publikum in ihre Auseinandersetzung mit Verlust, Aufbruch, Veränderung und der Unvermeidbarkeit des Endens: Wie strukturieren sich die Zyklen von Werden und Vergehen? Inwiefern lassen sich die Geschehnisse in unserem Leben beeinflussen und gestalten? Und was hat es mit dem Mythos der Unsterblichkeit auf sich? Die Reflexion der eigenen Rolle sowie Textfragmente aus kulturgeschichtlichen Erzählungen über das Sterben und die damit einhergehenden Neuanfänge mischen sich mit Gesang, Sound und Bewegungssequenzen zu einem zeitgenössischen Totentanz.

 


Milda Lembertaitė & Amelia Prazak arbeiten seit 2014 als Duo und beschäftigen sich in ihren Performances, Videoarbeiten und Kostümen mit den Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Lebewesen sowie dem Spannungsverhältnis von Körper, Nahrung, Umwelt und Technologie. In essayistischen, teilweise surreal anmutenden Erzählungen verbinden sie individuelle Beobachtungen und Erfahrungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Geologie, Medientheorie und Menschheitsgeschichte.

Only See You When I Look at Myself (2022)
Das geophysikalische Phänomen des «erratischen Blocks» bezeichnet ortsfremdes Gestein, das durch Gletscher oder die Gezeiten verschoben wurde. Die auch als Findlinge bekannten Steinbrocken dienen Milda Lembertaitė & Amelia Prazak als Sinnbild, um vielschichtige Fragen zu Identität, Zugehörigkeit, Verortung und Transit zu thematisieren. Die daraus entstandene Performance «Only See You When I Look at Myself» ist als Videoessay konzipiert, worin die Künstlerinnen Screens gleichzeitig als Requisiten, Prothesen sowie Bildträger einsetzen und so auf die Verwobenheit des menschlichen Körpers mit medialen Geräten verweisen. Die Suche nach Heilung und Reinigung zieht sich durch die Erzählung und findet ihren Ausdruck im fliessenden Wasser, das Körper, Gestein und Geräte durchströmt.

 

Natalie Portman nennt sich das Kollektiv bestehend aus Paula Henrike Herrmann, Philémon Otth und Arnaud Wohlhauser. Unter Einbezug von wechselnden Kollaborationspartner:innen organisieren die drei Kunstschaffenden seit 2017 Veranstaltungen und Performances. Durch ihre künstlerischen Eingriffe kreieren sie in alltäglichen Situationen subtile Verschiebungen der Wahrnehmung – Momente der Reibung und Überlagerung zwischen unterschiedlichen Realitäten und Menschen.

La Société du Pestacle (2022)
In der für den Performancepreis Schweiz entwickelten Performance «La Société du Pestacle» versammelt Natalie Portman eine Gruppe von Figuren aus Theaterstücken. Die Schauspieler:innen, die diese Rollen aktuell an verschiedenen Schweizer Theaterhäusern verkörpern, tauchen beiläufig im Kunstmuseum Luzern auf und mischen sich unter das Publikum. Die Figuren werden aus ihrem Ursprungskontext herausgelöst, so dass neue spekulative Beziehungen und assoziative Geschichten entstehen. In ihren Kostümen unterschiedlich klar als fiktive Charaktere erkennbar, verschwimmen die Grenzen zwischen Publikum und Performer:innen. Natalie Portmann reflektiert damit unterschiedliche Darstellungskonventionen des Theatralen ebenso wie die Rollen, die das Publikum im Kunstkontext einnimmt.

 

Francesca Sproccati aus dem Tessin schafft in ihren Performances szenische Erfahrungsräume: Mittels minimaler Setzungen aus Klang, Licht und Bewegung rückt sie die Wahrnehmung des Publikums in den Fokus und lädt dieses zu Interaktion und Kontemplation ein. Aspekte wie Melancholie, Leere oder Erinnerung werden sinnlich erfahrbar.

Out of Me, Inside You (2022)

«Out of Me, Inside You» besteht aus Videoaufnahmen, Field Recordings und Textfragmenten, die Francesca Sproccati während zweier Reisen sammelte. Mit dem Jungfraugletscher und Neapel hat sie zwei ganz unterschiedliche Klanglandschaften durchquert. In Zusammenarbeit mit der Künstlerin Elena Boillat, dem Musiker und Komponisten Adriano Iiriti, der Dramaturgin Rosa Coppola und mit der Unterstützung von Alan Alpenfelt und Camilla Parini entwickelte sie ein Live-Set in einem installativen Setting: Loops und Variationen des Ausgangsmaterials bestimmen die multimediale Choreografie und erzeugen einen intimen Raum, worin das Zuhören, die eigene körperliche Anwesenheit und individuelle Assoziationskraft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

 

Im künstlerischen Kosmos von Latefa Wiersch aus Zürich tummeln sich Mischwesen zwischen Mensch und Tier, Pflanze, Objekt und Maschine, denen sie in Videos, als Performance oder fotografisch inszeniert ein eigendynamisches Leben verleiht. Ausgehend von alltäglichen Beobachtungen und mit abgründigem Humor erzählen die selbstgebauten Puppen von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie den Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt, zwischen echtem und künstlichem Körper. Wiederkehrende Themen sind Identität, Mutterschaft, Liebe und Gewalt.

Neon Bush Girl Society (2022)
Die Performance «Neon Bush Girl Society» ist eine Zusammenarbeit von Latefa Wiersch, Rhoda Davids Abel und Dandara Modesto. Die drei Künstlerinnen entwickeln aus Text, Gesang und performativen Objekten eine spekulative Erzählung, die sich aus ihrer jeweiligen lückenhaften Biografie sowie den Kultur- und Kolonialgeschichten unterschiedlicher indigener afrikanischer und afrodiasporischer Bevölkerungsgruppen speist. Ein verbindendes Motiv sind Gesten des Umkehrens und Zurückschauens, die für ein Sehnen und Trauern um die verlorene Heimat stehen. Diese finden sich zum Beispiel in der Legende des vom Krieg betroffenen Volkes der Nama im südlichen Afrika: Im Mythos verwandeln sich die Geflüchteten in Mischwesen zwischen Baum und Mensch. Daher stammt der Afrikaans-Name «Halfmens» (dt. «Halbmensch») für eine Pflanze, deren Silhouette an menschliche Figuren erinnert. Daran angelehnt entstanden die hybriden Spielfiguren zur Performance, die mit den Körpern der Akteurinnen in wechselnden Konstellationen zu verschmelzen scheinen. Diese Figuren verweisen zudem auf die identitätspolitische Dimension von weiblichen Körpern of Color und werfen Fragen zu Sichtbarkeit, Repräsentation und Formen der Ermächtigung auf.